Entscheidungsstichwort (Thema)

Überführung einer Teileinrichtung nach Art. 13 EV und Betriebsübernahme

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Ablehnung einer Betriebsübernahme bei Abwicklung durch öffentliche Hand (Anschluß an BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – zur Veröffentlichung bestimmt)

 

Normenkette

BGB § 613a; Einigungsvertrag Art. 13 Abs. 2

 

Verfahrensgang

BezirksG Chemnitz (Urteil vom 29.11.1991; Aktenzeichen Sa 55/91)

KreisG Chemnitz-Stadt (Urteil vom 14.05.1991; Aktenzeichen A 603/91)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bezirksgerichts Chemnitz vom 29. November 1991 – Sa 55/91 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach Abwicklung des medizinischen Dienstes des Verkehrswesens der DDR (im folgenden: MDV) auf die Beklagte übergegangen ist.

Die zum Zeitpunkt der Klageerhebung 40jährige Klägerin war seit 1. September 1973 beim MDV als Betriebskrankenschwester zu einem Bruttoarbeitslohn von zuletzt 1.645,00 DM beschäftigt. Sie arbeitete überwiegend in der Sanitätsstelle des Bahnhofes H – im Regierungsbezirk Chemnitz und vertretungsweise in der Sanitätsstelle des Bahnbetriebswerkes H. Sie war auf der Grundlage der Dienstvorschrift für die Ermittlung der arbeits- und verkehrsmedizinischen Tauglichkeit für die Beschäftigten im Verkehrswesen (DV 0107) an arbeits- und verkehrsmedizinischen Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen, Einstellungs-, Wiederholungs- und Sonderuntersuchungen sowie arbeitsmedizinischen Untersuchungen und teilweise in allgemeinen Sprechstunden beteiligt. Der zu betreuende Personenkreis bestand aus Eisenbahnern und Auszubildenden verschiedener Dienststellen der Beklagten. Daneben wurden Reichsbahnbeschäftigte im Ruhestand und Arbeitnehmer anderer, der Beklagten nicht zugehöriger Betriebe, betreut. Bei letzteren handelte es sich um Berufskraftfahrer verschiedener volkseigener Betriebe der Region Chemnitz. Neben oben genanntem Aufgabengebiet war die Klägerin an Betriebsbegehungen mit Kontrollen von Arbeitsplätzen, Sanitäreinrichtungen und Erste-Hilfe-Ausrüstungen, der Durchführung von Arbeitsschutzlehrgängen und schließlich an der Ersten Hilfe bei Personenunfällen beteiligt.

In der Sanitätsstelle des Bahnhofes H waren neben der Klägerin eine Ärztin und zwei weitere Betriebskrankenschwestern beschäftigt. Die Sanitätsstelle ist auf dem Gelände der Beklagten gelegen; die Räumlichkeiten der Sanitätsstelle, Gerätschaften und Mobiliar waren und sind Eigentum der Beklagten.

Der Klägerin wurde mit einem Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 27. Dezember 1990 mitgeteilt, daß der MDV abgewickelt werde und ihr Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 1991 ruhe. Zuvor war der Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 1990 durch den Chefarzt des MDV bereits mitgeteilt worden, daß nach den Rechtsfolgen des Einigungsvertrages vorbehaltlich anderer Entscheidung des Landes die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter des MDV ab 1. Januar 1991 ruhen und konkrete Regelungen des voraussichtlichen Wartestandes im Monat Januar zugehen würden.

Seit dem 1. Januar 1991 ist in den örtlichen Räumlichkeiten des MDV der bahnärztliche Dienst der Beklagten ansässig. Beschäftigt werden eine Ärztin und zwei Betriebskrankenschwestern, die bereits beim MDV gearbeitet haben.

