Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung der Renten durch DGB-Unterstützungskasse

 

Leitsatz (amtlich)

  • Eine Unterstützungskasse, die gehalts- und dienstzeitabhängige Betriebsrenten gewährt, kann die dienstzeitabhängigen Zuwachsraten im Rahmen der Billigkeit aus sachlichen Gründen kürzen (Anschluß an das Urteil des Senats vom 17. April 1985 – 3 AZR 72/83).
  • Sachliche Gründe liegen vor, wenn nach Erlaß der alten Versorgungsordnung Änderungen der Sach- und Rechtslage eingetreten sind, die bei grundsätzlichem Festhalten am Versorgungsziel Kürzungen nahelegen.
  • Diese Gründe müssen im Streitfall so dargelegt werden, daß die Verhältnismäßigkeit der Kürzung im Hinblick auf das angestrebte Regelungsziel überprüft werden kann.
  • Wird die Kürzung mit Änderungen der versorgungsrechtlichen Lage und daraus folgenden Kostensteigerungen begründet, so gilt folgendes:

    • Die gesetzlichen Regelungen der Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften (§ 1 BetrAVG) und des Teuerungsausgleichs für Betriebsrenten (§ 16 BetrAVG) sind regelmäßig kein sachlicher Grund für Rentenkürzungen.
    • Hingegen sind die Einführung einer vorgezogenen Altersgrenze (§ 6 BetrAVG) und die Schaffung eines gesetzlichen Insolvenzschutzes (§ 7 ff. BetrAVG) mit Mehrkosten verbunden, die eine ausgleichende Kürzung der Unterstützungskassenrente nahelegen können.
    • Änderungen des Sozialversicherungsrechts können sich bei Anrechnungsklauseln mittelbar auf die Kosten der betrieblichen Altersversorgung auswirken, jedoch Kürzungsmaßnahmen nur ausnahmsweise sachlich begründen. Erforderlich ist, daß sich die Rechtslage in grundlegender Weise geändert hat und daß die mittelbar verursachte Mehrbelastung sehr erheblich ist.
 

Normenkette

BetrAVG § 1 Unterstützungskassen, § 1 Besitzstand, § 1 Ablösung, §§ 5-7; BGB § 242; BetrVG 1972 § 87 Altersversorgung

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 05.07.1983; Aktenzeichen 11 Sa 315/83)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 16.12.1982; Aktenzeichen 11 Ca 2549/82)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. Juli 1983 – 11 Sa 315/83 – aufgehoben.
  • Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der beklagten Unterstützungskasse eine Betriebsrente auf der Grundlage von Leistungsrichtlinien aus dem Jahre 1972, obwohl diese später zum Nachteil der Versorgungsberechtigten geändert worden sind.

Die Klägerin trat am 1. März 1974 im Alter von 52 Jahren in den Dienst der D… gewerkschaft (D G). Seit 31. Juli 1981 befindet sie sich im Ruhestand. Sie bezieht seither vorgezogenes Altersruhegeld.

Für die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten der D… G… gilt eine “Tarifregelung”, die auch Bestimmungen über die betriebliche Altersversorgung enthält. § 26 Abschnitt II der Tarifregelung in der Fassung von Dezember 1979 lautet:

  • Zu den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung treten Versorgungsbezüge nach den Bestimmungen der Unterstützungskasse des D… B….
  • Die Beschäftigten der D… G… sind nach ihrer Festanstellung (Ablauf der vereinbarten Probezeit) bei der Unterstützungskasse des D… B…, und zwar rückwirkend auf den Tag ihrer Arbeitsaufnahme, anzumelden. Über die erfolgte Anmeldung ist den Beschäftigten eine entsprechende schriftliche Mitteilung zu geben.
  • Die Beiträge zur Unterstützungskasse des D… B… übernimmt die D… G… in voller Höhe.

Die beklagte Unterstützungskasse ist eine vom D… B…, den angeschlossenen Einzelgewerkschaften und verschiedenen gewerkschaftlichen Einrichtungen in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins unterhaltene gemeinsame Versorgungseinrichtung. Ihre Leistungsrichtlinien werden nach § 9 der Satzung von der Mitgliederversammlung beschlossen, die aus zwei Vertretern des D… B… und je einem Vertreter der angeschlossenen Gewerkschaften besteht. Die übrigen Mitglieder werden von einem Vertreter des D… B… oder einer Gewerkschaft vertreten. Bei Änderungen der Unterstützungsrichtlinien, über die mit Dreiviertelmehrheit zu beschließen ist, sind insgesamt drei Arbeitnehmer mit beratender Stimme zuzuziehen. Rechtsansprüche der Begünstigten sind generell ausgeschlossen.

Zur Zeit der Einstellung der Klägerin galten die Unterstützungsrichtlinien vom 1. November 1972. Nach § 2 Nr. 2 dieser Richtlinien sind Beschäftigte, die bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses das 50. Lebensjahr überschritten haben, von der Versorgung ausgeschlossen; sie können aber auf Antrag eines Mitglieds durch Beschluß des Kassenvorstandes aufgenommen werden. Für die Klägerin wurde ein entsprechender Beschluß mit Wirkung vom 1. März 1974 gefaßt. In § 3 der Richtlinien aus dem Jahre 1972 ist die Rentenberechnung wie folgt geregelt:

  • Für die Berechnung der Unterstützung wird das Durchschnittsbruttogehalt der letzten 12 Monate vor dem Ausscheiden zugrunde gelegt.

    Urlaubs- und Weihnachtsgelder sowie vom Mitglied übernommene Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gehören zum Durchschnittsbruttogehalt.

  • Die Unterstützung beträgt nach einer Wartezeit von 3 Jahren 20 v. H. des Bruttogehaltes, mit dem Ablauf eines jeden weiteren Jahres steigt sie um 3 v. H. bis 60 v. H.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1975 wurden die Richtlinien geändert, u.a. auch die Regelung der Grund- und Steigerungsbeträge. Nunmehr bestimmte § 3 Nr. 7:

“Die Unterstützung beträgt nach einer Wartezeit von drei vollen Beitragsjahren 9 v.H. des Bemessungsentgeltes. Sie steigt für jedes weitere Jahr um 3 v.H. des Bemessungsentgelts.”

Weitere Änderungen der Richtlinien in den Jahren 1977 und 1978 stimmten insoweit mit der Fassung vom 1. Januar 1975 überein.

Zum 1. Januar 1980 wurden die Richtlinien erneut geändert. § 6 dieser Fassung lautet auszugsweise wie folgt:

  • Die Unterstützung beträgt nach Vollendung der Wartezeit 2 v.H. des Bemessungsentgeltes für jedes volle Jahr der Wartezeit.
  • Sie steigt für jedes weitere anrechnungsfähige Jahr gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 um 2 v.H. des Bemessungsentgeltes.
  • Der Steigerungssatz für anrechnungsfähige Zeiten nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 beträgt 1,5 v.H. des Bemessungsentgeltes.
  • Die nach den Absätzen 1 bis 3 berechnete Unterstützung darf 60 v.H. des Bemessungsentgeltes nicht überschreiten.

Sämtliche Richtlinien aus den Jahren 1975, 1977, 1978 und 1980 enthielten Übergangsvorschriften, die den Arbeitnehmern die bis zur Änderung erworbenen Anwartschaften in der Weise sicherten, daß sie die bereits erdienten Steigerungsbeträge aufrechterhielten.

Als die Klägerin im Jahre 1981 ausschied, wendete die Beklagte die Richtlinien vom 1. Januar 1980 an und errechnete danach ein Altersruhegeld von monatlich 633,79 DM. Die Beklagte berechnete als Steigerungsbeträge für die ersten fünf Dienstjahre je 3 % (= 15 %) und für die beiden letzten Jahre je 2 % (= 4 %), zusammen 19 % des Bemessungsentgelts.

Dazu hat die Klägerin vorgetragen: Ihre Versorgungszusage sei auf der Grundlage der Richtlinien von 1972 erteilt worden, denn sie sei damals schon älter als 50 Jahre gewesen und nur auf besonderen Antrag der D… G… durch einen Beschluß des Kassenvorstands der Beklagten in das Versorgungswerk aufgenommen worden. Sie habe darauf vertraut, trotz ihres Alters noch eine gute Altersversorgung aufbauen zu können. Der einseitige Eingriff der Beklagten könne ihre vertragliche Rechtsposition nicht schmälern, zumal der Betriebsrat den Änderungen nicht zugestimmt habe. Änderungen der arbeits- und sozialrechtlichen Lage seit 1972 rechtfertigen die Kürzung nicht.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte die Versorgungsrente der Klägerin nach den am 1. März 1974 geltenden Unterstützungsrichtlinien zu berechnen habe.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, sie habe die Versorgungszusage nicht allein auf der Grundlage der Richtlinien aus dem Jahre 1972 erteilt. Gemäß § 9 Nr. 1 ihrer Satzung seien die Richtlinien in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Zudem sei nach § 9 Nr. 3 der Satzung ein Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen ausdrücklich ausgeschlossen.

Die verschiedenen Änderungen der Richtlinien seien sachlich geboten gewesen. Dabei habe man die von den Arbeitnehmern erdienten Steigerungsbeträge nicht angetastet. Die künftigen Steigerungsbeträge habe man kürzen müssen, um Änderungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung zu berücksichtigen. Ferner habe die Senkung des Rentenniveaus durch das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz mittelbar einen erheblichen Anstieg der betrieblichen Versorgungslasten bewirkt. Zugleich habe man aber auch das Ziel verfolgt, nur kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer nicht mehr besonders zu begünstigen und deshalb den in den Richtlinien von 1972 vorgesehenen hohen Grundbetrag beseitigt. Schließlich hätten die Unverfallbarkeitsregelung des Betriebsrentengesetzes, der gesetzliche Teuerungsausgleich, die Möglichkeit des vorgezogenen Ruhestandes sowie der gesetzliche Insolvenzschutz erhebliche Kostensteigerungen bewirkt. Allein für die betriebliche Altersversorgung seien die Aufwendungen von 1967 bis 1981 um 44,62 % gewachsen. Der Auffüllbedarf der betrieblichen Altersversorgung habe 1981 nicht mehr 16,5 % sondern 35,2 % des Bemessungsentgelts betragen. Damit seien grundlegende Merkmale der früheren Leistungsstruktur weggefallen. Es habe sich als notwendig erwiesen, die jährlichen Steigerungsraten von 3 % auf 2 % zu kürzen.

Im Falle der Klägerin sei außerdem zu berücksichtigen, daß sie in den zehn Monaten vom 1. März 1974 bis zur Ablösung der damals geltenden Richtlinien aus dem Jahre 1972 am 31. Dezember 1974 die Wartezeit nicht habe erreichen können. Sie habe bis dahin keine Grund- und Steigerungsbeträge erdient, die ihr erhalten werden müßten. Ihre Rente sei mithin nach den Richtlinien vom 1. Januar 1975 und vom 1. Januar 1980 zu berechnen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Es kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die Kürzung der ursprünglich zugesagten Leistungen in vollem Umfange wirksam ist.

I. Die Klägerin kann ihr Begehren nicht auf Erklärungen oder Verhalten ihrer früheren Arbeitgeberin, der D… G…, stützen. Ihr Vortrag, die D… G… habe trotz Überschreitens der Altersgrenze ihre Aufnahme in das Versorgungswerk beantragt und damit in ihr das Vertrauen erweckt, sie könne trotz fortgeschrittenen Alters noch eine gute Versorgung erwerben, könnte allenfalls Ansprüche gegen die D… G…, nicht aber gegen die beklagte Unterstützungskasse begründen; diese hat nur Leistungen nach Maßgabe ihrer Satzungen und Richtlinien zu erbringen.

II. Die Klägerin kann die Rechtswidrigkeit der Neuregelung auch nicht damit begründen, der Betriebsrat der D… G… sei übergangen worden. Betreiben mehrere Trägerunternehmen gemeinsam eine Gruppen-Unterstützungskasse, wie das hier der Fall ist, so besteht zwar ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte der einzelnen Trägerunternehmen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, die Verletzung dieses Mitbestimmungsrechts führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Beschlüsse, die von den Organen der gemeinsamen Unterstützungskasse satzungsgemäß gefaßt wurden. Dies hat der Senat durch ein Urteil vom heutigen Tage entschieden (– 3 AZR 100/83 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Darauf wird Bezug genommen (vgl. dort zu II der Gründe). Für den vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich, daß ungeklärt bleiben kann, ob der Betriebsrat der D… G… übergangen wurde. Selbst in diesem Fall könnte die Klägerin daraus gegenüber der beklagten Unterstützungskasse keine Rechte ableiten.

III. Dennoch läßt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, inwieweit die Beklagte ihre Leistungsrichtlinien wirksam zum Nachteil der Klägerin geändert hat.

1. Der Klägerin war eine betriebliche Altersversorgung “nach den Bestimmungen der Unterstützungskasse des D… B…” zugesagt; Leistungsvoraussetzungen und Leistungshöhe sollten sich also nach Satzung und Richtlinien der Beklagten richten. § 9 Nr. 3 der Satzung enthält den für Unterstützungskassen kennzeichnenden Ausschluß des Rechtsanspruchs und bestimmt weiter, daß für die Unterstützungsleistungen die jeweilige Fassung der Richtlinien maßgebend sein soll. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bedeutet dies, daß aus sachlichen Gründen, in genereller Form und im Rahmen der Billigkeit Änderungen der Versorgungsordnung zulässig sind, selbst wenn sie Versorgungsaussichten schmälern (BAG 21, 46, 51 = AP Nr. 127 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu B II der Gründe; 37, 217, 222 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu II 1 der Gründe).

Welches Gewicht ein sachlicher Grund haben muß, um Eingriffe in die rechtlich geschützte Position der Arbeitnehmer zu rechtfertigen, richtet sich auf der Seite des Arbeitgebers danach, ob und aus welchen Gründen neue Regelungsbedürfnisse aufgetreten sind, die zur Zeit der Zusage noch nicht bestanden oder noch nicht deutlich waren. Auf der Seite der Arbeitnehmer kommt es darauf an, wie stark deren Besitzstände sind. Demgemäß hat der Senat unterschieden, ob in den unverfallbaren und insolvenzgeschützten Betrag der zeitanteilig erdienten Anwartschaft oder nur in die zugesicherten Zuwachsraten eingegriffen werden soll. Bei letzteren hat der Senat wiederum zwischen zeitanteilig erdienter Dynamik und dienstzeitabhängigen, also erst durch weitere Betriebstreue zu erdienenden Zuwächsen unterschieden. Je nach der Stärke des Besitzstands setzt ein Eingriff zwingende, triftige oder nur weniger gewichtige sachliche Gründe voraus (dazu im einzelnen: Urteil des Senats vom 17. April 1985 – 3 AZR 72/83 – EzA § 1 BetrAVG Unterstützungskasse Nr. 2). Es gelten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (BVerfG, Beschluß vom 19. Oktober 1980 – BVerfGE 65, 196 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu C II 1 der Gründe). Sachliche Gründe in diesem Sinne liegen vor, wenn nach Erlaß der alten Versorgungsordnung Änderungen der Sach- und Rechtslage eingetreten sind, die bei grundsätzlichem Festhalten am Versorgungsziel Kürzungen nahelegen. Die neue Regelung muß insgesamt und im Einzelfall den Grundsätzen der Billigkeit entsprechen, also einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle standhalten (für die ablösende Betriebsvereinbarung vgl. Beschluß des Senats vom 8. Dezember 1981 – 3 ABR 53/80 – BAG 36, 327, 336 f. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 2 der Gründe).

2. Im Streitfall betreffen die Richtlinienänderungen unterschiedliche Berechnungsgrundsätze. Nach der Regelung von 1972 (§ 3 Nr. 3) erdienten die Arbeitnehmer in einer Wartezeit von drei Jahren einen Sockelbetrag von 20 % des durchschnittlichen Bruttogehalts der letzten zwölf Monate vor dem Ausscheiden; die Unterstützung stieg anschließend um 3 % jährlich bis auf 60 % des Bemessungsentgelts. Die Richtlinien von 1975 (§ 3 Nr. 7) kürzten diesen Sockel auf 9 % des Bemessungsentgelts, ließen jedoch den Steigerungssatz von 3 % für jedes Beschäftigungsjahr unverändert. Die Richtlinien von 1980 schließlich (§ 6) sehen durchgehend vom Beginn des Arbeitsverhältnissen an nur noch einen Zuwachs von jährlich 2 % vor. Sämtliche Fassungen halten aber an der dynamischen Bemessungsgrundlage (Durchschnittsgehalt des letzten Jahres) fest und garantieren in Übergangsvorschriften die jeweils bereits vorher erdienten Steigerungsraten. Die Besitzstände wurden also weitgehend gewahrt, und zwar auch die erdiente Dynamik. Bei dieser Sachlage genügen nach der Rechtsprechung des Senats sachliche Gründe, um in die allein betroffenen dienstzeitabhängigen Zuwachsraten einzugreifen.

a) Soweit die Richtlinien von 1975 den in den ersten drei Jahren erreichbaren Grundbetrag von 20 % auf 9 % des Bemessungsentgelts gekürzt haben, greifen sie zu Lasten der Klägerin noch nicht in einen Besitzstand ein, der schutzwürdig wäre. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin bestand zur Zeit der Neuregelung erst zehn Monate. Außerdem wurde sie erst nachträglich mit Rückwirkung auf den Dienstantritt in den Kreis der Versorgungsberechtigten aufgenommen. Die Versorgungsordnung der Beklagten sieht in sämtlichen Fassungen der Richtlinien nur die Berücksichtigung voller Dienstjahre vor. Das erscheint nicht unbillig und führt dazu, daß die Klägerin die Neuregelung insoweit hinnehmen muß, ohne sich auf einen erworbenen Besitzstand berufen zu können.

Das Argument der Beklagten, durch den Abbau des Sockels von 20 % nach dreijähriger Wartezeit solle eine gleichmäßigere Bewertung der Betriebstreue erreicht werden, zielt allerdings nicht auf eine Kürzungsmaßnahme, sondern nur auf geänderte Verteilungsgrundsätze. Es wäre deshalb nur dann überzeugend, wenn die Vollrente bei Erreichen einer erwarteten Beschäftigungszeit nicht gemindert würde. Hierauf braucht der Senat aber nicht näher einzugehen, weil die Klägerin nach der Regelung aus dem Jahre 1972 ohnehin noch keinen schützenswerten Besitzstand erwerben konnte.

b) Für die Kürzung der Zuwachsraten macht die Beklagte eine Reihe von Gründen geltend, die dahin zielen, verschiedene gesetzliche Verbesserungen in der Altersversorgung der Arbeitnehmer und die damit verbundenen Kostensteigerungen durch eine Einschränkung des Dotierungsrahmens auszugleichen. Dabei vermischt die Beklagte ihre Regelungsziele und pauschaliert sie ihre Kostenargumente, ohne die geschätzten Mehr- und Minderkosten aufzuschlüsseln und getrennt auf die verschiedenen Kürzungsgründe zu beziehen. Das ist aber erforderlich. Die geltend gemachten sachlichen Gründe der Neuregelung sind auf ihr Gewicht hin zu überprüfen und im Rahmen der Billigkeit am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen (zur ablösenden Betriebsvereinbarung vgl. BAG 36, 327, 343 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu B III 3 der Gründe). Der Regelungszweck und das Mittel der Kürzung müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Pauschale und unbezifferte Kostenargumente lassen eine solche Prüfung nicht zu und reichen daher nicht aus (BAG 37, 217, 225 f. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu III 3a der Gründe). Das Berufungsgericht hat dies nicht berücksichtigt. Es hat die Kürzungsmaßnahme ohne nähere Prüfung insgesamt als billig angesehen.

c) Im einzelnen trägt die Beklagte folgende Kürzungsgründe vor:

(1) Durch die gesetzliche Regelung der Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften und die Einführung des Teuerungsausgleichs bei den laufenden Renten (§§ 1, 16 BetrAVG) sei die Rechtsstellung der Arbeitnehmer und Rentner wesentlich verbessert worden; damit sei zugleich die Kostenlast für die betriebliche Altersversorgung stark angestiegen. Diese Begründung vermag bereits vom Ansatz her nicht zu überzeugen und rechtfertigt eine Kürzung nicht.

Die Anerkennung der Unverfallbarkeit von erdienten Anwartschaften ist nichts anderes als die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben, die im Zivilrecht stets zu beachten sind und die lediglich konkretisiert wurden, zunächst in der Rechtsprechung des Senats (BAG 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) und später im Betriebsrentengesetz (§§ 1 ff., 18 BetrAVG). Es wäre mit Recht und Billigkeit unvereinbar, könnte das zugesagte Entgelt für langjährige Betriebstreue nach erbrachter Vorleistung nachträglich entschädigungslos wegfallen.

Entsprechendes gilt für den Ausgleich des Wertverlustes, den Betriebsrenten durch die allgemeine Verteuerung der Lebenshaltungskosten erfahren. Auch insoweit können es die Grundsätze von Treu und Glauben schon nach allgemeinem Vertragsrecht gebieten, eine Anpassung vorzunehmen. Auch insoweit haben die Rechtsprechung des Senats (BAG 25, 146 = AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Geldentwertung) und das Betriebsrentengesetz (§ 16 BetrAVG), lediglich die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben konkretisiert, die die Beklagte bei der Ausgestaltung ihrer Versorgungsordnung von vornherein berücksichtigen mußte. Nur die Art der Konkretisierung und der Umfang der damit verbundenen Kosten konnten die Beklagte überraschen. Das reicht jedoch allein noch nicht aus, eine Kürzung des Leistungsrahmens nachträglich zu rechtfertigen. Die Kosten der Unverfallbarkeit und des Teuerungsausgleichs können u.U. unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Notlage zum Widerruf oder zur Kürzung von Versorgungszusagen führen, nicht aber allein deshalb, weil unvorhergesehene wirtschaftliche Belastungen erkennbar geworden sind, die schon in der ursprünglichen Zusage angelegt waren (vgl. Höfer/Abt, BetrAVG, Bd. I, 2. Aufl., ArbGr Rz 394).

(2) Anders zu beurteilen ist die Einführung des gesetzlichen Insolvenzschutzes (§§ 7, 10 BetrAVG) und der flexiblen Altersgrenze (§ 6 BetrAVG). Insoweit handelt es sich um Verbesserungen der Rechtsstellung der Arbeitnehmer, die den Dotierungsrahmen erweitern und im Vertragsrecht keine Grundlage finden. Diese Mehrkosten durch Änderungen des Leistungsplans auszugleichen, erscheint sachlich gerechtfertigt. Allerdings muß die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein, die Senkung der Leistungskurve bei den Zuwachsraten also der hierdurch verursachten Verteuerung entsprechen.

(3) Weniger eindeutig einzuordnen ist das Argument der Beklagten, die Entwicklung des Sozialversicherungsrechts habe zu einem allgemeinen Absinken des Rentenniveaus und dadurch für sie mittelbar zu Mehrbelastungen geführt. Ein solcher Zusammenhang ist nach den umstrittenen Unterstützungsrichtlinien in der Tat naheliegend. Diese sehen zwar keine Gesamtversorgung vor, auf die die Sozialversicherungsrenten anzurechnen wären, sondern grundsätzlich nur gehalts- und dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge, aber die Gesamtversorgungsobergrenze von 75 % bis 85 % des Bemessungsentgelts wirkt im Zusammenhang mit den anderen Berechnungsfaktoren praktisch ganz ähnlich. Isoliert betrachtet handelt es sich zwar nur um einen Ausnahmetatbestand, der “Überversorgungen” vermeiden soll, berücksichtigt man aber den Steigerungssatz von jährlich 3 % des Bemessungsentgelts, muß man der Beklagten zugeben, daß die Obergrenze in sehr vielen Fällen erreicht werden wird, und zwar um so häufiger, je höher das Niveau der Sozialversicherungsrenten liegt. Ein allgemeines Absinken des Rentenniveaus vermindert die Anrechnungsfälle und wirkt sich dadurch mittelbar als Verteuerung der betrieblichen Altersversorgung aus.

Rechtlich folgt daraus nicht ohne weiteres, daß solche mittelbar verursachten Kostensteigerungen durch Leistungskürzungen ausgeglichen werden dürfen. Anrechnungsklauseln wirken zweischneidig. Solange das Sozialversicherungsrecht ausgebaut wurde und die Renten regelmäßig und ohne Abstriche anstiegen, wurden betriebliche Gesamtversorgungssysteme erheblich entlastet. Rechtsprechung und Gesetzgebung sahen sich sogar vor die Frage gestellt, ob Betriebsrenten durch die Anrechnung von Sozialversicherungsrenten ausgezehrt werden dürfen (§ 5 Abs. 1 BetrAVG; BAG 15, 249 = AP Nr. 92 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Davon hat auch die Beklagte bei der Anwendung ihrer Höchstbegrenzungsklausel lange Zeit profitiert. Würde die entsprechende Risikoverteilung sofort geändert, wenn sie zugunsten der Versorgungsberechtigten wirkt, so läge darin ein widersprüchliches Verhalten. Nach ihrem Versorgungsmodell muß die Beklagte globale Schwankungen des Rentenniveaus zunächst ausgleichen.

Andererseits kann die Bindung an das einmal geschaffene Anrechnungsverfahren nicht unbegrenzt sein. Es sind Entwicklungen denkbar, die das ursprüngliche Regelungskonzept sprengen und sogar die Geschäftsgrundlage entfallen lassen können (mit Recht zurückhaltend Blomeyer/Otto, BetrVG, Einl. Rz 360; Wiedemann, Festschrift für Stimpel, 1985, S. 955, 964 f.; zu großzügig Höfer/Abt, BetrVG, 2. Aufl., ArbGr. Rz 387 f.). Bei einer Kürzung der dienstzeitabhängigen Zuwachsraten von Unterstützungskassen-Anwartschaften genügen zwar sachliche Gründe, aber auch diese setzen voraus, daß grundlegende Änderungen des Sozialversicherungsrechts eingetreten sind, die zu sehr erheblichen Mehrbelastungen der beklagten Unterstützungskasse geführt haben. Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, ist bisher nicht ausreichend erörtert und aufgeklärt worden.

3. Danach ist die Sache an den Tatrichter zurückzuverweisen.

Das Landesarbeitsgericht wird der Beklagten zunächst Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag im Sinne der vorstehend entwickelten Grundsätze zu ergänzen. Vor allem sind die finanziellen Kalkulationen für die einzelnen Kürzungsgründe, soweit diese beachtlich sind, aufzuschlüsseln. Auf der Grundlage des entsprechenden Rechenwerkes muß dann das Landesarbeitsgericht prüfen, ob die tatsächlich durchgeführten Kürzungsmaßnahmen im Hinblick auf die anzuerkennenden sachlichen Gründe (Ausgleich für die vorgezogene Altersgrenze und den gesetzlichen Insolvenzschutz) dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, ob also nicht mehr gespart wurde, als dafür erforderlich war.

Soweit die Beklagte auf die Entwicklung des Sozialversicherungsrechts und deren mittelbare Kostenfolgen abstellt, wird das Landesarbeitsgericht vorab prüfen müssen, ob ein sachlicher Grund überhaupt anzuerkennen ist, ob also die angeführten Änderungen so weit gehen und ihre Folgen so schwer wiegen, daß sich die Beklagte nicht widersprüchlich verhält, wenn sie die finanzielle Mehrbelastung ihrer Höchstbegrenzungsklausel abwälzen will.

Sollte die weitere Aufklärung des Sachverhalts ergeben, daß die umstrittene Kürzungsmaßnahme nur teilweise sachlich begründet ist, wird sich dem Landesarbeitsgericht die schwierige Aufgabe stellen, für die Entscheidung über die vorliegende Klage eines einzelnen Arbeitnehmers zu unterstellen, daß eine weniger einschneidende Regelung maßgebend sei. Wie diese abgemilderte Kürzungsmaßnahme ausgestaltet sein könnte, ist eine Frage, zu der der Beklagten gesondert rechtliches Gehör gegeben werden muß. Die Antwort verlangt zwar eine generelle Folgenbewertung, kann aber rechtskräftig nur für die Parteien des Rechtsstreits gegeben werden. Eine satzungsgemäße Neuregelung mit Beteiligung der Betriebsräte wird durch sie weder gehindert noch ersetzt.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Dr. Schwarze, Grimm

 

Fundstellen

Haufe-Index 872419

BAGE, 397

RdA 1986, 272

ZIP 1986, 859

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