Verfahrensgang

SG München (Urteil vom 15.10.1968; Aktenzeichen S 22/Alv 278/67)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Oktober 1968 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin, die verheiratet ist und ein am 14.9.1960 geborenes Kind hat, war vom 1.3. bis 30.4.1965 und vom 8.11.1965 bis 31.7.1967 bei der …;, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, vormals … a.G. als „Schreibkraft nach Tonbanddiktat” beschäftigt. Sie führte die Arbeiten, durch die sie in der Woche durchschnittlich 30 Stunden in Anspruch genommen wurde, in ihrer Wohnung auf eigener Schreibmaschine aus. Es wurden für sie Beiträge zur Krankenversicherung, Angestelltenversicherung und Arbeitslosenversicherung abgeführt. Die Tätigkeit endete, weil die Arbeitgeberin Ganztagsarbeitskräfte einstellte.

Das Arbeitsamt München lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 1.8.1967 durch Bescheid vom 18.8.1967 mit der Begründung ab, daß die Klägerin der Arbeitsvermittlung nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (§ 76 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG)) zur Verfügung stehe. Die Voraussetzungen der für Heimarbeiter geltenden Ausnahme des § 76 Abs. 2 AVAVG seien nicht gegeben, weil die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist des § 85 AVAVG für ihre Arbeitgeberin nicht gewerblich tätig und deshalb nicht Heimarbeiterin im Sinne des § 2 Abs. 1 des Heimarbeitsgesetzes (HAG) vom 14.3.1951 gewesen sei. Während die Klägerin mit ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid keinen Erfolg hatte, hob auf ihre Klage das Sozialgericht München durch Urteil vom 15.10.1968 den Bescheid des Arbeitsamtes in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.9.1967 auf und verpflichtete die Beklagte zur Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 4.8. bis 11.11.1967. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom 4. Senat des Bayer. Landessozialgerichts durch Urteil vom 17.9.1969 mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Klägerin die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 AVAVG erfüllt habe, weil die von ihr mehr als 26 Wochen ausgeübte Tätigkeit als Phonotypistin in der eigenen Wohnung als gewerbliche Arbeit im Sinne des § 2 Abs. 1 HAG anzusehen sei. Der Schutz des Heimarbeiters, der mit dem HAG verfolgt werde, verlange eine weite Auslegung des Begriffs „gewerbliche Arbeit”. Die Vergabe von Schreibarbeiten nach Tonbanddiktat in Heimarbeit habe sich inzwischen eingebürgert. Das ergebe sich aus den vom Sozialgericht eingeholten Stellungnahmen der Deutschen Angestelltengewerkschaft, der Gewerkschaft für Handel, Banken und Versicherungen und des Arbeitgeberverbandes der Versicherungsunternehmen in Deutschland.

Auf die Revision der Beklagten wurde dieses Urteil vom Bundessozialgericht aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Bayer. Landessozialgericht zurückverwiesen. Das Bundessozialgericht hat die Auffassung vertreten, daß es nicht entscheidend darauf ankomme, ob die Tätigkeit der Klägerin als Phonotypistin in selbstgewählter Betriebsstätte eine mehr mechanische oder manuelle Tätigkeit gewesen sei, sondern darauf, ob sich bereits in dem hier in Rede stehenden Zeitraum eine genügend gefestigte Verkehlsanschauung feststellen lasse, daß die Beschäftigung einer Phonotypistin in selbstgewählter Betriebsstätte und frei bestimmter Arbeitszeit als typische, die Merkmale der Schutzbedürftigkeit der Heimarbeit aufweisende Tätigkeit angesehen worden sei. Da die im ersten Rechtszug eingeholten Auskünfte der Verbände der Sozialpartner nicht ausreichten, das Bestehen einer solchen gefestigten Verkehrsanschauung schon für den Geltungsbereich des AVAVG allgemein bejahen zu können, bedürfe es hierzu noch weiterer eingehender Feststellungen. Das Berufungsgericht werde daher unter Beachtung der aufgezeigten Leitlinien noch durch umfassende Ermittlungen bei den zuständigen Wirtschaftskreisen (Industrie- und Handelskammern, Arbeitgeber-, Unternehmer- und Arbeitnehmerverbänden) festzustellen haben, ob bereits 1966/67 die Tätigkeit einer Phonotypistin in selbstgewählter Betriebsstätte und selbstbestimmter Arbeitszeit von der Verkehrsanschauung in der Bundesrepublik allgemein als typische Heimarbeit anerkannt worden sei.

Zur Klärung dieser Frage wurden die vom Bundessozialgericht noch für erforderlich gehaltenen Erhebungen durchgeführt, und zwar wurden Stellungnahmen eingeholt von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Vereinigung der Arbeitgeberverbände in Bayern, jeweils vom 31.5.1972, des Arbeitgeberverbandes der Versicherungsunternehmungen in Deutschland vom 20.6.1972, des Hauptvorstandes der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen vom 29.5.1972, des Bundesvorstandes der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft vom 21.7.1972, des Landesbezirks Bayern des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 8.11.1972 und des Bundesvorstandes des Deutschen Gew...

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