Die Klägerin ist der Ansicht, es sei eine Übernahme der Arbeitsverhältnisse durch die Beklagte erfolgt, weil der bahnärztliche Dienst in gleicher Weise fortgeführt werde wie ursprünglich beim MDV. Sie trägt vor, die Ärztin Frau Dr. R und die Schwester Frau K seien unverändert tätig; eine zweite, früher auf dem Kraftfahrzeugsektor arbeitende Krankenschwester sei auf ihrem Arbeitsplatz eingesetzt, während sie in den Wartestand versetzt worden und die Schwester Frau W in den Schwangerschaftsurlaub gegangen sei.

Aus einem Schreiben des örtlichen Personalrates an den Bezirkspersonalrat des MDV vom 20. November 1990 sei ersichtlich, daß die Beklagte die Übernahme der Sanitätsstelle des MDV in den bahnärztlichen Dienst geplant hätte. Tatsächlich sei ihr Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsüberganges nach § 613 a BGB auf die Beklagte übergegangen. Der ganz überwiegende Teil der zu verrichtenden Arbeit sei von nahezu dem gleichen Personal ohne Unterbrechung fortgeführt worden; der frühere Arbeitsanfall hinsichtlich der zu betreuenden Berufskraftfahrer fremder Betriebe habe nur einen äußerst geringen Umfang am Gesamtarbeitsanfall ausgemacht. Aufgabenstruktur und Stellenplan des Dienstes seien nahezu unverändert geblieben.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß zwischen den Parteien seit 1. Januar 1991 ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, sie sei nicht passiv legitimiert. Mit dem zum 31. Dezember 1990 aufgelösten MDV sei sie weder identisch noch in sonstiger Weise rechtsrelevant verbunden. Sie sei insbesondere nicht Rechtsnachfolgerin des MDV, dessen Beschäftigte unter Verantwortung des Bundesministeriums für Verkehr in den Wartestand versetzt worden seien. Zeitgleich mit der Auflösung des MDV sei ein bahnärztlicher Dienst bei ihr, der Beklagten, geschaffen worden, wobei in Einzelfällen Ärzte und Krankenschwestern nach Entscheidung des Vorstands übernommen worden seien.

Zu Unrecht berufe sich die Klägerin auf einen Betriebsübergang nach § 613 a BGB. Es fehle bereits an einem Rechtsgeschäft, durch welches dieser veranlaßt worden sein solle. Das Vorliegen eines Rechtsgeschäftes behaupte die Klägerin nicht einmal, sondern nur, daß über eine Übernahme verhandelt worden sei. Zwar habe es tatsächlich Verhandlungen über die Übernahme der Arbeitnehmer des MDV gegeben, diese seien jedoch gescheitert. Sie, die Beklagte, führe auch nicht die Aufgaben des MDV fort. Dieser sei mit ca. 3.000 Mitarbeitern auf dem Gebiet des gesamten Verkehrswesens der DDR tätig gewesen, hingegen habe sie, die Beklagte, im bahnärztlichen Dienst lediglich ca. 380 Beschäftigte. Dieser Dienst übe auch nicht die gleiche Aufgabe wie der MDV aus. Es würden keine therapeutischen Behandlungen oder Sprechstunden durchgeführt, vielmehr gehörten arbeitsmedizinische Fragen sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz zu ihren jetzigen Aufgaben. Die Klägerin habe sich im übrigen nie beworben. Schließlich habe sie, die Beklagte, nur zwei Schwestern angestellt, nämlich Frau D – und Frau K; eine Frau W sei ihr unbekannt.

Das Kreisgericht hat durch Urteil vom 14. Mai 1991 die Klage abgewiesen. Das Bezirksgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das mit dem MDV begründete Arbeitsverhältnis der Klägerin ist nicht von der Beklagten fortgeführt bzw. übernommen worden; es ruhte vielmehr im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 1991 und endete mit Ablauf des 30. Juni 1991. Die Voraussetzungen nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 3 (im Folgenden Nr. 1 Abs. 2 und 3) der Anlage I zum Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen DDR vom 31. August 1990 (EV) lagen jeweils vor. Der Senat schließt sich insoweit den Erwägungen im Urteil des Achten Senats des BAG vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – (zur Veröffentlichung bestimmt) an.

