Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unfallkausalität. Alkoholgenuss. Nachweis im Vollbeweis: relative Fahruntüchtigkeit. rechtlich wesentliche Ursache. Nichtvorliegen alkoholtypischer Ausfallerscheinungen. betriebsbedingte Übermüdung. 13,5 Stunden-Arbeitstag

 

Leitsatz (amtlich)

Die auf Alkoholgenuss zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers schließt den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich nicht aus, sondern nur dann, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, dass sie als rechtliche allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18.11.2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat auch die Kosten der Kläger im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagten streiten über die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Versicherungsfall. Der 1972 geborene Ehemann bzw. Vater der Kläger erlitt am 11.06.2008 auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstätte gegen 21.25 Uhr auf der Bundesstraße 20 bei km 7,8 einen Verkehrsunfall. Er verstarb an der Unfallstelle. Eine um 22.28 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab eine Blut-Alkohol-Konzentration (BAK) des Klägers von 0,93 0/00.

Im Auftrag der Staatsanwaltschaft beim Landgericht T. erstellte das Ingenieurbüro Sch. nach technischer Untersuchung und Ortsbesichtigung ein unfallanalytisches Gutachten. Laut diesem Gutachten vom 22.08.2008 konnten unfallursächliche Defekte am PKW nicht festgestellt werden. Der Versicherte war zum Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt. Aus ungeklärter Ursache sei er von der Straße abgekommen. Dies könne auf den nassen/feuchten Asphalt zum Unfallzeitpunkt und/oder auf das Fehlen einer durchgeführten Bremsung zurückgeführt werden. Die Anprallgeschwindigkeit habe etwa 40 km/h pro Stunde betragen. Eine signifikante Überschreitung der Kurvengrenzgeschwindigkeit läge daher nicht vor. Es lasse sich auch kein starker Lenkeinschlag nachweisen.

Mit Bescheid vom 11.09.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Versicherungsfalls sowie Entschädigungsleistungen ab. Der Kläger habe sich zwar auf dem unmittelbaren Heimweg von der Arbeitsstätte nach Hause befunden und damit grundsätzlich Versicherungsschutz gehabt. Der Verkehrsunfall sei aber rechtlich wesentlich alleine auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen.

Hiergegen erhoben die Kläger Klage beim Sozialgericht München (SG). Dieses holte eine Auskunft der Firma H., Arbeitgeber des Klägers, ein. Der Kläger habe von 7.00 Uhr bis 20.30 Uhr gearbeitet. Von 7.15 Uhr bis 13.05 Uhr habe der LKW auf der Baustelle M. gestanden, d.h. dass der Kläger eine Wartezeit wegen Beladung auf der Baustelle gehabt habe. Von 12.16 Uhr bis 13.05 Uhr war Mittagspause. Danach habe er Material bewegt. Von 18.00 Uhr bis 19.10 Uhr habe er den Kran auf dem LKW aufgebaut und bis 20.30 Uhr eine Sicherheitsunterweisung wegen Tiefladertransports gehabt.

Die Sachverständige F. vom Deutschen Wetterdienst teilte dem Gericht am 22.03.2009 mit, dass es am Unfalltag bis ca. 21.00 Uhr geregnet habe. Zum Unfallzeitpunkt sei es sehr wahrscheinlich niederschlagsfrei gewesen. Zwischen 21.15 Uhr und 21.25 Uhr habe Dämmerung geherrscht.

Das Gericht zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bei. Mit Urteil vom 18.11.2010 hob es den Bescheid der Beklagten vom 11.09.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2008 auf und verurteilte die Beklagte, das Ereignis vom 11.06.2008 als Versicherungsfall festzustellen.

Hiergegen hat die Beklagte am 17.12.2010 Berufung eingelegt. Entscheidend sei, ob eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit vorgelegen habe. Zum Unfallzeitpunkt habe der Blut-Alkohol-Gehalt (BAK) 0,93 0/00 betragen. Dieser Wert liege nahe an dem Wert einer absoluten Fahruntüchtigkeit (ab 1,1 0/00). Aufgrund dieser hohen BAK seien strenge Anforderungen an den Nachweis von alkoholunabhängigen Umständen als mögliche Unfallursachen zu fordern. Das Abkommen des vom Verstorbenen geführten PKW von der Fahrbahn in einer leichten Linkskurve mit nur einer geringen Geschwindigkeit sei als typische Folge des Alkoholeinflusses mit einer BAK von 0,93 0/00 anzusehen. Diese Beurteilung werde durch das Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 26.03.2008 (Az.: L 2 U 456/07) gestützt, wonach als typische Folgen des Alkoholeinflusses u.a. verminderte Reaktionsfähigkeit, Müdigkeit und die Einschränkung des Sichtfeldes anzusehen sind. Die bloße theoretische Möglichkeit des Vorliegens alkoholunabhängiger Faktoren für den eingetretenen Verkehrsunfall reiche unter Berücksichtigung der hohen BAK zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht aus, da zur Entkräftung des oben genannten Anscheinsbeweises zum Vorliegen eines alkoholbedingten Verkehrsunfalls der Vollbeweis einer ernsthaften Möglichkeit für einen untypischen Geschehensablauf erforderlich sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urtei...

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