Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung, Rechtsmißbrauch, Schadenersatz

 

Orientierungssatz

Hat ein Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch rechtzeitig geltend gemacht, so steht ihm dieser Anspruch als Schadensersatzanspruch zu, wenn er den Urlaubsanspruch entweder erfolglos geltend gemacht hat oder der Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden könnte.

 

Normenkette

BGB §§ 284, 286-287, 249; BUrlG §§ 4, 7, 13

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 11.12.1984; Aktenzeichen 11 Sa 960/84)

ArbG Bochum (Entscheidung vom 09.05.1984; Aktenzeichen 1 Ca 28/84)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 9. Juni 1976 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. Darin ist geregelt:

"§ 9

Grundsätze der Urlaubsgewährung

.....

3. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist

nur zulässig, wenn bei Beendigung des Ar-

beitsverhältnisses/Ausbildungsverhältnis-

ses noch Urlaubsansprüche bestehen.

.....

.....

§ 10

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

.....

3. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeit-

nehmer/Auszubildende gegen den alten und

neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf

so viele Zwölftel des ihm zustehenden Ur-

laubs Anspruch, als er Monate bei ihnen ge-

arbeitet hat (Beschäftigungsmonate)/ausge-

bildet wurde (Ausbildungsmonate). Ein an-

gefangener Monat wird voll gerechnet, wenn

die Beschäftigung/Ausbildung mindestens

zehn Kalendertage bestanden hat.

.....

4. In den auf das Eintrittsjahr folgenden Ka-

lenderjahren ist der volle Jahresurlaub zu

gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch

ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach

dem 1. April beendet wird.

Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Ren-

te aus der gesetzlichen Rentenversicherung

aus dem Betrieb ausscheiden, haben unabhän-

gig vom Termin ihres Ausscheidens Anspruch

auf den vollen Jahresurlaub, wenn sie im

Austrittsjahr bis zum 31. Januar tatsäch-

lich gearbeitet haben.

.....

8. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate

nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei

denn, daß er erfolglos geltend gemacht wur-

de oder daß Urlaub aus betrieblichen Grün-

den oder wegen Krankheit nicht genommen

werden konnte."

Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung der Beklagten am 30. Juni 1983. Vom 22. Dezember 1982 bis zum 5. Juli 1983 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 8. Juli 1983 bat er die Beklagte, ihm seinen 30-tägigen Jahresurlaub für 1983 in unstreitiger Höhe von 5.526,-- DM bis 10. August 1983 abzugelten. Die Beklagte lehnte dies ab.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

5.526,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit dem 11. August 1983 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Dem Kläger stand der Anspruch auf Abgeltung seines Jahresurlaubs für 1983 in unstreitiger Höhe von 5.526,-- DM zu. An seine Stelle ist ein Schadenersatzanspruch des Klägers in gleicher Höhe getreten.

I. Der Kläger hatte für das Urlaubsjahr 1983 Anspruch auf den vollen Jahresurlaub in Höhe von unstreitig 30 Tagen erworben. Nach § 10 Nr. 4 MTV ist in den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren der volle Jahresurlaub zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde durch ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30. Juni 1983 beendet.

Dem Urlaubsanspruch für 1983 steht nicht entgegen, daß der Kläger in diesem Urlaubsjahr keine Arbeitsleistungen erbracht hat.

1. Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu I 2 der Gründe) der Rechtsprechung des Sechsten Senats angeschlossen, nach der der gesetzliche Urlaubsanspruch nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraussetzt. Daran ist festzuhalten.

2. Aus § 10 Nr. 3 Abs. 1 MTV läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten.

Die Revision meint, dieser Bestimmung sei zu entnehmen, daß jedenfalls der Teil des Tarifurlaubs, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, tatsächliche Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraussetze. Der nach dem 1. April aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung ausscheidende Arbeitnehmer werde durch § 10 Nr. 4 Abs. 1 MTV nur hinsichtlich der Urlaubsdauer privilegiert. Bezüglich der Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs gelte hingegen das gleiche wie für den in § 10 Nr. 3 MTV geregelten Teilurlaub. Dem ist nicht zu folgen.

Dem für die Tarifauslegung in erster Linie maßgeblichen Tarifwortlaut (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) ist nicht zu entnehmen, daß die in § 10 Nr. 4 Abs. 1 MTV geregelte Besserstellung des Arbeitnehmers nur auf die Urlaubsdauer beschränkt ist. Im übrigen verweist die Beklagte für ihre Auslegung des § 10 Nr. 3 MTV zu Unrecht auf die Entscheidung des Sechsten Senats vom 8. März 1984 - 6 AZR 442/83 - (BAGE 45, 199 ff. = AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG). Dort wurde angenommen, diese Bestimmung sei jedenfalls insoweit nichtig, als sie den dem Arbeitnehmer zustehenden gesetzlichen Urlaubsanspruch ausschließe oder mindere (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Aus der Einschränkung "jedenfalls" folgt, daß das Bundesarbeitsgericht bisher zu der Frage, ob § 10 Nr. 3 Abs. 1 MTV überhaupt tatsächliche Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers voraussetzt, wie die Beklagte meint, noch nicht abschließend entschieden hat. Nach Auffassung des Senats ist diese Frage zu verneinen.

Zwar macht § 10 Nr. 3 Satz 1 MTV die Höhe des Teilurlaubs davon abhängig, wie viele Monate der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber gearbeitet hat. Der Klammerzusatz "Beschäftigungsmonate" und die Verwendung des Begriffs "Beschäftigung" in den nächsten beiden Sätzen stützen aber nicht die Auslegung, in Satz 1 sei tatsächliche Arbeit gefordert. Aufschluß gibt stattdessen die Bestimmung des § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV. Sie schreibt vor, daß der Arbeitnehmer, der wegen Eintritts des Versorgungsfalls ausscheidet, bis zum 31. Januar "tatsächlich gearbeitet" haben muß, um den Anspruch auf den vollen Jahresurlaub zu erwerben. Aus dieser in ihrem Wortlaut eindeutigen Tarifnorm ist zu schließen, daß den Tarifvertragsparteien das Regelungsproblem bewußt war und sie in § 10 Nr. 3 MTV nur die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses meinten, während sie in § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV auf tatsächliche Arbeitsleistungen abstellten. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß abweichend vom Gesetz für den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Tarifurlaub außer im Falle des § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV tatsächliche Arbeitsleistungen gefordert werden, bestehen somit nicht.

II. Der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs für 1983 war entstanden, obwohl der Kläger im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis noch arbeitsunfähig erkrankt war.

Nach § 7 Abs. 4 BUrlG, auf den § 9 Nr. 3 Abs. 1 MTV Bezug nimmt, tritt mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung der Abgeltungsanspruch. Die Entstehung dieses Anspruchs setzt nicht voraus, daß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist. Dies entspricht seit dem Urteil vom 28. Juni 1984 - 6 AZR 521/81 - (BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung) der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).

III. Allerdings ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung mit Ablauf des 31. März 1984 erloschen.

Nach § 10 Nr. 8 MTV erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Diese für den Urlaubsanspruch geltende Regelung gilt auch für sein Surrogat, den Urlaubsabgeltungsanspruch. Der Senat folgt insoweit seit seinem Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (aaO) der Rechtsprechung des früher für das Urlaubsrecht zuständigen Sechsten Senats (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 202/85 - AP Nr. 24 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu 3 der Gründe).

Zwar hat der Kläger den Urlaubsabgeltungsanspruch mit Schreiben vom 8. Juli 1983 erfolglos geltend gemacht. Dies führte jedoch nicht dazu, daß dem Kläger der Abgeltungsanspruch über den 31. März 1984 hinaus erhalten blieb. § 10 Nr. 8 MTV verhindert bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis das Erlöschen des Urlaubsanspruchs, wenn der Urlaub rechtzeitig erfolglos geltend gemacht wurde. Bei Geltendmachung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann diese Übertragungswirkung jedoch nicht eintreten. Der Abgeltungsanspruch erlischt nach § 10 Nr. 8 MTV mit Ablauf des auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden 31. März (so auch BAG Urteil vom 7. November 1985, aaO, zu 3 der Gründe).

IV. Da der Kläger die Urlaubsabgeltung aber mit Schreiben vom 8. Juli 1983 gefordert hat, steht ihm der mit der Klage geltend gemachte Anspruch als Schadenersatzanspruch zu. Durch dieses Schreiben wurde die Beklagte in Verzug gesetzt (§ 284 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für den durch den Untergang des Anspruchs am 31. März 1984 entstandenen Schaden muß die Beklagte dem Kläger einstehen (§ 286 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). Nach § 249 Satz 1 BGB schuldet die Beklagte dem Kläger somit den der Urlaubsabgeltung entsprechenden Geldbetrag.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Liebers Brückmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441742

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