Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung; regelmäßige Arbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Vgl. schon Senat 21. November 2001 – 5 AZR 296/00 – AP EntgeltFG § 4 Nr. 56, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen sowie Senat 26. Juni 2002 – 5 AZR 592/00 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen

 

Normenkette

EFZG § 4

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 31.10.2000; Aktenzeichen 11 Sa 648/00)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 16.02.2000; Aktenzeichen 2 Ca 1877/99)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1971 als Kraftfahrer im Gewerbe- und Industriekundenbereich beschäftigt. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 15. Dezember 1992 finden auf das Arbeitsverhältnis die tariflichen Bestimmungen des Bundes-Manteltarifvertrags zwischen dem Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft e.V. und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (BMTV) Anwendung. Die Arbeitszeit des Klägers unterliegt je nach Auftragslage und Arbeitsanfall Schwankungen. Nach einer Betriebsvereinbarung bei der Beklagten besteht für jeden Mitarbeiter ein Arbeitszeitkonto. Ab der 46. Arbeitsstunde je Woche erfolgt statt einer Bezahlung eine Zeitgutschrift. Der 25 %-ige Zuschlag gem. § 7 Abs. 1 BMTV wird ebenfalls auf dem Arbeitszeitkonto verbucht. Dieses wird automatisch mit der monatlichen Entgeltabrechnung abgebaut, wenn die maximal zu bezahlenden Lohnstunden (9 Stunden je effektiv geleistetem Arbeitstag) nicht geleistet wurden und ein ausreichendes Guthaben vorhanden ist. Bei entsprechender Auftragslage kann während des Monats Freizeitausgleich (“grüne Tage”) gewährt werden, der mit einer Vorlaufzeit von fünf Tagen anzumelden ist. Die finanzielle Abgeltung eines nicht in Anspruch genommenen Zeitguthabens ist nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig. Bezahlte Minusstunden sind zu erstatten.

Im Januar 1999 war der Kläger an sechs Arbeitstagen, im Februar 1999 an zwölf Arbeitstagen, im März 1999 an 20 Arbeitstagen und im April 1999 an 16 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete für diese 54 Tage Entgeltfortzahlung auf der Basis der tariflichen Wochenarbeitszeit von 37 Stunden, also für 7,4 Stunden je Arbeitstag.

Der Kläger hat geltend gemacht, ihm stehe Entgeltfortzahlung im Umfang seiner durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit zu; diese betrage über einen längeren Zeitraum hinweg 9 Stunden/Tag. Mit seiner am 5. Mai 1999 erhobenen und im Juni 1999 erweiterten Klage hat der Kläger die entsprechenden Nachzahlungen begehrt und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.972,32 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf 214,37 DM seit dem 1. Februar 1999, auf weitere 439,49 DM seit dem 1. März 1999, auf weitere 732,48 DM seit dem 1. April 1999 und auf weitere 585,89 DM seit dem 1. Mai 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung sei auf die tarifliche Arbeitszeit abzustellen. Darüber hinaus lägen Überstunden vor, die für die Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen seien. Der Kläger habe nicht regelmäßig neun Stunden/Tag gearbeitet und Überstunden in unregelmäßigen Abständen durch Freizeitausgleich abgefeiert.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem Klageantrag unverändert fest. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

  • Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Der Senat kann die für die Entgeltfortzahlung maßgebliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Klägers mangels ausreichender Feststellungen nicht selbst abschließend beurteilen.

    • Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet für den Streitzeitraum kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BMTV vom 16. September 1996, gültig ab 1. September 1996, Anwendung. Nach dessen § 10 Abs. 1 gelten bei Arbeitsunfähigkeit im Falle der Krankheit die gesetzlichen Regelungen über die Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfalle. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne daß ihn ein Verschulden trifft. Der Kläger war zwar insgesamt mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank. Die Parteien streiten aber nicht über den Grund des Anspruchs, etwa über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung, sondern allein über die Höhe der arbeitstäglichen Zahlung. Die Beklagte hat für den gesamten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeiten Entgeltfortzahlung geleistet.
    • Nach § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen.

