Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag wegen mangelnden Bedarfs (Lehrer für untere Klassen)

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2; BGB §§ 242, 315

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 04.08.1994; Aktenzeichen 1 Sa 711/93)

ArbG Schwerin (Urteil vom 17.06.1993; Aktenzeichen 5 Ca 2136/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 4. August 1994 – 1 Sa 771/93 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 der Anlage 1 zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 2 EV) stützt.

Die im Jahre 1938 geborene Klägerin ist verwitwet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Sie war seit dem 1. August 1960 als ausgebildete Lehrerin für untere Klassen im Schuldienst der ehemaligen DDR tätig und erwarb später zusätzlich die Lehrbefähigung für das Fach Staatsbürgerkunde. Sie arbeitete zuletzt im Schulamtsbezirk S. im Grundschulteil der Realschule H. zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 3.077,78 DM. In den Jahren von 1966 bis 1969, von 1971 bis 1973 sowie von 1978 bis 1984 war die Klägerin ehrenamtliche Parteisekretärin der SED an der F.-Schule in S.. Ab 1984 bis zum Zeitpunkt der „Wende” war sie Mitglied der Schulparteiorganisation.

Mit Schreiben vom 25. Mai 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1992. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 27. Mai 1992 zu.

Mit der am 9. Juni 1992 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung und einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung geltend gemacht. Die Klägerin ist der Auffassung, für die ausgesprochene Kündigung fehle es an einem Kündigungsgrund, die gesetzlich erforderliche Beteiligung des Bezirkspersonalrats als zuständige Personalvertretung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt und der Beklagte habe die Grundsätze einer sozialen Auswahl mißachtet.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 25. Mai 1992 zum 30. September 1992 nicht aufgelöst ist, ferner, für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag, den Beklagten zu verurteilen, sie zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Lehrerin weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, im Schulamtsbezirk S. habe die Planung für das Schuljahr 1992/1993 einen Überhang von 144,5 Lehrerstellen im Bereich der Grundschulen ergeben. Bei 7.267 Schülern und 326 Klassen habe unter Berücksichtigung von Abminderungsstunden ein Bedarf von 7.950,7 Unterrichtsstunden und somit bei einer Regelstundenzahl von 27 ein Bedarf von 294,5 Lehrerstellen bestanden. Unter Hinzurechnung von 11 in den Klassen 5 und 6 der Hauptschulen tätigen Grundschullehrern habe der Bedarf 305,5 Stellen ausgemacht, während aus dem vorangegangenen Schuljahr tatsächlich 450 Lehrerstellen vorhanden gewesen seien. Bei gleicher Berechnungsweise habe sich speziell für die Schule der Klägerin für das Schuljahr 1992/1993 ein Bedarf von 7,9 Stellen und gegenüber den vorhandenen 12,8 Planstellen ein notwendiger Abbau von 4,9 Stellen ergeben. Die Auswahl der zu kündigenden Lehrer sei anhand der Bewertungsmaßstäbe Dauer der Zugehörigkeit zur Dienststelle, Lebensalter, Familienstand, Anzahl der Unterhaltsberechtigten, Einkünfte von Ehegatten, Umschulungsmöglichkeiten und andere Berufsaussichten, Möglichkeit der Inanspruchnahme der Vorruhestandsregelung getroffen worden. Daneben sei aber auch das dienstliche Interesse an der Wahrung einer ausgewogenen Altersstruktur und an der persönlichen Eignung der weiterbeschäftigten Lehrer berücksichtigt worden. Im Fall der Klägerin begründe sich das besondere dienstliche Interesse aus ihrer mangelnden persönlichen Eignung aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit als Parteisekretärin der SED. Deswegen werde die Kündigung hilfsweise auch auf mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützt.

Die Personalratsanhörung sei nur vorsorglich erfolgt, rechtlich jedoch nicht geboten gewesen. Die Kündigungen seien vom Kultusministerium als oberster Behörde ausgesprochen worden. Ein zu beteiligender Hauptpersonalrat habe zu dieser Zeit nicht bestanden. Die Unterschriften der Schulräte unter den Kündigungsschreiben seien lediglich im Auftrag der Kultusministerin erfolgt und dieser zuzurechnen. Die Entscheidungen über die Kündigungen seien auch weitestgehend im Kultusministerium selbst vorbereitet und getroffen worden. Die Schulämter hätten lediglich Vorarbeiten geleistet. Daneben habe der ursprünglich beim Amt für Volksbildung der Stadt S. gebildete und vorsorglich beteiligte Bezirkspersonalrat seine Funktion verloren, als im Frühjahr 1991 die Schulaufsicht auf das Land übertragen worden sei, während die Horterzieher bei der Gemeinde verblieben seien. Gleichwohl sei der Bezirkspersonalrat ordnungsgemäß über die beabsichtigte Kündigung informiert worden, dem auch der in Betracht kommende Personenkreis, die Kündigungsgründe, die Kriterien der Sozialauswahl sowie die Sozialdaten aller vergleichbaren Arbeitnehmer bekanntgegeben worden seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen klageabweisenden Urteils. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Kündigungsschutzklage nicht stattgegeben werden. Eine Entscheidung über die Wirksamkeit der angefochtenen Kündigung ist dem Senat nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht möglich. Die Sache ist deshalb zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und unwirksam. Der Beklagte habe zwar hinsichtlich des Kündigungsgrundes mangelnder Bedarf im Sinne von Abs. 4 Ziff. 2 EV rechnerisch nachvollziehbar einen Überhang von Grundschullehrern dargelegt, jedoch entspreche die von dem Beklagten getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten der Klägerin nicht billigem Ermessen entsprechend §§ 242, 315 BGB. Die Auswahlentscheidung sei entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schul-, sondern schulamtsbezogen durchzuführen. Da der Beklagte insofern keine Angaben über die an den anderen Grundschulen des Schulamtsbezirks tätigen Lehrer vorgelegt habe, sei zu vermuten, daß an anderen Schulen nach ihrem sozialen Status weniger schutzwürdige Grundschullehrer weiterbeschäftigt worden seien. Der Beklagte könne sich auch weder bei der Auswahlentscheidung im Rahmen der Kündigung wegen mangelnden Bedarfs noch zur hilfsweisen Begründung des Kündigungsgrundes nach Abs. 4 Ziff. 1 EV auf mangelnde persönliche Eignung der Klägerin wegen deren langjähriger Parteitätigkeit für die SED berufen, weil er nicht vorgetragen habe, daß dieser Gesichtspunkt der Personalvertretung im Rahmen des Beteiligungsverfahrens mitgeteilt worden sei. Da die Kündigung durch das Schulamt, unterschrieben vom Schulrat, ausgesprochen worden sei, sei die dort gebildete Personalvertretung auch zu beteiligen gewesen. Dem stehe weder entgegen, daß die Kündigung auf Weisung des Kultusministeriums erfolgt sei, noch habe die gebildete Personalvertretung deshalb aufgehört zu bestehen, weil von der Dienststelle ein Teilbereich (die Horterzieher betreffend) abgespalten worden sei.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil die Auswahlentscheidung des Beklagten §§ 242, 315 BGB verletzt habe, ist rechtsfehlerhaft.

1. Wie der Senat mit Urteil vom 19. Januar 1995 (– 8 AZR 914/93 – AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag) ausgeführt hat, findet § 1 Abs. 3 KSchG auf die nach Abs. 4 Ziff. 2 EV erforderliche Auswahlentscheidung keine Anwendung.

a) Abs. 4 EV ersetzt in seinem Regelungsbereich die allgemeinen Vorschriften des § 1 KSchG. Die Maßgaben des Abs. 4 EV legen sachliche Gründe fest, aus denen eine ordentliche Kündigung unabhängig von § 1 KSchG möglich ist (BAGE 71, 221, 224 = AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu I 3 der Gründe; BAGE 72, 361, 364 = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B I 2 der Gründe; BAGE 74, 120, 124 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 4 a der Gründe; Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Nr. 9 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1 der Gründe; BAGE 76, 142, 145 f. = AP Nr. 21 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu II 3 b aa der Gründe; BAGE 76, 317, 320 f. = AP Nr. 12 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu I 2 b aa der Gründe). § 1 Abs. 3 KSchG bezieht sich demgegenüber schon nach seinem Wortlaut nur auf betriebsbedingte Kündigungen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Eine Verweisung auf § 1 Abs. 3 KSchG ist in Abs. 4 EV unterblieben.

b) Zu den sachlichen, die Kündigung insgesamt rechtfertigenden Gründen nach Abs. 4 Ziff. 2 EV gehört auch die Frage der Verwendbarkeit und damit die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers. Die Bestimmung konkretisiert damit nicht etwa nur den Begriff der dringenden betrieblichen Erfordernisse, sondern stellt eine eigenständige und abschließende Regelung zur Rechtfertigung der Kündigung auch im Hinblick auf § 1 Abs. 3 KSchG dar. Das entspricht dem Zweck der Vorschrift, im vielfach überbesetzten öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR die Trennung von nicht mehr benötigten Arbeitnehmern zu erleichtern, Personal einzusparen und den raschen Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung zu gewährleisten. Wollte man in Abs. 4 Ziff. 2 EV nur eine Konkretisierung des § 1 Abs. 2 KSchG sehen, hätte es einer besonderen Regelung kaum bedurft. Zwar ist das Kündigungsschutzgesetz in Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 6 EV im Beitrittsgebiet mit bestimmten hier nicht weiter interessierenden Maßgaben in Kraft gesetzt worden. Gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 EV steht das einer Eigenständigkeit des Sonderkündigungsrechts in Abs. 4 EV aber nicht entgegen.

c) Findet danach § 1 Abs. 3 KSchG auf die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers bei der Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 EV keine Anwendung, so unterliegt die Auswahlentscheidung nicht etwa einem freien, der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Ermessen des Arbeitgebers. Vielmehr bleibt der Maßstab von Treu und Glauben bestehen, soweit es beim Kündigungsschutz an einer gesetzlichen Konkretisierung fehlt. Der Arbeitgeber darf daher im Rahmen des Abs. 4 EV nicht willkürlich handeln oder besonders schutzwürdige Arbeitnehmer vorrangig entlassen. Er muß seine einseitige, einzelne Arbeitnehmer belastende Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkten treffen und billiges Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) wahren. Insbesondere darf er nicht nur eigene Belange berücksichtigen. Bei Anwendung der Generalklauseln der §§ 242, 315 BGB sind das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zur Geltung zu bringen. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz kann bei dem Massentatbestand der Bedarfskündigung nicht außer acht bleiben. Der öffentliche Arbeitgeber hat bei der Auswahl deshalb auch die sozialen Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen. Dienstliche Gründe und soziale Belange des Arbeitnehmers sind gegeneinander abzuwägen. Eine analoge Anwendung von § 1 Abs. 3 KSchG stellt das nicht dar.

d) Die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips verbietet es nach Auffassung des Senats, dienstlichen Auswahlbelangen des Arbeitgebers eine Vorrangtendenz einzuräumen. Solche Belange sind vielmehr in die Abwägung der beiderseitigen Interessen einzustellen.

Sie können je nach ihrem Gewicht dazu führen, daß einem nach sozialen Gesichtspunkten an sich schutzwürdigen Arbeitnehmer zu Recht gekündigt wird. Aufgabe der Gerichte ist es, das Gewicht einzelner dienstlicher Auswahlbelange im Verhältnis zu einer höheren sozialen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers zu bestimmen. Fehlt es an der Darlegung konkreter dienstlicher Belange, so bleibt allein die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten.

e) Als zu berücksichtigende soziale Gesichtspunkte kommen wie bei § 1 Abs. 3 KSchG zunächst das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers in Betracht. Älteren Arbeitnehmern und solchen mit Unterhaltspflichten kommt ein höherer Schutz zu. Demgegenüber tritt die Bedeutung der Dauer der Betriebszugehörigkeit für den Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 2 EV deutlich zurück. Eine freie Wahl des Arbeitsplatzes bestand in der ehemaligen DDR praktisch nicht. Die Berufsausübung im Anschluß an die Ausbildung war weitgehend vorgegeben. Dem Gesichtspunkt der Betriebszugehörigkeit ist daher durch die Berücksichtigung des Lebensalters regelmäßig ausreichend Rechnung getragen.

f) Für die Darlegungs- und Beweislast ergeben sich folgende Grundsätze:

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Umfang seiner materiell-rechtlichen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG auf Verlangen des Arbeitnehmers auch im Kündigungsschutzprozeß die Gründe darzulegen, die ihn zu der getroffenen sozialen Auswahl veranlaßt haben. Im übrigen trägt der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, daß der Arbeitgeber bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (BAG Urteil vom 24. März 1983 – 2 AZR 21/82BAGE 42, 151, 160 f. = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B III 2 c der Gründe; Urteil vom 21. Juli 1988 – 2 AZR 75/88 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu II 2 a, b der Gründe; Urteil vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 580/88BAGE 62, 116, 125 f. = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 3 b aa der Gründe; Urteil vom 5. Mai 1994 – 2 AZR 917/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 3 b aa der Gründe; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 369 ff., 374 ff.).

bb) Auch einen etwaigen Verstoß gegen Treu und Glauben muß der Arbeitnehmer rügen. Ohne seine Behauptung, die Auswahlentscheidung sei fehlerhaft getroffen worden, besteht kein Anlaß für den Arbeitgeber, auf diese Frage einzugehen. Der Arbeitgeber muß von sich aus nur die betrieblichen Gründe darlegen.

cc) Ist der Arbeitnehmer nicht in der Lage, substantiiert zur Auswahl Stellung zu nehmen, so muß der Arbeitgeber die Gründe für die getroffene Auswahl darlegen, wenn der Arbeitnehmer ihn hierzu auffordert. Das entspricht § 242 BGB. Allein der Arbeitgeber, der zwangsläufig die Auswahl getroffen hat, vermag vollständig hierzu vorzutragen. Der Arbeitnehmer kann die „innere Tatsache” der Auswahlentscheidung nicht kennen und müßte weitgehend „ins Blaue hinein” vortragen. An das Auskunftsverlangen sind keine hohen Anforderungen zu stellen.

dd) Kommt der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nach, so hat letztlich der Arbeitnehmer einen Verstoß gegen Treu und Glauben zu beweisen. Es geht zu seinen Lasten, wenn er die ungenügende Berücksichtigung sozialer Belange nicht beweisen kann.

g) Für die Beurteilung ist die Situation im Schulamtsbezirk maßgebend, weil der Beklagte in diesem Rahmen Bedarf oder Überhang an einzelnen Schulen durch Versetzungen ausgleichen kann und muß. Die Bedarfslage an den einzelnen Schulen ist demgegenüber zufällig; sie vermittelt kein zutreffendes Bild des wirklichen Bedarfs beim Beklagten. Andererseits wäre eine ausschließlich landesweite Berechnung schon deshalb ungeeignet, weil der Beklagte die Lehrer nicht landesweit beliebig einsetzen kann (vgl. auch BAG Urteile vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 109/83BAGE 46, 191, 200 ff. = AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu C II, III der Gründe; vom 23. August 1984 – 2 AZR 390/83 – nicht veröffentlicht, zu III 2 der Gründe; ferner Urteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 1 der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zutreffend angenommen, es komme für die Auswahlentscheidung nicht auf die einzelne Schule, sondern den Schulamtsbezirk an, jedoch übersehen, daß allein eine im Ergebnis fehlerhafte Auswahlentscheidung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben gemäß §§ 242, 315 BGB unwirksam sein kann. Hierzu bedürfte es der Feststellung konkreter Tatsachen, die die Treuwidrigkeit der streitgegenständlichen Kündigung belegen. Daß der Beklagte die Auswahlentscheidung in einem zu engen Rahmen vorgenommen hat, belegt nicht, daß die Entscheidung, beurteilt nach den Verhältnissen im größeren Rahmen des Schulamtsbezirks, wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam sein muß. Insofern hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Dies wird nachzuholen sein.

II. Ob der Wirksamkeit der Kündigung personalvertretungsrechtliche Gründe entgegenstehen, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.

1. Insofern kommt entscheidende Bedeutung der Frage zu, ob die streitgegenständliche Kündigung vom Kultusministerium vertreten durch den Schulrat oder durch das Schulamt S. erklärt worden ist. Das Kündigungsschreiben läßt dies nicht eindeutig erkennen. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Würdigung, es liege eine Kündigung des Schulamtes vor, ausschließlich auf den Briefkopf abgestellt. Außer acht gelassen hat es das vorgeschaltete Verfahren sowie die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens durch den Schulrat mit dem aus sich heraus unverständlichen Zusatz „Im Auftrag”.

Die Begründung des Landesarbeitsgerichts läßt nicht erkennen, worauf sich die Auffassung stützt, der Schulrat habe (auf Weisung des Kultusministeriums) die Kündigung ausgesprochen. Soweit das Landesarbeitsgericht dabei das Kündigungsschreiben vom 25. Mai 1992 ausgelegt haben sollte, haben die dabei angewandten Auslegungskriterien jedenfalls keinen Eingang in die Begründung gefunden. Ob die Kündigung durch das Kultusministerium oder durch das Schulamt S. ausgesprochen worden ist, muß nach den gesamten vom Landesarbeitsgericht bisher nicht aufgeklärten Umständen ermittelt werden. Die Unterzeichnung durch den Schulrat „Im Auftrag” spricht eher dafür, daß er die Kündigung nicht selbst verantwortlich aussprechen wollte. Die insofern notwendigen tatsächlichen Feststellungen werden vom Berufungsgericht nachzuholen sein, denn hätte der Schulrat die Kündigung lediglich namens des Kultusministeriums erklärt, käme die Beteiligung der in diesem Falle zuständigen Personalvertretung „Hauptpersonalrat beim Kultusministerium” nicht in Betracht, weil dieses Gremium zur Zeit des Kündigungsausspruchs noch nicht gebildet worden war.

Hätte hingegen der Schulrat als Amtsleiter des Schulamtes als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde die Kündigung erklärt, wäre der „Bezirkspersonalrat” zu beteiligen gewesen, wenn diese Personalvertretung beim Schulamt gebildet worden wäre. Der dem widersprechende Vortrag des Beklagten, der „Bezirkspersonalrat” sei beim Amt für Volksbildung des Rates des Kreises gebildet worden, läßt mangels zeitlicher Präzisierung nicht erkennen, ob der tatsächlich fungierende „Bezirkspersonalrat” nach den Bestimmungen des Personalvertretungsgesetzes der DDR gebildet wurde. Einen Rat des Kreises gab es nur bis zum Inkrafttreten der Kommunalverfassung der DDR vom 17. Mai 1990. Danach bestand auf Kreisebene das Schulamt als untere staatliche Behörde der DDR. Nach § 116 b Abs. 2 Nr. 1 PersVG-DDR waren die „erstmaligen Wahlen nach diesem Gesetz … in der Zeit vom 13. August bis 12. Oktober 1990” durchzuführen. Die bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte geltende Übergangsregelung war im öffentlichen Dienst bis zur erstmaligen Wahl eines Personalrats nicht entsprechend anzuwenden (vgl. Urteil des Senats vom 16. Februar 1995 – 8 AZR 639/93 – AP Nr. 2 zu § 30 MantelG DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

Wäre der „Bezirkspersonalrat” nach § 116 b PersVG-DDR für den Bereich des Schulamtes S. ordnungsgemäß gewählt worden, hätte er, entgegen der Auffassung der Revision, seine Funktion nicht dadurch verloren, daß die an seiner Wahl beteiligten Horterzieher in den Dienst kommunaler Träger übergetreten sind. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 22. Februar 1996 (– 8 AZR 1041/94 –) entschieden hat, blieben auch die Arbeitsverhältnisse der Horterzieher von Gesetzes wegen über den 2. Oktober 1990 hinaus unverändert fortbestehen. Sollten sie kraft einzelvertraglicher Vereinbarung den Arbeitgeber gewechselt haben, berührte dies den Fortbestand des „Bezirkspersonalrats” nicht.

2. Kommt das Landesarbeitsgericht in der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis, daß die Kündigung vom Schulamt erklärt worden ist und bei diesem ein gemäß den Bestimmungen des PersVG-DDR gebildeter Bezirkspersonalrat amtierte, wird es festzustellen haben, ob dieser ordnungsgemäß nach §§ 82 Abs. 1, 79 PersVG-DDR vor Ausspruch der Kündigung beteiligt worden ist. Dabei wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteile des Zweiten Senats vom 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1019/94 – AP Nr. 55 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 1026/94 – AP Nr. 35 zu Art. 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Personalrats bereits dann gegeben ist, wenn die Dienststelle dem Personalrat die ihrerseits angestellten Auswahlüberlegungen mitgeteilt hat.

3. Auch die Frage, ob der erst während des Rechtsstreits „nachgeschobene” Kündigungsgrund der mangelnden persönlichen Eignung der Klägerin wegen langjähriger Tätigkeit als Schulparteisekretärin berücksichtigt werden kann, hängt davon ab, welcher Personalrat zu beteiligen war. War die Kündigung vom Kultusministerium ausgesprochen worden und entfiel daher die Beteiligung der Personalvertretung, weil ein Hauptpersonalrat im Kündigungszeitpunkt nicht bestand, so kann die Parteisekretärstätigkeit der Klägerin bei der Auswahlentscheidung im Rahmen der Bedarfskündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 EV wie auch bei der Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV berücksichtigt werden. War dagegen die Kündigung vom Schulamt S. ausgesprochen und ein ordnungsgemäß gewählter Bezirkspersonalrat zu beteiligen, scheidet die Berücksichtigung der nachgeschobenen Kündigungsgründe aus, weil der Beklagte den Bezirkspersonalrat hierzu nicht angehört hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden sind, im Kündigungsprozeß nur nachschieben, wenn der Arbeitgeber zuvor den zuständigen Betriebs- oder Personalrat angehört hat (vgl. BAG Urteil vom 18. Dezember 1980 – 2 AZR 1006/78BAGE 34, 309 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972).

III. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist in vollem Umfange aufzuheben. Das Berufungsgericht hat in Abhängigkeit von seiner erneuten Entscheidung zum Feststellungsantrag auch über den Weiterbeschäftigungsantrag neu zu befinden.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Ma. Schallmeyer, Dr. E. Vesper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1092970

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