Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. nicht geringfügige Unterbrechung. vorabgenehmigter Arztbesuch. Verrichtungen mit gemischter Motivationslage bzw gespaltener Handlungstendenz. dritter Ort. Zwei-Stunden-Grenze

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arztbesuch zur Blutabnahme vor Arbeitsbeginn zur Kontrolle von Blutwerten und Medikamenteneinstellung ist eine privatnützige Tätigkeit, auch wenn dies mittelbar der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft dient und der Arbeitgeber den späteren Arbeitsbeginn vorab genehmigt hat.

2. Trotz in der Literatur geäußerter Bedenken an der BSG Rechtsprechung hält der Senat im Interesse der Rechtssicherheit daran fest, dass ein sogenannter dritter Ort nur dann Ausgangspunkt für einen versicherten Weg zur Arbeitsstätte nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 ist, wenn sich der Beschäftigte an dem dritten Ort mindestens zwei Stunden lang aufgehalten hat.

3. Dient das Zurücklegen von Wegstrecken sowohl versicherten als auch unversicherten Zwecken handelt es sich um Verrichtungen mit gemischter Motivationslage bzw gespaltener Handlungstendenz.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 05.07.2016; Aktenzeichen B 2 U 16/14 R)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 6. März 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Unfall des Klägers am 14.04.2011 ein versicherter Wegeunfall war.

Der 1953 geborene Kläger war seit 2007 bei der N. AG als Lagerarbeiter abhängig beschäftigt. Seine Wohnung befand sich in der A-Straße in A-Stadt, seine Arbeitsstelle in der B-Straße in A-Stadt und damit ca. 2 km südwestlich von seiner Wohnung.

Der Kläger legte nach eigenen Angaben üblicherweise seinen Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte mit dem Fahrrad zurück und fuhr dabei die Z-Straße nach Westen, bog links Richtung Süden in die R-Straße ab, bog nach Westen in die L-Allee ein und fuhr von dort auf die B-Straße Richtung Westen bis zur Arbeitstelle. Die Fahrdauer mit dem Fahrrad für die ca. 2,1 km lange Wegstrecke beträgt nach Routenplaner ca. 8 Minuten.

Am 14.04.2011 verließ der Kläger gegen 8.00 Uhr seine Wohnung und fuhr mit seinem Fahrrad zu der Praxis seines Hausarztes Dr. K., die in der B-Straße 15 in A-Stadt und damit nördlich von der Wohnung des Klägers lag. Dazu bog der Kläger von der Z-Straße nach rechts in die R- Straße Richtung Norden ab, fuhr über die A-Brücke auf die F-Straße, bog links in die N-Gasse und dann rechts in die B-Straße ein. Die Fahrdauer mit dem Fahrrad für diesen ca. 1,6 km langen Weg betrug laut Routenplaner ca. 6 Minuten.

In der Arztpraxis wurde dem Kläger nach Angabe des Arztes gegen 8.40 Uhr Blut für Laboruntersuchungen der Blutwerte abgenommen. Anhand der Laboruntersuchungen, die drei- bis viermal im Jahr vorgenommen wurden, erfolgte die medikamentöse Einstellung der Marcumareinnahme des Klägers. Gesundheitliche Beschwerden des Klägers bestanden an diesem Tag nicht und nach der Blutentnahme war keine weitere ärztliche Behandlung geplant. Den Arzttermin hatte der Kläger etwa 2-3 Tage zuvor vereinbart. Mit dem Arbeitgeber war abgesprochen, dass der Kläger seine Arbeitsschicht wegen dieses Termins statt um 6.00 Uhr erst später - gegen 9.30 Uhr - beginnen sollte.

Nach der Blutabnahme wollte der Kläger mit dem Fahrrad von der Arztpraxis zur Arbeitsstelle fahren. Die geplante Route führte nicht zurück, sondern die B- Straße Richtung Nordwesten bis zur B-Straße, anschließend Richtung Südwesten über A-Platz, E- Straße, D- Straße und voraussichtlich über Am S., R-Straße und M- Straße in die B-Straße zur Arbeitsstelle. Von dieser insgesamt ca. 3,3 km langen Strecke mit einer geschätzten Fahrzeit auf dem Fahrrad nach Routenplaner von etwa 11 Minuten waren nur die letzten 350-400 m auf der B-Straße mit dem sonst von der Wohnung aus gefahrenen Weg identisch. Die geplante Gesamtstrecke an diesem Tag von der Wohnung über die Arztpraxis zur Arbeitsstätte umfasste ca. 4,9 / 5 km; die reine Fahrzeit mit dem Fahrrad betrug dafür insgesamt nach Routenplaner ca. 17 Minuten.

Als der Kläger kurz nach Verlassen der Arztpraxis - laut Unfallanzeige des Arbeitgebers gegen 8.45 Uhr - mit seinem Fahrrad auf der E- Straße die G-Straße überqueren wollte, stieß er mit einem Kraftfahrzeug zusammen. Dabei erlitt er nach dem Durchgangsarztbericht von Dr. S. vom Unfalltag insbesondere eine Acromioclavicular-Gelenksprengung nach Tossy III links, Frakturen mehrerer Rippen links, eine Kopfplatzwunde links temporal und eine Schulterprellung links. Der Kläger wurde zur stationären Behandlung in das Krankenhaus St. B. in A-Stadt aufgenommen.

Der Unfallort lag über einen Kilometer nördlich von der Wohnung des Klägers und nicht auf seinem üblichen Weg zur Arbeit oder auf einer verkehrsgerechten Alternativroute zwischen Wohnung und Arbeitsstelle. Auf die Unfallanzeige des Arbeitge...

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