Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. berufliche Weiterbildung bzw Berufsausbildung. Besuch der Heilpraktikerschule. Berufliche Eingliederung Behinderter. Weiterbildung. Heilpraktikerschule

 

Orientierungssatz

1. Dem Anspruch eines behinderten Menschen ohne Berufsabschluss, der noch nicht 3 Jahre beruflich tätig gewesen ist, auf Förderung einer Weiterbildung zum Heilpraktiker an einer Heilpraktikerschule können nach der Änderung des § 77 Abs 3 SGB 3 mWv 1.1.1999 die Anforderungen des § 60 Abs 1 SGB 3 nicht mehr entgegen gehalten werden, wenn eine berufliche Ausbildung aus in der Person liegenden Gründen nicht möglich oder zumutbar ist.

2. Für die Zeit vor dem 1.1.1999 kann einem nach § 102 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 3 wegen Art und Schwere der Behinderung bestehenden Anspruch auf Förderung der Ausbildung an einer auch nicht Behinderten offenstehenden Heilpraktikerschule der § 102 Abs 1 S 2 SGB 3 nicht entgegen gehalten werden, wenn eine andere Form der beruflichen Eingliederung nicht denkbar ist.

 

Normenkette

SGB III § 97 Abs. 1, 2 S. 1, § 98 Abs. 1, § 100 Nr. 6, § 102 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 103 Nrn. 1, 3, § 163 Abs. 2 S. 1

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 31. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Förderung der Ausbildung zur Heilpraktikerin als Leistung zur beruflichen Eingliederung Behinderter streitig.

Bei der ... 1976 geborenen Klägerin liegen eine Spina bifida und eine erhebliche Sehbehinderung vor. Sie erwarb die mittlere Reife, die anschließend besuchte Fachoberschule brach sie vorzeitig ab. Vom 08.09.1997 bis 31.07.1998 absolvierte sie einen von der Beklagten geförderten Lehrgang im Werkstattverbund der ... Landesschulen für Blinde und Körperbehinderte. In dem Abschlussbericht vom 28.07.1998 ist festgehalten, dass sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin, zumindest als Teilausbildung auf dem Gebiet der Kinesiologie, anstrebt. Ab 01.08.1998 bezog sie Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Den Antrag auf Förderung dieser von ihr im September 1998 begonnenen Maßnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.10.1998 mit der Begründung ab, die Eignung für den Beruf der Heilpraktikerin sei nicht gegeben. Auch könnten Heilpraktiker im Anschluss an die Ausbildung nicht im notwendigen Umfang auf Arbeitnehmertätigkeiten zurückgreifen.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, unstreitig sei ihr die Ausübung des Berufes der Heilpraktikerin nicht in voller Breite möglich. Jedoch bestehe diese Einschränkung in jedem anderen zugänglichen Bereich und speziell in jedem Ausbildungsberuf in weit höherem Maße.

Die Beklagte stellte in einem verwaltungsinternen Aktenvermerk fest, anders als nach dem Arbeitsförderungsgesetz könnten Teilnehmer an Lehrgängen zur beruflichen Weiterbildung auch dann gefördert werden, wenn sie beabsichtigten, im Anschluss an den Lehrgang eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen. Der Klägerin könne nicht angelastet werden, dass eine Maßnahmeprüfung bezüglich der Heilpraktikerausbildung nicht erfolgt sei, weil der zuständigen Reha-Stelle frühzeitig bekannt gewesen sei, dass sie die Heilpraktikerschule besuchen wolle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Einem Anspruch auf Förderung im Rahmen der allgemeinen Leistungen nach § 100 SGB III stehe § 60 Abs. 1 SGB III entgegen, wonach eine berufliche Ausbildung nur dann gefördert werden könne, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf durchgeführt werde; der Beruf des Heilpraktikers zähle nicht zu diesen Ausbildungsberufen. Eine Förderung könne auch nicht als besondere Leistung nach § 102 SGB III erfolgen; hierfür wäre Voraussetzung, dass die Ausbildung in einer besonderen Einrichtung für Behinderte absolviert werde. Die Heilpraktikerschule sei Behinderten und Nichtbehinderten in gleicher Weise zugängig.

Mit ihrer zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgebracht, die Beklagte halte behindertenspezifische Einrichtungen für die Vorbereitung auf die Heilpraktikerprüfung selbst nicht vor. Sie beabsichtige, den Beruf der Heilpraktikerin ausschließlich in dem Bereich der Kinesiologie auszuüben. Die von der Beklagten genannte Tätigkeit einer Telefonistin, die angesichts der überall vorhandenen elektronischen Telefonanlagen amtsbekannt regelmäßig mit Schreibarbeiten verbunden sei, welche sie nicht wettbewerbsfähig leisten könne, scheide bereits nach den Feststellungen der Reha-Beraterin vom 23.09.1998 aus. Sie hat eine Erklärung des leitenden Dozenten für Heilpraktikerausbildung am Z vom 17.09.2001 vorgelegt, wonach die Klägerin ungeachtet ihrer Behinderung die Tätigkeit einer Heilpraktikerin insbesondere auf dem Gebiet der Kine...

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