Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverfallbarkeit bei Rückwirkung einer Versorgungszusage

 

Leitsatz (redaktionell)

Rückdatierung der Wirkung einer vertraglichen Versorgungszusage vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes

 

Normenkette

BetrAVG § 1; BGB §§ 133, 157, 139, 242

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 22.11.1983; Aktenzeichen 3 Sa 609/83)

ArbG Kempten (Urteil vom 14.07.1983; Aktenzeichen 3 Ca 3715/82)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 22. November 1983 – 3 Sa 609/83 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Versorgungsanwartschaft des Klägers unverfallbar ist.

Der im Jahre 1937 geborene Kläger war vom 1. Juli 1969 bis zum 31. Dezember 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Unter dem Datum des 8. Januar 1970 unterzeichnete ein Bevollmächtigter der Beklagten eine Vereinbarung mit dem Kläger über ein betriebliches Ruhegeld. Eingangs heißt es darin, die Vereinbarung werde „mit Wirkung vom 1. Januar 1970” geschlossen. Die Urkunde wurde dem Kläger, der sich auf Dienstreisen befand, im März 1970 ausgehändigt und von diesem am 26. März 1970 unterzeichnet. Der Vertrag sah ein monatliches Ruhegeld von 800,– DM nach 25 Dienstjahren vor. Ferner war darin bestimmt, daß der Ruhegeldanspruch entfalle, wenn der Mitarbeiter vor dem Einsetzen der Ruhegeldleistung, d. h. vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder vorzeitiger Berufsunfähigkeit, ausscheide. Durch einen Änderungsvertrag vom 1. April 1976 wurde das monatliche Ruhegeld von 800,– DM auf 1.500,– DM erhöht. Weiter heißt es in diesem Nachtrag: „Im übrigen gelten die seitherigen Bestimmungen unverändert weiter”.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine Anwartschaft sei zur Zeit seines Ausscheidens bereits unverfallbar gewesen. Maßgebend für den Lauf der 10-jährigen Zusagefrist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) sei das Datum des Inkrafttretens des Versorgungsvertrags und nicht das der Aushändigung der Urkunde. Er hat beantragt

festzustellen, daß die ihm zustehende Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung nach der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung mit Datum vom 8. Januar 1970 unverfallbar sei.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, für die Frage der Unverfallbarkeit komme es auf den Zugang der Versorgungszusage an. Sie habe nicht beabsichtigt, mit dem rückwirkenden Inkrafttreten der Versorgungszusage die Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft vorzuverlegen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zu.

I. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BetrAVG behält ein Arbeitnehmer seine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung, wenn er beim Ausscheiden mindestens 35 Jahre alt ist und die Versorgungszusage zehn Jahre bestanden hat. Im Streitfall sind die Voraussetzungen der zehnjährigen Betriebszugehörigkeit und das Erreichen des Mindestalters beim Ausscheiden nicht zweifelhaft. Zu klären bleibt allein, ob der Kläger die nach dem Betriebsrentengesetz erforderliche zehnjährige Zusagedauer erreicht hat.

II.1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Versorgungszusage habe genau zehn Jahre bestanden, weil sie mit Wirkung vom 1. Januar 1970 erteilt wurde und das Arbeitsverhältnis mit dem 31. Dezember 1979 endete. Es hat zur Begründung auf den zwingenden Charakter des § 1 BetrAVG sowie die Rechtsprechung des Senats zum gesetzlichen Insolvenzschutz verwiesen. Dem ist im Ergebnis zu folgen. Jedoch ist klarzustellen, daß es dem Kläger nicht um den gesetzlichen Insolvenzschutz einer nach § 1 BetrAVG unverfallbaren Anwartschaft geht; er will lediglich festgestellt haben, daß seine Anwartschaft trotz vorzeitigen Ausscheidens nicht erloschen ist, sein früherer Arbeitgeber also verpflichtet bleibt, ihm beim Eintritt eines Versorgungsfalles eine Betriebsrente zu zahlen. Dafür genügt es, daß die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist vertraglich abgekürzt wurde. Das ist im vorliegenden Fall geschehen.

2.a) Nach der Vereinbarung der Parteien vom 8. Januar 1970 war die Anwartschaft verfallbar. Aus ihr sollten Versorgungsansprüche nur erwachsen, wenn der Kläger in den Diensten der Beklagten das 65. Lebensjahr vollendete oder vorzeitig berufsunfähig wurde. Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Aber am 22. Dezember 1974 trat das Betriebsrentengesetz in Kraft, das die Unverfallbarkeit nach bestimmten Fristen vorschreibt und dabei auf den Zeitpunkt der Zusage abstellt. Damit änderte sich auch die Bedeutung des Vertrages zugunsten des Klägers. Seine Anwartschaft wurde mit Ablauf des 31. Dezember 1979 unverfallbar.

b) Die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung ist eine Willenserklärung, die gemäß § 130 Abs. 1 BGB mit ihrem Zugang wirksam wird. Da dem Kläger der Versorgungsvertrag erst im Monat März 1970 zugegangen ist, konnte er die zehnjährige Zusagedauer nicht erreichen, wenn besondere Absprachen fehlten. § 130 BGB ist jedoch dispositives Recht; die Parteien können über das Wirksamwerden einer Willenserklärung abweichende Vereinbarungen treffen (RGZ 108, 91). Demgemäß kann auch der Zeitpunkt eines Versorgungsversprechens durch rechtsgeschäftliche Einigung vorverlegt werden (Urteil des Senats vom 6. März 1984 – 3 AZR 82/82 – AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG, zu II 1 der Gründe). Ob dies geschehen ist, hängt von der Auslegung des Vertrages ab.

