Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostensache

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Festsetzung des Geschäftswerts im Erbscheinserteilungsverfahren sind Pflichtteilsverbindlichkeiten auch dann vom Aktivnachlaß voll abzuziehen, wenn „sichere Anhaltspunkte” dafür vorliegen, daß der Pflichtteil nicht geltend gemacht wird (hier: Pflichtteilsstrafklausel).

 

Normenkette

BGB § 1967 Abs. 2, § 2132 Abs. 1; KostO § 107

 

Beteiligte

Freistaat Bayern (Staatskasse)

den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Bayreuth

 

Verfahrensgang

LG Bayreuth (Aktenzeichen 15 T 119/00)

AG Bayreuth (Aktenzeichen VI 2122/99)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Bayreuth vom 29. September 2000 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der Erblasser hinterließ seine Ehefrau, die Beteiligte, und zwei Kinder. Das gemeinschaftliche Testament, in dem die Eheleute sich gegenseitig zu Erben und ihre gemeinsamen Kinder zu Schlußerben eingesetzt haben, lautet unter anderem wie folgt:

„Verlangt ein Kind den Pflichtteil, so geht sein Erbteil auf die Miterben über, u. es soll auch den überlebenden Elternteil nicht beerben, sondern auch aus dessen Nachlaß nur den Pflichtteil erhalten. Verlangen alle Kinder den Pflichtteil, soll alleiniger Erbe der Überlebende von uns ohne Beschränkungen sein.”

Antragsgemäß erteilte das Amtsgericht am 1.6.1999 für die Beteiligte einen Alleinerbschein.

Mit Beschluß vom 12.7.2000 setzte es den Geschäftswert auf DM 589 598,50 fest. Dabei zog es vom Aktivnachlaß Todesfallkosten in Höhe von DM 5 296 ab, einen Abzug für Pflichtteilsansprüche lehnte es ab. Auf die Beschwerde der Beteiligten hat das Landgericht den Geschäftswert auf DM 442 198,88 mit der Begründung festgesetzt, daß die Pflichtteilsansprüche abgezogen werden müßten. Daß Pflichtteilsansprüche bislang nicht geltend gemacht worden seien, schließe den Abzug nicht aus. Selbst wenn man der Auffassung folge, daß bei Vorliegen von „sicheren Anhaltspunkten” für die Nichtgeltendmachung von Pflichtteilsansprüchen ein Abzug unterbleiben könne, sei kein anderes Ergebnis vertretbar. Daß die Abkömmlinge Pflichtteilsansprüche nicht geltend machen würden, um ihr gesetzliches Erbteil nicht zu gefährden, sei allenfalls eine Vermutung, begründe aber keine „sicheren Anhaltspunkte” für die Nichtgeltendmachung.

Dagegen wendet sich der weitere Beteiligte mit der vom Landgericht zugelassenen weiteren Beschwerde. Er ist der Auffassung, Pflichtteilsansprüche seien nicht abzuziehen, weil „sichere Anhaltspunkte” dafür vorlägen, daß sie nicht geltend gemacht würden. Dies folge aus der Klausel, wonach die Pflichtteilsberechtigten bei Geltendmachung des Pflichtteils den Überlebenden nicht beerbten. Gegebenenfalls könne in solchen Fällen das Pflichtteilsrecht nur mit einem Bruchteil seines Nennwertes angesetzt werden.

II.

Das zulässige Rechtsmittel (§ 31 Abs. 3 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 2, 4 KostO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Gemäß § 107 Abs. 2 KostO ist für die Bewertung eines Erbscheinserteilungsverfahrens der Wert des nach Abzug der Nachlaßverbindlichkeiten verbleibenden reinen Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend. Pflichtteilsansprüche sind wertmindernd zu berücksichtigen unabhängig davon, ob sie im Zeitpunkt der Erteilung des Erbscheins schon geltend gemacht worden sind oder nicht und ob sie überhaupt geltend gemacht werden. Darüber gibt es in Rechtsprechung und Literatur keinen Streit (vgl. BayObLGZ 1975, 244/252; Korintenberg/Lappe KostO 14. Aufl. § 107 Rn. 32; Mümmler Anm. zu OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 93/94 und Göttlich/Mümmler KostO 13. Aufl. Stichwort Erbschein Rn. 3.13). Meinungsverschiedenheiten bestehen lediglich bei der Frage, ob ein Pflichtteil auch dann abzusetzen oder gemäß § 30 Abs. 1 KostO nur mit einem Bruchteil seines Nennwertes anzusetzen ist, wenn bereits bei der Erteilung des Erbscheins „sichere Anhaltspunkte” dafür vorhanden sind, daß er nicht geltend gemacht wird (bejahend Korintenberg/Lappe aaO; Mümmler aaO; Göttlich/Mümmler aaO). Als solcher Anhaltspunkt wird vor allem die in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag angeordnete, aus der Geltendmachung des Pflichtteils entstehende Benachteiligung der Pflichtteilsberechtigten beim Folgeerbfall („Strafklausel”; vgl. auch Palandt/Edenhofer § 2269 Rn. 13 ff.) angesehen. Nach Auffassung der genannten Autoren würde der Kostenschuldner in einem solchen Fall einen nicht gerechtfertigten finanziellen Vorteil erhalten. Die Rechtsprechung (OLG Köln Rpfleger 1988, 25/26; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 93/94; ebenso Rohs/Wedewer KostO 3. Aufl. § 107 Rn. 27) berücksichtigt hingegen Pflichtteilsansprüche auch in solchen Fällen in vollem Umfang wertmindernd. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

a) Der Wortlaut des § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO ist insoweit eindeutig. Maßgebend für die Festsetzung des Geschäftswerts im Erbscheinserteilungsverfahren ist der Wert, der nach Abzug der Nachlaßverbindlichkeiten vom Aktivnachlaß verbleibt. ...

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