Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Unfallrenten

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsprechung des Senats, wonach bei der Anwendung von Gesamtversorgungsobergrenzen gesetzliche Unfallrenten nur berücksichtigt werden dürfen, soweit sie Verdienstminderungen ausgleichen, nicht aber soweit es um den Ersatz immaterieller Schäden geht (grundlegend BAGE 43, 173 = AP Nr 8 zu § 5 BetrAVG), gilt auch für normale Anrechnungsklauseln in Versorgungszusagen.

 

Normenkette

BetrAVG § 5; ZPO § 256 Abs. 2, § 322; BGB §§ 241, 305

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 21.03.1985; Aktenzeichen 14 Sa 13/85)

ArbG Essen (Urteil vom 25.09.1984; Aktenzeichen 6 Ca 2226/84)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 21. März 1985 – 14 Sa 13/85 – wird zurückgewiesen.
  • Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der im Jahre 1916 geborene Kläger war bis zum 31. Dezember 1974 bei der Beklagten als Handlungsbevollmächtigter beschäftigt. Er hatte am 2. Oktober 1973 einen Unfall erlitten, der zur Erwerbsunfähigkeit und seinem Ausscheiden bei der Beklagten führte. Der Kläger bezieht von der BfA eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik eine Unfallrente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 %, die sich zuletzt auf 1.177,60 DM belief.

Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach einer Betriebsvereinbarung vom 18. Mai 1966. Versorgungsberechtigt sind nach einer 10jährigen Wartezeit Arbeitnehmer, die wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ausscheiden. Die Höhe des Ruhegeldes richtet sich nach der zurückgelegten Dienstzeit und dem ruhegeldfähigen Entgelt. Es beträgt nach 10jähriger Dienstzeit 35 % des Monatsverdienstes und steigt dann 15 Jahre lang um jeweils 2 % und zehn Jahre lang um 1 % jährlich bis zum Höchstbetrag von 75 %. Über die Anrechnung anderweitigen Einkommens heißt es in § 6:

  • Es ist davon auszugehen, daß das Belegschaftsmitglied durch seine Versetzung in den Ruhestand durch das Unternehmen nicht bessergestellt wird, als es sich vorher bei dem Unternehmen bezüglich seines Einkommens im Sinne des § 5 gestanden hat.
  • Das Ruhegeld wird um die Hälfte derjenigen Beträge vermindert, die dem Belegschaftsmitglied aufgrund jeweils bestehender Gesetze über Versicherungen, Pensionen und dergleichen zustehen; von der Anrechnung sind jedoch solche Beträge ausgeschlossen, die auf Zeiten entfallen, für die das Belegschaftsmitglied freiwillige Versicherungsbeiträge in anderen Fällen als nach § 4 Ziff. 5 entrichtet hat.
  • Bezieht ein in den Ruhestand versetztes Belegschaftsmitglied außer seinem Ruhegeld weitere Einnahmen aus einer Tätigkeit in einem anderen Arbeitsverhältnis, so sollen diese Einkommen, zu dessen wahrheitsgemäßer Angabe das Belegschaftsmitglied verpflichtet ist, und das Ruhegeld zusammen nicht höher sein als die Bezüge im Sinne des § 5, unter Berücksichtigung der Höchstgrenzen nach Ziff. 5.
  • Unfallrenten, für die Arbeitgeber Beiträge bzw. Prämien geleistet haben, kommen in entsprechendem Umfang in Abzug. Unfall-Kapitalbeträge fallen nicht hierunter (nicht dagegen kapitalisierte Renten).
  • Das Gesamteinkommen eines Ruhegeldempfängers (Ruhegeld, staatliche Renten, soweit nicht von der Anrechnung ausgenommen und Einkommen aus einer Tätigkeit in einem anderen Arbeitsverhältnis) darf die nachstehend aufgeführten, nach der Dienstdauer ab vollendetem 20. Lebensjahr berechneten Höchstgrenzen nicht überschreiten, andernfalls erfolgt entsprechende Kürzung. …

Die Beklagte berechnete bei Eintritt des Versorgungsfalles das Ruhegeld des Klägers auf 61 % von 4.948,75 DM, mithin auf 3.018,74 DM. Diesen Betrag kürzte sie um 50 % der Erwerbsunfähigkeitsrente (470,30 DM) und um den vollen Betrag der Unfallrente von damals 800,-- DM.

Der Kläger hat in einem Vorprozeß geltend gemacht, § 6 Nr. 4 der Anrechnungsbestimmung sei so zu verstehen, daß die Unfallrente nur im Rahmen der Höchstbegrenzung nach § 6 Nr. 5 zu berücksichtigen sei. Dann dürfe die monatliche Versorgungsleistung nur um 96,62 DM gekürzt werden, so daß die Beklagte noch 703,38 DM zahlen müsse. Diesen Betrag klagte er für den Monat Januar 1975 ein. Wegen der Folgeansprüche wandte er sich am 22. März 1977 an die Beklagte. Er gehe davon aus, daß sie im Falle einer Verurteilung die Rechtsauffassung des Gerichts als verbindlich anerkennen und die Pensionsansprüche entsprechend berechnen werde. Dieses Schreiben beantwortete die Beklagte nicht. Der Senat gab mit Urteil vom 17. Januar 1980 der Klage mit der Begründung statt, daß die Anrechnung von Renten der gesetzlichen Unfallversicherung auf betriebliche Versorgungsleistungen grundsätzlich unzulässig sei (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG). Nach Zustellung dieses Urteils schrieb der Kläger an die Beklagte, daß er im Interesse der Kosteneinsparung seinerzeit die Klage auf einen Monatsbetrag beschränkt habe. Zugleich sei mit Schreiben vom 22. März 1977 die Vereinbarung getroffen worden, daß die Beklagte im Falle einer Verurteilung die Rechtsauffassung des Gerichts auch für die Zukunft beachten werde. Hierauf antwortete die Beklagte am 16. Mai 1980, sie werde das Urteil vollziehen und die zusätzlichen Ruhegeldbezüge von Januar 1975 bis Mai 1980 in Höhe von 55.440,28 DM überweisen. Von Mai 1980 an werde sie den monatlichen Pensionszahlungen einen Betrag von 3.755,-- DM brutto zugrunde legen. Weiter führte sie aus:

“Wie Sie dem Urteil entnehmen können, hat das Bundesarbeitsgericht die Auslegung der beiden ersten Instanzen und damit auch die Auslegung des R… nicht beanstandet. Das mag Sie in dieser streitigen Angelegenheit etwas versöhnlicher stimmen. Das Bundesarbeitsgericht hat Ihrem Antrag allerdings aus einem völlig anderen Grunde stattgegeben. Nach unserer Ansicht ist das Urteil rechtsfehlerhaft und enthält sogar verschiedene Verfassungsverstöße. Nach eingehender Prüfung haben wir uns daher entschlossen, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Aus diesem Grunde können wir die Ihnen nunmehr überwiesenen Beträge und die weiteren laufenden Pensionsbezüge nur unter Vorbehalt zahlen und machen Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, daß wir für den Fall des Obsiegens die Beträge von Ihnen zurückfordern werden. Wir hoffen auf Ihr Verständnis.”

Nach den Urteilen des Senats vom 19. Juli 1983 zur teilweisen Anrechenbarkeit von Unfallrenten im Rahmen von Höchstbegrenzungsklauseln (BAGE 43, 161; 173 = AP Nr. 9 und 8 zu § 5 BetrAVG), kürzte die Beklagte ab 1. Oktober 1983 den Ruhegeldanspruch des Klägers nach § 6 Nr. 4 der Betriebsvereinbarung um 1.023,60 DM monatlich; zur Abgeltung seiner immateriellen Unfallschäden beließ sie dem Kläger nur den Betrag von 154,-- DM. Eine Anrechnung nach § 6 Nr. 5 der Betriebsvereinbarung kam wegen der Veränderung der Bezüge nicht in Betracht.

Der Kläger verlangt Nachzahlung der Betriebsrente für die Monate Oktober 1983 bis August 1984, soweit die Unfallrente angerechnet worden ist. Hierzu hat er die Rechtsauffassung vertreten, aufgrund des Senatsurteils vom 17. Januar 1980 stehe rechtskräftig fest, daß die Beklagte die Unfallrente nicht anrechnen dürfe. Gegenstand des damaligen Rechtsstreits sei nicht nur eine einzelne Ruhegeldrate, sondern die Ruhegeldberechnung insgesamt gewesen. Zumindest sei in dem Schreiben der Beklagten vom 16. Mai 1980 und der folgenden Handhabung ein Anerkenntnis dahin zu sehen, daß die Unfallrente nicht angerechnet werden dürfe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.259,60 DM zu zahlen sowie festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm vom 1. September 1984 an jeweils 1.023,60 DM zum Monatsersten zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß weder rechtskräftig über die Ansprüche des Klägers entschieden wurde noch sie aus sonstigen Gründen gehindert sei, ihre Zahlungen an die neue Rechtsprechung anzupassen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und hilfsweise Widerklage mit dem Antrag erhoben, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Januar 1980 nach § 323 ZPO abzuändern und festzustellen, daß sie berechtigt sei die Unfallrente insoweit anzurechnen, wie diese über den Betrag einer vergleichbaren Grundrente gemäß § 31 BVersG hinausgehe. Der Kläger hat seinen Zahlungsantrag wiederholt und seinen Feststellungsantrag dahin geändert, daß die Beklagte seine Unfallrente ab 1. September 1984 nicht nach § 6 Nr. 4 der Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung der R… AG, E…, auf sein Ruhegeld anrechnen dürfe. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung stattgegeben und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte darf die Unfallrente anrechnen, soweit sie nicht dem Ausgleich immaterieller Schäden dient.

I. Der Kläger verlangt mit seinem Klageantrag zu 1) Nachzahlung der Betriebsrente für die Monate Oktober 1983 bis August 1984 in Höhe des Betrages, den die Beklagte wegen teilweiser Anrechnung der Unfallrente einbehalten hat und begehrt mit seinem Klageantrag zu 2) die vorrangige Feststellung, daß die Beklagte ab September 1974 nicht mehr zur Anrechnung der Unfallrente berechtigt ist (§ 256 Abs. 2 ZPO). Dieser Feststellung bedarf es, weil die seit rd. zehn Jahren zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage geklärt werden muß, ob und in welchem Umfang die Unfallrente bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden darf. Dem Feststellungsinteresse steht die Entscheidung des Vorprozesses durch Urteil des Senats vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) nicht entgegen. Die Grenzen der Rechtskraft dieser Entscheidung sind zwischen den Parteien streitig und bedürfen der Klärung.

II. Die Beklagte braucht dem Kläger keine Betriebsrente mehr nachzuzahlen, weil sie berechtigt den Anteil der Unfallrente anrechnet, der die Grundrente eines Kriegsversehrten mit gleicher Erwerbsminderung übersteigt.

1. In der Betriebsvereinbarung vom 18. Mai 1966 ist vorgesehen (§ 6 Nr. 4), daß auf die dem Kläger zustehende Betriebsrente die Unfallrenten, für die Arbeitgeber Beiträge bzw. Prämien geleistet haben, in entsprechendem Umfang angerechnet werden. Der Anrechnungsbestimmung liegt das Prinzip zugrunde, dem Arbeitgeber bei der Rentenberechnung die Berücksichtigung solcher Renten und Rententeile zu ermöglichen, für die der Arbeitnehmer keine Prämienleistungen aufzubringen hatte. Dieses Prinzip ergibt sich auch aus § 6 Nr. 2 der Betriebsvereinbarung; hiernach werden gesetzliche Sozialversicherungsrenten nur zur Hälfte angerechnet, weil auch nur insoweit der Arbeitgeber die Beiträge gezahlt hat. Von dieser Auslegung der Betriebsvereinbarung ist der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG, zu Anfang der Gründe) ausgegangen und daran ist festzuhalten.

2. Dem Arbeitgeber ist es untersagt, die Unfallrente im Rahmen von Gesamtversorgungssystemen voll zu berücksichtigen. Die uneingeschränkte Anrechnung verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

a) Im Betriebsrentengesetz ist nur unvollkommen geregelt, inwieweit sonstige Versorgungsbezüge auf Betriebsrenten angerechnet werden dürfen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG dürfen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Anrechnung oder Berücksichtigung anderer Versorgungsbezüge nicht gekürzt werden, soweit sie auf eigenen Beiträgen des Versorgungsempfängers beruhen. Ausgenommen von diesem Verbot sind Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Andererseits ist § 5 Abs. 2 BetrAVG nicht die Erlaubnis zu entnehmen, daß Unfallrenten auf die Betriebsrenten angerechnet werden dürfen, weil sie nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gehören. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darin gesehen, daß ein Arbeitgeber die Unfallrente auf das betriebliche Ruhegeld eines Unfallgeschädigten anrechnete und deshalb ein geringeres Ruhegeld zahlen wollte, als er Unversehrten zubilligte. Dieser Entscheidung haben zugestimmt Krasney (in Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) sowie Meier-Maly (in Anm. zu BAG AR-Blattei, “Betriebliche Altersversorgung, Entsch. 52”), im übrigen Schrifttum ist sie dagegen auf Ablehnung gestoßen (Bickel in SAE 1981, 129 ff.; Blomeyer, DB 1982, 952 f.; Gitter in Festschrift für Hilger/Stumpf, 1983, S. 249, 251 ff.; Gitter/Schmitt, DB 1980, 2083; Höfer/Abt, BetrAVG, 2. Aufl. 1982, § 5 Rz 15 f.; Lange, BB 1982, 1182; Schröder, BB 1981, 186 ff.; Schulin, ZfA 1981, 577, 707). Dem Senat wurde vor allem entgegengehalten, daß der Unfallrente auch Lohnersatzfunktion zukomme. Aus den Anrechnungsbestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1278 Abs. 1 RVO, § 55 Abs. 1 AVG) folge, daß die Funktion der Unfallrente, auch immaterielle Schäden auszugleichen, eine Anrechnung auf Versorgungsbezüge nicht völlig ausschließe. Dieser Kritik hat sich der Senat nicht verschlossen.

Der Senat hat seine Rechtsprechung zur Anrechnung von Unfallrenten modifiziert. Er geht nach wir vor davon aus, daß die Unfallrente im Rahmen von Höchstbegrenzungsklauseln nicht vollständig bei der Berechnung von Betriebsrenten berücksichtigt werden kann. Soweit die Unfallrente dazu dient, die immateriellen Schäden an Körper und Gesundheit des Verletzten auszugleichen, verstößt es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn der Arbeitgeber den gesamten Rentenanteil bei der Gewährung von Betriebsrenten berücksichtigt. Dagegen sind Unfallrenten anrechnungsfähig, soweit sie den Verdienstausfall des Verletzten ausgleichen sollen (BAGE 43, 173 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrAVG, mit zustimmender Anmerkung von Gitter = AP-Blattei, “Betriebliche Altersversorgung, Entsch. 124”, mit zustimmender Anmerkung von Krasney = EzA BetrAVG § 5 Nr. 5, mit zustimmender Anmerkung von Höfer/vom Hofe = SAE 1984, 14, mit überwiegend zustimmender Anmerkung von von Hoyningen-Huene; BAGE 43, 161 = AP Nr. 9 zu § 5 BetrAVG; Urteil vom 13. September 1983 – 3 AZR 537/82 – AP Nr. 11 zu § 5 BetrAVG; Urteil vom 10. April 1984 – 3 AZR 39/83 – AP Nr. 17 zu § 5 BetrAVG; Urteil vom 6. August 1985 – 3 AZR 393/82 – DB 1986, 1181). Der Senat hat den Maßstab zur Aufteilung der Renten in einen anrechnungsfähigen und einen anrechnungsfreien Teil aus dem Recht der Kriegsversehrten entnommen (§ 31 BVersG). Danach wird unabhängig von Einkommenseinbußen zum Ausgleich der körperlichen Leiden eine Grundrente gezahlt, die sich nach dem Grad der körperlichen Beeinträchtigung richtet.

b) Diese Rechtsgrundsätze gelten nicht nur bei Höchstbegrenzungsklauseln, sondern auch bei Anrechnungsbestimmungen mit Bezug auf Betriebsrenten. Dies hat das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Schrifttum richtig erkannt (Ahrend/Förster/Rühmann, BB 1984, 77, 84; Höfer/vom Hofe, Anm. in EzA zu BetrAVG § 5 Nr. 5 Bl. 44b). Auch insoweit werden die Rechtsgrundsätze der Entscheidung vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) aufgegeben. Maßgebend sind die gleichen Erwägungen wie bei der Berücksichtigung der Unfallrente im Rahmen von Höchstbegrenzungsklauseln. Dem Kläger müssen solche Rententeile verbleiben, die zum Ausgleich seiner persönlichen Leiden dienen; dagegen kann die Unfallrente angerechnet werden, soweit sie wegen etwaiger Verdiensteinbußen gezahlt wird.

c) Der Anrechnung steht nicht entgegen, daß der Kläger die Unfallrente schon vor der Versetzung in den Ruhestand neben seinem Einkommen erhalten hat. Es mag zweifelhaft sein, ob Unfallrenten auch insoweit anrechenbar sind, wie sie bereits während des aktiven Dienstes gezahlt werden, um Verdiensteinbußen des Arbeitnehmers auszugleichen. Insoweit könnte die Anrechnung zu einer Minderung der Gesamtversorgung führen, die Unfallgeschädigte in sachlich nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt. Dies braucht der Senat jedoch nicht abschließend zu klären. Der Kläger hat 14 Monate vor Eintritt in den Ruhestand den Unfall erlitten und neun Monate lang neben seinem Verdienst die Unfallrente erhalten. Er hat nichts vorgetragen, was darauf schließen lassen könnte, daß er wegen des Unfalles Verdienstminderungen hat hinnehmen müssen.

III. Die Beklagte war berechtigt, die an den Kläger zu zahlende Rente neu zu berechnen.

1. Die Rechtskraft des Urteils vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) steht der Neuberechnung nicht entgegen.

Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden wird. Der geltend gemachte Anspruch, der Streitgegenstand des Prozesses, ergibt sich aus den gestellten Anträgen und der dazu gegebenen Begründung (vgl. BGH Urteil vom 7. Juli 1983 – III ZR 119/82 – NJW 1984, 615 zu I der Gründe). Dagegen erwachsen nicht die tragenden Gründe einer Entscheidung in Rechtskraft. Die Streitgegenstände des Vorprozesses und des gegenwärtigen Prozesses stimmen danach nicht überein. Im Vorprozeß hat der Kläger Rente nur für den Monat Januar 1975, im gegenwärtigen Prozeß dagegen für die Zeit ab Oktober 1983 verlangt.

Die Rechtskraftwirkung ist auch dann nicht erweitert, wenn der Kläger im Wege der Teilklage nur einzelne Raten eines umfassenden Anspruchs geltend macht. Das Urteil über eine Teilklage hindert weder eine Klage auf den Rest der behaupteten Forderungen, noch schränkt es die Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten ein, der Vorprozeß sei zum Anspruchsgrund fehlerhaft entschieden. Die zur Begründung einer Entscheidung des prozessualen Anspruchs getroffenen Feststellungen entfalten keine Rechtskraftwirkungen (BAG Urteil vom 21. Juni 1971 – 3 AZR 24/71 – AP Nr. 13 zu § 315 BGB, zu I 3 der Gründe; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO, 19. Aufl., § 322 Anm. VI, 8; a.A. für Musterprozesse Vollkommer in Anm. zu BAG AP Nr. 13, aaO, zu II). Sofern eine Partei eine Erstreckung der Rechtskraft auf den Anspruchsgrund anstrebt, hat sie die Möglichkeit einer Zwischenfeststellungsklage (BAG Urteil vom 21. Juni 1971 – 3 AZR 24/71 –, aaO).

2. Die Beklagte ist auch nicht aus anderen Rechtsgründen gehindert, ihre Ruhegeldberechnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anzupassen. Sie hat weder eine Musterprozeßvereinbarung mit dem Kläger abgeschlossen noch das Vertrauen des Klägers begründet, sie werde sich auf Dauer an die Entscheidung des Senats vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) halten.

a) Eine Musterprozeßvereinbarung ist dann gegeben, wenn die Parteien vereinbaren, sie wollten ihre Rechtsbeziehungen auf Dauer und auch in anderen Fällen nach dem Ausgang eines vorhergehenden Rechtsstreits richten. Eine derartige Vereinbarung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

Aufgrund des Schreibens des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 22. März 1977 ist eine Musterprozeßvereinbarung nicht zustande gekommen. In ihm hat der Vertreter des Klägers lediglich zum Ausdruck gebracht, er gehe davon aus, daß die Beklagte sich im Falle ihres Unterliegens auch künftig an das Urteil halten werde. Die Beklagte hat dieses Schreiben unbeantwortet gelassen. Sie war auch nicht gehalten, gegenüber dem Kläger zu dessen Annahme Stellung zu nehmen. Keinesfalls kann aus ihrem Schreiben geschlossen werden, daß sie sich sogar bei veränderten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen an ein vorhergehendes Urteil binden wollte.

Auch nach Abschluß des Vorprozesses haben die Parteien keine Unterwerfungsvereinbarung abgeschlossen. Die Beklagte hat auf das Schreiben des Klägers vom 10. Mai 1980, mit dem dieser seine Nachzahlungsforderungen bis zum Abschluß des Rechtsstreits geltend machte, am 16. Mai 1980 dahin geantwortet, daß sie sich an das Urteil zwar zunächst halten werde, es aber dennoch für fehlerhaft halte und mit der Verfassungsbeschwerde angreifen wolle. Aus diesem Verhalten und dem Gesamtzusammenhang konnte der Kläger nicht schließen, daß die Beklagte künftig die Entscheidung vom 17. Januar 1980 als bindend betrachten werde. Das hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.

b) Die von dem Kläger vorgebrachten Revisionsrügen sind nicht begründet. Die Auslegung von Individualvereinbarungen unterliegt nur einer beschränkten Nachprüfung in der Revisioninstanz. Sie kann lediglich darauf geprüft werden, ob der gesamte Auslegungsstoff berücksichtigt wurde, die Auslegungsregeln eingehalten sowie Denk- und Erfahrungsregeln beachtet wurden (BAGE 4, 360, 364 = AP Nr. 15 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG Urteil vom 2. März 1973 – 3 AZR 325/72 – AP Nr. 36 zu § 133 BGB). Solche Fehler sind nicht ersichtlich. Der Kläger will mit seinen Angriffen nur eine andere Würdigung erreichen, ohne überzeugende Argumente vorbringen zu können.

c) Der Kläger vermag sich auch nicht darauf zu berufen, die Beklagte habe in ihm jedenfalls das Vertrauen erweckt, sie werde nach Ausgang des Vorprozesses, Nachzahlung von Renten und jahrelanger ungekürzter Rentenzahlung sich während des Ruhestandsverhältnisses dem Urteil vom 17. Januar 1980 beugen. Die Beklagte hat mit aller Deutlichkeit erklärt, daß nach ihrer Meinung das Urteil unrichtig sei; daraus konnte der Kläger nur schließen, daß die Beklagte sich aus Kostengründen an die Entscheidung halten werde, solange sie keine begründeten Prozeßchancen sah, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

3. Der Kläger kann auch nicht geltend machen, daß er eine Rechtsprechungsänderung nicht hinzunehmen brauche. Es mag unentschieden bleiben, wie die Rechtslage bei Nach- und Rückzahlungsansprüchen ist (Ahrend/Förster/Rühmann, BB 1984, 77, 84; Blomeyer/Stumpf, SAE 1985, 142, 143 f.; Prütting/Weth, NZA 1984, 24, 26). Der Kläger verfolgt allein Ansprüche, die erst nach der Rechtsprechungsänderung in Jahre 1983 fällig wurden, so daß eine Rückwirkung nicht vorliegt.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Dr. Hoppe, Zilius

 

Fundstellen

Haufe-Index 872416

RdA 1987, 315

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