Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 04.11.1992; Aktenzeichen 2 Sa 138/92)

KreisG Görlitz (Urteil vom 07.05.1992; Aktenzeichen IV Ca 3681/91)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 4. November 1992 – 2 Sa 138/92 – Dresden wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1949 geborene Kläger war in der ehemaligen DDR von Juli 1971 bis Februar 1990 Angehöriger der Paßkontrolleinheiten (fortan: PKE). Er war zuletzt Gehilfe eines Zugführers an der deutsch-polnischen Grenze. Sein letzter Dienstgrad war Hauptmann.

Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wurde der Kläger in die Dienste der Beklagten übernommen und beim Bundesgrenzschutz – Grenzschutzamt Frankfurt/Oder beschäftigt. Der Kläger hatte Fragebogen ausgefüllt, aus denen der Beklagten die Zugehörigkeit des Klägers zum früheren Ministerium für Staatssicherheit (im folgenden: MfS) bekannt war. Es war vorgesehen, die übernommenen Mitarbeiter für den Fall einer endgültigen Weiterbeschäftigung zu Verbeamten. Nach einer Vereinbarung der Parteien vom 10. Mai 1991 war der Kläger ab 1. Juli 1991 als vollbeschäftigter Angestellter als Kontrollbeamter auf unbestimmte Zeit weiterzubeschäftigen, wobei sich der weitere Inhalt des Arbeitsverhältnisses nach BAT-O bestimmen sollte. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten erfolgte die Vertragsumstellung ausschließlich wegen vergütungsrechtlicher Konsequenzen und wegen der Angleichung an den BAT-O.

Im Dezember 1991 entschloß sich die Beklagte zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Zugehörigkeit des Klägers zum MfS, wozu sie den Kläger am 5. Dezember 1991 anhörte.

Sie gab dem zuständigen Bezirkspersonalrat Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers. Dieser widersprach der Kündigungsabsicht.

Mit Schreiben vom 16./18. Dezember 1991, dem Kläger zugegangen am 18. Dezember 1991, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat vorgetragen: Ein Grund zur außerordentlichen Kündigung liege nicht vor. Die PKE seien ein Kontroll- und kein repressives Organ des MfS gewesen. Die Aufgabe habe in der zügigen und reibungslosen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs bestanden. Er sei reiner Paßkontrolleur gewesen. Als Gehilfe eines Zugführers habe er keine Befugnis zur selbständigen Entscheidung gehabt. Er sei selbst bei seiner Arbeit von anderen Bediensteten des MfS und durch Kameras ständig kontrolliert worden.

Die Beklagte habe eine Einzelfallprüfung nicht durchgeführt, Seine Anhörung habe höchstens fünf Minuten gedauert und sei eine Farce gewesen. Die Kündigung stütze sich allein darauf, daß er bei den PKE tätig gewesen sei, ohne den Inhalt seiner Tätigkeit und die Einzelheiten seiner früheren Aufgabe zu erwägen

Die Beklagte habe die zweiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB/§ 54 BAT-O nicht eingehalten.

Die Beklagte habe außerdem ein etwaiges Kündigungsrecht verwirkt. Die Kündigung stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Beklagte habe seit 3. Oktober 1990 alle Tatsachen gekannt, auf die sie die Kündigung im Dezember 1991 gestützt habe. Sie habe im Detail gewußt, wann und wie lange er in welcher Funktion mit welchem Dienstgrad bei den PKE tätig gewesen sei. Seine Personalakten hätten vorgelegen. Er habe keinen Zugriff auf sie gehabt und sie nicht „bereinigt”. Er sei für den Kontrolldienst der Beklagten intensiv geschult und weitergebildet worden. Durch Auskünfte der Gauck-Behörde im Juli 1991 habe die Beklagte über ihn keine neuen Tatsachen erfahren. Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 10. Mai 1991 habe er ein Gelöbnis zur gewissenhaften Pflichterfüllung und Wahrung der Gesetze abgelegt. Zudem sei die Verbeamtung zum 1. Juli 1991 vorgesehen gewesen. Diese sei aufgeschoben worden, um die Betroffenen durch die Gauck-Behörde und die Erfassungsstelle Salzgitter auf die persönliche Eignung überprüfen zu können.

