Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Absicherung. Zumutbarkeit anderer Tätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Bestätigung der Rechtsprechung des erkennenden Senats aus dem Urteil vom 19. Februar 1998 – 6 AZR 367/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen.

 

Normenkette

EV Art. 20 Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2; KSchG § 1 Abs. 2; BGB §§ 242, 613a

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 05.12.1996; Aktenzeichen 6 Sa 458/96)

ArbG Cottbus (Urteil vom 23.02.1996; Aktenzeichen 6 Ca 4503/95)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 5. Dezember 1996 – 6 Sa 458/96 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (im folgenden: TV Soziale Absicherung).

Die Klägerin war seit 1. September 1984 bei der Stadt C. als Wäschereifacharbeiterin in der Wäscherei eines Heims, in dem psychisch schwerst- und mehrfach behinderte Menschen betreut werden, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der TV Soziale Absicherung Anwendung. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:

„Vorbemerkungen:

Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, daß bei erforderlichen Umstrukturierungen die Sicherung von Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Qualifizierung der Arbeitnehmer unter Nutzung aller bestehenden Möglichkeiten Vorrang hat gegenüber Entlassungen und den damit verbundenen Maßnahmen zur sozialverträglichen Abfederung.

Soweit trotz der Zielsetzung ein weiterer Arbeitsplatzabbau im Rahmen der Umstrukturierung unvermeidlich ist, gilt folgendes:

§ 1

Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für die unter den BAT-O, MTArb-O und BMT-G-O fallenden Arbeitnehmer.

§ 2

Abfindung

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil

a) er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder

erhält eine Abfindung. Das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.

(5) Eine Abfindung steht nicht zu, wenn

  1. die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (z.B. Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, daß ihm die Annahme nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist oder
  2. der Arbeitnehmer im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber ausgeschieden ist, weil er von einem anderen Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT übernommen wird.

(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.

(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.”

Die Beklagte übernahm mit Wirkung zum 1. Februar 1994 das Heim. Sie vergab zum 1. Juni 1994 die Reinigungsarbeiten an die Firma H., die Wäschereinigung läßt sie seit 1. Januar 1995 von der Firma R. erledigen. Die hauseigene Wäscherei wurde zum 31. Dezember 1994 geschlossen. Aus diesem Grund kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 18. August 1994 zum 31. Dezember 1994 verbunden mit dem Angebot, die Klägerin als pflegerische Hilfskraft weiterzubeschäftigen, und zwar auf Station 9, wo geistig behinderte Frauen im Alter von 20 bis 60 Jahren leben. Die Aufgabe der Klägerin hätte darin bestanden, diesen Frauen beim An- und Auskleiden, Essen, Waschen und Spielen zu helfen. Dieses Angebot lehnte die Klägerin ab und schied zum 31. Dezember 1994 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Beschäftigungsmöglichkeiten bei den Firmen R. und H. nahm sie nicht wahr.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe ihr eine Abfindung nach dem TV Soziale Absicherung zu. Dieser Tarifvertrag sei nach § 613 a BGB Bestandteil ihres Arbeitsvertrages mit der Beklagten geworden. Er erfasse nicht nur Kündigungen nach den Sonderkündigungstatbeständen des Einigungsvertrags, vielmehr entstehe der tarifliche Abfindungsanspruch bei jeder Kündigung wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes. Der Abfindungsanspruch sei nicht ausgeschlossen, weil sie die Tätigkeit einer pflegerischen Hilfskraft abgelehnt habe. Sie könne die auf Station 9 anfallenden Arbeiten nicht leisten und erfülle deshalb nicht die persönlichen Voraussetzungen für diese Tätigkeit. Sie verfüge nicht über die für diese Aufgabe erforderliche besondere Hingabe, Hilfsbereitschaft und psychische Stärke, sondern empfinde Ekel und habe Angst vor unberechenbaren Verhaltensweisen und Aggressionen der Patientinnen. Die Beschäftigungsmöglichkeiten bei den beiden Fremdfirmen seien nicht als Angebote im Sinne des § 2 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung anzusehen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 6.424,30 nebst 4 % Jahreszinsen aus DM 6.347,60 ab Rechtshängigkeit sowie 4 % Zinsen aus DM 50,30 ab Zustellung des Schriftsatzes vom 4. Januar 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ein Abfindungsanspruch bestehe nicht, weil der TV Soziale Absicherung nur auf Kündigungen nach dem Einigungsvertrag Anwendung finde, die Kündigung vom 18. August 1994 hingegen aus betriebsbedingten Gründen nach § 1 KSchG erfolgt sei. Außerdem betreffe der TV Soziale Absicherung nur Kündigungen von Arbeitsverhältnissen in der öffentlichen Verwaltung, der die Beklagte nicht angehöre. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei nicht ersatzlos weggefallen, weil sie bei der Firma R. hätte weiterarbeiten können. Letztlich stehe dem Abfindungsanspruch § 2 Abs. 5 TV Soziale Absicherung entgegen, da die angebotene Tätigkeit als pflegerische Hilfskraft für die Klägerin zumutbar gewesen sei, ebenso die Tätigkeiten als Wäschereiarbeiterin oder Putzhilfe bei den Firmen R. und H.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht eine Abfindung nach dem TV Soziale Absicherung nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der TV Soziale Absicherung sei zwar gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden, der geltend gemachte Abfindungsanspruch bestehe aber nicht, weil die Bestimmungen des TV Soziale Absicherung nur auf sog. Bedarfskündigungen nach den Sonderkündigungstatbeständen des Einigungsvertrages anzuwenden seien, nicht jedoch auf betriebsbedingte Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG. Um eine solche handele es sich bei der Kündigung der Beklagten vom 18. August 1994. Bei Anwendbarkeit des TV Soziale Absicherung stünde dem geltend gemachten Abfindungsanspruch § 2 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung entgegen, da die Klägerin den Arbeitsplatz als pflegerische Hilfskraft abgelehnt habe. Diese Tätigkeit sei ihr nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise zumutbar gewesen, so daß die Kündigung aus einem von ihr zu vertretenden Grund erfolgt sei.

II. Diesen Ausführungen kann zwar insoweit nicht gefolgt werden, als das Landesarbeitsgericht die Bestimmungen des TV Soziale Absicherung für nicht anwendbar hält und bereits deshalb den Abfindungsanspruch der Klägerin verneint hat. Gleichwohl ist der Entscheidung im Ergebnis zuzustimmen, denn das Landesarbeitsgericht hat in seiner Hilfsbegründung ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Abfindungsanspruch an § 2 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung scheitert.

1. Die Regelungen des TV Soziale Absicherung finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Zwar gilt dieser Tarifvertrag mangels Organisationszugehörigkeit der Beklagten nicht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien. Seine Bestimmungen sind aber gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden.

a) Geht ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein (§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB). Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden (§ 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB), es sei denn, die Rechte und Pflichten werden bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt (§ 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB). § 613 a BGB ist auch im Falle der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen oder Betriebe anwendbar, sofern die Übertragung aufgrund eines Rechtsgeschäfts erfolgt (vgl. Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 613 a Rz 21; KR-Pfeiffer, 5. Aufl., § 613 a BGB Rz 39 b).

b) Die Beklagte hat das Heim, in dem die Klägerin beschäftigt war, zum

1. Februar 1994 von der Stadt C. übernommen. Unstreitig ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte übergegangen. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Stadt C. fand kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG der TV Soziale Absicherung Anwendung. Dessen Inhaltsnormen galten daher zwischen der Klägerin und der Beklagten individualvertraglich weiter, da bei der Beklagten unstreitig eine kollektivrechtliche Regelung mit einem entsprechenden Regelungsgegenstand nicht bestand.

Daß die Beklagte der öffentlichen Verwaltung nicht angehört und deshalb die Kündigung kein Arbeitsverhältnis der öffentlichen Verwaltung betraf, ist nicht von Bedeutung. Die Inhaltsnormen des Tarifvertrages oder der Betriebsvereinbarung gelten im Falle des Betriebsübergangs gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht kollektivrechtlich weiter, sondern werden in den Arbeitsvertrag zwischen Betriebserwerber und Arbeitnehmer transformiert, d.h. sie gelten wie arbeitsvertraglich vereinbarte Regelungen weiter (vgl. BAG Urteil vom 20. April 1994 – 4 AZR 342/93 – AP Nr. 108 zu § 613 a BGB, zu III der Gründe; MünchKommBGB/Schaub, 3. Aufl., § 613 a BGB Rz 163; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 613 a Rz 78; KR-Pfeiffer, 5. Aufl., § 613 a BGB Rz 90). Die Beklagte ist deshalb an die Inhaltsnormen des TV Soziale Absicherung ebenso gebunden, wie wenn sie diese Bestimmungen individualvertraglich mit der Klägerin vereinbart hätte.

2. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Buchst. a TV Soziale Absicherung sind erfüllt. Nach dieser Bestimmung erhält ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist, eine Abfindung. Die Beklagte hat die Kündigung vom 18. August 1994 ausgesprochen, weil für die Beschäftigung der Klägerin als Wäschereifacharbeiterin aufgrund der Schließung der hauseigenen Wäscherei zum 31. Dezember 1994 kein Bedarf mehr bestand. Daß die Kündigung nicht aufgrund der am 31. Dezember 1993 außer Kraft getretenen Bestimmungen des Einigungsvertrages über die sog. „Bedarfskündigung” (vgl. Art. 20 Anl. I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 Einigungsvertrag – im folgenden: Abs. 4 EV) ausgesprochen wurde, ist unerheblich, denn der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Buchst. a TV Soziale Absicherung ist nicht auf solche Kündigungen beschränkt. Er erfaßt vielmehr auch Kündigungen, die nach Außerkrafttreten des Abs. 4 EV ausgesprochen wurden, weil der Arbeitnehmer mangels Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Dies hat der erkennende Senat durch Urteil vom 19. Februar 1998 (– 6 AZR 367/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen), auf dessen Entscheidungsgründe zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung aus dem Urteil vom 10. November 1994 (– 6 AZR 427/94 – AP Nr. 19 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR) entschieden. Solche Kündigungen könnten zwar nicht mehr nach Abs. 4 EV wirksam sein, sondern nur, wenn sie nicht sozial ungerechtfertigt sind (§ 1 KSchG). Dies ändert aber nichts daran, daß es sich im Falle ihrer für den tariflichen Abfindungsanspruch vorausgesetzten Wirksamkeit um Kündigungen wegen mangelnden Bedarfs im Sinne der Bestimmungen des TV Soziale Absicherung handelt.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Der vorliegende Fall gibt zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung.

3. Der Abfindungsanspruch scheitert jedoch an § 2 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung. Danach steht eine Abfindung nicht zu, wenn die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund erfolgt ist. So liegt der Fall hier.

Zwar beruht die Kündigung nach dem Klammerbeispiel in § 2 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung nicht auf einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund, wenn ihm die Annahme des angebotenen Arbeitsplatzes nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann. So verhält es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht.

a) Die Begriffe „Kenntnisse” und „Fähigkeiten” im Sinne des Klammerbeispiels sind arbeitsplatzbezogen zu verstehen. „Kenntnisse” meint das tätigkeitsbezogene Sach- und Erfahrungswissen (Duden, Großes Universalwörterbuch A–Z, 2. Aufl., Stichwort: Kenntnisse, S. 828). Der Begriff der Fähigkeiten umfaßt die körperliche und geistige Eignung zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Tätigkeit (Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT-O, Stand April 1996, Soziale Absicherung Hinweis 5; Steinherr/Sponer/Schwimmbeck, BAT-O, Stand Januar 1996, 2.4.3 TV Soziale Absicherung Erläuterung 5).

b) Ob ein angebotener Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer zumutbar ist, ist unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu beurteilen (Senatsurteil vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 859/95 – AP Nr. 18 zu § 4 TVG Rationalisierungsschutz, zu II 3 der Gründe). Die beiderseitigen Interessen sind zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei ist vordem Hintergrund des auf Beschäftigungssicherung abzielenden Tarifzwecks grundsätzlich von einem weiten Zumutbarkeitsbegriff auszugehen (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT-O, ATB Ang, Stand Januar 1998, R 1, Sozialtarifvertrag Erl. 9; Rundschreiben des BMI vom 15. Juli 1992 zitiert bei Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT-O, Stand September 1998, Soziale Absicherung Hinweis 1). Für ein überwiegendes, berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers an einer Ablehnung des Arbeitsplatzes bedarf es daher besonders gewichtiger Gründe (Senatsurteil vom 19. Februar 1998 – 6 AZR 367/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 3 der Gründe).

c) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tätigkeit einer pflegerischen Hilfskraft erfordere keine besondere Ausbildung, so daß die Klägerin aufgrund ihrer Kenntnisse in der Lage gewesen sei, diese Tätigkeit zu verrichten. Sie sei auch fähig gewesen, diese Tätigkeit auszuüben. Ihr Einwand, sie empfinde Ekel und habe Angst vor unberechenbaren Verhaltensweisen und Aggressionen der Patienten, stehe dem nicht entgegen. Sie habe nicht dargelegt, daß sie bei entsprechender Willensanspannung ihres Ekels und ihrer Angst nicht habe Herr werden können. Es sei zudem nicht erkennbar, daß die von ihr genannten Umstände ihre Fähigkeit objektiv beeinträchtigten. Sie habe nicht vorgetragen, welche konkreten seelischen Belastungen bei einem vertretungsweisen Einsatz in der Beschäftigungstherapie von Juli bis Dezember 1994 aufgetreten seien. Konkrete gesundheitliche Beeinträchtigungen habe sie nicht genannt. Auch habe sie gegenüber der Beklagten in dieser Zeit nicht geltend gemacht, diese Tätigkeit seelisch nicht verkraften zu können, was aber nahe gelegen hätte, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeit nicht fähig gewesen wäre.

d) Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage, ob ein Ersatzarbeitsplatz für den Arbeitnehmer zumutbar ist, hängt im wesentlichen von den Umständen des Einzelfalles ab. Deren Würdigung ist Sache des Tatrichters und in der Revisionsinstanz nur daraufhin nachprüfbar, ob das Gericht der Tatsacheninstanz den unbestimmten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit verkannt, den Tatsachenstoff ausgeschöpft, alle wesentlichen Umstände widerspruchsfrei gewürdigt und die Denk- und Erfahrungssätze beachtet hat (vgl. BAG Beschluß vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90BAGE 68, 187, 193 = AP Nr. 23 zu § 78 a BetrVG 1972, zu B II 2 der Gründe, m.w.N.; BGH Urteil vom 30. April 1993 – V ZR 234/91 – NJW 1993, 2178, 2179; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 73 Rz 7; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 550 Rz 12).

Diesem Überprüfungsmaßstab hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Frage der Zumutbarkeit der anderen Tätigkeit nach den Kenntnissen und Fähigkeiten des Arbeitnehmers beurteilt und persönliche Gründe für die Ablehnung des Ersatzarbeitsplatzes unerheblich sind. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Klägerin aufgrund ihrer Kenntnisse in der Lage ist, die Tätigkeit als pflegerische Hilfskraft, die keine besondere Ausbildung erfordert, auszuüben. Daß der Klägerin dieser Arbeitsplatz auch aufgrund ihrer Fähigkeiten zumutbar war, hat das Landesarbeitsgericht unter Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände ohne Rechtsfehler festgestellt. Dabei hat das Landesarbeitsgericht maßgeblich darauf abgestellt, daß die Klägerin konkrete gesundheitliche Beeinträchtigungen während des sechsmonatigen vertretungsweisen Einsatzes in der Beschäftigungstherapie nicht vorgetragen hat, der Beklagten während dieser Tätigkeit keine Mitteilung über die angeblich aufgetretenen seelischen Belastungen gemacht und nicht dargelegt hat, weshalb sie ihre irrationalen Empfindungen in Bezug auf die Tätigkeit einer pflegerischen Hilfskraft und die zu betreuenden Personen nicht ablegen konnte. Das Landesarbeitsgericht hat aus diesen Umständen den Schluß gezogen, daß die Klägerin trotz ihrer subjektiven Empfindungen fähig war, die Tätigkeit einer pflegerischen Hilfskraft auszuüben und ihr der Ersatzarbeitsplatz daher zumutbar war. Dies ist in Anbetracht dessen, daß aufgrund des dargelegten Tarifzwecks von einem weiten Zumutbarkeitsbegriff auszugehen ist und ein anderer Ersatzarbeitsplatz bei der Beklagten nicht zur Verfügung stand, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, daß die Klägerin keine Tatsachen für eine von den Heimbewohnern ausgehende Gefährdung des Pflegepersonals vorgetragen hat.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Steinhäuser, Schneider

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1251970

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