Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung an Nachbarn. Ersetzung der Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung. Wohnungseigentümergemeinschaft als Nachbar. Geltendmachung baurechtlicher Nachbarrechte durch Sondereigentümer. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (verneint). Verschulden (bejaht)

 

Leitsatz (amtlich)

Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) zählen zu den Nachbarn im Sinn des Art. 66 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 1 BayBO, wenn sie baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht geltend machen können, weil der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist.

 

Normenkette

BayBO Art. 66 Abs. 2 S. 4; VwGO §§ 60, 74 Abs. 1; WEG § 1 Abs. 2, § 13 Abs. 1

 

Verfahrensgang

VG Ansbach (Entscheidung vom 14.11.2018; Aktenzeichen AN 9 K 17.2212)

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, wendet sich gegen die Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung auf einem benachbarten Grundstück.

Rz. 2

Die Beigeladene beantragte am 29. Mai 2017 bei der Beklagten eine Nutzungsänderung ihres Wohnhauses in eine Einrichtung für eine schulische Mittagsbetreuung. An das Vorhabengrundstück grenzt südöstlich das Grundstück FlNr. …/12, Gemarkung E. an, auf dem sich sechs Mehrfamilienhäuser mit jeweils mehreren Eigentumswohnungen befinden, deren Eigentümer die Klägerin bilden. Die Beklagte erteilte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 9. August 2017 und machte den verfügenden Teil der Genehmigung mit Rechtsbehelfsbelehrung und Hinweisen in ihrem Amtsblatt vom 23. August 2017 bekannt. Auf das Einwendungsschreiben des Klägerbevollmächtigten vom 14. August 2017 hin wurde – ausweislich eines handschriftlichen Aktenvermerks vom 29. August 2017 – einer Kanzleimitarbeiterin telefonisch mitgeteilt, dass in dieser Angelegenheit „Klage … erforderlich” sei. Die Mitarbeiterin habe versichert, dass sie dies dem Bevollmächtigten ausrichten werde.

Rz. 3

Die Klägerin hat am 23. Oktober 2017 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, unter Verweis darauf, dass ihre Vertreter erst am 16. Oktober 2017 Kenntnis von der Genehmigung erlangt hätten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. November 2018 als unzulässig abgewiesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei abzulehnen, weil die Klagefrist nicht unverschuldet versäumt worden sei. Ausweislich der Aktennotiz sei der Kanzlei des Bevollmächtigten mitgeteilt worden, dass eine Klage erforderlich sei, was nur Sinn ergebe, wenn die Baugenehmigung bereits ergangen sei. Darüber hinaus habe die Klägerin damit rechnen müssen, dass eine Baugenehmigung ergehen werde und dass die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung eröffnet sei. Mit ihrem Zulassungsantrag verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Rz. 4

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 5

Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Rz. 6

1. Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Rz. 7

a) Danach hat die Klägerin nicht ernstlich in Zweifel gezogen, dass das Verwaltungsgericht ihre Klage wegen Nichteinhaltung der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu Recht als unzulässig abgewiesen hat. Auf Fragen der Begründetheit kommt es daher nicht an.

Rz. 8

Soweit die Klägerin vorbringt, die Monatsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) habe mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe der Baugenehmigung nicht zu laufen begonnen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – BVerwGE 104, 301 = juris Rn. 15 ff.), überzeugt dies nicht. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die (mangels Zustimmung) erforderliche Zustellung an die Nachbarn (Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO a.F., Abs. 1 Satz 4 n.F.) durch die öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden konnte (Art. 66 Abs. 2 Satz 4 HS. 1 BayBO). Mit den Sondereigentümern war eine hinreichende Anzahl von 20 Nachbarn (im Sinn des Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO a.F., Abs. 1 Satz 4 n.F.) und damit von Beteiligten gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG (Art. 66 Abs. 2 Satz 1 BayBO) im gleichen Interesse beteiligt (vgl. dazu auch BayVGH, U.v. 22.11.2021 – 9 B 18.986 – juris Rn. 23 ff.).

Rz. 9

Der Einwand der Klägerin, dass nur sie selbst, nicht jedoch einzelne Sondereigentümer die Rechte einer Wohnungseigentümergemeinschaft und damit Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums geltend machen könnten, verfängt nicht. Vielmehr hat die Beklagte bei der Bestimmung der Nachbarn im Sinn des Art. 66 Abs. 2 Satz 1 BayBO z...

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