Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Zuerkennung des Merkzeichens RF. Harninkontinenz

 

Leitsatz (amtlich)

Zuerkennung des Merkzeichen "RF" bei Inkontinenz

 

Orientierungssatz

Zur Zuerkennung des Merkzeichen "RF" bei Inkontinenz.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10. November 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" erfüllt.

Die 1939 geborene Klägerin hat erstmals am 9.7.1985 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) gestellt. Zuletzt stellte der Beklagte mit Bescheid vom 5.8.2008 einen GdB von 100 ab dem 7.5.2008 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG" und "B" fest. Die Klägerin habe folgende Gesundheitsstörungen:

1. Herzleistungsminderung, Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilatation (Einzel-GdB 60)

2. Bronchialasthma, allergische Diathese, Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 40)

3. chronisch-venöse Insuffizienz, Lymphstauung des Beines beidseits (Einzel-GdB 30)

4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Schwäche, Nervenwurzelreizerscheinungen, rezidivierende Ellenbogengelenksentzündung (Einzel-GdB 30)

5. Zuckerkrankheit (mit Diät und Insulin einstellbar), Polyneuropathie (Einzel-GdB 30)

6. unwillkürlicher Harnabgang, Nierensteinleiden (Einzel-GdB 30)

7. chronisches Schmerzsyndromen (Einzel-GdB 20)

Der Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sei abzulehnen, da die Klägerin nach Art und Ausmaß der Behinderung die geforderten gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfülle.

Am 8.12.2008 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin erneut die Feststellung des Merkzeichens "RF", da die Inkontinenz der Klägerin so schwer sei, dass selbst stärkste Windeln nicht ausreichen würden. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei daher nicht mehr möglich.

Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Frauenarztes der Klägerin ein. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.4.2009 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.4.2009 die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" ab. Die Klägerin erfülle nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen, da es ihr zumutbar sei, Inkontinenzartikel zu benutzen, die für die Dauer von bis zu zwei Stunden Geruchsbelästigungen verhindern könnten, um so eine öffentliche Veranstaltung zu besuchen. Den eingelegten Widerspruch lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.7.2009 ab.

Hiergegen hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 24.8.2009 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie leide nicht nur unter einer schweren Harninkontinenz, sondern auch unter einer erheblichen Herzinsuffizienz sowie Störungen der Lungenfunktion und einer schweren klaustrophobischen Erkrankung. Daher könne sie nicht ständig an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei nicht in der Lage, sich bei den relativ kurzen Abständen, die das Wechseln der Windeln erforderten, ohne fremde Hilfe zu reinigen. Zuhause stehe ihr hierfür eine Hilfskraft zur Seite. Fremde Hilfe während des öffentlichen Besuches von Veranstaltungen anzunehmen, erscheine jedoch unzumutbar. Vorgelegt wurde ein Attest der Internisten Dr. S./Dr. C. vom 5.3.2009, wonach die Klägerin nicht am sozialen und öffentlichen Leben teilnehmen könne sowie ein Attest des Radiologiezentrums A-Stadt, wonach bei ihr am 29.11.2006 keine MRT-Untersuchung durchgeführt werden konnte, da sie eine schwere klaustrophobische Reaktion gezeigt habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2009 hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder seh- noch hörbehindert und könne, trotz ihrer Leiden an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei nicht an das Haus bzw. die Wohnung gebunden. Sie leide zwar unter Harninkontinenz, doch trage sie Windeln, die ihr ein Verlassen der Wohnung ermöglichen. Es sei nicht erkennbar, dass sie auch mit Windeln nicht länger als 30 Minuten an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass eine erhebliche Geruchsbelästigung auftrete, durch welche die Klägerin für andere Teilnehmer unzumutbar abstoßend wirken würde. Die aufgetretene klaustrophobische Reaktion stelle einen, seitdem nicht mehr aufgetretenen, Einzelfall dar.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 14.12.2009 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass das Tragen von Windelhosen aus anatomischen Gründen nicht erfolgversprechend sei, da diese nicht dicht genug abschließen würden und deswegen beim Tragen von Windelhosen regelmäßig die Kleidung benässt werde. Die Klaustrophobie der Klägerin gestatte ihr nicht, öffentliche Toiletten aufzusuchen. Im Übrigen sei die klaustrophobische Reaktion der Klägerin kein Einzelfall gewesen, sondern es liege eine ...

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