Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderungsbescheid. Formelle Rechtswidrigkeit. Beteiligung im Verwaltungsverfahren. Amtsermittlungsgrundsatz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Formelle Fehler eines Bescheides bedingen keine offenkundige Rechtswidrigkeit, die zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels führt, wenn diese noch heilbar sind.

2. Die unterlassene Beteiligung nach § 12 SGB X ist bis zum Ende der Tatsacheninstanz heilbar.

3. Im Rahmen einer Betriebsprüfung kann sich die Prüfbehörde auch ausschließlich auf ausgewertete Akten des Hauptzollamtes stützen, wenn keine Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse bestehen.

 

Tenor

I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 18. Juni 2015, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20.10.2014 gegen den Bescheid vom 5. September 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2014 angeordnet wurde, wird aufgehoben.

II. Der Antragsteller und Beschwerdegegner trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Dem Antragsteller und Beschwerdegegner wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt H. beigeordnet.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 34.082,27 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist im Hauptsacheverfahren eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen samt Säumniszuschlägen durch die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (Bf.) in einer Gesamthöhe von 68.164,53 Euro für die Zeit vom 01.04.2006 bis 31.07.2010 vom Antragsteller und Beschwerdegegner (Bg.).

Mit Bescheid vom 21.02.2006, bestandskräftig seit 29.04.2008, untersagte das Landratsamt B-Stadt dem Bg. die Fortführung seiner gewerblichen Tätigkeit als Einzelunternehmer im Baubereich wegen Unzuverlässigkeit. Das Gewerbe wurde am 28.08.2008 abgemeldet.

Nach Abmeldung des Gewerbes ergaben Ermittlungen des Hauptzollamtes R-Stadt (HZA), dass der Bg. trotz Gewerbeuntersagung weiterhin Leistungen im Baubereich erbrachte und sich dabei Mitarbeitern bediente, die nicht bei der Sozialversicherung angemeldet waren. Nachdem das HZA ein Ermittlungsverfahren gegen den Bg. wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt eingeleitet hatte, wandte sich das HZA an die Bf. mit der Bitte um Amtshilfe insbesondere im Hinblick auf die Schadensberechnung.

Mit Schreiben vom 17.03.2012 teilte die Bf. dem HZA mit, dass sich nach Auswertung der vom HZA vorgelegten Unterlagen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 48.317,53 Euro ergebe; hinzu kämen Säumniszuschläge in Höhe von 19.847,00 Euro, so dass sich eine Gesamtforderung i.H.v. 68.164,53 Euro ergäbe.

Diese Summe fand sich auch im abschließenden Ermittlungsbericht des HZA, der dem Bg. vom HZA mit Schreiben vom 19.04.2014 zur Kenntnis übersandt wurde. Dem Ermittlungsbericht ist weiter zu entnehmen, dass keine Zeugen vernommen wurden, aber vom HZA die Wohnung und ehemaligen Geschäftsräume des Bg. sowie die Geschäftsräume des Steuerbüros des Bg. untersucht wurden und Unterlagen und Gegenstände sichergestellt worden seien.

Nach Abschluss der Ermittlungen des HZA leitete die Bf. ein Betriebsprüfungsverfahren ein und hörte den Bg. mit Schreiben vom 04.07.2012 an. Aufgrund der Auswertung der Ermittlungsunterlagen des HZA würden Sozialversicherungsbeiträge samt Säumniszuschlägen durch die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (Bf.) in einer Gesamthöhe von 68.164,53 Euro nachgefordert. Dabei wurde dem Bg. mitgeteilt, dass er gegen Aufzeichnungspflichten verstoßen habe und die Bf. deshalb eine weitere Sachaufklärung nicht herbeiführen könne. Gegebenenfalls könne eine andere Entscheidung erfolgen, wenn der Bg. weitere entscheidungserhebliche Unterlagen vorlege.

Nachdem der Bg. hierauf nicht reagiert hatte, erließ die Bf. am 05.09.2005 einen Betriebsprüfungsbescheid nach § 28p Abs. 1 SGB IV i. V. m. § 2 Abs. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, gestützt auf die Ermittlungsergebnisse des HZA, mit einer Gesamtforderung von 68.164,53 Euro. Zeugen vernahm die Bf. nicht. Betroffene Mitarbeiter, die namentlich bekannt waren, wurden nicht am Verwaltungsverfahren beteiligt. Gegen den Bescheid legte der Bg. Widerspruch ein.

In der Hauptverhandlung beim Amtsgericht B-Stadt am 21.02.2013 wurde der Bg. in 13 Fällen des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt schuldig gesprochen, wobei sich das Urteil lediglich auf die Zeit von 2009 bis August 2010 bezog und auf einem Geständnis des Bg. basierte, wonach in dieser Zeit Beiträge in Höhe von 7.797,53 Euro nicht abgeführt worden waren. Im Strafverfahren wurden keine als Beschäftigte in Frage kommenden Personen als Zeugen vernommen.

Den Widerspruch des Bg. vom 08.10.2012 wies die Bf. mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2014 als unbegründet zurück. Die Gesamtforderung basiere auf den Ermittlungsergebnissen des HZA.

Hiergegen erhob der Bg. Klage zum Sozialgericht München am 20.10.2014, die dort noch anhängig ist. Mit Schreiben vom 28.03.2015 beantragte der Bg. einstweiligen Rechtsschutz.

Mit B...

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