      • § 4 Abs. 1 EFZG legt der Entgeltfortzahlung ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde. Maßgebend ist allein die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers. Es kommt darauf an, welche Arbeitszeit auf Grund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit ist zur Bestimmung der “regelmäßigen” Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten (Gesetzesbegründung BT-Drucks. 12/5263 S 13; Kasseler Handbuch/Vossen 2. Aufl. 2.2. Rn. 366 f.; Schmitt EFZG 4. Aufl. § 4 Rn. 18 ff.; Hold in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge 5. Aufl. § 4 EFZG Rn. 8, 54 f., 56 ff.; Marienhagen/Künzl EFZG Stand Mai 2000 § 4 Rn. 2 f.; MünchArbR/Boecken 2. Aufl. Bd. 1 § 84 Rn. 8f., 32 ff.; Feichtinger AR-Blattei SD Krankheit III Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Rn. 277 ff.; zum Lohnausfallprinzip bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit allgemein BAG 6. Dezember 1995 – 5 AZR 237/94BAGE 81, 357, 361).
      • Die individuelle Arbeitszeit folgt in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag. Auf die allgemein im Betrieb geltende Arbeitszeit kommt es nicht entscheidend an, wie sich aus den Worten “bei der für ihn maßgebenden … Arbeitszeit” ergibt. Auch die kraft Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung im Betrieb geltende Arbeitszeit kann von der individuellen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach oben oder nach unten abweichen. Grundlage hierfür kann eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung oder etwa eine betriebliche Übung sein (vgl. nur Vossen aaO; ErfK/Dörner 2. Aufl. § 4 EFZG Rn. 9; Müller/Berenz EFZG 3. Aufl. § 4 Rn. 4 ff.; Schmitt aaO § 4 Rn. 22; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 20 ff.; Feichtinger aaO Rn. 280 ff.; Brecht Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall 2. Aufl. § 4 EFZG Rn. 6). Eine wirksame Vereinbarung über die Arbeitszeit ist nicht erforderlich. Das Gesetz stellt dem Grundsatz nach entscheidend darauf ab, welche Arbeitsleistung tatsächlich ausgefallen ist. Es kommt darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre. Etwaige gesetzliche oder tarifliche Höchstarbeitszeiten dienen dem Schutz des Arbeitnehmers. Sie bewahren den Arbeitgeber nicht vor der Verpflichtung, die darüber hinausgehende Arbeitszeit zu vergüten.
      • Zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist bei einer Stundenvergütung die Zahl der durch die Arbeitsunfähigkeit ausfallenden Arbeitsstunden (Zeitfaktor) mit dem hierfür jeweils geschuldeten Arbeitsentgelt (Geldfaktor) zu multiplizieren (vgl. Dörner aaO Rn. 6; Staudinger/Oetker BGB 13. Aufl. § 616 Rn. 396 ff.; Vossen aaO Rn. 339; Boecken aaO § 84 Rn. 16 ff.). Bei einer verstetigten, also stets gleichbleibenden Arbeitszeit bereitet die Feststellung der maßgebenden Arbeitszeit keine Schwierigkeiten (Vossen aaO 2.2. Rn. 368; Dörner aaO Rn. 8; Boecken aaO § 84 Rn. 35; Hold aaO § 4 Rn. 58; Gola EFZG § 4 Anm. 3.3.1 und 3.3.2). Ist ein festes Monatsentgelt vereinbart, ist dieses bei gewerblichen Arbeitnehmern ebenso wie bei Angestellten bis zur Dauer von sechs Wochen fortzuzahlen. Unterliegt die Arbeitszeit und damit die Entgelthöhe vereinbarungsgemäß unregelmäßigen Schwankungen und kann deshalb der Umfang der ausgefallenen Arbeit nicht exakt bestimmt werden, bedarf es der Festlegung eines Referenzzeitraums, dessen durchschnittliche Arbeitsmenge maßgebend ist.
    • Nach § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG gehört nicht zum Arbeitsentgelt nach Abs. 1 das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt. Dieses ist im Krankheitsfall nicht fortzuzahlen.

      • Zusätzlich für Überstunden gezahltes Entgelt stellen nicht nur die Überstundenzuschläge dar. Auch die Grundvergütung für die Überstunden wird zusätzlich zum “normalen” Entgelt, und zwar für die Überstunden, gezahlt. Hätte der Gesetzgeber nur die Überstundenzuschläge aus der Entgeltfortzahlung herausnehmen wollen, hätte er das mit dem eingeführten Begriff “Überstundenzuschläge” klar ausdrücken können. Er hätte zumindest das Wort “zusätzlich” zwischen die Worte “Überstunden” und “gezahlte” stellen und damit ausdrücken können, daß eine Zusatzvergütung (zur Grundvergütung) gemeint sei. Das Gesetz klammert demgegenüber sowohl die Grundvergütung als auch die Zuschläge für Überstunden aus (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/45 S 24). Das kommt aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang der Norm hinreichend zum Ausdruck (zustimmend Vossen aaO 2.2. Rn. 345, 347, 371/372; Dörner aaO Rn. 11, 24; Boecken aaO Rn. 21, 27; Löwisch BB 1999, 102, 105; Müller/Berenz aaO § 4 Rn. 7; Hold aaO § 4 Rn. 33f., 61; Schmitt aaO § 4 Rn. 94 f., 96; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17a, 17b; Brecht aaO § 4 Rn. 10; Feichtinger aaO Rn. 284; Däubler NJW 1999, 601, 605).
      • Beim Begriff der Überstunden geht es entscheidend um die Frage, ob an eine generelle, vornehmlich tarifliche bzw. betriebsübliche Arbeitszeit oder an die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers anzuknüpfen ist.

        • Der Wortlaut ist nicht eindeutig. “Überstunden” könnte zum einen die Mehrarbeit bezeichnen, die über die regelmäßige Arbeitszeit nach dem im Betrieb angewendeten Tarifvertrag oder nach der sonst im Betrieb gehandhabten Regelung hinausgeht (so, allerdings ohne nähere Begründung, Hold aaO § 4 Rn. 33; Kunz/Wedde EFZR § 4 Rn. 20, 29; Müller/Berenz aaO § 4 Rn. 7; Vossen aaO 2.2. Rn. 347). Allerdings fragt sich, warum gerade die betriebsübliche Arbeitszeit und nicht etwa die Arbeitszeit im Unternehmen oder eine gesetzliche Arbeitszeit maßgebend sein soll. Überstunden können sich nach dem Wortlaut des Gesetzes aber ebensogut auf den Arbeitnehmer beziehen, dem das Gesetz einen Anspruch auf die Entgeltfortzahlung einräumt; maßgebend ist dann dessen individuelle regelmäßige Arbeitszeit (so im Ergebnis Boecken aaO Rn. 21, 27; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17c; Schmitt aaO § 4 Rn. 97 mwN; Brecht aaO § 4 Rn. 9).
        • Der Zusammenhang des Gesetzes, insbesondere von § 4 Abs. 1 und Abs. 1a EFZG, spricht für die Maßgeblichkeit der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit. Die Einschränkung des Abs. 1a bezieht sich auf den Arbeitnehmer, der auf Grund seiner in Abs. 1 zugrunde gelegten persönlichen regelmäßigen Arbeitszeit Ansprüche geltend macht. Es kann nur um seine Überstunden gehen. Diese richten sich nach seiner Arbeitszeit. Das Gesetz enthält keinen ausreichenden Anhaltspunkt, um an eine tarifliche Arbeitszeit anzuknüpfen. Tarifverträge gebrauchen auch nur zum Teil den Begriff der Überstunden. Der Gesetzgeber hätte den Zusammenhang der beiden ersten Absätze des § 4 EFZG auflösen können, wenn er statt “zusätzlich für Überstunden” formuliert hätte: “für über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus”.
        • § 4 Abs. 1a EFZG erfaßt nach seinem Wortlaut und nach Sinn und Zweck auch wiederholt geleistete Überstunden (Löwisch aaO; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17b). Immer muß es sich aber um Überstunden handeln. Überstunden iSv. § 4 Abs. 1a EFZG liegen vor, wenn die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers überschritten wird. Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistet. Damit fallen einerseits die bisher der regelmäßigen Arbeitszeit zugerechneten wiederholt anfallenden Überstunden (BAG 16. März 1988 – 5 AZR 40/87 – AP LohnFG § 1 Nr. 78 = EzA LohnFG § 1 Nr. 93; 3. Mai 1989 – 5 AZR 249/88 – AP LohnFG § 2 Nr. 19 = EzA LohnFG § 2 Nr. 21; zur bisherigen Rechtslage vgl. etwa noch Gola aaO § 4 Anm. 3.3.3) aus der Entgeltfortzahlung heraus. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß es Fälle einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit gibt, die von der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit abweicht. Leistet der Arbeitnehmer ständig eine bestimmte Arbeitszeit, die mit der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit nicht übereinstimmt, kann von Überstunden nicht gesprochen werden. Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände zusätzlich geleistet (Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17c). Die übliche Arbeitszeit wird vorübergehend verändert. Das ist für jeden Arbeitnehmer individuell zu beurteilen. Auch bei einer beständigen Arbeitszeit kommen (außerdem) Überstunden in Betracht, die für die Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen sind. Nur die hierfür geleistete Vergütung stellt für den Arbeitnehmer zusätzliches Entgelt dar.
        • Allein diese Auslegung wird dem Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitnehmer gerecht, die einen festen Monatslohn oder ein festes Monatsgehalt für ihre ständig zu erbringende Arbeit erhalten. Die Entgeltfortzahlung für diese Arbeitnehmer richtet sich nach dem vereinbarten Entgelt auf der Basis der ständig geleisteten Arbeitszeit (siehe oben 2c). Es würde eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bedeuten, wenn die zu berücksichtigende Arbeitszeit und damit die Höhe der Entgeltfortzahlung nur auf Grund einer unterschiedlichen Art und Weise der Abrechnung grundlegend differieren würde.
        • Eine ähnliche Problematik ergibt sich zu § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Nach dieser Bestimmung bemißt sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Auch hier bleiben sowohl die Grundvergütung für die Überstunden als auch die Überstundenzuschläge außer Betracht (vgl. nur Dersch/Neumann BUrlG 8. Aufl. § 11 Rn. 42 ff., insbesondere 44f.; ErfK/Dörner BUrlG § 11 Rn. 12). Im Referenzzeitraum liegende Überstunden, auch regelmäßig anfallende, sind ausgenommen und von der regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers abzugrenzen. Allerdings sind die Überstunden – ohne Zuschläge – einzubeziehen, die der Arbeitnehmer im Urlaubszeitraum tatsächlich geleistet hätte (BAG 9. November 1999 – 9AZR 771/98BAGE 92, 343, 347 ff.). Es liegt nahe, die regelmäßige individuelle Arbeitszeit gegenüber Überstunden bei § 4 EFZG ebenso wie bei § 11 BUrlG abzugrenzen. Zwingend ist das freilich nicht, da die jährliche Urlaubsdauer bestimmt ist und der Arbeitnehmer sich hier eher auf eine Vergütung nach der betriebsüblichen Arbeitszeit einrichten kann; außerdem kommt zum Urlaubsentgelt vielfach ein tarifliches Urlaubsgeld hinzu.
    • Arbeitet der Arbeitnehmer mit einer gewissen Stetigkeit über die tarifliche oder betriebsübliche Arbeitszeit hinaus, ist jedoch die ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung einer bestimmten ständigen Arbeitszeit in diesem Umfang nicht ohne weiteres festzustellen, gilt für die Abgrenzung der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von den bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigenden Überstunden folgendes:

      • Eine ständig erbrachte Mindestarbeitsleistung (Arbeitszeitsockel) kann als konkludent vereinbart angesehen werden, wenn der Arbeitgeber die entsprechende Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer erwartet und entgegennimmt. Sie ist Grundlage für einen Mindestumfang der Entgeltfortzahlung.
      • Beruhen Schwankungen der Arbeitszeit darauf, daß der Arbeitnehmer vertragsgemäß bestimmte (wiederkehrende) Arbeitsleistungen erbringt, die je nach den Arbeitsumständen oder dem Arbeitsanfall kürzer oder länger dauern (zB bei einem Müllwerker oder einem Auslieferungsfahrer), geht die individuelle regelmäßige Arbeitszeit über den Arbeitszeitsockel hinaus; denn der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsaufgabe stets vereinbarungsgemäß zu erledigen, ohne daß die Arbeitszeit von vornherein festliegt. Als geschuldete Arbeitszeit muß ein durchschnittlicher Wert angenommen werden. Das entspricht auch der gesetzlichen Wertung des § 4 Abs. 1a Satz 2 EFZG für ergebnisabhängige Vergütungen. Der Durchschnittswert der Arbeitszeit läßt sich nur nach einem zurückliegenden Zeitraum bestimmen. Darüber hinausgehende Überstunden können wegen besonderer Umstände, etwa bei einem unvorhergesehenen oder ungewöhnlichen, zusätzlich auftretenden Arbeitsanfall (zB im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, bei vorübergehenden Zusatzaufträgen usw.) auftreten.
      • Für den Umfang der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit ist auf das gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens abzustellen. Wird regelmäßig eine bestimmte, erhöhte Arbeitszeit abgerufen und geleistet, ist dies Ausdruck der vertraglich geschuldeten Leistung. Daraus folgt, daß Krankheitstage und Urlaubstage nicht in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen sind, soweit die ausgefallene Arbeitszeit selbst auf einer Durchschnittsbetrachtung beruht. Ebenso fallen Krankheitsoder Urlaubstage ohne Vergütungsanspruch heraus, wenn eine bestimmte ausgefallene Arbeitszeit nicht feststeht. Nur die konkret bestimmte, nicht eine fiktive Arbeitsleistung kann Ausdruck des gelebten Rechtsverhältnisses sein. Nimmt der Arbeitnehmer Freizeitausgleich in Anspruch, mindert das seine durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit, soweit nicht nur Überstundenzuschläge “abgefeiert” werden; diese betreffen allein den Geldfaktor. Im übrigen steht aber gerade der Umfang der Arbeitszeit in Rede, den der Arbeitnehmer regelmäßig zu leisten bereit ist. Die Tage des Freizeitausgleichs sind deshalb mit einer Arbeitszeit null in die Durchschnittsberechnung einzubringen. Hieraus resultiert die für die Entgeltfortzahlung maßgebliche im Durchschnitt tatsächlich angefallene Arbeitszeit (vgl. zu Arbeitszeitkonten auch BAG 13. Februar 2002 – 5 AZR 470/00 – DB 2002, 1162, zu I 2b der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).
      • Verändern sich die Arbeitsaufgaben des Arbeitnehmers vereinbarungsgemäß in mehr oder weniger großen Abständen mit Auswirkung auf die Arbeitszeitdauer (zB Einsatz auf wechselnden Baustellen, Saison bei Gastronomie- und Hotelbetrieben), kann die durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Arbeitszeit vielfach konkret bestimmt werden. In Saisonbetrieben wird je nach Saison eine unterschiedliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit anzunehmen sein. Durch die Umsetzung auf andere Baustellen ändert sich demgegenüber die individuelle regelmäßige Arbeitszeit gewöhnlich nicht. Deshalb ist auch dann, wenn feststeht, daß der erkrankte Arbeitnehmer nicht oder – sofern überhaupt zulässig – eben doch auf eine andere Einsatzstelle umgesetzt worden wäre, die individuelle regelmäßige Arbeitszeit nach dem Durchschnitt eines zurückliegenden Zeitraums zu bestimmen.
      • Der Vergleichszeitraum in diesem Sinne bezweckt die sichere Erfassung dessen, was die Arbeitsvertragsparteien als regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers gewollt haben. Er ist so zu bemessen, daß das Arbeitsverhältnis mit seinen Besonderheiten möglichst umfassend in den Blick kommt und Zufallsergebnisse vermieden werden. Es handelt sich nicht lediglich um einen Referenzzeitraum zur praktikablen Berechnung des Lohnausfalls, sondern um die rechtsgeschäftliche Bestimmung der beständigen Arbeitszeit. Deshalb genügt es nicht, einen Zeitraum von drei Monaten zugrunde zu legen (so noch Senat 8. Mai 1972 – 5 AZR 428/71 – AP LohnFG § 2 Nr. 3 = EzA LohnFG § 2 Nr. 3, zu 2b der Gründe; 3. Mai 1989 – 5 AZR 249/88 – AP LohnFG § 2 Nr. 19 = EzA LohnFG § 2 Nr. 21, zu I der Gründe für die Einbeziehung von Mehrarbeit vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG). Wie sich gerade auch aus § 4 Abs. 1a EFZG ergibt, muß die Beständigkeit der Arbeitsleistung – im Hinblick auf mögliche, eben nicht zu berücksichtigende Überstunden – für eine längere Dauer festgestellt werden. Nur dann läßt sich eine “Regelmäßigkeit” iSv. § 4 Abs. 1 EFZG annehmen. Das führt in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung zu § 2 ArbKrankhG (BAG 5. November 1964 – 2 AZR 494/63 – AP ArbKrankhG § 2 Nr. 21 = EzA ArbKrankhG § 2 Nr. 3; vgl. auch schon BAG 24. Oktober 1963 – 2 AZR 444/62 – BAGE 15, 59, 61 f.) und zu § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG (Senat 7. November 1984 – 5 AZR 378/82BAGE 47, 160, 163 ff.) dazu, grundsätzlich einen Vergleichszeitraum von zwölf Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit heranzuziehen. Dieser Zeitraum wird besonderen Eigenarten eines Arbeitsverhältnisses gerecht und vermeidet unbillige Zufallsergebnisse. Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit weniger als ein Jahr gedauert, ist dessen gesamter Zeitraum maßgebend.
      • Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast zu der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 1 EFZG im Normalfall dadurch, daß er den Arbeitszeitdurchschnitt der vergangenen zwölf Monate darlegt. Das Maß der zu fordernden Substantiierung richtet sich nach der Einlassung des Arbeitgebers. Überstunden hat der Arbeitgeber, wenn sie sich nicht bereits aus dem Vortrag des Arbeitnehmers ergeben, entsprechend der Fassung des § 4 Abs. 1a EFZG einzuwenden. Der Arbeitgeber, der eine aus Überstunden resultierende Minderung der zu berücksichtigenden durchschnittlichen Arbeitszeit geltend macht, trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast.
  • Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich die Revision des Klägers als begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die tarifliche regelmäßige Wochenarbeitszeit von 37 Stunden für die Höhe der Entgeltfortzahlung im Streiffalle nicht maßgebend. Der Kläger hat in dem Jahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit möglicherweise regelmäßig mehr als 7,4 Stunden arbeitstäglich gearbeitet, weil er verpflichtet war, die Arbeit entsprechend der Schwankungen unterliegenden Auftragslage durchzuführen. Einer Abrede, den Kläger in stetiger Wiederholung von Woche zu Woche mit einer immer gleichbleibenden fest vereinbarten Arbeitsstundenzahl zur Arbeitsleistung heranzuziehen, bedurfte es gerade nicht.

    Der Senat kann nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht von einer regelmäßigen Arbeitszeit des Klägers von neun Stunden täglich ausgehen. Das Landesarbeitsgericht hat die durchschnittliche Arbeitszeit des Klägers nicht festgestellt. Das betrieblich vorgesehene oder auch nur tatsächlich praktizierte “Abfeiern” von Arbeitszeitguthaben mindert den maßgeblichen Arbeitszeitdurchschnitt. Ob der Kläger sein Arbeitszeitkonto nur hinsichtlich der Überstundenzuschläge und nur bis zu einem Wochendurchschnitt von 45 Stunden oder weitergehend bis hin zu einem solchen von 37 Stunden reduziert hat, ist nicht festgestellt. Auch hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob in der durchschnittlichen Arbeitszeit des Klägers Überstunden im Sinne von oben I 3b cc enthalten waren. Das wird nachzuholen sein.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Bull, Kremser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI788734

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