I. Gemäß Nr. 1 Abs. 2 und 3 EV bestanden die Arbeitsverhältnisse der in den gemäß Art. 13 Abs. 2 EV ganz oder teilweise auf den Bund bzw. die Länder überführten Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer nach Nr. 1 Abs. 2 und 3 EV zum Bund bzw. zum jeweiligen Land. Die Arbeitsverhältnisse der übrigen Arbeitnehmer ruhten vom Tage des Wirksamwerdens des Beitritts an.

1. Die Arbeitsverhältnisse der Werktätigen des öffentlichen Dienstes der DDR gingen nicht durch den Wegfall des ursprünglichen Vertragspartners am 3. Oktober 1990 unter. Das ergibt sich aus dem Einigungsvertrag selbst. Dem steht die frühere gesetzliche Regelung der ehemaligen DDR nicht entgegen. Nach § 38 Abs. 1 AGB-DDR waren die Arbeitsrechtsverhältnisse zwischen dem Werktätigen und dem „Betrieb” zu vereinbaren. Diese Bestimmung verlor allerdings mit dem Wirksamwerden des Beitritts ihre Geltung. Die nach bundesdeutschem Recht nicht rechtsfähigen Vertragsparteien auf Arbeitgeberseite gingen unter. Obgleich im Protokoll zum Einigungsvertrag zu Art. 13 Abs. 2 (BGBl. 1990 II S. 905) klarstellend ausgeführt ist, in überführten Einrichtungen sei „geeignetes Personal entsprechend den Notwendigkeiten der Aufgabenerfüllung in angemessenem Umfang zu übernehmen”, ist mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 84, 133, 147) im Ergebnis davon auszugehen, daß mit der Überführung der Arbeitsvertragsparteien auf neue Träger öffentlicher Verwaltung als juristische Personen bundesdeutschen Rechts die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes übergingen. Die dazu notwendigen dienstrechtlichen Maßgaben des Kapitels XIX der Anlage I zum EV knüpfen an die organisationsrechtlichen Regelungen des Art. 13 EV an. Danach unterstehen Einrichtungen oder Teileinrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllten, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes von den Ländern wahrzunehmen sind, den zuständigen Landesregierungen. Diese hatten die Überführung oder Abwicklung zu regeln.

2. Die Überführung einer Einrichtung gemäß Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275). Sie konnte formfrei ergehen, also auch konkludent verlautbart werden. Die bloße Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer indiziert allerdings nicht die Überführungsentscheidung, wenn die Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten befaßt wurden.

Die Entscheidung zur Überführung einer Einrichtung oder Teileinrichtung durfte von den zuständigen Landesregierungen gemäß Art. 13 bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 gefällt werden. Hierzu ermächtigte der Einigungsvertrag selbst, wie sich aus der Fußnote zu Nr. 1 Abs. 2 EV ergibt. Danach gingen die Vertragsparteien des Einigungsvertrages davon aus, ein Hinausschieben des Ruhensbeginns sei besonders regelungsbedürftig. Folglich wurde die Entscheidung gemäß Art. 13 EV bis zum Wirksamwerden des Beitritts als Normalfall angesehen.

3. Die Überführungsentscheidung gemäß Art. 13 EV konnte eine Einrichtung als ganze oder eine Teileinrichtung betreffen, die ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte. Dies setzte eine organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit mit eigener Aufgabenstellung und der Fähigkeit zu einer aufgabenbezogenen Eigensteuerung voraus. Soweit Einrichtungen ganz oder teilweise überführt wurden, bestanden die Arbeitsverhältnisse gemäß Art. 20 EV in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 und 3 EV jeweils zum neuen Träger öffentlicher Verwaltung fort. Wenn Nr. 1 Abs. 2 und 3 EV eine teilweise Überführung einer Einrichtung als Grund des aktiven Fortbestehens der Arbeitsverhältnisse vorsieht, ist damit entsprechend dem dargestellten Normzweck die Überführung einer Einrichtung im Sinne von Art. 13 EV gemeint. Die Organisationsentscheidung nach Art. 13 EV war weder personennoch arbeitsplatzbezogen. Sie betraf funktionsfähige Organisationseinheiten, die vor dem 3. Oktober 1990 die Fähigkeit zu aufgabenbezogener Eigensteuerung und selbständiger Aufgabenerfüllung besaßen. Dementsprechend gibt Art. 13 Abs. 1 Satz 3 EV in Verbindung mit den Regelungen der Anlage I die Mindesterfordernisse überführungsfähiger Teileinrichtungen vor.

4. Bei der Feststellung einer organisatorischen Abgrenzbarkeit der Teileinrichtung ist nicht abzustellen auf die für jede öffentliche Einrichtung typischen internen Untergliederungen wie Abteilung, Referat oder Dezernat, die lediglich zu Zwecken der Geschäftsverteilung gebildet werden. Entscheidend ist vielmehr, daß der betroffene Teil als organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit auch nach außen mit einem gewissen Grad an Selbständigkeit erscheint, ohne daß ihm damit zugleich eine eigene Rechtspersönlichkeit oder ein Behördencharakter zukommen müßte (vgl. BVerfGE 84, 133, 151). Auf eine organisatorische Eigenständigkeit lassen eine eigene interne Geschäftsverteilung sowie eine zumindest teilweise selbständige Wahrnehmung von Dienst- und Organisationsangelegenheiten innerhalb des der betroffenen Einheit zugewiesenen Aufgabenbereichs schließen.

5. Wurde bis zum 3. Oktober 1990 keine (positive) Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. In diesem Falle ruhten die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwik,c- kelnden (Teil-)Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 oder 3 EV kraft Gesetzes ab dem 3. Oktober 1990, sofern und soweit nicht durch eine Entscheidung gemäß Fußnote 2 zu Nr. 1 Abs. 2 EV der Beginn des Ruhens der Arbeitsverhältnisse um bis zu drei Monate hinausgeschoben worden war oder dies die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen hätte. Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten Wartezeit, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmer weiterverwendet wurde.

a) Die Voraussetzungen, unter denen eine Einrichtung abgewickelt werden durfte, nennt der Einigungsvertrag nicht ausdrücklich. Sie ergeben sich aber aus der Wortwahl der Vertragsparteien, dem Normzusammenhang und den tatsächlichen Umständen, die Grund der Regelungen waren. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu klargestellt, daß die Abwicklung einer Einrichtung nach rechtlichem Sprachgebrauch ihre Auflösung voraussetzt. Eine Übertragung auf einen anderen Hoheitsträger reicht nicht aus. Die Einrichtung darf als organisatorische Einheit nicht fortbestehen (BVerfGE 84, 133, 150 ff.). Die Abwicklung einer Einrichtung ist jedoch nicht immer kurzfristig zu leisten. Ein derartiger Liquidationsvorgang kann vielfach erst nach Monaten abgeschlossen werden. Die am Ende stehende Auflösung der Einrichtung als realer Vollzug war deshalb keine Voraussetzung des Eintritts des Ruhens der Arbeitsverhältnisse am 3. Oktober 1990, 0.00 Uhr.

b) Die Auflösung trat automatisch ein, wenn keine Überführungsentscheidung getroffen wurde. Nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 EV sowie Abs. 3 waren sowohl die Überführung als auch die Abwicklung „zu regeln”. Diese Regelungspflicht bestand in jedem Falle. War entschieden worden, die Einrichtung vollständig oder teilweise zu überführen, war die Überführung zu regeln. Unterblieb die (positive) Überführungsentscheidung, war die Liquidation der Einrichtung zu regeln. Mangels Überführung ruhten die Arbeitsverhältnisse vom Tage des Wirksamwerdens des Beitritts an, auf jeden Fall aber drei Monate später. Diese gesetzliche Folge trat somit immer dann ein, wenn es an einer positiven Organisationsentscheidung fehlte, also auch im Falle bloßer Untätigkeit der Behörden. Dementsprechend hat das BVerwG (Urteil vom 12. Juni 1992, aaO, S. 1277) mit Recht ausgeführt, eine Zusammenschau von Art. 13 und 20 EV nebst den erwähnten dienstrechtlichen Vorschriften der Anlage I lasse keinen anderen Schluß zu, als daß eine Abwicklung der von diesen Vorschriften erfaßten Einrichtung nur durch ihre Überführung zu verhindern gewesen sei, die Abwicklung also keine hierauf gerichtete negative, sondern nur das Fehlen einer auf die Überführung gerichteten positiven Entscheidung oder eines entsprechenden konkludenten Handelns voraussetzte.

II. Die Klägerin gehörte zu den „übrigen” Arbeitnehmern im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 sowie Abs. 3 EV, deren Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes ruhte und nach sechs Monaten endete. Darauf wird bereits im Schreiben des Chefarztes des verkehrsmedizinischen Dienstes (VmD) an die Klägerin vom 21. Dezember 1990 hingewiesen „vorbehaltlich anderer Entscheidungen des Landes”. Mit dem Schreiben des sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 27. Dezember 1990 ist der Klägerin dann mitgeteilt worden, der VmD werde abgewickelt.

1. Die Klägerin war Arbeitnehmerin im Sinne von Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 EV, denn sie war aufgrund eines Arbeitsrechtsverhältnisses im Sinne der Vorschriften des AGB der DDR in der öffentlichen Verwaltung „beim Wirksamwerden des Beitritts” beschäftigt. Der VmD gehörte zur öffentlichen Verwaltung der DDR (vgl. hierzu Anordnung über den MDV vom 5. November 1958, GBl. I Nr. 69, S. 853 sowie deren Neufassungen vom 18. November 1976, GBl. I Nr. 45, S. 517 und vom 15. Juni 1990, GBl. I Nr. 46, S. 823 sowie die Neuregelung des Statuts des VmD vom 15. Juni 1990, Tarif- und Verkehrsanzeiger des Ministeriums für Verkehr der DDR, Nr. 22, S. 317). Danach ist der VmD, wie er seit der Neufassung 1990 heißt (§ 1 der Anordnung), juristische Person mit Sitz in Berlin, untergliedert in die Zentrale Leitung in Berlin und einzelne örtliche Direktionen sowie dem Ministerium für Verkehr unterstellt. Nach der Aufgabenbeschreibung in §§ 2-4 des Statuts übt der VmD öffentliche Verwaltung aus.

2. Die Einrichtung, in der die Klägerin tätig war, ist nicht überführt worden.

a) Das Berufungsgericht hat das Schreiben des sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 27. Dezember 1990 dahin ausgelegt, daß nicht die Überführung, sondern im Gegenteil die Abwicklung des VmD und damit seine Auflösung gemäß Art. 13 Abs. 1 EV bestimmt war. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar und nicht zu beanstanden. Sie ist mit dem Wortlaut der Erklärungen vereinbar und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Eine Fehlerhaftigkeit der Auslegung wird von der Revision auch nicht gerügt. Die Revision geht vielmehr von der (unzutreffenden) Auffassung aus, diese Organisationsverfügung in Gestalt der Auflösungsentscheidung könne keinen unmittelbaren Einfluß auf die Rechte Dritter, insbesondere das Arbeitsverhältnis der Klägerin haben. Die Revision macht im Grunde nur geltend, die Einrichtung sei tatsächlich nicht aufgelöst, sondern werde fortgeführt.

Außerhalb der Organisationsverfügung vom 27. Dezember 1990 liegende Anhaltspunkte, die für eine Überführungsentscheidung betreffend den VmD sprechen könnten, sind indessen nicht vorgetragen worden.

Für eine teilweise Überführung spricht nicht die Beschäftigung von Arbeitnehmern des ehemaligen VmD in den alten Diensträumen nach dem 1. Januar 1991. Insofern fehlt es an einer Indizwirkung, weil dieses Vorgehen der Beklagten Nr. 1 Abs. 2 und 3 EV (vgl. BVerfGE 84, 133, 153 ff.) sowie der Pflicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 3 EV die Abwicklung zu regeln, entsprach.

b) Für die getroffene Abwicklungsentscheidung war auch der Freistaat Sachsen zuständig. Das ergibt sich jedenfalls für die Organisationseinheit VmD – Direktion Dresden – aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 EV in Verbindung mit § 1 Abs. 3 des Statuts des VmD vom 15. Juni 1990, wonach der VmD in die Zentrale Leitung und die Direktionen gegliedert ist. Zwar wäre denkbar eine gemeinsame Trägerschaft mehrerer Bundesländer bei länderübergreifendem Wirkungskreis (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 EV). Hier spricht aber schon die Bildung eines Personalrats des VmD bei der Direktion Dresden – siehe das Schreiben vom 20. November 1990 – für eine eigenständige (Teil-)Einrichtung des VmD für den Bezirk Dresden, wie dies auch § 1 Abs. 3 des Statuts entspricht. Der Annahme einer Zuständigkeit der sächsischen Landesregierung widerspricht auch nicht die Ruhensmitteilung der Zentralstelle des VmD in Berlin, weil in diesem Schreiben ja gerade auf den Vorbehalt einer Entscheidungsmöglichkeit des jeweiligen Landes hingewiesen wurde. War der VmD nach örtlichen Gesichtspunkten in Direktionen gegliedert, so war für den jeweiligen Bereich eine unterschiedliche Abwicklungsentscheidung möglich, wovon offensichtlich auch der Einigungsvertrag ausgeht, wenn in Anlage I Kapitel XI Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 1 g und Nr. 2 Abs. 1 die Möglichkeit erwähnt wird, daß der VmD weiterhin befristet bis 31. Dezember 1991 Tauglichkeitsuntersuchungen nach dem StVG und der StVZO durchführen könne.

c) Ebensowenig kann nach dem festgestellten Sach- und Streitstand (§ 561 ZPO) die Fortführung einer Teileinrichtung etwa „VmD-bahnärztlicher Dienst-H” bejaht werden.

aa) Insoweit hat die Klägerin zwar pauschal eine Aufgabenfortführung behauptet, jedoch keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluß erlaubten, es liege überhaupt eine Organisationsuntergliederung des VmD vor, die eine überführungsfähige Teileinrichtung gewesen sei. Hierzu hat die Klägerin lediglich unsubstantiiert behauptet, die Einrichtung werde so fortgeführt, wie sie früher bestanden hätte, und zwar ohne zeitliche Unterbrechung, in denselben Räumen, mit gleichen Aufgaben und unter Übernahme einer Ärztin und zweier Schwestern.

bb) Die Beklagte hat dies bestritten. Der bahnärztliche Dienst der Beklagten habe nicht etwa alle Planstellen und Organisationsstrukturen des VmD übernommen. Er sei eine völlig neue Organisation mit anderen Aufgaben, einer anderen Organisationsstruktur und anderen Mitarbeitern. Er habe ganz allgemein Personal eingestellt und sich hierbei am Arbeitsmarkt orientiert. Der bahnärztliche Dienst habe auch im Gegensatz zur unzutreffenden Darstellung der Klägerin andere Aufgaben als der ehemalige VmD. Dieser habe therapeutische Behandlungen vorgenommen, Sprechstunden abgehalten und sich nicht mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz befaßt. Der bahnärztliche Dienst dagegen befasse sich mit arbeitsmedizinischen Fragen sowie mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz.

cc) Die Klägerin hat daraufhin ihre Behauptungen nicht weiter konkretisiert. Nach dem Vortrag der Klägerin kann nicht angenommen werden, der „VmD-bahnärztlicher Dienst-H” sei eine organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit mit eigener Aufgabenstellung und Fähigkeit zu aufgabenbezogener Eigensteuerung gewesen. Dagegen spricht schon, daß der Chefarzt der zentralen Dienststelle des VmD in Berlin der Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 1990 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach dem EV mitgeteilt hat und nicht eine wie auch immer untergliederte (Teil-)Einrichtung des VmD. Die Klägerin ist aber auch nicht einmal in revisionsrechtlich erheblicher Weise der Darstellung des Berufungsgerichts entgegengetreten, es habe zwar unbestritten Bemühungen sowohl durch den örtlichen Personalrat des VmD, Direktion Dresden, als auch durch den Bezirkspersonalrat der Deutschen Reichsbahn wegen einer Übernahme des Personals gegeben; die Organisationsentscheidung des Freistaats Sachsen zeige aber gerade, daß der bahnärztliche Dienst zur Gewährleistung notwendiger medizinischer und den Arbeitsschutz betreffender Maßnahmen als eigenständige Einrichtung der Beklagten aufgebaut worden sei. Insofern spricht es – darin ist der Revisionserwiderung Recht zu geben – gerade gegen die Darstellung der Klägerin, wenn die Bemühungen der Personalräte nicht zu einer Übernahme der bisherigen Struktur des VmD geführt haben, dessen Aufgaben nach dem Statut vom 15. Juni 1990 (s. oben) viel weitergehender waren als der jetzige Aufgabenbereich des bahnärztlichen Dienstes der Beklagten. Die Aufgaben des VmD bezogen sich nach § 2 des Statuts nämlich auf die medizinische Betreuung aller Werktätigen im gesamten allgemeinen Verkehrswesen, ferner in der zivilen Luftfahrt, Hochseefischerei, im Krankentransport usw., mag auch in H nur ein eingeschränkter Aufgabenbereich wahrgenommen worden sein.

dd) Im übrigen hat der Achte Senat im Urteil vom 15. Oktober 1992 (– 8 AZR 145/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 2 b der Gründe) entschieden, mache ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV übergegangen und bestehe als aktives fort, habe er die Überführung seiner Beschäftigungs(Teil-)Einrichtung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Weil der Einigungsvertrag in Nr. 1 Abs. 1 und Abs. 2 keine besondere materiell-rechtliche Regelung der Beweislast enthalte, sei auf die Grundregel des Zivilrechts abzustellen. Danach trage jede Partei die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß die Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm erfüllt seien. Wer eine Rechtsfolge für sich in Anspruch nehme, habe die (eventuell auch negativen) rechtsbegründenden und rechtserhaltenden Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Sein Gegner trage die Darlegungs- und Beweislast für die rechtshindernden, die rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen. Dabei sei die Parteistellung ohne Belang. Zutreffend wird auch darauf hingewiesen, in Bestandsstreitigkeiten sei die Begründung eines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (vgl. BAGE 7, 51, 58 f. = AP Nr. 18 zu § 3 KSchG, zu A 3 d der Gründe). Dies gilt auch bei streitigem Übergang des Arbeitsverhältnisses nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages für den öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR. Nur die Überführung einer (Teil-)Einrichtung gemäß Art. 13 EV ließ nach Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 EV ein aktives Arbeitsverhältnis auf den neuen Träger öffentlicher Verwaltung übergehen. Demgemäß hat der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Überführung der (Teil-) Einrichtung als ihm günstige Voraussetzung des Rechtsübergangs zu tragen (so Achter Senat, aaO).

ee) Der Arbeitnehmer muß somit die Tatsachen darlegen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich die Überführung seiner Beschäftigungseinrichtung ergibt. Dazu gehören das Bestehen einer überführungsfähigen (Teil-)Einrichtung und die Überführungsentscheidung gemäß Art. 13 EV selbst. Dieser Darlegungslast hat die Klägerin nach der zutreffenden Würdigung des Berufungsgerichts nicht entsprochen. Dem Beweisantrag zu ihrem pauschalen Sachvortrag zur angeblichen Fortführung der (Teil-)Einrichtung VmD ist das Berufungsgericht deshalb zu Recht nicht nachgegangen, so daß auch die diesbezügliche formelle Rüge ins Leere geht.

d) Ist aber von einer Abwicklung des VmD-Bezirk Dresden auszugehen, so scheidet wie im Falle einer Stillegung die Annahme einer Betriebsübernahme nach § 613 a BGB aus. Das hat der Senat, unabhängig von der Frage, ob vorliegend überhaupt eine – nach dem Gesetzeswortlaut erforderliche – rechtsgeschäftliche Betriebsübernahme in Betracht kommt, mehrfach entschieden (vgl. nur Senatsurteil vom 12. Februar 1987 – 2 AZR 247/86 – AP Nr. 67 zu § 613 a BGB). Gesetzliche Abwicklung durch die öffentliche Hand und Betriebsübernahme schließen sich – jedenfalls im Regelfall – aus. Es braucht daher nicht mehr darauf abgestellt zu werden, wie es das Berufungsgericht tut, daß die Klägerin zu einer rechtsgeschäftlichen Betriebsübernahme zwischen VmD und der Beklagten nichts vorgetragen hat. Im übrigen ist anzumerken, daß die „Inbetriebnahme” der früher vom VmD genutzten Räume durch die Beklagte unter Weiterverwendung sächlicher Mittel allein nicht zur Annahme einer Betriebsübernahme nach § 613 a BGB ausreicht. Die Klägerin hat nicht einmal die Übernahme eines gesamten Betriebes (VmD-Bezirk Dresden) oder nur eines Betriebsteils (VmD-bahnärztlicher Dienst H) behauptet. In letzterem Fall fehlt es jedenfalls an der Darstellung eines ausgliederungsfähigen funktionstüchtigen Betriebsteils (vgl. dazu BAGE 53, 267, 276 = AP Nr. 58 zu § 613 a BGB, zu B II 3 b dd der Gründe und BAG Urteil vom 16. Oktober 1987 – 7 AZR 519/86 – AP Nr. 69, aaO, zu II 2 b der Gründe).

III. Die kraft Gesetzes eingetretene Abwicklung einer Einrichtung bedurfte zu ihrer Wirksamkeit keiner Bekanntgabe. Hiervon ist allerdings die Mitteilung an die betroffenen Beschäftigten der abzuwickelnden (Teil-)Einrichtung über das gemäß Nr. 1 Abs. 2 und Abs. 3 EV eingetretene Ruhen ihrer Arbeitsverhältnisse zu trennen. Das Ruhen der Arbeitsverhältnisse trat zwar in der Regel zeitgleich mit dem Wirksamwerden des Beitritts ein, war somit in seiner Entstehung von einer Bekanntgabe unabhängig, doch konnte sich der neue Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Verhältnis zum einzelnen Arbeitnehmer auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses erst ab Bekanntgabe der gesetzlichen Ruhensfolge berufen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Klägerin das Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses im Dezember 1990 angekündigt. Ihrem Interesse, über das Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses nicht im Unklaren gelassen zu werden, wurde damit hinreichend Rechnung getragen.

IV. Die Nichtüberführung einer Einrichtung ist arbeitsgerichtlich auf Willkür überprüfbar (so auch Achter Senat, Urteil vom 15. Oktober 1992, aaO). Ließ der Arbeitgeber die Abwicklung willkürlich eintreten, hat er die betroffenen Arbeitnehmer so zu stellen, wie sie bei Überführung der Einrichtung gestanden hätten. Eine erhebliche Rüge willkürlichen Verhaltens des Freistaates Sachsen hat die Klägerin aber nicht vorgetragen. Deshalb braucht nicht mehr entschieden zu werden, inwiefern sich überhaupt die Beklagte ein derartiges Handeln des Freistaats Sachsen zurechnen lassen müßte.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Kremhelmer, Bitter, Strümper, Baerbaum

 

Fundstellen

Dokument-Index HI916002

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge