Leitsatz

Auch bei vereinbarter "beliebiger gewerblicher Nutzung" eines Teileigentums kann die eigenmächtige, nachträgliche Anbringung eines Abluftrohrs im Hofbereich als nachteilige bauliche Veränderung beseitigungspflichtig sein

 

Normenkette

§ 22 Abs. 1 WEG; § 1004 Abs. 1 BGB

 

Kommentar

  1. Ein nach Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung zu "beliebigen gewerblichen Zwecken nutzbares Teileigentum" wurde als Cocktailbar betrieben. Für diesen Betrieb wurde 2003 im rückwärtigen Hofbereich eigenmächtig ein über das Dach hinausreichendes Abluftrohr an der Außenfassade angebracht. Bestandskräftig wurde daraufhin mehrheitlich beschlossen, die Verwaltung zu ermächtigen, unter Einschaltung eines Anwalts, außergerichtlich und gerichtlich in eigenem Namen für die Entfernung des Rohrs zu sorgen.

    In allen Instanzen wurde dem Beseitigungsantrag stattgegeben.

  2. Durch den bestandskräftig gewordenen Beschluss wurde die Verwaltungermächtigt, den Beseitigungsanspruch im eigenen Namen gerichtlich geltend machen zu können, sodass es dahingestellt bleiben kann, ob solche Beseitigungsansprüche nach § 1004 den einzelnen Wohnungseigentümern allein oder u. U. auch der Gemeinschaft als Verband sui generis zustehen können (umstritten in den beiden Senaten des OLG München, vgl. hierzu auch OLG München v. 21.6.2006, 34 Wx 028/06 und v. 20.4.2006, 34 Wx 021/06, jeweils in diesem Heft).

    Als Teileigentümerin im Zeitpunkt der Baumaßnahme konnte deshalb die Antragsgegnerin auch als zumindest mittelbare Handlungsstörerin in Anspruch genommen werden.

  3. Die Anbringung des Ablaufrohrs ist als gegenständlicher Eingriff in die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums ohne Frage eine nachteilige bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 WEG. Selbst eine vereinbarte Nutzung eines Teileigentums "zu beliebigen gewerblichen Zwecken" bedeutet in richtiger Auslegung nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen nicht, dass eine ursprünglich im Plan vorgesehene Ausstattung eines Anwesens unbegrenzt verändert werden kann. Abzustellen ist hier auf Nutzungen, soweit solche bei den vorhandenen baulichen Voraussetzungen möglich ist. Auch vorliegend wurde keine Ermächtigung zu jeglichen baulichen Veränderungen vereinbart, die ein etwaiges Gewerbe erfordert. Somit handelt es sich bei der Anbringung des Abluftrohrs auch nicht um eine erstmalige ordnungsgemäße Herstellung des Anwesens. Eine Duldungspflicht der Eigentümer nach § 14 Nr. 1 WEG besteht hier nicht; ebenso gibt es keine vorweggenommene Genehmigung von baulichen Veränderungen in der hier einschlägigen Teilungserklärung. Die tatrichterliche Würdigung war deshalb rechtsfehlerfrei (vgl. auch BVerfG v. 22.12.2004, 1 BvR 1806/04, NZM 2005, 181 (183)). Die dicke, hohe und auffällige Röhre hat hier den optischen Gesamteindruck auch im Bereich des Hinterhofs des Anwesens nachhaltig beeinträchtigt.
 

Link zur Entscheidung

OLG München, Beschluss vom 18.07.2006, 32 Wx 090/06OLG München v. 18.7.2006, 32 Wx 090/06

Anmerkung

Ohne Frage war hier der betreffende Teileigentümer schlecht beraten, diese nachteilige bauliche Veränderungsmaßnahme eigenmächtig, d. h. ohne Rücksprache mit Eigentümern bzw. gebotener (eventueller) Genehmigungsbeschlussfassung auszuführen. Es scheint sich insoweit – auch m. E. zu Recht – die Meinung durchzusetzen, dass selbst bei möglicher Vereinbarung "beliebiger Nutzungsberechtigung" von Teileigentumsräumen eine Gemeinschaft nachträglich nicht optisch nachteilige bauliche Veränderungen dulden muss, selbst wenn solche etwa durch behördliche Auflagen erst einen bestimmten (z. B. gastronomischen) Nutzungszweck ermöglichen sollten. Diese auch im vorliegenden Fall durch objektive Auslegung gewonnene Erkenntnis ist sicher nicht ganz unproblematisch, da sie letztlich dann doch bestimmte Nutzungsmöglichkeiten erheblich einschränken oder gar verhindern kann (wie sicher auch im vorliegenden Fall bei dann u. U. öffentlich-rechtlich zu untersagender Nutzung im erwünschten Sinne). In Gemeinschaftsordnungen sollten hier bei solchen "großzügigen", anfänglich auch gewollten Nutzungsvereinbarungen also stets auch Zusatzvereinbarungen getroffen werden, dass technisch bzw. behördlich erforderliche Bauauflagen ebenfalls von einer Gemeinschaft zu tolerieren sind, allerdings nicht darüber hinausgehende, wertverbessernde Änderungsmaßnahmen.

Der Ermächtigungsbeschluss auf Beseitigungsklageführung musste vom betroffenen Eigentümer sicher nicht angefochten werden, da der Beschluss noch nicht die Beseitigungspflicht konstitutiv begründete. Insoweit entstand hier keine Sperrwirkung für die Verteidigungsmöglichkeit des Teileigentümers im beschlossenen, nachfolgenden Verfahren, vorliegend allerdings mit dem rechtlich vertretbaren Ergebnis zum Nachteil dieses Eigentümers.

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