Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Beiordnung eines Rechtsanwalts. keine Erforderlichkeit. Schwerbehindertenrecht. Feststellung des Schwerbehinderteneigenschaft. Ausnahmefall. Waffengleichheit

 

Leitsatz (amtlich)

In Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB 9) auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gem §§ 2 Abs 2, § 69 Abs 1 SGB 9 ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gem § 73a SGG iVm § 121 Abs 2 ZPO nur in Ausnahmefällen erforderlich, wenn ansonsten der Grundsatz der "Waffengleichheit" verletzt wäre.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin vom 18.02.2009 wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 13.01.2009 - S 3 SB 675/08 - aufgehoben und der Klägerin auf Antrag vom 28.11.2008 Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. S. gewährt.

 

Gründe

I.

Die Klägerin und hiesige Beschwerdeführerin begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Niederbayern vom 13.05.2008 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides vom 02.10.2008 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 03.11.2008 den Grad der Behinderung (GdB) mit Wirkung ab 02.04.2008 mit 30 festgestellt. Berücksichtigt worden sind nachstehende Gesundheitsstörungen:

Psychovegetative Störungen, depressiv gefärbt, Somatisierungsstörung (Einzel-GdB 20);

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelsäulenverformung (Einzel-GdB 20);

chronisch venöse Insuffizienz links (Einzel-GdB 10).

Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Landshut bereits umfassend Befundberichte gemäß §§ 103, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholt.

Der Antrag vom 28.11.2008 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. S. ist mit Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 13.01.2009 - S 3 SB 675/08 - abgelehnt worden. Da das Verfahren vor den Sozialgerichten ohnehin gerichtskostenfrei sei (§ 183 SGG), komme die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur für die Kosten der Beiordnung eines Rechtsanwalts in Betracht. Eine solche Beiordnung sei nach § 121 Abs.1 Satz 1 ZPO jedoch nur dann vorzunehmen, wenn die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich erscheine oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten sei, was bei dem beklagten Freistaat Bayern nicht der Fall sei. Die für ihn handelnden, fachlich ausgebildeten Vertreter, die ihrerseits an die Beachtung gesetzlicher Vorschriften gebunden seien, seien Rechtsanwälten nicht gleichzustellen. Die Vertretung der Klägerin durch einen Rechtsanwalt erscheine auch nicht erforderlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Streitsache tatsächlich oder rechtlich schwierig gelagert wäre oder wenn die Klägerin selbst hilflos erscheine. Hierfür bestehe jedoch kein Anhaltspunkt. Der anhängige Rechtsstreit sei tatsächlich und rechtlich einfach gelagert. Der Sachverhalt liege klar und leicht überschaubar auf der Hand. Das Klagebegehren stehe zweifelsfrei fest. Gegenstand der Klage sei, dass es der Beklagte abgelehnt habe, der Klägerin einen höheren GdB als 30 zu gewähren. Weder die tatsächliche noch die rechtliche Seite des Rechtsstreits würde Schwierigkeiten bieten. Überdies habe das Sozialgericht etwa notwendige Ermittlungen von Amts wegen anzustellen (§ 103 SGG) und darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben würden (§ 106 SGG). Diese Vorschriften des SGG seien zur weitreichenden sozialgerichtlichen Betreuung der Bürger geschaffen worden und würden sich im Wesentlichen von den im Zivilprozess geltenden Regelungen unterscheiden. Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung würden sich daher in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in erheblich geringerem Maße rechtfertigen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 18.02.2009 ist am 19.02.2009 beim Sozialgericht Landshut eingegangen. Zur Begründung haben die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin vor allem auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - hingewiesen. Auch in Anbetracht des Amtsermittlungsgrundsatzes dürfe das Recht der Beteiligten auf Gewährung effektiven, sozial gerechtfertigten Rechtsschutzes nicht verletzt werden. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Anwaltes gehe über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus. Insbesondere könne der Anwalt verpflichtet sein, auch solche tatsächlichen Ermittlungen anzuregen und zu fördern...

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