Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. gezielte Beratung. Prüfgremien. intellektuelle Prüfung. Untersuchungsgrundsatz. offensichtliches Mißverhältnis

 

Orientierungssatz

1. Dem Wortlaut des § 106 Abs 5 S 2 SGB 5 ist kein genereller Grundsatz zu entnehmen, wonach jeder Honorarkürzung oder jedem Arzneikostenregress eine gezielte Beratung iS eines Rechtmäßigkeitserfordernis voranzugehen hat.

2. Die Prüfgremien haben im Rahmen der ergänzenden intellektuellen Prüfung zu prüfen, ob die Praxis (hier: eines Vertrags(zahn)arztes (hier: MKG-Chirurg)) der engeren Vergleichsgruppe eine Besonderheit aufweist, nämlich eine gegenüber der Vergleichsgruppe (hier: MKG-Chirurgen) vermehrte ambulante Tätigkeit.

3. Die Prüfgremien sind nach § 20 Abs 1 SGB 1, der auch für die vertrags(zahn)ärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung gilt (vgl BSG vom 15.11.1995 - 6 RKa 43/94 = SozR 3-2500 § 106 Nr 33), verpflichtet einem substantiiert geltend gemachten Einwand des Vertrags(zahn)arztes (hier: MKG-Chirurg) nachzugehen, die für die zu treffende Entscheidung erheblichen Umstände umfassend aufzuklären und den so ermittelten Sachverhalt dahingehend rechtlich zu würdigen, ob sich das Behandlungsverhalten und die Behandlungsweise des Vertrags(zahn)arztes in ihrer Häufigkeit von der Typik der Vergleichsgruppe der MKG-Chirurgen wesentlich unterscheidet.

4. Wird im Wege der Schätzung ein wirtschaftlicher Mehraufwand, der auf Praxisbesonderheiten oder Einsparungen in anderen Bereichen beruht, anerkannt, so ist dieser vom Fallwert des Arztes oder Zahnarztes abzuziehen und anhand des bereinigten Fallwerts die jeweilige Überschreitung im Verhältnis zum Durchschnitt der Vergleichsgruppe zu ermitteln sowie daran anschließend die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis zu bestimmen. Dabei darf nach Berücksichtigung aller Praxisbesonderheiten und Einsparungen die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis niedriger angesetzt werden als um die 50 % (vgl BSG vom 18.6.1997 - 6 RKa 52/96 = SozR 3-2500 § 106 Nr 41).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.06.2001; Aktenzeichen B 6 KA 43/00 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten ausgesprochenen Vergütungsberichtigung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise im 1. Quartal 1994. Der Kürzungsbetrag beläuft sich auf DM 70.000.

Der Kläger nahm im streitigen Zeitraum als Mund-, Kiefer- und Gesichts (MKG) -Chirurg und Zahnarzt in S sowohl an der vertragsärztlichen als auch an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Gestützt auf Überschreitungen der Abrechnungswerte im Vergleich zu den bayerischen Vertragszahnärzten bei einzelnen Gebührenpositionen und beim Gesamtfallwert beantragte die Beigeladene zu 1) am 10. November 1994 eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit.

In seiner Stellungnahme vom 24. November 1995 trug der Kläger vor allem vor, dass er eine Praxis und Tagesklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und plastische Operationen betreibe. Sein Behandlungsspektrum umfasse alle Operationen dieses Fachgebiets. Er führe bis auf intensivmedizinisch zu überwachende Patienten alle Eingriffe an Patienten ambulant aus und verfüge im Unterschied zu seinen Fachkollegen über keine Belegbetten. Seine Tätigkeit sei deshalb in keiner Weise mit der Tätigkeit eines Vertragszahnarztes zu vergleichen.

Mit Bescheid vom 21. Februar 1996 sprach der Prüfungsausschuss Mittelfranken eine Vergütungsberichtigung von 72% des Gesamtfallwerts DM/Fall (= DM 74.700) aus. Im Rahmen eines statistischen Vergleiches verglich er den Kläger mit der Gruppe der bayerischen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen.

Seinen dagegen eingelegten Widerspruch ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juli 1996 vor allem damit begründen, dass in dem Vergleich auch ärztlich abgerechnete Leistungen eingestellt werden müßten. Der Kläger verfüge über eine Doppelzulassung und könne deshalb seine Leistungen sowohl ärztlich als auch zahnärztlich abrechnen. Er rechne im Gegensatz zu den MKG-Chirurgen der Vergleichsgruppe fast ausschließlich zahnärztlich ab. Daneben sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger viele Eingriffe, die Ärzte der Vergleichsgruppe stationär durchführten, ambulant vornehme. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssten bereits auf der ersten Stufe die Praxisbesonderheiten durch Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe berücksichtigt werden. Zudem führe der Kläger die Zusatzbezeichnung "plastische Operationen". Er weise ein sehr breites Leistungsspektrum auf, nämlich das einer sogenannten "Tagesklinik". Er rechne zahlreiche Positionen als einziger MKG-Chirurg in Bayern ambulant ab. Ihm würden die Fälle von anderen Zahnärzten und Ärzten zugewiesen. Außerdem handele es sich um ein Anfängerquartal, da die Praxis erst im 3. Quartal 1993 eröffnet worden sei. Schließlich seien Einsparungen in anderen Bereichen nicht hinreichend gewürdigt worden. Pro Sitzung führe er möglichst viele Eingriffe durch. Der ambulante OP-Zuschlag falle nur einmal an. Der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit ...

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