Entscheidungsstichwort (Thema)

Baugewerbliche Tätigkeit - Abgrenzung zum Schreinerhandwerk

 

Orientierungssatz

"Hinweise des Senats: Rüge nach § 139 ZPO hinsichtlich des Umfangs baugewerblicher Tätigkeiten."

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 29.06.1992; Aktenzeichen 11 Sa 1726/91)

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 05.09.1991; Aktenzeichen 4 Ca 4534/90)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt den Beklagten auf Beitragszahlung für die Zeit von November 1986 bis September 1989 und auf Auskunftserteilung für die Zeit von Januar 1990 bis November 1990 in Anspruch.

Der Beklagte ist seit dem 20. Februar 1987 als Zimmerermeister in die Handwerksrolle eingetragen.

Die ZVK hat vorgetragen, im Klagezeitraum seien von den gewerblichen Arbeitnehmern zu 90 v.H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit folgende Arbeiten ausgeführt worden:

Erstellung von Dachstühlen einschließlich der

dazu erforderlichen Vorarbeiten wie dem Zuschnei-

den und dem Abbinden der Hölzer, Herstellung von

Beton- und Stahlbetonschalungen im Hoch- und

Tiefbau, Imprägnierung der verbauten Hölzer im

Hoch- und Tiefbau, Imprägnierung der verbauten

Hölzer gegen Schädlinge und Entflammung;

Verkleiden von Decken und Wänden durch Andübeln

von Unterkonstruktionen aus Dachlatten an Wänden

und Decken, Ausfüllen von Zwischenräumen mit Iso-

liermaterial und anschließendem Anbringen von se-

rienmäßig vorgefertigten Wand- und Deckensystemen

aus Mineralfaser, Holz, Metall oder Kunststoff;

Erstellung von Leichtbautrennwänden durch Befe-

stigen eines Holz- und Leichtmetallgerüsts mit-

tels Dübeln und Schrauben am Boden und an der

Decke, Ausfüllung der Zwischenräume mit Isolier-

material und anschließender Verkleidung mit Mine-

ralfaserplatten oder Holz-, Metall- oder Kunst-

stofffaserpaneelen.

Weniger als 10 v.H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit sei auf das Herstellen von Regalen und Möbeln, Innentüren und Fenstern sowie auf Fensterreparaturen entfallen.

Die ZVK ist der Auffassung, der Beklagte falle mit diesen Tätigkeiten unter den betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrenstarifvertrages für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Er verrichte Tätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 36 und Nr. 40 des Verfahrenstarifvertrages.

Zum betrieblichen Geltungsbereich des bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (Verfahrenstarifvertrag) und des ab 1. Januar 1987 geltenden Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind, heißt es, soweit hier von Interesse:

"§ 1 Abs. 2 Abschnitt V:

Nr. 36 Trocken- und Montagebauarbeiten (z.B.

Wand- und Deckeneinbau bzw.-verkleidun-

gen), einschließlich des Anbringens von

Unterkonstruktionen und Putzträgern;

...

Nr. 40 Zimmerarbeiten und Holzbauarbeiten, die im

Rahmen des Zimmergewerbes ausgeführt wer-

den.

Abschnitt VII

Nicht erfaßt werden Betriebe

...

8. des Schreinerhandwerks sowie der holzbe-

und holzverarbeitenden Industrie, soweit

nicht Fertigbau-, Dämm-(Isolier) oder

Trockenbau- und Montagebauarbeiten

ausgeführt werden."

Die ZVK hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen,

I. an sie 20.109,46 DM zu zahlen und

II.1. ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Aus-

kunft darüber zu erteilen, wieviele

Arbeitnehmer, die eine nach den

Vorschriften der

Reichsversicherungsordnung über die

Rentenversicherung der Arbeiter (RVO)

versicherungspflichtige Tätigkeit

ausübten, in den Monaten Januar bis

November 1990 in dem Betrieb des Beklagten

beschäftigt wurden sowie in welcher Höhe

die lohnsteuerpflichtige Bruttolohnsumme

insgesamt für diese Arbeitnehmer und die

Beiträge für die Sozialkassen der

Bauwirtschaft in den genannten Monaten

angefallen sind, und

2. für den Fall, daß der Beklagte diese Ver-

pflichtung zur Auskunftserteilung

innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach

Urteilszustellung nicht erfüllt, an sie

eine Entschädigung in Höhe von 6.600,-- DM

zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte ist der Ansicht, sein Betrieb werde nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrenstarifvertrages erfaßt. Dazu hat er vorgetragen, 90 v.H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit sei auf die Herstellung von Möbeln und Regalen entfallen. Die restlichen 10 v.H. seien für die Herstellung von Türen, Fenstern und Unterkonstruktionen aufgewandt worden. Dabei seien Unterkonstruktionen nur selten und Dachstühle nur ausnahmsweise gefertigt worden. Zuletzt sei ein Dachstuhl im Jahre 1989 erstellt worden. Mit den übrigen von der ZVK angeführten Arbeiten sei der Betrieb nicht befaßt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der ZVK zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die ZVK ihr Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die ZVK habe nicht hinreichend vorgetragen, daß im Betrieb des Beklagten im Klagezeitraum arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt worden seien, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fielen. Zwar habe die ZVK vorgetragen, daß 90 v. H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf die Erstellung von Dachstühlen und die Herstellung von Wand- und Deckenverkleidungen sowie Leichtbautrennwänden und damit auf Tätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 36 und 40 VTV entfallen sei. Bei den Wand- und Deckenverkleidungen und der Herstellung von Leichtbautrennwänden handele es sich aber um Trockenbauarbeiten, die auch in den Bereich des Schreinerhandwerks fielen. Nur wenn solche Arbeiten arbeitszeitlich überwiegend ausgeführt würden, sei der Betrieb nicht nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV vom betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen. Dies habe die ZVK aber nicht vorgetragen. Deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, daß je nach dem Umfang der vom Beklagten ausgeführten Trockenbauarbeiten zusammen mit den reinen Schreinerarbeiten, wie der Herstellung von Möbeln und Regalen, der Betrieb als Betrieb des Schreinerhandwerks anzusehen sei und dann nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fiele.

II. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.

1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus, wonach ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt wird, wenn von den Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die in § 1 Abs. 2 VTV aufgeführt sind. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an (vgl. BAGE 56, 227, 230 = AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau m.w.N.). Dabei hat die ZVK nach den allgemeinen Grundsätzen für die Darlegungs- und Beweislast darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß im Betrieb des beklagten Arbeitgebers arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden (BAG Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 615/89 - AP Nr. 130 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung). Demgemäß muß die ZVK Tatsachen vortragen, die den Schluß zulassen, daß im Betrieb arbeitszeitlich überwiegend eine Tätigkeit ausgeführt wird, die unter ein in § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV genanntes Tätigkeitsbeispiel fällt oder von den übrigen Abschnitten des § 1 Abs. 2 VTV erfaßt wird. Ergibt sich aus dem Sachvortrag der ZVK, daß in einem Betrieb Arbeiten ausgeführt werden, die die Zuordnung zu unterschiedlichen in § 1 Abs. 2 VTV aufgeführten baugewerblichen Tätigkeiten zulassen, so bedarf es zur Schlüssigkeit der Klage der Darlegung, daß diese baugewerblichen Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen (vgl. BAG Urteil vom 3. November 1993 - 10 AZR 538/92 - nicht veröffentlicht).

2. Dieser Darlegungslast hat die ZVK genügt.

a) Die ZVK hat vorgetragen, daß 90 v.H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf die Erstellung von Dachstühlen und die Herstellung von Wand- und Deckenverkleidungen sowie von Leichtbautrennwänden entfallen sei. Die Herstellung von Dachstühlen fällt als Zimmererarbeit unter das Beispiel des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 40 VTV. Die übrigen Arbeiten sind als Trockenbauarbeiten i.S. von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 36 VTV anzusehen. Davon geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Damit ist die Klage schlüssig.

Das Landesarbeitsgericht meint demgegenüber, der Sachvortrag der ZVK sei deshalb nicht schlüssig, weil er die Möglichkeit offen lasse, daß der Betrieb als Betrieb des Schreinerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV ausgenommen sei. Dies begründet das Landesarbeitsgericht damit, die ZVK habe nicht vorgetragen, im Betrieb seien arbeitszeitlich überwiegend Trockenbauarbeiten ausgeführt worden. Trockenbauarbeiten könnten auch dem Schreinerhandwerk zugeordnet werden. Wenn diese z. B. 41 v. H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in Anspruch nähmen, so würden sie zusammen mit den auf die Möbel- und Regalherstellung entfallenden Schreinerarbeiten, die nach dem Vortrag der ZVK 10 v. H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in Anspruch nehmen, überwiegen. Dann wäre der Betrieb als Betrieb des Schreinerhandwerks nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV vom betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen. Nur wenn die Trockenbauarbeiten ihrerseits überwiegen würden, fiele der Betrieb nach der Rückausnahmebestimmung in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV auch als Betrieb des Schreinerhandwerks unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV (vgl. BAG Urteil vom 27. August 1986 - 4 AZR 280/85 - AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

b) Gegen diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts wendet sich die ZVK zu Recht mit einer Rüge der Verletzung der richterlichen Fragepflicht nach § 139 ZPO.

Bei einer formellen Rüge nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO i.V. mit § 139 ZPO muß der Revisionsführer im einzelnen angeben, welche Fragen hätten gestellt werden müssen und was die Partei darauf erwidert hätte. Ein Revisionsgrund wegen der Nichtausübung des Fragerechts liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht nach dem Verhandlungsergebnis hätte erkennen müssen, daß die Parteien etwaige noch notwendige nähere Behauptungen hätten beibringen können und wollen (BAG Urteil vom 7. September 1983, BAGE 43, 271 = AP Nr. 3 zu § 23 KSchG 1969; BAG Urteil vom 27. August 1986 - 4 AZR 591/85 - AP Nr. 71 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, daß der Vortrag der ZVK nicht schlüssig sei, weil er nicht die Möglichkeit ausschließe, daß ein Schreinerbetrieb vorliege, der arbeitszeitlich nicht überwiegend Trockenbauarbeiten ausführe. Mit Recht macht die ZVK mit ihrer Revision insoweit geltend, daß das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen hätte fragen müssen, welcher zeitliche Anteil nach Auffassung der ZVK auf die Trockenbauarbeiten entfiel. Die ZVK konnte nicht damit rechnen, daß bei einem Vortrag von 90 v. H. baulicher Leistungen und 10 v. H. Schreinerarbeiten das Landesarbeitsgericht die Möglichkeit einer Aufteilung von 49 v. H. Zimmererarbeiten, 41 v. H. Trockenbauarbeiten und 10 v. H. Schreinerarbeiten, die von keiner der Parteien vorgetragen worden war, in Betracht ziehen würde und dann von der ZVK verlangen würde, auch die Voraussetzungen für die Rückausnahmebestimmung in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV vorzutragen. Das Landesarbeitsgericht wäre unter diesen Umständen verpflichtet gewesen, die ZVK zu fragen, welcher zeitliche Anteil an der betrieblichen Gesamtarbeitszeit nach ihrer Auffassung auf die Trockenbauarbeiten entfiel. Hätte das Landesarbeitsgericht diese Frage gestellt, so hätte die ZVK, wie sie mit ihrer Revisionsbegründung ausführt, vorgetragen, daß die Trockenbauarbeiten allein arbeitszeitlich zu mehr als 50 v.H. angefallen seien. Dann wäre auch nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Klage schlüssig gewesen und es hätte Beweis erheben müssen.

c) Die Rüge der ZVK führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

Gegenüber dem Vortrag der ZVK ist der Vortrag des Beklagten erheblich. Der Beklagte trägt vor, daß 90 v. H. der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf reine Schreinerarbeiten entfalle. In diesem Fall ist der Betrieb nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV vom betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen. Das Landesarbeitsgericht wird demgemäß, gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag, über die gegenseitigen Behauptungen hinsichtlich des Umfangs der betrieblichen Tätigkeiten Beweis zu erheben haben.

III. Das Landesarbeitsgericht hat über die Kosten der Revision mitzuentscheiden.

Matthes Dr. Freitag Böck

Stabenow Holze

 

Fundstellen

Dokument-Index HI436640

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