Die Beklagte habe zudem den Eindruck erweckt, gerade Arbeitnehmer in seiner Position brauchten nicht mit einer Kündigung zu rechnen. Aus einer Reihe von Schreiben der Beklagten an entsprechende Dienststellen und aus Presseveröffentlichungen habe er entnehmen können, daß allein die Tätigkeit für das frühere MfS/AfNS nicht automatisch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige. Die Beklagte habe betont, es müsse hinzukommen, daß hierdurch ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheine, was in aller Regel der Fall sei. Dennoch sei ihm nicht gekündigt worden. Er habe aus diesem Grund darauf vertrauen können ihm werde auch in Zukunft nicht gekündigt werden. Im Hinblick, darauf, daß die Gauck-Behörde seine Personalauskünfte bestätigt habe, und auf die verschiedenen Äußerungen der Beklagten habe er davon abgesehen, sich eine andere Beschäftigungsmöglichkeit zu suchen oder sich vom Arbeitsamt umschulen zu lassen.

Die Beklagte handele auch aus anderen Gründen treuewidrig. Sie beschäftige im BMI 638 hauptamtliche Mitarbeiter des ehemaligen MfS. Mit 30 von ihnen habe sie unbefristete Verträge im Bundeskriminalamt abgeschlossen.

Schließlich sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Diesem seien die persönlichen Daten, die Dauer der Zugehörigkeit zu den PKE, der Dienstgrad und der Dienstort nicht mitgeteilt worden. Zum Kündigungsgrund habe die Beklagte nur pauschal und stichwortartig auf die Aufgaben der PKE verwiesen. Dem Bezirkspersonalrat habe nicht das Protokoll über seine Anhörung vorgelegen.

Der Kläger hat, soweit revisionsrechtlich erheblich, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung

der Beklagten vom 16. Dezember 1991 nicht beendet worden sei.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht: Die Weiterbeschäftigung ehemaliger Mitarbeiter der PKE habe auf der irrigen Annahme beruht, diese sei nur formell dem MfS unterstellt gewesen. Ihr seien erst im Juli 1991 die Dienstanweisungen für die PKE bekannt geworden. Danach sei deren Aufgabe die „ständige Überwachung und Filtrierung des die Kontrollpunkte passierenden Personenkreises zum Erkennen und Unschädlichmachen von Feinden der Deutschen Demokratischen Republik” gewesen. Die PKE hätten sich ferner konspirativ-geheimdienstlicher Methoden zu bedienen gehabt. Aufgrund der neuen Erkenntnisse sei nochmals eine Einzelfallprüfung angeordnet worden.

Der Kläger habe nicht darauf vertrauen können, daß sie schon im Herbst 1990 alle erforderlichen Informationen besessen habe. Er habe erkennen können, daß für die Individualanhörungen ein längerer Zeitraum benötigt werde. Einen Vertrauenstatbestand, hätte sie nur setzen können, wenn sie trotz voller Kenntnis aller Einzelumstände untätig geblieben wäre. Das sei nicht der Fall gewesen.

Die Anhörung des Klägers und die von ihr eingeholten Kurzauskünfte der Behörden des Bundesbeauftragten für die personenbezogenen Unterlagen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (Gauck-Behörde) hätten keine den Kläger persönlich entlastenden Umstände ergeben. Der Kläger habe ausreichend Gelegenheit gehabt, besondere, ihm ungünstige Tatsachen vorzutragen. Sie könne es gegenüber der Öffentlichkeit nicht vertreten, ehemalige PKE-Bedienstete mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt zu betrauen.

Der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Sie habe die Tatsachen mitgeteilt, die den Tatbestand der Regelung in Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Einigungsvertrag erfüllt hätten und aus ihrer Sicht die außerordentliche Kündigung rechtfertigten.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei nach Art. 20, Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (im folgenden Abs. 5 Ziff. 2) gerechtfertigt. Der Kläger habe als Mitglied einer PKE an der Grenze der ehemaligen DDR 19 Jahre lang in besonderer Weise die sozialistische Staatsmacht repräsentiert. Die gerichtsbekannten, oft schikanösen Kontrollen an den Grenzen seien sichtbares Zeichen eines Unterdrückungsstaates gewesen. Als Mitglied eines solchen Personenkreises sei der Kläger heute nicht mehr geeignet, in einer demokratisch legitimierten und rechtsstaatlich verfaßten Verwaltung Bewachungsaufgaben zu übernehmen, die der Grenzsicherung dienten. Besondere Umstände, die eine hiervon abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, seien nicht dargetan.

Die zweiwöchige Ausschlußfrist in § 626 Abs. 2 BGB und § 54 Abs. 2 BAT-O greife nicht. Abs. 5 sei eine eigenständige Regelung. Die Beklagte habe das Kündigungsrecht nicht verwirkt. Ein Vertrauen des Klägers, die Beklagte werde das Arbeitsverhältnis nicht kündigen, sei nicht schutzwürdig. Der Kläger habe erkennen Können, daß die Beklagte mit der Verbeamtung gezögert habe. Was die Beklagte Dritten mitgeteilt habe, habe der Kläger nicht für seinen Fall als verbindlich ansehen können. Zudem sei in dem vom Kläger zitierten Schreiben offen, was das BMI unter „negativen Erkenntnissen” verstanden habe.

Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zur ordnungsgemäßen Anhörung gehöre nach § 79 Abs. 3 Satz 2 BPersVG die Mitteilung der Kündigungsgründe. Die Beklagte habe mitgeteilt, daß die Kündigung auf eine Tätigkeit für das frühere MfS gestützt werde und daß der Kläger Angehöriger der damaligen PKE und nicht im Randbereich, sondern im exekutiv-operativen Dienst bzw. im Dienst des MfS tätig gewesen sei. Ebenso habe sie den Personalrat davon unterrichtet, daß die Anhörung des Klägers keine entlastenden Umstände ergeben habe. Das reiche aus.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten in allen Punkten der rechtlichen Überprüfung stand.

1. Nach Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag gelten für die Arbeitsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in Anlage I vereinbarten Kündigungsregelungen. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis zum Kläger bis zum Zugang der Kündigungserklärung fortbestanden. Das Landesarbeitsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß Art. 20 Einigungsvertrag Anwendung findet.

2. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und – 8 AZR 474/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen) regelt Abs. 5 eigenständig und abschließend, unbeschadet von § 626 BGB, die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung im öffentlichen Dienst. Der wichtige Grund im Sinne des Abs. 5 ist erfüllt, wenn die Voraussetzungen des Konditionalsatzes gegeben sind. Dementsprechend genügt die Erfüllung der in Abs. 5 mit dem Wort „wenn” eingeleiteten Voraussetzungen zur Annahme des wichtigen Grundes. Einer Ergänzung des Abs. 5 durch eine teilweise oder vollständige Anwendung des § 626 BGB bedarf es nicht.

Kündigungsvoraussetzung gemäß Abs. 5 Ziff. 2 ist eine Tätigkeit des Arbeitnehmers für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit. Die Verwendung der Präposition „für” anstelle der näherliegenden „beim” bedeutet, daß nur eine bewußte, finale Mitarbeit die Kündigung rechtfertigen kann. Bei einer hauptberuflichen Mitarbeit im Ministerium für Staatsicherheit besteht zu einer solchen Erörterung keine Veranlassung.

Abs. 5 leitet die Unzumutbarkeit aus der früheren Tätigkeit her. Ihretwegen („deshalb”) muß ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheinen. Einzelfallprüfungen sind daher unerläßlich. Da das Arbeitsverhältnis eine bestimmte Tätigkeit inhaltlich festlegt, ist bei jeder Kündigung zu prüfen, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag.

Die Unzumutbarkeit darf nicht aus anderen Gründen als den in Abs. 5 Ziff. 2 bezeichneten Tätigkeiten oder Verhaltensweisen hergeleitet werden. Da diese Tätigkeiten notwendigerweise vor dem 3. Oktober 1990 ausgeübt worden sein müssen, knüpft das Kündigungsrecht des Abs. 5 allein an in der Vergangenheit liegende Vorgänge an.

Der Rechtsbegriff „unzumutbar” erfordert eine Einzelfallprüfung. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt hierbei über die außerordentliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Grad der Belastung wird bei einem hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit durch seine Stellung sowie die Dauer seiner Tätigkeit bestimmt. Berücksichtigungsfähig sind weiterhin Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung dieser Tätigkeit für die Staatssicherheit. Ebensowenig wie besondere Einzelakte oder Auswüchse der Tätigkeit des Beschäftigten von Abs. 5 als Kündigungsgrund vorausgesetzt werden, besteht Grund zu der Annahme, etwaige Begünstigungen einzelner Verfolgter der Staatssicherheit fielen besonders ins Gewicht.

Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist anhand objektiver Kriterien zu beurteilen. Über die Frage, ob der einzelne Mitarbeiter weiterhin einer demokratisch legitimierten und rechtsstaatlich verfaßten Verwaltung angehören darf, bestimmt der Arbeitgeber unter Beachtung der Anforderungen, die in einem Rechtsstaat an den öffentlichen Dienst gestellt werden. Es finden nur solche Tatsachen Berücksichtigung, die zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs vorlagen. Insofern kommt dem Merkmal „erscheint” besondere Bedeutung zu, denn damit hebt das Gesetz nicht auf eine intern ermittelbare Lage, sondern auf die vordergründige Erscheinung der Verwaltung mit diesem Mitarbeiter ab.

Das Kündigungsrecht gemäß Abs. 5 ist nur Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes eröffnet. Sie sollen nicht darin behindert werden, dauerhaftes Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu schaffen. Folglich wird in der Regel mit der Bedeutung der früheren Tätigkeit und der Stellung des Beschäftigten beim Ministerium für Staatssicherheit die Notwendigkeit einer außerordentlichen Kündigung korrespondieren. Je höher die Stellung oder je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar. Diese äußere Betrachtungsweise, die durch den Rechtsbegriff „erscheint” gefordert ist, hindert die Berücksichtigung von Entlastungstatsachen, sofern sich diese nicht in gleicher Weise wie die frühere belastende Tätigkeit manifestiert habe. Nur unter dieser Voraussetzung sind sie geeignet, das Erscheinungsbild der Vorbelastung zu erschüttern und der Feststellung der Unzumutbarkeit entgegenzuwirken.

3. Die Erwägungen des Berufungsgerichts enthalten keine Rechtsfehler. Das Berufungsgericht hat zu Recht auf das Erscheinungsbild der Behörde abgestellt, bei der der Kläger beschäftigt war. Die Ausführungen, wer in dem Unterdrückungsstaat der DDR an der Grenze als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS hoheitliche Aufgaben ausgefüllt habe, sei nicht geeignet, Bewachungsaufgaben in einem Rechtsstaat auszuüben, ohne daß damit das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Verwaltung gestört werden könnte, sind zutreffend. Entscheidend ist hierbei, daß der Kläger in dem Bereich tätig war, der unmittelbar exekutive Befugnisse gegenüber den Personen hatte, die die Grenze überschreiten wollten.

Die Ausführungen der Revision, die Beklagte habe keine „Einzelfallprüfung” vorgenommen, sind zunächst mißverständlich. Sollte damit gemeint sein, die Ordnungsmäßigkeit der Kündigung hänge von der Einhaltung eines bestimmten Prüfungsablaufs ab, so wäre dies rechtlich fehlerhaft. Maßgebend ist allein, ob Einzelfallumstände, sofern solche vorgelegen haben, tatsächlich zu einem anderen rechtlichen Ergebnis hätten führen können. Der Kläger trägt selbst vor, die Beklagte sei hinsichtlich möglicher günstiger Umstände von einem bestimmten Schema ausgegangen. Das ist allein nicht fehlerhaft, denn eine solche Verfahrensweise dient der Gleichbehandlung der Betroffenen. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, weitere für den Kläger sprechende Tatsachen seien von diesem nicht geltend gemacht worden. Das ist zutreffend. Der Kläger hat bei seiner Anhörung selbst angegeben, zu seinen Aufgaben als Paßkontrolleur habe es gehört, im Rahmen der Fahndung bei Treffermeldungen die geforderten Maßnahmen durchzuführen. „Oftmals” habe es sich um Kriminelle gehandelt. „Teilweise” sei bei Fahndungstreffern auch lediglich über die Reisetätigkeit von Personen zu berichten gewesen. Daraus hat das Berufungsgericht zutreffend gefolgert, der Kläger habe ohne Einschränkung an allen von dem MfS angeordneten Maßnahmen an der Grenze mitgewirkt.

4. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß Abs. 5 Ziff. 2 auch insofern eine eigenständige Regelung darstellt, als Fristen, innerhalb derer die Kündigung auszusprechen sei, nicht gelten. Der Senat hat dies zu § 626 Abs. 2 BGB bereits entschieden (Senatsurteile vom 11. Juni 1992, a.a.O.). Das gilt auch für § 54 Abs. 2 BAT-O, sofern es sich hierbei überhaupt um eine gegenüber § 626 Abs. 2 BGB eigenständige Regelung handeln sollte, Abs. 5 Ziff. 2 regelt in seinem Regelungsbereich die außerordentliche Kündigung abschließend. Die Tarifvertragsparteien haben keine Möglichkeit, „günstigere” Regelungen in den Fällen zu treffen, in denen der Gesetzgeber die Frage der Unzumutbarkeit geregelt hat. Der Gesetzgeber hat durch Gesetz abschließend festgelegt, was unzumutbar ist. Ein danach Unzumutbares ist absolut nicht zumutbar und auch nicht durch tarifliche Regelungen einzuschränken.

5. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, die Beklagte habe ihr Kündigungsrecht nicht verwirkt.

Eine Kündigung kann wegen Verwirkung unbeachtlich sein. Die Verwirkung ist ein Fall des widersprüchlichen Verhaltens und damit der unzulässigen Rechtsausübung (BAG Urteil vom 24. September 1986 – 7 AZR 46/85 – n.v.). Ein Verwirkungstatbestand liegt vor, wenn der Kündigende längere Zeit trotz Vorliegens eines Kündigungsgrundes die Kündigung nicht ausgesprochen hat, obwohl ihm das möglich und zumutbar war, und dadurch beim Kündigungsempfänger das Vertrauen erweckt hat, die Kündigung werde unterbleiben (Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 1 Rz 158 a; KR-Wolf, 3. Aufl., Grundsätze Rz 342). Voraussetzung ist dabei, daß der Arbeitnehmer sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eingerichtet hat (BAG Urteil vom 12. Mai 1955 – 2 AZR 77/53 – AP Nr. 1 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen; BAGE 29, 158 = AP Nr. 11 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 171). Ein Verwirkungstatbestand liegt nicht vor, wenn neue Umstände gegenüber der ursprünglichen Betrachtung hinzutreten (BAG Urteil vom 21. Februar 1957 – 2 AZR 410/54 – AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1951).

Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß beim Kläger trotz Verstreichens einer fast ungebührlichen Zeit ein Vertrauen nicht entstehen konnte, ihm werde nicht mehr gekündigt. Die Frist, die von Kenntnis des Kündigungsgrundes bis zur Kündigung vergangen sein muß, um ein nicht mehr hinnehmbares Zögern annehmen zu können, ist durch feste Zeiten nicht eingrenzbar. Es kommt jeweils auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. So kann aus der Tatsache, daß der Kläger zunächst übernommen worden ist, nichts hergeleitet werden. Bei der Vielzahl der auf eine weitere Verwendbarkeit zu überprüfenden Arbeitnehmern konnte nicht geschlossen werden, die bloße Übernahme garantiere bereits ein endgültiges Verbleiben bei der Behörde. Ungeachtet der Frage, ob in der Vereinbarung vom 10. Mai 1991 in § 3 wirksam eine Probezeit vereinbart worden ist, konnte der Kläger schon aus der bloßen Tatsache, daß eine solche Klausel in seinem Vertrag enthalten war, erkennen, daß die Beklagte nicht von einem endgültigen Verbleiben ausgegangen war. Der Kläger trägt weiter selbst vor, es sei zunächst bis zum 1. Juli 1991 eine Verbeamtung vorgesehen gewesen, die dann verschoben worden sei. Dieser Umstand ließ erkennen, daß ein Entschluß über eine endgültige Übernahme noch nicht getroffen war. Zudem wußte der Kläger aus den von ihm zitierten Richtlinien, daß die von ihm aufgezeigten günstigen Voraussetzungen, die die Beklagte vorgegeben hatte, bei ihm nicht vorlagen. Insofern hat das Landesarbeitsgericht zu Recht geschlossen, eine Vertrauenslage habe nicht bestanden.

Das Berufungsgericht weist auch zutreffend darauf hin, daß der Kläger aus den von ihm zitierten Schreiben nichts herleiten konnte. Diese Schreiben waren weder an den Kläger adressiert, noch enthielten sie eine auf ihn bezogene bestimmte positive Aussage. Es blieb danach insbesondere aus dem Schreiben vom 30. Oktober 1991 offen, welche negativen Umstände Anlaß einer Kündigung hätten sein sollen.

Aus dem Umstand, daß die Beklage angeblich über 600 Stasi-Mitarbeiter eingestellt haben soll, können Schlüsse auf ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten nicht gezogen werden. Es ist weder vorgetragen, wie sich dieser Personenkreis zusammensetzt, noch sind Umstände dargetan, aus denen gefolgert werden kann, daß es sich um gleichartige Sachzusammenhänge handelt.

6. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats liegt vor. Nach § 79 Abs. 3 Satz 1 BPersVG ist der Personalrat vor außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Nach Satz 2 ist die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Nach § 79 Abs. 4 ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Ist das Anhörungsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, ist eine außerordentliche Kündigung unwirksam, denn eine nicht ordnungsgemäße Beteiligung steht einer unterbliebenen Beteiligung gleich (BVerwG Urteil vom 9. Mai 1985 – 2 C 23.83 –, ZBR 1985, 347; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Wittmaier, BPersVG, 7. Aufl., § 79 Rz 34; Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand: März 1993, § 79 Rz 140; BAG Urteil vom 5. Februar 1981 – 2 AZR 1135/78 – AP Nr. 1 zu § 72 LPVG NW).

Aus dem Anhörungsschreiben ergibt sich, daß die Beklagte die Kündigungsart mitgeteilt hat, daß sie auf die Tatsache der Zugehörigkeit des Bediensteten zum ehemaligen MfS/AfNS verwiesen und daß sie weitere Ausführungen zum Inhalt der Tätigkeit der PKE gemacht hat. Sie hat damit aus ihrer subjektiven Sicht ordnungsgemäß die Umstände mitgeteilt, die sie zur Kündigung veranlaßt haben. Der Streit der Parteien, ob der Vertreter des Personalrats, der an der Anhörung des Klägers teilgenommen hat, beauftragt war, die Interessen des zuständigen Personalrats wahrzunehmen, kann daher auf sich beruhen. Eine unrichtige Mitteilung, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kündigung nicht genügt haben konnten, hätte allenfalls dann vorgelegen, wenn die Beklagte dem Personalrat solche Tatsachen vorenthalten hätte, die dieser als dem Arbeitnehmer günstig zu erachten gehabt hätte. Der Kläger hat jedoch bei seiner Anhörung keine solchen Umstände vorgetragen, so daß sie auch dem Personalrat nicht unterbreitet werden konnten.

Soweit der Kläger sich darauf beruft, dem Personalrat seien keine persönlichen Daten mitgeteilt worden, kann dahinstehen, inwieweit eine solche Mitteilung nach § 79 Abs. 3 Satz 2 BPersVG gefordert ist. Jedenfalls spielen sie bei dem Kündigungsgrund des Abs. 5 Nr. 2 keine Rolle und sind bei der Erfassung des Kündigungsgrundes nicht mitzuverwerten. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 5 vor, ist es unerheblich, ob der Kläger verheiratet ist und wieviel Personen er Unterhalt zu gewähren hat.

Nähere Angaben dazu, bei welcher Einheit der Kläger wie lange beschäftigt war, könnten nur der Konkretisierung des in der Substanz jedenfalls mitgeteilten Kündigungsgrundes dienen.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Hannig, Plenge

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065122

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge