Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Nichterscheinens einer gem § 111 SGG geladenen Beteiligten. nachträgliche Entschuldigung iSd § 381 Abs 1 ZPO. Kostenentscheidung bei erfolgreicher Beschwerde

 

Orientierungssatz

1. Zur hinreichenden nachträglichen Entschuldigung iS des § 381 Abs 1 S 2 ZPO (hier: Nachweis einer psychischen Erkrankung mittels ärztlichen Attests)

2. Zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung bei einer erfolgreichen Beschwerde einer gem § 183 SGG zum kostenprivilegierten Personenkreis gehörenden Beschwerdeführerin (Anschluss an BFH vom 25.1.1994 - XI B 60/93 = BFH/NV 1994, 733).

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 1. April 2008 aufgehoben.

II. Die Staatskasse hat der Beschwerdeführerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin (Bf) wendet sich gegen die Auferlegung von Ordnungsgeld.

Im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) verlangte die Bf die Übernahme ihrer Mietschulden in Höhe von 2.166,18 EUR von der Arge Stadt A-Stadt nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs. Die Klage begründete sie trotz mehrfacher Aufforderung nicht. Das SG lud die Bf zum Erörterungstermin auf den 14. März 2008 und ordnete ihr persönliches Erscheinen an. Die Ladung, in der auf die Folgen nicht entschuldigten Fernbleibens hingewiesen worden war, wurde der Bf am 29. Februar 2008 zugestellt. Das Schriftstück wurde, da die Bf nicht angetroffen wurde, in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt. Am 3. März 2008 kündigte die Bf in einem Telefongespräch mit dem SG an, sie werde die Klage zurücknehmen. Sie wurde darauf hingewiesen, dass sie zum Termin erscheinen müsse, falls die Klage nicht zuvor schriftlich zurückgenommen werde.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 14. März 2008 erschien die Bf nicht. Mit Schreiben vom 18. März 2008 kündigte das SG an, es werde Ordnungsgeld verhängen. Der Bf werde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 26. März 2008 eingeräumt. Die Bf antwortete darauf nicht.

Mit Beschluss vom 1. April 2008 setzte das SG Ordnungsgeld in Höhe von 300,- EUR gegen die Bf fest. Das persönliche Erscheinen der Klägerin sei zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig. Der Beschluss wurde mit Postzustellungsurkunde vom 5. April 2008 zugestellt. Einen erneuten Termin zur Erörterung des Sachverhalts beraumte das SG auf den 9. Mai 2008 an.

Mit Schreiben vom 2. April 2008, eingegangen beim SG am 28. April 2008, erklärte die Bf, sie nehme die Klage zurück; den Termin vom 14. März 2008 habe sie aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen können. Sie verwies auf das beigefügte Attest des Dr. S. vom 15. April 2008. Darin wird eine schizophrene Psychose mit rezidivierenden Angstzuständen bescheinigt; die Bf habe sich zeitweise, so im März 2008, nicht getraut, das Haus zu verlassen. Dass sie sich nicht um ihre formellen Pflichten habe kümmern können, lasse sich aus der Erkrankung erklären und werde bestätigt.

Das SG legte das Schreiben der Klägerin als Beschwerde dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vor.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss über die Verhängung von Ordnungsgeld vom 1. April 2008 aufzuheben.

II.

Die zulässige und ordnungsgemäße (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses des SG vom 1. April 2008.

Nach §§ 111, 202 SGG i.V.m. § 141 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob der Vorsitzende eine Anordnung nach § 111 SGG treffen will, steht in seinem Ermessen. Hält er zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor der gesamten Kammer eine Erörterung und Beweiserhebung für notwendig, so kann er hierzu das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Diese Anordnung begründete der Vorsitzende der 20. Kammer des SG damit, zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere für die Frage des Zustandekommens und der Tilgung der Mietschulden, sei eine Erörterung erforderlich. Durch das Nichterscheinen werde der Fortgang des Verfahrens verzögert. Eine Ermessensentscheidung ist damit erkennbar. Das persönliche Erscheinen der Klägerin konnte angeordnet werden. Aus den Unterlagen ist ersichtlich, dass diese in der Ladung auf die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens, nämlich auf Auferlegung von Ordnungsgeld bis zu 1.000,- EUR hingewiesen wurde. Unbestritten war sie im Termin vom 14. März 2008 nicht erschienen.

Die Voraussetzungen zur Verhängung eines Ordnungsgeldes gemäß § 111 SGG i.V.m. § 141 Abs.3 ZPO, der auf die Vorschriften der Zeugenvernehmung verweist, lagen damit vor. Nach § 380 ZPO sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten sowie ein Ordnungsg...

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