Die Vereinbarung eines zurückliegenden Datums für das Inkrafttreten eines Versorgungsvertrages kann verschiedene Bedeutungen haben. Die Laufzeit des Vertrages ist in der betrieblichen Altersversorgung nicht nur bei der Unverfallbarkeit, sondern auch beim gesetzlichen Insolvenzschutz, bei einer Wartezeit und bei der Berechnung einer erdienten Teilrente (§ 2 BetrAVG) zu beachten. In der Praxis geläufig ist der Fall, daß nach der Zusage Vordienstzeiten angerechnet werden. Für die hieraus erwachsenden vertraglichen Verpflichtungen des Arbeitgebers hat der Senat entsprechende Abreden im Sinne einer gleichzeitigen Vorverlegung des Zusagezeitpunktes verstanden, wenn sich nicht den Umständen ein gegenteiliger Wille entnehmen ließ (BAG 44, 1, 5 = AP Nr. 17 zu § 7 BetrAVG, zu II 2 der Gründe; 31, 45, 49 = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu I 1 der Gründe; Urteil vom 25. Januar 1979 – 3 AZR 1096/77 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG). Darüber hinaus hat der Senat die Auslegungsregel aufgestellt, daß angerechnete Vordienstzeiten im Zweifel nicht nur bei der Berechnung der Betriebsrente, sondern auch bei den Unverfallbarkeitsfristen berücksichtigt werden sollen (BAG 39, 160, 163 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG, zu 1 der Gründe).

Nichts anderes gilt, wenn ein Versorgungsvertrag insgesamt rückwirkend in Kraft gesetzt wird. Demgemäß hat der Senat in seinem Urteil vom 6. März 1984 (BAG 45, 178 = AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG) für rückwirkend in Kraft gesetzte Betriebsvereinbarungen angenommen, daß die Versorgungszusagen im Zweifel zeitlich vorverlegt seien und damit die Unverfallbarkeitsfrist entsprechend abgekürzt werde.

c) Im vorliegenden Rechtsstreit ist zu beachten, daß die Parteien die Rückwirkungsvereinbarung bereits zu einer Zeit getroffen haben, als das Betriebsrentengesetz noch nicht galt, durch das erstmals die Dauer des Bestehens einer Versorgungszusage als ein für die Unverfallbarkeit erhebliches Merkmal bestimmt wurde. Die Parteien mußten zwar nach dem Grundsatzurteil des Senats vom 10. März 1972 (BAG 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) schon im Jahre 1970 damit rechnen, daß die Dauer der Betriebszugehörigkeit zur Unverfallbarkeit führen kann (BAG Urteil vom 25. Januar 1979 – 3 AZR 1096/77 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG), sie konnten jedoch im Jahre 1970 noch nicht davon ausgehen, gleiches gelte für die Dauer der Zusage. So ist es verständlich, daß der Ruhegeldvertrag der Parteien ausdrücklich die uneingeschränkte Verfallbarkeit der Versorgungszusage vorsah, ohne der Zusagedauer Bedeutung beizumessen.

Mit dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes vom 22. Dezember 1974 wurden jedoch die unbeschränkten Verfallklauseln in Versorgungsverträgen teilweise unwirksam. Nunmehr führt eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit bei gleichfalls zehnjähriger Zusagedauer zur Unverfallbarkeit. Damit entstand die Notwendigkeit, abweichende Versorgungsverträge der durch das Betriebsrentengesetz geschaffenen neuen Rechtslage anzupassen. Dies geschieht im allgemeinen mit Hilfe der Regeln des § 139 BGB: Der Versorgungsvertrag gilt ohne die gesetzeswidrige Verfallklausel mit dem zwingenden Inhalt des § 1 BetrAVG fort.

Im vorliegenden Fall ergibt sich ein zusätzliches Auslegungsproblem, weil der Versorgungsvertrag das Zusagedatum zu einer Zeit vorverlegt hat, als die Zusagedauer für die Frage der Unverfallbarkeit noch nicht als erheblich angesehen werden konnte. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte nach Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes ggf. durch einen klarstellenden Zusatz erreichen können, daß die Zusagedauer als Merkmal der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen des § 1 BetrAVG nicht schon am 1. Januar 1970, sondern mit dem tatsächlichen Abschluß des Vertrages beginnen sollte. Die Beklagte hat aber einen solchen Hinweis nicht gegeben, sondern im Falle des Klägers sogar durch den Änderungsvertrag vom 1. April 1976 klargestellt, daß außer der Bestimmung über die Höhe der Betriebsrente (1.500,– DM statt bisher 800,– DM) die ursprüngliche Versorgungszusage wie bisher fortgelten solle. Das bedeutet, daß die neuen Unverfallbarkeitsgrundsätze des Betriebsrentengesetzes keinen Anlaß für eine klarstellende oder ergänzende Formulierung der Versorgungszusage sein sollten. Dann aber kann die Versorgungszusage nur so verstanden werden, daß auch die Zusagedauer entsprechend dem Wortlaut der Versorgungszusage rückwirkend um die Zeit bis zum 1. Januar 1970 abgekürzt werden sollte.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Zieglwalner, Wax

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951783

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