Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Beendigung einer Unterbrechung des Arbeitsweges. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. objektivierte Handlungstendenz. Einkauf beim Bäcker. Umkehren im öffentlichen Verkehrsraum

 

Leitsatz (amtlich)

Nach einem eigenwirtschaftlichen Einkauf endet nach dem Grundsatz der objektivierten Handlungstendenz die Unterbrechung eines Arbeitsweges mit dem Umdrehen und der beabsichtigten Rückkehr zum abgeparkten Fahrzeug, mit welchem der Arbeitsweg fortgesetzt werden sollte.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2013 und der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2012 aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 29. November 2011 ein Arbeitsunfall ist.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich bei dem Wegeunfall des Klägers vom 29.11.2011 um einen Arbeitsunfall handelt und zu welchem Zeitpunkt eine Unterbrechung des Arbeitsweges zum Kauf einer Brotzeit endete.

Der 1963 geborene Kläger fuhr am Morgen des 29.11.2011 von seiner Wohnung in der L-Straße 18 in A-Stadt über die G-Straße in die A-Straße. Kurz vor der Kreuzung A-/T-Straße parkte der Kläger auf der rechten Straßenseite (stadtauswärts), um sich in einer Bäckerei auf der anderen Straßenseite belegte Semmeln für seine Brotzeit zu kaufen. Er überquerte hierzu die Straße und als er vor der Bäckerei eine lange Schlange sah, kehrte er um. Beim Umdrehen stolperte er, verlor das Gleichgewicht, stürzte und verletzte sich an der linken Schulter.

Mit Bescheid vom 14.03.2012 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus dem Unfall vom 29.11.2011 ab. Ein Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen. Der Arbeitsweg sei aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen worden, es sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf die finale Handlungstendenz abzustellen.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2012 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der direkte Arbeitsweg aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen worden sei und das Zurücklegen des Fußweges zwischen Fahrzeug und Bäckerei allein der eigenwirtschaftlichen Verrichtung des Einkaufens diente. Dies gelte auch für den Einkauf zum Verzehr in der Frühstückspause; es handle sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung. Es sei auf die finale Handlungstendenz abzustellen. Bei Benutzung eines Fahrzeugs werde die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz nicht erst mit Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes ersichtlich, sondern präge das Verhalten bereits beim Verlassen des Fahrzeugs. Ein Fortbestehen des Versicherungsschutzes über die Rechtsfigur der sog. kurzfristigen Unterbrechung könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) gerade nicht angenommen werden. Als geringfügige Unterbrechungen gelten Tätigkeiten, die im Vorbeigehen erledigt werden, z.B. Einwerfen eines Briefes.

Mit seiner am 28.06.2012 zum Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgt der Kläger die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall weiter. Mit Urteil des Sozialgerichts München vom 21.08.2013 wurde die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht führte insoweit aus, dass der Versicherungsschutz mit dem Verlassen des Fahrzeugs unterbrochen wurde. Es habe sich auch nicht um eine kurze und geringfügige Unterbrechung des Weges gehandelt.

Hiergegen hat der Kläger am 07.10.2013 Berufung erheben lassen. Zur Begründung hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, nach der Rechtsprechung des BSG vom 02.07.1996 bestehe Versicherungsschutz, wenn der Versicherte seinen PKW verlasse, auf der anderen Straßenseite einen Verkaufskiosk aufsuche und auf dem Rückweg zum Wagen verunglücke. Im Übrigen bestehe Versicherungsschutz, da der Kläger eine Semmel für die Frühstückspause in der Firma kaufen wollte, um sich für die Arbeit zu kräftigen. Im übrigen habe er den Straßenraum nicht verlassen.

Mit Schreiben vom 17.06.2015 hat der Berichterstatter auf die Rechtsprechung des BSG insbesondere vom 04.07.2013, B 2 U 12/12 R (Tankstellenfall) hingewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2015 hat der Kläger ausgeführt, dass er nach dem Umdrehen vor der Bäckerei nicht zu einer anderen Bäckerei habe gehen wollen. Es sei ihm wichtig gewesen, pünktlich um 7:00 Uhr seine Arbeitstätigkeit aufzunehmen. Er hätte sich daher erst später in der Pause eine Brotzeit besorgt. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wollte er unmittelbar mit dem Wagen zur Arbeitsstelle in der S-Straße weiterfahren. Er sei wohl am Randstein gestolpert, sei jedoch kurz vor dem Wagen auf der Straße zum Liegen gekommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.08.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 14.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei...

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