Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsschutz nach Kommunalverfassung der DDR

 

Leitsatz (amtlich)

§ 22 Abs. 9 Satz 2 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR – Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 (GBl. I S. 255) verbietet nicht jede Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, sondern nur solche Kündigungen, deren Gründe im Zusammenhang mit der Ausübung des Ehrenamtes stehen.

 

Normenkette

Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR – Kommunalverfassung – vom 17. Mai 1990 (GBl. I S. 255) § 86 Abs. 3; Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR – Kommunalverfassung – vom 17. Mai 1990 (GBl. I S. 255) § 22 Abs. 9; BGB § 134; Einigungsvertrag Art. 9 Abs. 2, Anlage II Kapitel II Sachgebiet B Abschn. I; GG Art. 48, 28

 

Verfahrensgang

BezirksG Rostock (Urteil vom 18.09.1991; Aktenzeichen 2 Sa 129/91)

KreisG Neubrandenburg (Urteil vom 25.04.1991; Aktenzeichen 2 A 1573/90)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bezirksgerichts Rostock vom 18. September 1991 – 2 Sa 129/91 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf dringende betriebliche Erfordernisse gegenüber der Klägerin ausgesprochen hat.

Die 1958 geborene Klägerin war seit dem 26. November 1981 beim Beklagten, zuletzt als Veterinäringenieurin, beschäftigt.

Nach dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland entschloß sich der Beklagte, die staatlichen Tierarztpraxen nicht fortzuführen. Er entließ mit Ausnahme des Kreistierarztes und eines weiteren Tierarztes alle bei ihm beschäftigten Tierärzte und Veterinäringenieure.

Der Klägerin kündigte er mit Schreiben vom 10. Dezember 1990, welches der Klägerin am selben Tag zuging, zum 31. März 1991.

Die Klägerin ist Mitglied eines Kreistages.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam, weil ihr als Mitglied eines Kommunalparlamentes nicht hätte gekündigt werden dürfen. Im übrigen habe es der Beklagte unterlassen, ihr eine anderweitige Beschäftigung anzubieten.

Sie hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 10. Dezember 1990 zum 31. März 1991 beendet ist, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, § 22 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990 verbiete nur Kündigungen, die wegen der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in einem Kommunalparlament ausgesprochen würden. Dies sei nicht der Fall. Die Kündigung der Klägerin sei aus betriebsbedingten Gründen erfolgt. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin auf einem anderen Arbeitsplatz sei nicht möglich.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Das Bezirksgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Bezirksgericht zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Bezirksgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

A. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Das Bedürfnis zur Beschäftigung von Veterinäringenieuren sei entfallen. Der Beklagte habe der Klägerin keine Weiterbeschäftigung auf einem Arbeitsplatz zu gleichen Bedingungen anbieten können.

Die Kündigung sei nicht wegen Verstoßes gegen § 22 Abs. 9, § 86 Abs. 3 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990 (GBl. I S. 255) gemäß § 134 BGB nichtig. § 22 Abs. 9 Kommunalverfassung, der gemäß § 86 Abs. 3 Kommunalverfassung für Mitglieder des Kreistages entsprechend gelte, regele die Unzulässigkeit einer Kündigung gerade wegen einer Tätigkeit als Kreistagsmitglied. Grund der Kündigung sei hier jedoch ein anderer.

B. Die Ausführungen des Bezirksgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Dabei wird davon ausgegangen, daß Streitgegenstand allein die zwischen den Parteien streitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 10. Dezember 1990 zum 31. März 1991 ist, also die Worte “sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht” keinen selbständigen zweiten Streitgegenstand kennzeichnen, vielmehr ohne eigenständige Bedeutung, lediglich formelhaft den ersten Streitgegenstand verdeutlichen sollen.

I. Die Kündigung ist nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Sie verstößt nicht gegen § 86 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 9 Satz 2 Kommunalverfassung, welche gemäß Art. 9 Abs. 2 EV in Verbindung mit Anlage II Kap. II Sachgebiet B Abschnitt I EV nach dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland fortgegolten hat.

1. Nach § 86 Abs. 3 Satz 3 Kommunalverfassung gelten für die Mitglieder des Kreistages § 22 Abs. 6 bis 10 Kommunalverfassung entsprechend. Die Klägerin war Mitglied eines Kreistages.

2. § 22 Abs. 9 Satz 2 Kommunalverfassung verbietet nicht jede Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, sondern nur solche Kündigungen, deren Gründe im Zusammenhang mit der Ausübung des Ehrenamtes stehen.

a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift: “Stehen sie in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, ist es unzulässig, sie aufgrund ihres Ehrenamtes zu entlassen oder zu kündigen.” Die Verwendung der Präposition “aufgrund” mit einem nachfolgenden Genitiv bedeutet soviel wie “begründet, veranlaßt durch” (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 1, Stichwort “aufgrund”). Damit ist sprachlich klargestellt, daß nur durch die Ausübung des kommunalen Ehrenamtes veranlaßte Kündigungen verboten sind.

b) Diese Auslegung wird durch den Satzbau der Norm bestätigt. § 22 Abs. 9 Satz 2 Kommunalverfassung lautet nicht: “aufgrund des Ehrenamtes, ist es unzulässig, zu kündigen”, sondern formuliert: “ist es unzulässig, sie aufgrund ihres Ehrenamtes (…) zu kündigen”. Das Ehrenamt ist nicht die Begründung des gesetzlichen Kündigungsverbots, sondern schränkt den sachlichen Geltungsbereich ein. Kündigungen, die in keinem Zusammenhang mit dem Ehrenamt stehen, werden vom Verbot nicht erfaßt.

c) Diese dem Wortlaut folgende Auslegung entspricht auch dem Normzweck. Der Schutz kommunaler Mandatsträger vor beruflichen Nachteilen wegen der Ausübung ihres politischen Ehrenamtes erfordert keinen absoluten Kündigungsschutz, sondern allein den Schutz vor Kündigungen, die ihren Grund im Ehrenamt haben.

d) Die Vorschrift ist in dieser Auslegung verfassungsgemäß. Eine ergänzende Auslegung im Hinblick auf eine Erweiterung des Kündigungsschutzes für Mitglieder kommunaler Parlamente ist nicht geboten. Art. 48 GG, der unmittelbar nur für Bundestagsabgeordnete gilt, kommt, vermittelt über Art. 28 GG, für Landtagsabgeordnete und Mitglieder kommunaler Parlamente Bedeutung zu, weil die Bestimmungen des Art. 48 GG zu den Grundsätzen der Demokratie gehören, denen die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern entsprechen muß (vgl. von Arnim in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Stand Juli 1993, Art. 48 Rz 11 und 12). Danach sind landesgesetzliche Regelungen direkt an Art. 48 GG zu messen (BVerfGE 40, 296, 319). Art. 48 Abs. 2 Satz 2 GG gewährt Abgeordneten relativen Sonderkündigungsschutz in dem Sinne, als daß Kündigungen aus Gründen, die im Zusammenhang mit der Abgeordnetentätigkeit stehen, unzulässig sind; Kündigungen aus anderen Gründen bleiben nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften möglich (vgl. von Mangoldt/Klein/Achterberg/Schulte, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 48 Rz 31 f.). Demnach entspricht die Regelung des § 22 Abs. 9 Satz 2 Kommunalverfassung in der hier vertretenen Auslegung den grundgesetzlichen Anforderungen.

e) Demgegenüber würde die von der Klägerin mit der Revision vertretene Auslegung der Norm zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen. § 22 Abs. 9 Satz 2 Kommunalverfassung enthielte in der von ihr vertretenen Auslegung ein absolutes Verbot jeder Kündigung, das über andere Kündigungsverbote (z.B. §§ 15, 21 SchwbG; § 9 MuSchG; § 18 BErzGG; § 15 KSchG; § 2 ArbPlSchG) weit hinausginge. Zum einen würden nicht nur ordentliche, sondern auch außerordentliche Kündigungen verboten. Zum anderen wäre keine Befreiung von dem Kündigungsverbot mittels Zustimmung einer Behörde, des Betriebsrats bzw. Personalrats oder einer Ersetzung dieser Zustimmung durch das Gericht vorgesehen. Insofern läge ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Vertrags- und die Berufsfreiheit des Arbeitgebers und im Falle des Beklagten eine unverhältnismäßige Einschränkung seiner Personalhoheit als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vor.

3. Da für den Kündigungsentschluß des Beklagten allein betriebliche Erfordernisse maßgeblich gewesen sind, die in keinem Zusammenhang mit der Mitgliedschaft der Klägerin im Kreistag stehen, haben die Voraussetzungen des Verbotsgesetzes nicht vorgelegen.

II. Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Die Feststellungen des Bezirksgerichts, die Kündigung sei nicht sozialwidrig, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Mache, Dr. Pühler

 

Fundstellen

Haufe-Index 856735

BB 1994, 2500

NZA 1995, 426

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