Entscheidungsstichwort (Thema)

Stellung Betriebsgewerkschaft-DDR vor erster Personalratswahl

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Kündigungen im öffentlichen Dienst der DDR nach dem 1. Juli 1990 waren die Betriebsgewerkschaftsleitungen nicht zu beteiligen. Die bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte geltende Übergangsregelung ist mangels “planwidriger Regelungslücke” im öffentlichen Dienst bis zur erstmaligen Wahl eines Personalrats nicht entsprechend anzuwenden.

 

Normenkette

KSchG-DDR § 1; PersVG-DDR §§ 79, 116b; Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (sog. Mantelgesetz, GBl.-DDR I S. 357) § 30; Verordnung zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Juli 1990 (GBl.-DDR I S. 715)

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 28.07.1993; Aktenzeichen 6 (2) Sa 166/92)

ArbG Dresden (Urteil vom 05.08.1992; Aktenzeichen 6 Ca 894/91)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 28. Juli 1993 – 6 (2) Sa 166/92 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob bei einer Kündigung im öffentlichen Dienst vor der ersten Personalratswahl in der ehemaligen DDR die gewählte Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) zu beteiligen war.

Die 1951 geborene Klägerin war seit 1977 im Bezirksinstitut für Veterinärwesen Dresden (BIV) in der Großtierabteilung der Tierklinik als Tierpflegerin beschäftigt. Mit Schreiben vom 10. August 1990 kündigte der Direktor des Instituts das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Oktober 1990 wegen Auflösung der Großtierabteilung. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim BIV kein nach den Vorschriften des PersVG-DDR gewählter Personalrat, sondern lediglich die von den Gewerkschaftsmitgliedern des BIV gewählte BGL.

Am 30. September 1990 wurde die Großtierabteilung der Tierklinik des BIV als staatliche Einrichtung aufgelöst. Das BIV wurde in die staatliche Veterinärverwaltung des Beklagten überführt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei schon aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam. Das BIV hätte vor Ausspruch der Kündigung die nach demokratischen Grundsätzen gewählte BGL beteiligen müssen. Im übrigen sei die Kündigung sozialwidrig.

Die Klägerin hat, soweit in der Revision erheblich, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 10. August 1990 nicht zum 31. Oktober 1990 aufgelöst worden sei, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbestehe.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt. Der Arbeitsplatz der Klägerin in der Großtierabteilung sei weggefallen. Die Großtierabteilung hätte geschlossen werden müssen, weil die Aufgaben dieser Abteilung künftig von frei niedergelassenen Tierärzten wahrgenommen würden. Einen Personalrat habe es zur Zeit der Kündigung beim BIV nicht gegeben. Einer Anhörung der BGL habe es nicht bedurft.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung zu Recht für wirksam erachtet.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Kündigung sei durch dringende betriebliche Gründe gerechtfertigt gewesen.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des seit dem 1. Juli 1990 auch in der ehemaligen DDR geltenden Kündigungsschutzgesetzes (§ 54 Abs. 2 AGB-DDR) ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Durch die nicht zu beanstandende Stillegung der Großtierabteilung ist der Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen. Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) oder eine fehlerhafte Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) hat die Klägerin nicht dargelegt. Dagegen wendet sich die Revision auch nicht.

2. Zu Unrecht vertritt die Revision die Auffassung, die Kündigung sei aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam.

a) Nach § 79 Abs. 4 PersVG-DDR ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Hieraus kann die Klägerin jedoch keine ihr günstige Rechtslage herleiten, weil bis zum Zugang der Kündigung am 22. August 1990 kein Personalrat aufgrund der Vorschriften dieses Gesetzes gewählt worden war. Zwar schrieb § 116b Abs. 2 Nr. 1 PersVG-DDR vor, daß die “erstmaligen Wahlen nach diesem Gesetz … in der Zeit vom 13. August bis 12. Oktober 1990” stattfinden. In der Dienststelle des früheren BIV kam es aber erst am 6. November 1990 zur Wahl eines Personalrates auf der Grundlage des PersVG-DDR. Ein Personalrat im Sinne des § 79 PersVG-DDR konnte deshalb vor der am 22. August 1990 zugegangenen Kündigung nicht beteiligt werden.

b) Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf die Beschlußvorlage des Ministerrats der DDR vom 4. Juli 1990 berufen. Danach sollten bis zur Konstituierung der nach dem PersVG-DDR neugewählten Personalvertretungen die am 1. Juli 1990 bestehenden Arbeitnehmervertretungen in ihrer Funktion bestätigt bleiben, wenn sie nach demokratischen Grundsätzen in geheimer und unmittelbarer Wahl von der Mehrheit der Beschäftigten der Dienststelle gewählt worden waren. Diese Beschlußvorlage ist nämlich, worauf das Landesarbeitsgericht bereits zu Recht hingewiesen hat, nicht geltendes Recht geworden. Im Unterschied zur Verordnung vom 11. Juli 1990 zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz (GBl.-DDR I S. 715) ist eine Übergangsregelung für den Bereich des Personalvertretungsrechts nicht im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht worden und damit nicht in Kraft getreten.

c) Die Beteiligung der BGL als Arbeitnehmervertretung kann entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der für die Betriebsratswahlen geltenden Verordnung vom 11. Juli 1990 für den Bereich des öffentlichen Dienstes hergeleitet werden.

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 12. November 1992 (– 8 AZR 232/92 – AP Nr. 1 zu § 30 MantelG DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II der Gründe) offen gelassen, ob bis zur Wahl eines Personalrats nach dem PersVG-DDR vom 22. Juli 1990 die im öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR gewählte BGL die Arbeitnehmerinteressen wahrzunehmen hat. Da in dem Fehlen einer Übergangsregelung für den öffentlichen Dienst keine planwidrige Regelungslücke zu sehen ist, können § 30 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (sog. Mantelgesetz, GBl.-DDR I S. 362) und die Verordnung zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Juli 1990 (GBl.-DDR I S. 715) nicht entsprechend angewendet werden.

Eine analoge Anwendung der Übergangsregelung bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte käme für den öffentlichen Dienst nur in Betracht, wenn der Gesetzgeber nicht bewußt von einer Übergangsregelung für den öffentlichen Dienst abgesehen hätte. Die analoge Gesetzesanwendung setzt nämlich eine “Gesetzeslücke” im Sinne einer “planwidrigen Unvollständigkeit” der fraglichen Rechtsnorm voraus (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 373). Eine der Verordnung vom 11. Juli 1990 entsprechende Übergangsregelung ist für den öffentlichen Dienst jedoch bewußt nicht getroffen worden.

Bereits die Existenz der für den öffentlichen Dienst bestehenden Beschlußvorlage des Ministerrats der DDR vom 4. Juli 1990 verdeutlicht, daß dem Gesetzgeber das Problem einer Übergangszuständigkeit von Personalvertretungen im Bereich des öffentlichen Dienstes der früheren DDR nicht entgangen war. Da er eine der Übergangsvorschrift für Betriebsräte entsprechende Regelung für den öffentlichen Dienst gleichwohl nicht in Kraft gesetzt hat, folgt hieraus, daß der Gesetzgeber von einer gleichförmigen Verleihung von Übergangskompetenzen für die bisher gewählten Arbeitnehmervertretungen innerhalb des bereits auf eine Umbildung zusteuernden öffentlichen Dienstes bewußt abgesehen hatte.

Dem steht die Erläuterung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BT-Drucks. 11/7171 S. 111) nicht entgegen. Wenn es dort heißt, daß die “sofortige … Geltung” des Bundespersonalvertretungsgesetzes im Bereich der früheren DDR vermeiden sollte, “daß bis zu einem Abschluß des Anpassungsprozesses ein beteiligungsfreier Raum entsteht”, so sagt das für sich genommen über die Schaffung von Übergangsregelungen mit dem Ziel der vorübergehenden Legitimation bisheriger Betriebsgewerkschaftsleitungen für den Bereich des öffentlichen Dienstes nichts aus.

Die Absicht des Gesetzgebers, das personalvertretungsrechtliche Übergangsrecht zwischen öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft unterschiedlich zu regeln, kommt allerdings in den unterschiedlichen Terminen der ersten Personalratswahlen und der ersten Betriebsratswahlen in den neuen Bundesländern zum Ausdruck. Während § 30 Nr. 3 MantelG die Wahl von Betriebsräten immerhin bis 30. Juni 1991 ermöglichte, bestimmte § 116b Abs. 2 Nr. 1 PersVG-DDR für die erstmaligen Wahlen von Personalräten die Zeit “vom 13. August bis 12. Oktober 1990”. Das PersVG-DDR hat die erstmaligen Wahlen von Arbeitnehmervertretungen des öffentlichen Dienstes damit gegenüber dem Regelungsmodell des Betriebsverfassungsgesetzes weit vorgezogen und so das Übergangsproblem auf diese Weise entschärft.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, R. Iskra

 

Fundstellen

Haufe-Index 856782

BAGE, 203

NZA 1995, 1067

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