Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs 7 BetrVG kurz vor Ablauf der Amtsperiode

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei seinem Beschluß über die Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer als geeignet anerkannten Schulungsveranstaltung kurz vor Ablauf der Amtsperiode hat der Betriebsrat auch zu prüfen, ob das Betriebsratsmitglied die auf der Schulung vermittelten Kenntnisse noch während seiner Amtszeit in die Betriebsratsarbeit einbringen kann (im Anschluß an das Senatsurteil vom 9. September 1992 - 7 AZR 492/91 = AP Nr 86 zu § 37 BetrVG 1972).

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 6 S. 2, Abs. 7 Sätze 1, 3

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 25.10.1995; Aktenzeichen 7 Sa 431/95)

ArbG Kempten (Entscheidung vom 08.12.1994; Aktenzeichen 2 Ca 1880/94 Kf)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Arbeitsentgelt für 3 Tage, an denen die Klägerin an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 7 BetrVG teilgenommen hat.

In dem Betrieb der Beklagten sind ca. 650 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Klägerin ist dort seit mehreren Wahlperioden Betriebsratsmitglied und langjährige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Ihre letzte reguläre Amtszeit endete am 17. Mai 1994. Anschließend wurde sie erneut in den Betriebsrat gewählt.

In der Zeit vom 19. bis zum 21. April 1994 nahm die Klägerin auf Beschluß des Betriebsrats an einer als geeignet anerkannten Schulungsveranstaltung zu Eingruppierungsfragen teil. Zuvor hatte die Beklagte der Beschlußfassung des Betriebsrats unter Hinweis auf den bevorstehenden Ablauf der Wahlperiode widersprochen. Aus diesem Grund lehnte sie auch die Fortzahlung der Arbeitsvergütung in Höhe von 500,71 DM brutto für die Zeit des Schulungsbesuchs ab.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Lohnfortzahlung auch dann verpflichtet, wenn eine als geeignet anerkannte Schulungsveranstaltung gegen Ende der Wahlperiode besucht werde. Erwägungen zur Nützlichkeit oder gar Erforderlichkeit des auf der Schulung vermittelten Wissens seien nicht anzustellen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag

in Höhe von 500,71 DM nebst 4 % Zinsen hieraus

seit dem 1. Mai 1994 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihrer Ansicht nach habe die Klägerin angesichts des bevorstehenden Ablaufs ihrer Amtszeit konkret darlegen müssen, daß die vermittelten Kenntnisse einen Bezug zur Betriebsratstätigkeit hätten. Darüber hinaus verfüge die Klägerin auch als Mitglied der betrieblichen Tarifkommission zu Eingruppierungsfragen über ausreichende Kenntnisse.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die zugelassene Berufung hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt in Höhe von 500,71 DM brutto nach § 64 BGB in Verb. mit § 37 Abs. 7 Satz 1 BetrVG zu.

1. Nach § 37 Abs. 7 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied während seiner regelmäßigen Amtsperiode Anspruch auf bezahlte Freistellung für insgesamt drei Wochen für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der jeweils zuständigen obersten Arbeitsbehörde eines Landes als geeignet anerkannt sind. Diese Voraussetzungen sind zu Gunsten der Klägerin erfüllt, weil sie als Betriebsratsmitglied vor Besuch einer als geeignet anerkannten Schulungsveranstaltung zu Eingruppierungsfragen ihren Freistellungsanspruch noch nicht verbraucht hatte.

2. Bei dem Freistellungsanspruch nach § 37 Abs. 7 Satz 1 BetrVG und dem während der Freistellung fortbestehenden Vergütungsanspruch handelt es sich um individuelle Ansprüche des Betriebsratsmitglieds (BAG Beschluß vom 6. November 1973, BAGE 25, 348, 353 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe). Sie richten sich gegen den Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung. Die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs setzt jedoch die zeitliche Festlegung durch einen ordnungsgemäß zustande gekommenen und wirksamen Beschluß des Betriebsrats voraus (§ 37 Abs. 7 Satz 3 BetrVG). Diesen Beschluß hat der Betriebsrat nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (BAG Urteil vom 9. September 1992 - 7 AZR 492/91 - AP Nr. 86 zu § 37 BetrVG 1972). Dabei hat er grundsätzlich die Auswahl einer als geeignet anerkannten Veranstaltung durch das jeweilige Betriebsratsmitglied zu respektieren (Wiese, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 37 Rz 228). Er ist gehalten, bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Schulungsteilnahme betriebliche Notwendigkeiten zu berücksichtigen (BAG Beschluß vom 9. September 1992, aa0).

3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist der Beschluß des Betriebsrats nicht zu beanstanden, nach dem die Klägerin etwas mehr als drei Wochen vor Ablauf ihrer Amtsperiode eine als geeignet anerkannte Schulungsveranstaltung zu Eingruppierungsfragen besuchen sollte.

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Betriebsrat müsse bei der Festlegung der zeitlichen Lage einer Schulungsveranstaltung dafür Sorge tragen, daß die in der Schulung vermittelten Kenntnisse in optimaler Weise in die Betriebsratsarbeit einfließen könnten. Damit hat es von dem Betriebsrat eine Prüfung abverlangt, wie sie im Rahmen einer Beschlußfassung nach § 37 Abs. 6 BetrVG für den Besuch erforderlicher Schulungsveranstaltungen anzustellen ist. § 37 Abs. 7 BetrVG gewährt den Freistellungsanspruch für den Besuch einer Schulungsveranstaltung jedoch schon dann, wenn die dort vermittelten Kenntnisse allgemein der Betriebsratsarbeit nützlich und förderlich sind. Dieser Bildungsanspruch besteht ohne Rücksicht auf den Wissensstand des jeweiligen Betriebsratsmitglieds, weshalb es auch nicht auf das bei der Klägerin vorhandene Erfahrungswissen aufgrund langjähriger Betriebsratsarbeit und ihrer Tätigkeit in der Tarifkommission ankommen kann.

b) Ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift keine Beschränkungen, bis zu welchem Zeitpunkt der dreiwöchige Freistellungsanspruch innerhalb einer Amtsperiode in Anspruch zu nehmen ist. Danach könnte die Schulungsteilnahme auch am Schluß einer Amtsperiode liegen und mit ihr enden. Das hätte zur Folge, daß die auf dieser Schulung vermittelten Kenntnisse der Betriebsratsarbeit nicht mehr zugute kommen können. Das ist mit dem Zweck der Vorschrift unvereinbar. Der Anspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG soll das Betriebsratsmitglied in die Lage versetzen, seine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben besser erfüllen zu können. Auf diese Weise kommen die dort erworbenen Kenntnisse letztlich auch dem Betrieb zugute. Das rechtfertigt es, den Arbeitgeber mit den Kosten der Lohnfortzahlung für die Schulungsteilnahme zu belasten (vgl. BVerfGE 77, 308, 334). Aus diesem Grund hat der Betriebsrat bei seinem Beschluß über die zeitliche Festlegung auch zu prüfen, ob das Betriebsratsmitglied die zu erwartenden Kenntnisse überhaupt noch in die Betriebsratsarbeit einbringen kann. Das ist ausgeschlossen, wenn die Amtszeit des Betriebsrats am letzten Tag der Schulung endet. Das gilt auch, wenn zwischen beiden Ereignissen nur wenige Tage liegen und die Kürze dieser Zeitspanne eine Verwertbarkeit der Schulungskenntnisse für die Betriebsratsarbeit praktisch ausschließt (BAG Beschluß vom 9. September 1992, aa0).

c) Davon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Die zwischen Veranstaltungsende und Ablauf der Amtsperiode liegende Zeitspanne von mehr als drei Wochen schließt es nicht von vornherein aus, das auf der Schulung vermittelte Wissen zu Eingruppierungsfragen noch während der Amtszeit zu nutzen. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin aus persönlichen oder betrieblichen Gründen während dieser Zeit keine Betriebsratsarbeit zu verrichten hatte, stellen sich nach dem Vorbringen der Parteien nicht. Daher brauchte die Klägerin auch nicht vorzutragen, in welcher Weise sie die erworbenen Kenntnisse während der verbleibenden Amtszeit noch verwerten konnte.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dörner Steckhan Schmidt

Johannsen Seiler

 

Fundstellen

Haufe-Index 441474

DB 1997, 283 (Leitsatz 1 und Gründe)

BuW 1997, 79 (Gründe)

AiB 1997, 230 (Leitsatz 1 und Gründe, red. Leitsatz 2)

EzB BetrVG § 37, Nr 179 (Leitsatz 1 und Gründe)

NZA 1997, 169

NZA 1997, 169 (Leitsatz 1 und Gründe)

Quelle 1997, Nr 3, 24 (Leitsatz 1)

RdA 1997, 63 (Leitsatz 1)

AP § 37 BetrVG 1972 (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 117

AR-Blattei, ES 530.8.1 Nr 77 (Leitsatz 1 und Gründe)

ArbuR 1997, 32 (Leitsatz 1)

AuA 1997, 353 (Leitsatz 1)

EzA-SD 1996, Nr 24, 15 (Leitsatz 1)

EzA § 37 BetrAVG 1972, Nr 132 (Leitsatz 1 und Gründe)

ZBVR 1997, 4 (Leitsatz 1)

ZBVR 1997, 4 (Leitsatz)

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