Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnausfallprinzip bei Überstundenvergütung

 

Leitsatz (redaktionell)

Überstunden, die ein Wahlvorstandsmitglied ohne seine Betätigung im Wahlvorstand geleistet hätte, sind ihm auch dann gemäß § 24 Abs 2 Satz 2 BPersVG zu vergüten, wenn es sich dabei nicht um regelmäßig anfallende Überstunden handelt.

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 2; BPersVG § 46 Abs. 2, § 24 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 01.06.1987; Aktenzeichen 11 Sa 297/87)

ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 23.01.1987; Aktenzeichen 2 Ca 569/86)

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1968 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Arbeiter des Bundes II (MTB II) Anwendung. Der Kläger ist Mitglied der Personalvertretung und wurde Anfang 1985 zur Vorbereitung der Personalratswahlen als Wahlvorstandsmitglied für die Zeit vom 1. April 1985 bis 15. Mai 1985 von der Arbeit freigestellt. Während dieser Freistellung leistete er als Wahlvorstandsmitglied am 10. Mai 1985 sechs Überstunden, die durch Freizeit ausgeglichen wurden.

In der Zeit vom 15. April bis 1. Mai 1985 nahm das Werkstattschiff "W", auf dem der Kläger normalerweise als Schweißer eingesetzt war, an einem Manöver teil; der Kläger fuhr wegen seiner Freistellung nicht mit. Der Kollege We des Klägers, der ebenfalls auf der "W" als Schweißer eingesetzt war, leistete in diesem Zeitraum 146,5 Überstunden.

Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten, auch ihm 146,5 Überstunden zu bezahlen; auf der Grundlage des (unstreitigen) Stundensatzes von 13,67 DM brutto ergebe dies 2.002,66 DM brutto. Er hat behauptet, er hätte diese Überstundenvergütung erzielt, wenn er nicht als Wahlvorstand tätig geworden wäre. Denn dann hätte er an der Manöverfahrt teilgenommen und ebenfalls 146,5 Überstunden geleistet. Seinem Kollegen We, der die gleiche Tätigkeit wie er verrichte und auch den übrigen auf der "W" eingesetzten Schweißern, die ebenfalls 146,5 Überstunden geleistet hätten, seien die Überstunden vergütet worden; ein Freizeitausgleich sei nicht erfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.002,66 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im wesentlichen die Auffassung vertreten, der Lohn für infolge der Freistellung tatsächlich nicht geleistete Überstunden gehöre nur dann zum gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG fortzuzahlenden Arbeitsentgelt, wenn er "Lohnbestandteil" geworden sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn er zum Monatsregellohn im Sinne des § 21 Abs. 4 MTB II gehöre. Voraussetzung hierfür sei, daß die Mehrarbeit regelmäßig anfalle. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben, da Manöverfahrten völlig unregelmäßig anfielen. Auch nach dem Zweck des Lohnausfallprinzips, den Lebensstandard des betroffenen Arbeitnehmers zu sichern, sei nur die Einbeziehung regelmäßig anfallender, nicht aber außergewöhnlicher Überstundenvergütungen geboten.

Die Beklagte hat bestritten, daß der Kläger während der Manöverfahrt 146,5 Überstunden geleistet hätte, wenn er nicht wegen seiner Wahlvorstandstätigkeiten freigestellt worden wäre. Denn weil der Kläger dann mitgearbeitet hätte, wären 49 Überstunden weniger angefallen. Außerdem müsse sich der Kläger die sechs Überstunden abziehen lassen, die er in seiner Eigenschaft als Wahlvorstandsmitglied am 10. Mai 1985 geleistet habe und die durch Freizeit ausgeglichen worden seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung der Berufung im übrigen die Beklagte zur Zahlung von 1.332,82 DM (146,5 minus 49 = 97,5 Stunden x 13,67 DM) brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag verurteilt.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet, denn das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis und in den wesentlichen Teilen seiner Begründung richtig.

I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß für den Klageanspruch das Lohnausfallprinzip maßgebend ist, das dem hier einschlägigen § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG in gleicher Weise wie etwa dem § 46 Abs. 2 BPersVG bzw. dem § 37 Abs. 2 BetrVG zugrundeliegt. In diesem Zusammenhang unrichtig - im Ergebnis aber unschädlich - ist lediglich die Bezugnahme des Landesarbeitsgerichts auf § 32 Abs. 2 MTB II. Denn abgesehen davon, daß diese Vorschrift keine von § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG abweichende Regelung enthält, wäre es den Tarifvertragsparteien schon wegen des Begünstigungs- und Benachteiligungsverbots des § 8 BPersVG und insbesondere wegen Fehlens einer Tariföffnungsklausel verwehrt, eine vom gesetzlichen Lohnausfallprinzip abweichende Regelung zu schaffen (vgl. hierzu z.B. Senatsurteil vom 10. Februar 1988 - 7 AZR 36/87 - zur Veröffentlichung bestimmt, zu III der Gründe).

Nach dem gesetzlichen Lohnausfallprinzip des hier einschlägigen § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG hat notwendige Versäumnis von Arbeitszeit infolge der Betätigung im Wahlvorstand keine Minderung des Arbeitsentgelts zur Folge. Maßgeblich ist mithin allein eine hypothetische Betrachtung, was der Arbeitnehmer ohne seine Freistellung verdient hätte (vgl. z.B. Wiese, GK-BetrVG, § 37 Rz 46). Der Kläger hat mithin Anspruch auf das Arbeitsentgelt, das er erhalten hätte, wenn er nicht wegen seiner Tätigkeit im Wahlvorstand an seiner Arbeitsleistung gehindert gewesen wäre.

II. Zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG (bzw. vergleichbar § 46 Abs. 2 BPersVG, § 37 Abs. 2 BetrVG), das infolge der Freistellung nicht gemindert werden darf, gehören auch Überstundenvergütungen, die der Arbeitnehmer ohne seine Freistellung erzielt hätte. Unerheblich ist, ob diese Überstundenvergütungen regelmäßig anfallen, denn auch nicht regelmäßig anfallende Überstundenvergütungen sind Arbeitsentgelt. Für die von der Beklagten vertretene Einschränkung, das Lohnausfallprinzip greife nur bei Überstunden ein, die in irgendeiner Weise "regelmäßig" anfielen, fehlt jede rechtliche Grundlage.

Der Wortlaut des § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG enthält - anders als etwa der von der Revision herangezogene § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG - eine derartige Einschränkung nicht. Aus diesem Grunde sind auch die von der Revision angezogenen Entscheidungen sämtlich nicht einschlägig, denn sie befassen sich ausschließlich mit Vorschriften, die wie z.B. § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG nur die Fortzahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts vorsehen.

Auch vom Zweck des § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG wird die von der Beklagten vertretene Einschränkung nicht gedeckt; insbesondere bezweckt das dieser Vorschrift zugrunde liegende Lohnfortzahlungsprinzip entgegen der Ansicht der Beklagten nicht lediglich die Aufrechterhaltung eines bestimmten Lebensstandards. Es mag dahinstehen, ob ein derartiger Gesetzeszweck anderen Lohnausfallbestimmungen zugrunde liegt, die - wie der von der Beklagten herangezogene § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG - lediglich die Fortzahlung des dem Arbeitnehmer für seine "regelmäßige Arbeitszeit" zustehenden Arbeitsentgelts vorsehen. Denn die gesetzlichen Lohnfortzahlungsbestimmungen des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechts verfolgen erkennbar jedenfalls auch den Zweck, die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Übernahme betriebsverfassungsrechtlicher bzw. personalvertretungsrechtlicher Ämter zu fördern, indem dem Arbeitnehmer die Befürchtung abgenommen wird, er könne infolge der Amtsübernahme eine Einkommenseinbuße erleiden. Dieser Gesetzeszweck erfordert, daß der freigestellte Arbeitnehmer sämtliche und damit auch nicht regelmäßig anfallende Vergütungsbestandteile erhält, sofern er sie ohne seine Freistellung erhalten hätte.

Der bei der Beklagten anscheinend entstandene Eindruck, auch die Rechtsprechung halte bei der Anwendung des gesetzlichen Lohnausfallprinzips gelegentlich nur solches Arbeitsentgelt für fortzahlungspflichtig, das der Arbeitnehmer bereits bisher regelmäßig erzielt hat bzw. das auch andere vergleichbare Arbeitnehmer erzielen (vgl. z.B. BAGE 4, 192 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG oder auch etwa BAGE 48, 76 = AP Nr. 3 zu § 46 BPersVG), beruht auf nicht hinreichender Trennung von Rechts- und Tatfragen. Rechtlich kommt es allein darauf an, was der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn er nicht freigestellt gewesen wäre. Dazu bedarf es jedoch tatsächlicher Feststellungen über die hypothetische Sachlage, die ohne die Freistellung des Arbeitnehmers bestanden hätte, also z.B., ob der Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden herangezogen worden wäre, ob diese Überstunden bezahlt oder durch Freizeit ausgeglichen worden wären usw. Diese tatsächlichen Feststellungen sind, eben weil es sich um die Feststellung eines hypothetischen Sachverhalts handelt, in der Regel schwierig; insbesondere können sie meist nur aufgrund von festgestellten Hilfstatsachen, die einen indiziellen Schluß auf einen bestimmten Geschehensablauf zulassen, in Verbindung mit Erfahrungsregeln getroffen werden. Derartige Hilfstatsachen können z.B. sein, daß der Arbeitnehmer bestimmte Überstunden bisher regelmäßig geleistet hatte, daß mit ihm vergleichbare Arbeitnehmer diese Überstunden tatsächlich leisten, daß diese Überstunden nicht durch Freizeit ausgeglichen wurden usw. Damit werden diese Hilfstatsachen aber nicht zu rechtlichen Einschränkungen des Lohnausfallprinzips; für dieses bleibt allein die "Hauptfeststellung" maßgebend, daß der Arbeitnehmer ohne seine Freistellung eine bestimmte Überstundenvergütung erzielt hätte. Hat das Landesarbeitsgericht - wie im Entscheidungsfalle - diese Hauptfeststellung getroffen, so kann allenfalls im Wege einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden, das Landesarbeitsgericht sei zu dieser Feststellung auf rechtsfehlerhaftem Wege, insbesondere durch Nichtberücksichtigung vorgetragener Hilfstatsachen, gelangt.

III. Im Entscheidungsfalle hätte der Kläger, wenn er an der Manöverfahrt der "W" teilgenommen hätte, nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Überstundenvergütung für 97,5 Überstunden in Höhe von 1.332,82 DM brutto erzielt. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gebunden, da die Beklagte keine Verfahrensrüge erhoben hat.

In Höhe dieses Betrages würde mithin der Kläger infolge seiner Freistellung für die Wahlvorstandstätigkeit ohne die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG eine Lohneinbuße erleiden. Gerade diese Lohneinbuße will - wie dargestellt - die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 BPersVG vermeiden, so daß das Landesarbeitsgericht dem Klageanspruch in dieser Höhe zu Recht stattgegeben hat.

Dr. Seidensticker Schliemann Dr. Steckhan

Neumann Prof. Dr. Knapp

 

Fundstellen

AiB 1989, 164-164 (LT1)

RdA 1989, 128

ZTR 1989, 162-163 (LT1)

AP § 24 BPersVG (LT1), Nr 1

AR-Blattei, Personalvertretung VII Entsch 14 (LT1)

EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 97 (LT1)

PersR 1989, 51-52 (LT1)

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