Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldverfahren. Geschwindigkeitsüberschreitung. Hauptverhandlung. Betroffener. Erscheinenspflicht. Entbindung. Abwesenheit. Vertretung. Vertreter. Untervertretung. Untervertreter. Vertretungsvollmacht. Verteidiger. Wahlverteidiger. Vollmachtserteilung. Nachweis. Rechtssicherheit. Normzweck. Urteil. Urteilsverkündung. Urteilszustellung. Urteilsgründe. Ergänzung. Regelungslücke. Analogie. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Wiedereinsetzung. Einlegungsfrist. Wochenfrist. Fristversäumung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Vertretung des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Sinne der § 73 Abs. 3, 79 Abs. 4 OWiG setzt den Nachweis der Vertretungsvollmacht voraus. Im Falle einer Untervertretung genügt es hierfür nicht, wenn zwar eine vom Wahlverteidiger dem Untervertreter erteilte Vollmacht zu den Akten gelangt ist, aber keine dem Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht nachgewiesen ist.

 

Normenkette

OWiG § 73 Abs. 2-3, §§ 77b, 79 Abs. 3-4, § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 4; StPO § 35 Abs. 2 S. 1, §§ 35a, 36 Abs. 1 S. 1, § 267 Abs. 4 Sätze 1, 4, § 275 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Miesbach (Entscheidung vom 21.04.2022)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Betroffene gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 21. April 2022 rechtzeitig die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt hat.

 

Gründe

I.

Mit Urteil vom 21.04.2022 hat das Amtsgericht gegen den mit Beschluss vom 07.04.2022 antragsgemäß nach § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 21.04.2022 entbundenen Betroffenen in seiner Abwesenheit jedoch in Anwesenheit einer vom Verteidiger des Betroffenen unterbevollmächtigten Verteidigerin wegen einer am 06.06.2021 als Führer eines Pkws auf einer Autobahn fahrlässig begangenen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h eine Geldbuße von 120 Euro festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner mit Schreiben seines Verteidigers vom 05.05.2022 an diesem Tag beim Amtsgericht eingegangenen Zulassungsrechtsbeschwerde, mit der er zugleich die Wiedereinsetzung in die Versäumung der Wochenfrist für die Einlegung des Rechtsmittels beantragt. Mit Zuleitungsschrift vom 23.08.2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

II.

Die gegen das Urteil vom 21.04.2022 gerichtete Zulassungsrechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt worden, weil bislang eine gemäß §§ 35 Abs. 2 Satz 1, 35a, 36 Abs. 1 Satz1 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 und Abs. 4 OWiG gebotene förmliche Urteilszustellung unterblieben und deshalb weder die Frist zur Einlegung noch zur Begründung der Zulassungsrechtsbeschwerde in Gang gesetzt worden ist, weshalb für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Fristversäumung kein Raum besteht.

Wie sich aus § 79 Abs. 4 letzter Halbsatz i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG ergibt, beginnt bei einem in Abwesenheit des Betroffenen verkündeten Urteil die Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur dann bereits mit der Verkündung des Urteils zu laufen, wenn der Betroffene bei der Urteilsverkündung von einem nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden ist.

Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Vielmehr handelte es sich um eine Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Betroffenen. Zwar war eine mit vom Wahlverteidiger ausgestellter Untervollmacht versehene Verteidigerin in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsverkündung anwesend. Allerdings genügt dies nicht, weil eine Vollmacht des Verteidigers nicht vorlag.

In Judikatur und Schrifttum ist anerkannt, dass eine der oder dem Unterbevollmächtigten erteilte Vollmacht nicht nachgewiesen sein muss, es vielmehr genügt, dass eine Vertretungsvollmacht durch den Wahlverteidiger im Zeitpunkt der Urteilsverkündung nachgewiesen ist (OLG Bamberg, Beschl. v. 27.04.2007 - 3 Ss OWi 480/07 = OLGSt OWiG § 73 Nr 11 = BeckRS 2007, 8730; 29.05.2006 - 3 Ss OWi 430/06 = NStZ 2007, 180; 18.04.2011 - 2 Ss OWi 243/11 = NZV 2011, 509 = DAR 2011, 401 = ZfSch 2011, 472 = VRS 121 [2011], 49 = BeckRS 2011, 18642 u. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.02.2017 - 2 [6] SsRs 723/16 bei juris, jeweils m.w.N.; vgl. auch Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 79 Rn. 30a; KK-OWiG/Senge 5. Aufl. § 73 Rn. 41; BeckOK-OWiG/Hettenbach [Stand: 01.10.2022 - 36. Edit.] § 73 Rn. 21 ff. und Krenberger/Krumm OWiG 7. Aufl. § 73 Rn. 21, jeweils m.w.N.).

Dies gilt jedoch nicht im umgekehrten Fall, bei dem es - wie hier - an einem Nachweis einer dem hauptbevollmächtigten Wahlverteidiger erteilten Vertretungsvollmacht fehlt. Denn die genannten Vorschriften sollen gewährleisten, dass die Vertretung des Betroffenen seinem explizit erklärten Willen entspricht und dies dem Gericht auch aus Gründen der Rechtssicherheit nachgewiesen wird. Durch die bloße Erteilung einer Untervollmacht durch den Wahlverteidiger wird dieser Normz...

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