Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Aussetzung der Vollstreckung gem. § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG ist grundsätzlich darauf abzustellen, ob die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Soweit es um die Schwierigkeiten bei der Rückgängigmachung einer ggf. zu Unrecht gewährten Urteilsrente geht, sind konkrete Tatsachen geltend und glaubhaft zu machen, die auf solche Schwierigkeiten schließen lassen.

 

Tenor

I. Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 01.04.2009 auszusetzen, wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin (Ag) bezieht seit Mai 2006 Altersrente von der Antragstellerin (ASt). Am 28.09.2006 beantragte die Ag die Neufeststellung dieser Altersrente. Dies lehnte die ASt mit Bescheid vom 08.11.2006 und Widerspruchsbescheid vom 13.09.2007 ab.

Auf die hierauf erhobene Klage hat das Sozialgericht Würzburg (SG) mit Urteil vom 01.04.2009 die ASt verpflichtet, der Ag die Zeit vom 20.08.1972 bis 10.06.1990 als nachgewiesene Beitragszeiten anzuerkennen und die Rente ab 01.05.2006 entsprechend neu zu berechnen.

Die ASt hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen (L 19 R 397/09). Ferner hat sie am 03.11.2009 beantragt, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die erstinstanzliche Entscheidung sei unrichtig. Eine eventuell spätere Rückforderung der überzahlten Urteilsrente erscheine aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ag nicht erfolgversprechend. Die Ag beziehe derzeit eine Rente in Höhe von 498,03 € brutto monatlich. Eine Verrechnung der Urteilsrente wäre nicht möglich, die zu Unrecht gezahlte Rente könnte nicht zurückgezahlt werden. Damit wäre der ASt als Verwalterin des Vermögens der Versichertengemeinschaft ein erheblicher Schaden zugefügt, der nur durch eine Aussetzung der Vollstreckung aus dem Endurteil vermieden werden könne.

Die Ag ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, dass sie eine Altersrente von etwa 440,00 € monatlich beziehe und gemeinsam mit ihrem Ehemann lebe, der auch nur eine geringe Altersrente beziehe.

II.

Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 154 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Keine aufschiebende Wirkung tritt dagegen kraft Gesetzes für die Zeit nach Erlass des Urteils ein, wenn ein Versicherungsträger verurteilt wurde, dem Kläger eine Rente oder - wie hier - eine höhere Rente zu zahlen. Der Versicherungsträger ist daher verpflichtet, die sogenannte "Urteilsrente" anzuweisen, die der Kläger aber wieder zu erstatten hat, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in einem eventuellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.

Auf Antrag oder von Amts wegen kann jedoch der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats des Landessozialgerichts gemäß § 199 Abs 2 Satz 1 SGG durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aus dem Urteil aussetzen, soweit - wie hier - die Berufung gemäß § 154 Abs 2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat.

Die Entscheidung erfordert eine Folgenabwägung nach entsprechender Maßgabe der Vorschriften der Zivilprozessordnung. Für das Berufungsverfahren ist grundsätzlich darauf abzustellen, ob die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.10.2008 - L 3 U 593/08 ER, Beschlüsse des LSG Bayern vom 27.08.2008 - L 2 U 236/08 ER und 27.05.2009 - L 18 R 178/09 ER - mwN). Dem Interesse des Gläubigers entspricht es, dass es grundsätzlich bei der Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils verbleibt. Allerdings ist dem Versicherungsträger ausnahmsweise die Möglichkeit eröffnet, darzutun und glaubhaft zu machen, dass ihm in der konkreten Vollstreckungssituation nicht zu ersetzende Nachteile entstehen. Ausnahmsweise sind bei der Folgenabwägung die Erfolgsaussichten der Berufung zu berücksichtigen, wenn diese offensichtlich fehlen oder offensichtlich bestehen (Beschluss des LSG Bayern vom 02.03.2009 - L 17 U 453/08 ER - mwN).

Ein nicht zu ersetzender Nachteil liegt nur vor, wenn der durch die Vollstreckung eingetretene Schaden nachträglich nicht mehr rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann. Soweit es um die Schwierigkeiten bei der Rückgängigmachung einer gegebenenfalls zu Unrecht gewährten Urteilsrente geht, sind konkrete Tatsachen geltend und glaubhaft zu machen, die im Falle der Ag auf solche Schwierigkeiten schließen lassen. Nicht ausreichend ist ein allgemein gehaltener Hinweis auf eine mögliche Überzahlung, deren Rückerstattung nicht realisierbar wäre.

Ein Nachteil im obengenannten Sinn ist von der ASt nicht ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge