Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütungsabsenkung durch Firmentarifvertrag für Kureinrichtungen einer Krankenkasse

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zu Senat 4. April 2001 – 4 AZR 237/00 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26 = EzA TVG § 3 Nr. 22, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen

 

Normenkette

Tarifkonkurrenz TVG § 4; TVG §§ 1-4; GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 138

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 29.11.2000; Aktenzeichen 3 Sa 23/00)

ArbG Heilbronn (Urteil vom 20.07.2000; Aktenzeichen 2 Ca 220/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Vergütungsanspruch der Klägerin durch Firmentarifvertrag wirksam abgesenkt wurde.

Die Klägerin steht seit dem 13. November 1972 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten, seit 1. März 1987 als “Erste Wäscherin” in der Kureinrichtung “Haus S.” der Beklagten in Bad M…

Im schriftlichen Arbeitsvertrag ist festgelegt:

“Für das Beschäftigungsverhältnis gilt der mit den Gewerkschaften abgeschlossene Ersatzkassentarifvertrag (EKT) mit den dazugehörigen Anlagen.

Künftige Änderungen des EKT oder an seine Stelle tretende Tarifverträge gelten vom Tag des Inkrafttretens auch für Ihr Beschäftigungsverhältnis.”

Der Ersatzkassentarifvertrag (EKT) besteht aus dem Manteltarifvertrag (MTV) und diversen Anlagen, ua. Anlage 3 “Gehaltstabelle II”, wurde mit Wirkung ab 1. Januar 1962 mit späteren Änderungen von der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen, der die Beklagte als Mitglied angehört, einerseits und ua. von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) andererseits abgeschlossen, deren Mitglied die Klägerin von Februar 1999 bis 31. März 2000 war.

Die Anlage 5 “Tätigkeitsmerkmale” ist ein “Haustarifvertrag” zwischen der Beklagten und diversen Gewerkschaften, ua. der HBV. Die Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen ist für den Bereich “Tätigkeitsmerkmale” nicht zuständig. Die Klägerin ist in der Vergütungsgruppe 3 des Abschnitts D “Kureinrichtungen und Bildungszentrum” der Anlage 5 zum EKT eingruppiert. Sie erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe 3. Die Höhe richtet sich nach Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT. Diese Beträge zahlte die Beklagte unter Hinweis auf den wegen der wirtschaftlichen Folgen der Einschnitte im “Kurwesen” mit dem “Verband der weiblichen Arbeitnehmer e.V.”, dem “DHV Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband'' und der DAG mit Wirkung zum 1. Februar 1998 abgeschlossenen gleichlautenden “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” einen Firmentarifvertrag, nicht voll aus, sondern kürzte sie entsprechend.

In ihm “wird vereinbart”, daß die “Anlage 5 zum EKT – Tätigkeitsmerkmale – … wie folgt geändert” wird:

“I.

Anlage 5 zum EKT – Abschnitt D. Kureinrichtungen und Bildungszentrum

Protokollnotizen

Nach der Protokollnotiz Nr. 2 wird folgende Protokollnotiz Nr. 3 angefügt:

3. Vergütungsgruppen in den Kureinrichtungen “Haus Q.”, “Haus S.” und “Haus W.”

  • In den Kureinrichtungen “Haus Q.”, “Haus S.” und “Haus W.” entspricht das sich aus den Vergütungsgruppen ergebende Gehalt der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter ab dem 1. Februar 1998 dem Faktor 0,85. Für die am 31. Januar 1998 in den Kureinrichtungen nach Satz 1 beschäftigten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter vollzieht sich dies in folgender Weise:
  • Ab 01. Februar 1998 beträgt das monatliche Gehalt (§ 11 EKT) einschließlich persönlicher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 EKT und Anlage 5 zum EKT 90 v.H.
  • Darüber hinaus vermindert sich das monatliche Gehalt (§ 11 EKT) einschließlich persönlicher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 EKT und Anlage 5 zum EKT ab 01. Februar 1998 in 36-Monatsschritten, bis am 31. Januar 2001 monatlich 5 v.H. Minderung erreicht sind.
  • Die nach den Ziffern 3.1 und 3.2 verminderten Bezüge stellen die maßgeblichen Bezüge iSd. EKT und seiner Anlagen dar.
  • Die monatlichen Minderungsbeträge nach 3.2 bis einschließlich des Monats der Zahlung des Urlaubsgeldes nach § 23 EKT können jeweils mit dem Urlaubsgeld auf Antrag der Mitarbeiterinnen/des Mitarbeiters insgesamt verrechnet werden.

Die Texte nach der Überschrift “Inkrafttreten/Kündigung” ändern sich wie folgt:

“Inkrafttreten/Kündigung

Die durch den Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b geänderte Fassung der Anlage 5 zum EKT – Abschnitt D – tritt am 01. Februar 1998 in Kraft.

Die vorliegende Fassung der Anlage 5 zum EKT – Abschnitt D -kann mit einer Frist von drei Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres frühestens zum 31. März 2001 gekündigt werden.

II.

Die DAK verpflichtet sich, die kasseneigenen Kureinrichtungen “Haus S.”, “Haus W.” und “Haus Q.” selbst in Eigenregie wirtschaftlich auf Dauer mindestens jedoch auf zehn Jahre, weiterzubetreiben. Ist die Erreichung dieses Ziels, diese Einrichtung wirtschaftlich weiterzubetreiben, durch eine Änderung wesentlicher Umstände gefährdet, verpflichtet sich die DAK unter Einbeziehung der tarifabschließenden Gewerkschaften, durch geeignete Anpassungsmaßnahmen für eine weitere Erreichung dieses Ziels zu sorgen.”

Mit der Gewerkschaft HBV wurde der “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” am 3. März 2000 abgeschlossen.

Mit der beim Arbeitsgericht am 11. März 1998 eingegangenen Klage macht die Klägerin die der Höhe nach unstreitigen Gehaltsdifferenzen zwischen der Vergütungsgruppe 3 nach Maßgabe der Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT und der Anlage 5 für die Monate Februar 1998 bis Juli 2000 geltend. Außerdem begehrt sie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, über den Monat Juli 2000 hinaus an die Klägerin eine Bruttovergütung in Höhe von 4.984,00 DM statt 4.277,93 DM zu bezahlen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Ergänzungstarifvertrag finde auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Außerdem sei er unwirksam. Er verletze insbesondere den Vertrauensgrundsatz, verstoße gegen den Gleichheitssatz und wegen des Ausmaßes der Lohnreduzierung gegen die guten Sitten.

Die Klägerin hat beantragt,

  • die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin rückständiges Gehalt in Höhe von 19.111,84 DM brutto nebst 8,5 % Zinsen aus dem sich hierauf ergebenden Nettobetrag seit 20. Juli 2000 zu bezahlen,
  • es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, über den Monat Juli 2000 hinaus an die Klägerin eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 4.984,00 DM statt 4.277,93 DM zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, für das Klagebegehren fehle es an einer Rechtsgrundlage. Es widerstreite der durch den Ergänzungstarifvertrag wirksam gestalteten Rechtslage.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltendgemachten Gehaltsdifferenzen und auf die begehrte Feststellung. Die Absenkung des Vergütungsniveaus des Verbandstarifvertrages durch die Ergänzung eines Firmentarifvertrages ist wirksam. Aus dem Arbeitsvertrag der Parteien ergibt sich zugunsten der Klägerin nichts anderes.

  • Die Klage ist zulässig. Die Klägerin macht für die Monate Februar 1998 bis Juli 2000 je eine zahlenmäßig ausgewiesene Vergütungsdifferenz geltend. Damit ist der Streitgegenstand oder sind die Streitgegenstände hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO. Auch die Feststellungsklage ist zulässig. Sie bezieht sich auf den Zeitraum, der sich dem anschließt, den die Leistungsklage abdeckt.
  • Die Klage ist unbegründet.

    • Die Klägerin hat keinen tarifvertraglichen Anspruch auf die geltend gemachten Vergütungsdifferenzen. Die Klägerin muß sich den “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” kraft Tarifgebundenheit entgegenhalten lassen und die Kürzung des Tarifgehalts (er)tragen.

      • Die Klägerin war kraft ihrer Mitgliedschaft in der HBV an die ua. von der HBV mit abgeschlossenen Verbandstarifverträge EKT, MTV und Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT gem. § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG und an den “Haustarifvertrag” Anlage 5 “Tätigkeitsmerkmale” zum EKT gebunden, § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG. Danach hatte sie Anspruch auf das ungekürzte Gehalt. Diese Sachlage hat sich aber durch den “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” geändert. Danach steht der Klägerin nur das nach Maßgabe der Ziff. 3.1 und 3.2 der Protokollnotiz Nr. 3 gekürzte Gehalt zu.
      • Dieser “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” ist ein formgerecht abgeschlossener Tarifvertrag und als solcher rechtswirksam. Er verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

        • Bei dem “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” handelt es sich um einen Tarifvertrag. Sowohl die Beklagte als Arbeitgeberin als auch die HBV als Gewerkschaft sind tariffähig (§ 2 Abs. 1 TVG). Der Vertrag enthält ua. Bestimmungen über die Vergütung von Beschäftigten im Bereich “Kureinrichtungen”. Er regelt damit einen Teilaspekt der üblichen Inhaltsnormen von Tarifverträgen, § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Zwar haben die Tarifvertragsparteien eine sog. Protokollnotiz gewählt. Das ist aber unschädlich. Protokollnotizen können Gegenstand eines selbständigen Tarifvertrages sein (BAG 24. November 1993 – 4 AZR 402/92BAGE 75, 116; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 370). Entscheidend ist, ob sie den Formerfordernissen eines Tarifvertrages, § 1 Abs. 2 TVG entsprechen (BAG 8. Mai 1968 -4AZR 243/67 – AP BGB § 611 Croupier Nr. 6; 4. Juni 1980 – 4 AZR 497/78 – AP MTB II § 21 Nr. 4; 29. August 1979 – 5 AZR 293/79 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 103 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 63; 9. Oktober 1979 – 5 AZR 949/77 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 105 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 66). Das ist hier der Fall. § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB ist gewahrt. Die Tarifvertragsparteien haben die Protokollnotiz auf derselben Urkunde eigenhändig unterzeichnet.
        • Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, daß der Tarifvertrag zwischen der Beklagten und der HBV am 3. März 2000 abgeschlossen worden ist.
        • Entgegen der Revision konnte die Beklagte den “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” als Firmentarifvertrag wirksam abschließen. § 2 Abs. 1 TVG verleiht dem Arbeitgeber die Tariffähigkeit unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Arbeitgebervereinigung. Der Arbeitgeber kann trotz Verbandszugehörigkeit und trotz eines für ihn gültigen Verbandstarifvertrages einen konkurrierenden oder ergänzenden Firmentarifvertrag abschließen. Zwar kann der Arbeitgeber damit gegen seine Verbandspflichten verstoßen und mag sich Verbandsstrafen aussetzen. Die Wirksamkeit des abgeschlossenen Firmentarifvertrages wird aber davon nicht betroffen. Auch ein verbandswidriger Tarifvertrag ist gültig (Wiedemann/Oetker TVG 6. Aufl. § 2 Rn. 114). Das wird bereits aus dem Urteil des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 4. Mai 1955 (– 1 AZR 493/54 – BAGE 2, 75) deutlich: Das Bundesarbeitsgericht setzt die Wirksamkeit eines verbandswidrigen Firmentarifvertrages voraus (vgl. auch Wiedemann/Oetker aaO § 2 Rn. 128). Die bestehenden Verbandstarifverträge MTV und Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT stehen dem sonach nicht entgegen. Daran ändert auch nichts, daß die Tarifvertragsparteien mit dem “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” der Sache nach nicht die Anlage 5 “Tätigkeitsmerkmale”, einen Firmentarifvertrag, sondern die Anlage 3 “Gehaltstabelle II” geändert haben. Sie haben neben der Anlage 3 “Gehaltstabelle II” einen abweichenden Firmentarifvertrag geschlossen, eingekleidet in das Gewand der Änderung des Firmentarifvertrages “Tätigkeitsmerkmale”. Auch das ist vom Tarifvertragsgesetz gedeckt. Tariffähige Parteien haben eine vom Verbandstarifvertrag abweichende Vereinbarung geschlossen.

          Auf eine Billigung des Ergänzungstarifvertrages durch die Tarifgemeinschaft kommt es nicht an. Die Revision verkennt, daß es unerheblich ist, in welcher Gestalt der Ergänzungstarifvertrag als Firmentarifvertrag einherkommt. Es spielt für die Wirksamkeit des Ergänzungstarifvertrages als Firmentarifvertrag keine Rolle, ob er als Ergänzung zum EKT, als Änderung der Anlage 5 zum EKT – Tätigkeitsmerkmale –, ein Firmentarifvertrag, oder als Änderung des Verbandstarifvertrages Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT abgeschlossen oder bezeichnet wird.

        • Die HBV konnte den Firmentarifvertrag “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” wirksam schließen. Es handelt sich bei den Verbandstarifverträgen nicht um einen jeweils einheitlichen Tarifvertrag, sondern um mehrgliedrige Tarifverträge, dh., es handelt sich um mit der jeweiligen Gewerkschaft und der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen geschlossene einzelne Tarifverträge, die lediglich in einer Urkunde zusammengefaßt wurden. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) war daher nicht gehindert, mit der Beklagten einen vom Verbandstarifvertrag abweichenden Firmentarifvertrag zu schließen.
      • Die Klägerin ist an diesen Firmentarifvertrag gebunden. Sie war am Tag des Abschlusses dieses Firmentarifvertrages, nämlich am 3. März 2000 noch Mitglied der HBV. Ihr Austritt per 31. März 2000 hat an der Tarifgebundenheit nichts geändert. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet.

        Das gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen (Wiedemann/Oetker § 3 TVG Rn. 46; Löwisch/Rieble TVG § 3 Rn. 75; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 299; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Band I § 17 I 5e S 729; aA Jacobs Anm. zu Senat 4. April 2001 – 4 AZR 237/00 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG, aber auch aus dem Sinn der Regelung. Tarifverträge liefen ins Leere, könnten die Mitglieder einer Tarifvertragspartei die Tarifgebundenheit durch “Austritt bei Nichtgefallen” beenden. Die zwingende Wirkung eines Tarifvertrages soll nicht durch einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers beendet werden können. Hier wirkt die verlängerte Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG über den Streitzeitraum hinaus, da der Firmentarifvertrag erstmals zum 31. März 2001 kündbar war.

      • Richtig ist, daß der Firmentarifvertrag “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” den Verbandstarifvertrag Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT nicht aufgehoben hat. Sie bestehen nebeneinander. Entgegen der Revision kommt dem Firmentarifvertrag Vorrang vor dem Verbandstarifvertrag zu, auch wenn er Regelungen des Verbandstarifvertrages zu Lasten der Arbeitnehmer verdrängt (BAG 24. Januar 2001 – 4 AZR 655/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 173 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 14). Das folgt aus den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz. Firmentarifverträge stellen gegenüber Verbandstarifverträgen stets die speziellere Regelung dar (BAG 20. April 1999 – 1 AZR 631/98BAGE 91, 244, 256; Senat 20. März 1991 – 4 AZR 455/90BAGE 67, 330). An dieser ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest. Auch kritische Stimmen zum Spezialitätsprinzip räumen ein, daß dieser Grundsatz in Betracht kommt, wenn die Tarifkonkurrenz auf der Existenz eines Verbands- und Firmentarifvertrages einer Gewerkschaft in einem Betrieb beruht (Kempen/Zachert aaO § 4 Rn. 131; vgl. im übrigen Waas Anm. zu Senat 26. April 2000 – 4 AZR 177/99 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 16, zu II der Gründe mwN). Darauf, daß die Verbandstarifverträge keine Öffnungsklausel für Firmentarifverträge vorsehen, kommt es nicht an (Senat 24. Januar 2001 – 4 AZR 655/99 – aaO).

        Soweit die Klägerin auf den Grundsatz der Tarifeinheit zurückgreift, verkennt sie, daß ein spezieller Firmentarifvertrag und ein allgemeiner Verbandstarifvertrag Anlage 3 “Gehaltstabelle II” zum EKT nebeneinander stehen. Soweit der speziellere Firmentarifvertrag greift, geht er dem Verbandstarifvertrag vor.

        Der Hinweis auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12. November 1999 (– 3 Sa 780/99 – LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3 mit Anmerkung Wendeling-Schröder; vgl. auch dieselbe AuR 2000, 339) trägt nicht. In jenem Fall war die Klägerin Mitglied der Gewerkschaft, die den Ergänzungstarifvertrag (noch) nicht geschlossen hatte mit der Folge, daß der Verbandstarifvertrag für diese Klägerin noch galt. Bei der dann von dem Landesarbeitsgericht angenommenen Tarifpluralität hat das Landesarbeitsgericht es dann belassen; dies ist im Ergebnis schon deswegen zutreffend, weil es sich um einen Fall der “gewillkürten Tarifpluralität” handelt: Der Beklagten war es (noch) nicht gelungen, alle Gewerkschaften, die den Verbandstarifvertrag (mit) abgeschlossen hatten, für den Ergänzungstarifvertrag, einen Firmentarifvertrag zu gewinnen.

      • Das Landesarbeitsgericht hat die Rückwirkung der Tarifnormen zu Recht als wirksam erachtet. Seine Ausführungen entsprechen der Rechtsprechung des Senats.

        Der rückwirkende Eingriff in bereits entstandene, fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche ist rechtlich möglich. Deshalb kann während der Laufzeit eines Tarifvertrages der Inhalt verändert, also auch der Tariflohn gesenkt werden (BAG 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99BAGE 94, 349). Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zu rückwirkender Änderung tarifvertraglicher Inhaltsnormen ist durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Normunterworfenen begrenzt. Es gelten insoweit die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rückwirkung von Gesetzen (BAG ständige Rechtsprechung etwa 23. November 1994 – 4 AZR 879/93BAGE 78, 309). Dementsprechend ist der Normunterworfene dann nicht mehr schutzwürdig, wenn und soweit er mit der Änderung einer tariflichen Regelung rechnen mußte. Hier wurden Anfang Februar 1998 Tarifvertragsverhandlungen aufgenommen mit dem Ziel, zu einer Personalkostenreduzierung zu gelangen. Deshalb mußten die Mitarbeiter/-innen seit diesem Zeitpunkt mit einer ihnen insoweit nachteiligen Änderung rechnen.

      • Die Revision beharrt auf ihrem Standpunkt, der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt. Das Landesarbeitsgericht hat das Gegenteil zu Recht angenommen. Neue Aspekte zeigt die Revision nicht auf.

        • Es liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit Firmentarifverträge an den Gleichheitssatz gebunden sind (vgl. Senat 26. April 2000 – 4 AZR 177/99 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 16 = EzA GG Art. 3 Nr. 90, zu II 4 der Gründe und 30. August 2000 – 4 AZR 563/99BAGE 95, 277), ist nicht zu übersehen, daß die Bereiche Kureinrichtungen und Bildungszentrum unterschiedliche Sachverhalte darstellen, die unterschiedlich geregelt werden können. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend herausgestellt.
        • Außerdem hat der Firmentarifvertrag “Ergänzungstarifvertrag Nr. 4b zum EKT” durchaus eine arbeitsplatzsichernde Komponente und beinhaltet nicht nur eine Gehaltsabsenkung bis zu 15 %. Denn nach II dieses Tarifvertrages verpflichtet sich die Beklagte, die kasseneigenen Kureinrichtungen “Haus S.”, “Haus W.” und “Haus Q.” selbst in Eigenregie wirtschaftlich auf Dauer, mindestens jedoch auf zehn Jahre, weiterzubetreiben. Nur wenn die Erreichung dieses Ziels, diese Einrichtungen wirtschaftlich weiterzubetreiben, durch eine Änderung wesentlicher Umstände gefährdet ist, verpflichtet sich die Beklagte unter Einbeziehung der tarifvertragabschließenden Gewerkschaften durch geeignete Anpassungsmaßnahmen für eine weitere Erreichung dieses Ziels zu sorgen. Diese Fortführungsverpflichtung ist eine Art Bestandsgarantie für die drei Kureinrichtungen, die es für das Bildungszentrum nicht gibt, und führt zu einem zumindest partiellen Schutz gegen betriebsbedingte Kündigungen für die Laufzeit des Tarifvertrages, jedenfalls aber für zehn Jahre. Auch unter diesem Gesichtspunkt verstößt der Tarifvertrag nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. Senat 25. Oktober 2000 – 4 AZR 438/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Internationaler Bund Nr. 1 = EzA TVG § 1 Arbeitszeit Nr. 1).
        • Die von der Revision herangezogene Entscheidung des Zweiten Senats vom 20. August 1998 (– 2 AZR 84/98 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 50 = EzA KSchG § 2 Nr. 31 [Anmerkung Thüsing ]) ist nicht zum Tarifrecht ergangen, sondern zum Recht der Änderungskündigung. Im übrigen hat der Zweite Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Kläger jenes Verfahrens lediglich nicht hinnehmen muß, daß sein Einkommen durch die Änderungskündigung auf Dauer ohne Gegenleistung, zum Beispiel Zusage der Sicherheit seines Arbeitsplatzes, abgesenkt wurde, weil für den Kündigungsentschluß der Beklagten in jenem Verfahren nach deren Vorbringen nur der Betriebsverlust eines Jahres maßgeblich war.

          Außerdem ist die Tatsache, daß erkennbar bestimmte Arbeitsverhältnisse für den Arbeitgeber unrentabel sind, ein sachlicher Grund, gerade deren Entgelt zu reduzieren. Der Gedanke einer innerbetrieblichen, gar betriebsübergreifenden Solidarität mag zwar bestechen. Bezieht sich aber die Unrentabilität nicht unterschiedslos auf den gesamten Betrieb oder einen Betriebsteil, dann erscheint eine Änderungskündigung aller Arbeitsverhältnisse und nicht nur der der betreffenden organisatorischen Einheit als unangemessen, zumal dann, wenn für den betroffenen Bereich ein Verlust des Arbeitsplatzes aus betriebsbedingten Gründen ausgeschlossen oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wird.

          Damit erledigt sich auch der Hinweis der Revision, es sei nicht möglich, daß Tarifverträge begrenzt werden könnten auf einen Bruchteil der Belegschaft des Gesamtbetriebes. Im Ergebnis betreffe die Vereinbarung zwischen den Gewerkschaften und der Beklagten nur rund 300 bis 350 Mitarbeiter von insgesamt rund 16.000 Mitarbeitern. Sie verkennt dabei, daß es sich um eine Regelung für abgrenzbare Bereiche handelt, nämlich der Sache nach um ein Bündnis für Arbeit “Lohnverzicht gegen Arbeitsplatzerhalt” für einen Teilbereich, der sonst möglicherweise geschlossen worden wäre. Der Ergänzungstarifvertrag für die rund 300 bis 350 Beschäftigten der Kureinrichtungen und des Bildungszentrums ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht unzumutbar. Die Beklagte und die Gewerkschaften haben insoweit einen Handlungsbedarf gesehen. Ob das Einsparvolumen ausreicht, ist Sache der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien. Daß die Klägerin tarifvertraglich “unkündbar” ist, ändert daran nichts. Bei der den Tarifvertragsparteien gestatteten typisierenden Betrachtungsweise brauchte nicht zwischen kündigungsgeschützten und nicht kündigungsgeschützten Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen unterschieden zu werden. Außerdem verkennt die Revision, daß der Schutz vor ordentlicher Kündigung im Ergebnis nicht vor einer Kündigung im Rahmen von Stillegungen von Einrichtungen bewahrt. Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist in der Länge der sonst einzuhaltenden Kündigungsfrist ist möglich (vgl. die Rechtsprechung des Zweiten Senats zB 17. September 1998 – 2 AZR 419/97 – AP BGB § 626 Nr. 148; 5. Februar 1998 – 2 AZR 227/97BAGE 88, 10).

      • Zu dem von der Revision aufgegriffenen sog. “Minderheitenschutz” hat das Landesarbeitsgericht das Erforderliche gesagt. Weitere nicht berücksichtigte Argumente zeigt die Revision nicht auf.

        Im übrigen verkennt die Revision, daß es nicht um einen isolierten Lohnverzicht geht, sondern um Lohnverzicht gegen Arbeitsplatzerhalt, jedenfalls für den Bereich, zu dem die Klägerin gehört.

      • Der Tarifvertrag ist auch nicht sittenwidrig, § 138 BGB. Das hat das Landesarbeitsgericht im einzelnen ausgeführt. Soweit die Revision die Herbeiführung einer vorsätzlichen Tarifpluralität durch die Beklagte als sittenwidrig ansieht, verkennt sie die Grundlagen des Tarifrechts. Der Arbeitgeber ist tariffähig und kann durch den Abschluß eines kostengünstigeren Firmentarifvertrages mit einer oder mit mehreren konkurrierenden Gewerkschaften den Verbandstarifvertrag abändern, nachdem das von der herrschenden Lehre bekämpfte Prinzip der Tarifeinheit jedenfalls im Verhältnis Firmentarifvertrag/Verbandstarifvertrag schon wegen des Grundsatzes der Spezialität so nicht greift. Soweit Arbeitnehmer – jedenfalls zunächst – vom Firmentarifvertrag nicht erfaßt werden, weil (noch) nicht alle Gewerkschaften den Firmentarifvertrag (mit) abgeschlossen haben, bleibt es vorerst insoweit bei dem Verbandstarifvertrag. Zwar mag eine Gleichheit der Mindestarbeitsbedingungen erwünscht sein, das entspricht auch den Gerechtigkeitsvorstellungen der Arbeitnehmer; aus der Existenz verschiedener Gewerkschaften ergibt sich aber, daß jedenfalls im Bereich Firmentarifvertrag/Verbandstarifvertrag unterschiedliche Tarifverträge gelten können. Das muß die Koalition, die Gewerkschaft, die den Firmentarifvertrag abschließt, letztlich hinnehmen, und zwar ebenso wie die Koalition, die Gewerkschaft, die den Firmentarifvertrag nicht abschließen will, letztere aus ihrer Sicht ja den unterbietenden Firmentarifvertrag für ihre Mitglieder – jedenfalls vorerst – gerade verhindert hat.

        Der Sache nach fordert die Revision letztlich, daß ein mehrgliedriger Verbandstarifvertrag allenfalls durch einen mehrgliedrigen Firmentarifvertrag abgelöst werden kann. Das ist mit geltendem Tarifrecht nicht vereinbar.

    • Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht auch kein einzelarbeitsvertraglicher Anspruch auf die Vergütungsdifferenzen. Denn die Klausel “Für das Anstellungsverhältnis gilt der mit den Gewerkschaften abgeschlossene Ersatzkassentarifvertrag (EKT) mit den dazugehörigen Anlagen. Künftige Änderungen des EKT oder an seine Stelle tretende Tarifverträge gelten vom Tage des Inkrafttretens auch für Ihr Anstellungsverhältnis” im Anstellungsvertrag ist eine reine Gleichstellungsklausel. Mit diesen Formularverträgen will die Beklagte sicherstellen, daß die Arbeitnehmer nach diesen Tarifverträgen behandelt werden, unabhängig davon, ob sie tarifgebunden sind oder nicht. Für den ohnehin tarifgebundenen Arbeitnehmer ist diese Klausel keine einzelarbeitsvertragliche Festlegung auf bestimmte Tarifverträge, erst recht nicht auf die bestehenden Verbandstarifverträge, zumal die Anlage 5 nur ein Firmentarifvertrag war und ist. Ändern sich die Anlagen zum EKT, wie hier der Sache nach die Anlage 3 “Gehaltstabelle II” durch den Firmentarifvertrag, gilt das gleichermaßen für die Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schliemann, Bott, Friedrich, Pfeil, Münter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI788723

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