Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Grundkündigungsfristen für Bauarbeiter

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Sog. eigenständige Regelung der Grundkündigungsfrist im Baugewerbe – Anschluß an BAG Urteile vom 21. März 1991 – 2 AZR 616/90 – und – 2 AZR 323/84 (A) – zur Veröffentlichung bestimmt.

 

Normenkette

BGB § 622; GG Art. 3; BRTV-Bau § 12 Ziff. 1.1

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 28.11.1990; Aktenzeichen 4 Sa 431/90)

ArbG Trier (Urteil vom 02.04.1990; Aktenzeichen 3 Ca 157/90)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. November 1990 – 4 Sa 431/90 – aufgehoben, soweit es den Hilfsantrag des Klägers abgewiesen und über die Kosten entschieden hat.

2. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 20. März 1989 bei der Beklagten als Kranfahrer zu einem Monatslohn von etwa 4.000,– DM brutto beschäftigt. Die Beklagte, die ein Stahlbauunternehmen mit 45 Arbeitnehmern betreibt, hat dem Kläger das Arbeitsverhältnis am 26. Januar 1990 ordentlich zum 9. Februar 1990 aufgekündigt. Die Parteien haben in den Vorinstanzen auch um die soziale Rechtfertigung dieser Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) gestritten, während der Kläger nunmehr nur noch geltend macht, die von der Beklagten eingehaltene Kündigungsfrist von sechs Werktagen sei im Vergleich zu den bei Angestellten einzuhaltenden Fristen verfassungswidrig; sein Arbeitsverhältnis habe daher nur mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende (31. März 1990) aufgekündigt werden können.

Der Kläger hat zuletzt noch beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25. Januar 1990 nicht zum 9. Februar 1990 beendet worden sei.

Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag in den Vorinstanzen geltend gemacht, die Kündigung sei wegen Verkaufs eines von zwei eingesetzten Kränen betriebsbedingt, wobei die soziale Auswahl unter den zwei Kranführern auf den Kläger gefallen sei. Die von ihr eingehaltene Kündigungsfrist von sechs Werktagen sei im Baugewerbe nicht zu beanstanden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Hilfsantrag (Fortdauer des Arbeitsverhältnisses bis 31. März 1990) weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits (§ 565 ZPO), weil der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen zu eventuell vorliegenden sachlichen Differenzierungsgründen für die unterschiedlichen Kündigungsfristenregelungen bei Arbeitern und Angestellten im Baugewerbe noch nicht abschließend über die Länge der Kündigungsfrist entscheiden kann.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung insoweit wie folgt begründet: Die dem Kläger unter Beachtung der Grundsätze der Sozialauswahl betriebsbedingt ausgesprochene Kündigung habe das Arbeitsverhältnis gemäß § 12 BRTV-Bau zum 9. Februar 1990 aufgelöst, denn die von der Beklagten einzuhaltende Kündigungsfrist habe nur sechs Werktage betragen. Das Gericht halte eine Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Baugewerbes für zulässig. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei es nämlich den Tarifvertragsparteien unbenommen, kürzere Kündigungsfristen als die gesetzlichen zu vereinbaren.

II. Dieser zu pauschalen Würdigung kann nicht gefolgt werden, weil das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zu den angeblichen Besonderheiten des Baugewerbes getroffen hat.

1. Die Parteien und mit ihnen das Landesarbeitsgericht gehen von der Geltung des BRTV-Bau für das Arbeitsverhältnis aus. Die Beklagte hat sich ausdrücklich auf die sechstägige Kündigungsfrist für gewerbliche Arbeitnehmer in § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau berufen. Der Kläger hat sich nicht gegen die Geltung dieser Vorschrift gewandt, sondern nur geltend gemacht, sie sei verfassungswidrig im Vergleich zu den für Angestellte im Baugewerbe geltenden Kündigungsfristen. Nach den in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts findet auf das Arbeitsverhältnis der Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung. Da die Beklagte als Stahlbauunternehmen firmiert und nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Baubereich, u. a. auch im Gerüstbau tätig ist und der Kläger als Kranführer auf der Baustelle R eingesetzt war, begegnet die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, es finde der Tarifvertrag für die Arbeiter des Baugewerbes Anwendung, keinen Bedenken (§ 1 Abs. 2 Abschn. I, II und V BRTV-Bau). Auch war der BRTV-Bau vom 3. Februar 1981 in der Fassung vom 22. Dezember 1989 zur Zeit der Kündigung des Klägers allgemein verbindlich, § 5 TVG (Bekanntmachung im Bundesanzeiger Nr. 109, S. 3058 vom 16. Juni 1990).

2. Die für das Arbeitsverhältnis der Parteien maßgebliche Kündigungsfrist ist in § 12 Ziff. 1 BRTV-Bau geregelt. Diese Tarifnorm erfaßt das Arbeitsverhältnis kraft ihrer Allgemeinverbindlichkeit, § 5 Abs. 4 TVG. Sie enthält keine sogenannte neutrale Klausel (vgl. BAGE 35, 185, 189 = AP Nr. 17 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz, zu II 2 b der Gründe; BAGE 49, 28 = AP Nr. 21 zu § 622 BGB und BAG Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB), sondern eine eigenständige tarifliche Regelung, die die Kündigungsfristen für die gewerblichen Arbeitnehmer abweichend von § 622 Abs. 2 BGB regelt, was grundsätzlich nach § 622 Abs. 3 BGB zulässig ist.

a) Die Eigenständigkeit der Grundfristen folgt daraus, daß die Tarifpartner des Baugewerbes seit dem Tarivertrag vom 1. Mai 1971 mit der für gewerbliche Arbeitnehmer auf sechs Werktage – früher drei Werktage (§ 2 Abs. 2 BRTV-Bau vom 31. März 1965) – festgelegten Frist offensichtlich bewußt von der laut Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) für verfassungswidrig erklärten Frist von zwei Wochen in § 622 Abs. 2 BGB abgewichen sind, während sie im RTV für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes sowie im RTV für Poliere und Schachtmeister jeweils auf die für Angestellte geltenden gesetzlichen Kündigungsfristen verwiesen haben. Dagegen kann das Arbeitsverhältnis der gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes nach § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau beiderseitig unter Einhaltung einer Frist von sechs Werktagen, nach zwölfmonatiger Dauer von zwölf Werktagen gekündigt werden. Innerhalb der ersten drei Arbeitstage soll es sogar zum Schluß des Arbeitstages kündbar sein. Die für verfassungswidrig erklärte Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB regelt dagegen in den ersten fünf Jahren des Arbeitsverhältnisses einheitlich die Grundkündigungsfrist mit zwei Wochen.

b) Der Senat hat bisher lediglich für die verlängerten Fristen bei langjähriger Betriebszugehörigkeit in § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau entschieden, hierbei handele es sich wegen der Anlehnung an § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB um eine deklaratorische Verweisung, also keine eigenständige tarifliche Regelung (Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP, aaO; siehe neuerdings auch BAG Beschluß vom 21. März 1991 – 2 AZR 296/87 (B) – zur Veröffentlichung bestimmt).

Damit ist nichts dazu gesagt, was hinsichtlich der Grundfristen in dem selbständig geregelten abtrennbaren Teil der Fristenregelung des § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau zu gelten hat. Insoweit haben die Tarifpartner des Baugewerbes eine vom Gesetz abweichende Regelung getroffen (ebenso Blumensaat/Sperner/Unkelbach/Weimer, Kommentar zum BRTV-Bau, 4. Aufl., § 12 Anm. 2; Karthaus/Müller, BRTV-Bau, 2. Aufl., Anm. zu § 12), was nach § 622 Abs. 3 BGB grundsätzlich zulässig ist. Der Vorrang tariflicher Regelungen ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 622 Abs. 3 BGB aus Zweckmäßigkeitserwägungen anerkannt worden (BT-Drucks. IV/3913, S. 10; siehe auch KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 622 Rz 119; Richardi, ZfA 1971, 86). Der Gesetzgeber hat sich dabei nach den vorliegenden Gesetzesmaterialien von der Erwägung leiten lassen, die gesetzliche Fristenregelung könne für gewisse Bereiche, z. B. für die Bauwirtschaft, zu starr sein; er hat das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer bei tariflichen Regelungen als hinreichend gewahrt angesehen, weil die Tarifpraxis lehre, daß kürzere Fristen nur vereinbart würden, wenn die Besonderheiten des Wirtschaftszweiges oder der Beschäftigungsart das notwendig machten.

c) Hieran knüpft offenbar das Landesarbeitsgericht mit seiner knappen Bemerkung an, die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angstellten sei „mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Baugewerbes” zulässig.

Die Revision rügt zu Recht, es fehle für diese Annahme eine nähere Begründung; es sei nicht einzusehen, warum sogar noch die Unterschreitung der gesetzlichen Kündigungsfrist des Arbeiters im Vergleich zum Angestellten zulässig sei; ein sachlicher Grund sei hierfür nicht ersichtlich, so daß Art. 3 GG verletzt sei. Tatsächliche Feststellungen, welche Besonderheiten im Baugewerbe die unterschiedlichen Grundkündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten rechtfertigen könnten, hat das Landesarbeitsgericht in der Tat nicht getroffen.

d) Wie in einem solchen Fall zu verfahren sei, wenn nämlich die Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten unterschiedlich regelnde, eigenständige Tarifnormen vorliegen, hat der Senat bereits im Urteil vom 21. März 1991 (– 2 AZR 616/90 – zur Veröffentlichung bestimmt) zum niedersächsischen Einzelhandels-Tarifvertrag dargelegt. Mangels ausreichenden Tatsachenvortrages zum Vorliegen sachlicher Differenzierungsgründe und um den Parteien insoweit nicht gänzlich eine Tatsacheninstanz zu nehmen, war in jenem Rechtsstreit ebenfalls eine Zurückverweisung zur Ermittlung von ausreichenden Tatsachen unumgänglich.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger das Vorliegen sachlicher Gründe für die Differenzierung bestritten. Beide Parteien haben mangels Auflage des Berufungsgerichts (§§ 139, 278 ZPO), das sich selbst mit der pauschalen Annahme von „Besonderheiten des Baugewerbes” begnügte, hierzu bisher nicht näher vorgetragen. Wird aber die Verfassungsmäßigkeit einer Tarifnorm, auf die der Arbeitgeber seine Kündigung stützt, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer vergleichbaren Gesetzesnorm und unter Hinweis auf deutlich unterschiedliche Kündigungsfristen bezweifelt, dann muß das Gericht in eine detaillierte Sachprüfung eintreten, wie der Senat in dem erwähnten Urteil ausgeführt hat.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 30. Mai 1990 (– 1 BvL 2/83 u.a. – BVerfGE 82, 126 = AP, aaO) zu Recht darauf hingewiesen, der von tarifvertraglichen Regelungen erfaßte Personenkreis sei nicht mit den von ihm beurteilten Großgruppen von Angestellten und Arbeitern identisch (C I 6 der Gründe), es gebe jedoch Unterscheidungsmerkmale, die – wenn gruppenspezifisch – ungleiche Fristen an sich rechtfertigen könnten (C I 4 der Gründe); dazu seien etwa besondere Umstände aus Anlaß von Stellensuche und Arbeitslosigkeit (C I 4 f der Gründe), im Hinblick auf eine Verteuerung der Sozialpläne (C I 4 g der Gründe) sowie eine etwa notwendige Flexibilität im produktiven Bereich (C I 4 h der Gründe) zu zählen. Insofern wäre die Prüfung nicht nur auf die Grundfristen, sondern auch auf die verlängerten Kündigungsfristen zu erstrecken (vgl. ebenso BVerfGE 82, 126 = AP, aaO, zu C I 3 der Gründe), wobei es u. a. auch eine Rolle spielen könnte, ob die Arbeitsvertragspartner bei Angestellten in der Praxis häufig oder überwiegend von der Möglichkeit der Verkürzung der Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende Gebrauch machen. Auch das Bundesverfassungsgericht hält es für erheblich (zu C I 3), ob mit Hilfe einer, etwa in der Praxis bevorzugten Verkürzung der Kündigungsfrist von Angestellten auf einen Monat zum Monatsschluß vielleicht eine Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten erfolgt. Schließlich könnte die beiderseitige Bindung an Kündigungsfristen ebenso von Bedeutung sein (aaO, zu C I 3 am Ende), wie die Frage, ob nur eine relativ kleine Gruppe bei eventuell nicht so intensivem Gleichheitsverstoß benachteiligt würde (vgl. dazu BVerfGE 26, 265, 275 und 71, 39, 50). Schließlich werden durch diese Aufzählung andere sachliche Differenzierungsgründe nicht ausgeschlossen. Zu allen diesen Gesichtspunkten gibt es bisher keine Äusserungen der Parteien und Feststellungen des Gerichts.

bb) Auf den entsprechenden Sachvortrag der Parteien wird das Landesarbeitsgericht – ggf. unter Einholung von Auskünften und/oder der Verwendung einschlägiger Mitteilungen der Tarifpartner (vgl. z. B. Schröer in Baugewerbe Nr. 5/91, S. 39 f.) – alsdann einzugehen haben. Dabei wäre zu beachten, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Tarifvertragsparteien den Grundrechten der Normunterworfenen einerseits keine engeren Grenzen ziehen dürfen, als dies dem Gesetzgeber erlaubt ist (seit BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG Urteil vom 6. Februar 1985 – 4 AZR 370/83 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung, m. w. N.; Buchner, AR-Blattei – D – Tarifvertrag V, Inhalt, A IV 2; Wiedemann/ Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einl. Rz 62, 64). Weitergehende Eingriffsbefugnisse können insbesondere nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet werden; allerdings muß es den Tarifparteien wegen der durch die Verfassung garantierten Tarifautonomie überlassen bleiben, in eigener Verantwortung unter Umständen Zugeständnisse in einer Hinsicht mit Vorteilen in anderer Hinsicht auszugleichen (BAGE 11, 217, 219 = AP Nr. 3 zu § 10 UrlaubsG Hamburg, zu I 1 der Gründe; BAGE 28, 14, 18 f. = AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 2 der Gründe; BAGE 38, 118 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Die Norm des Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Koalitionen vor staatlichen Eingriffen und gegenüber Dritten. Es ist daher verfehlt, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuwägen und dem aus Art. 9 Abs. 3 GG das größere Gewicht zu verleihen (anderer Ansicht Bengelsdorff, NZA 1991, 121, 130). Zwar spricht bei allgemeinen tariflichen Regelungen die Vermutung für einen sachgerechten Interessenausgleich. Das gilt aber für die Frage der sachgerechten Differenzierung von Kündigungsfristen der Arbeitnehmer nur eingeschränkt (vgl. dazu BVerfGE 82, 126, 149 = AP, aaO, zu C I 4 c; Senatsurteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 616/90 –, aaO; siehe auch Kern, NZA 1991, 56, 57). Von Bedeutung könnte insoweit sein, ob sich die Tarifpartner weitgehend an der gesetzlichen Lage orientiert haben oder ob konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Mehrzahl der unter den jeweiligen Tarifvertrag fallenden Arbeiter längere Kündigungsfristen nicht anstrebt; allerdings soll es laut dem Budesverfassungsgericht auf die Auffassung bzw. Wertung der beteiligten Berufskreise nicht entscheidend ankommen. Erheblich wären aber unbestritten vorliegende tatsächliche Umstände, z. B. ein von beiden Tarifpartnern des Baugewerbes geäußertes Bedürfnis nach kürzeren Grundkündigungsfristen wegen einer im Baugewerbe evtl. erwünschten Flexibilität. Auch könnten Nachteile bei den Grundfristen evtl. durch andere den Bestandschutz fördernde tarifliche Regelungen, z. B. durch die Anrechnung von Beschäftigungszeiten in verschiedenen Baubetrieben für Kündigungsfristen, Urlaubsansprüche, Lohnausgleich zwischen Weihnachten und Neujahr, Winterausgleichszahlung etc. – siehe etwa die Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes – im Sinne der vorerwähnten Rechtsprechung aufgewogen sein.

cc) Wenn die vorliegende tarifliche Klausel wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nichtig sein sollte, dann wäre die unbewußte Regelungslücke von den Gerichten durch ergänzende Auslegung zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifpartner ergeben, welche Entscheidung sie getroffen hätten, wenn ihnen die Nichtigkeit bekannt gewesen wäre (BAGE 1, 258, 271 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAGE 49, 28 = AP Nr. 21 zu § 622 BGB). Das setzt aber voraus, daß ausreichende Umstände für eine bestimmte Ergänzungsregelung sprechen oder diese nach objektiver Betrachtung zwingend geboten ist (BAGE 36, 218, 225 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; Senatsurteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A) – zur Veröffentlichung bestimmt). Der abschließenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann und soll insoweit nicht vorgegriffen werden.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Bitter, Dr. Rost, Timpe, Strümper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI915997

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