Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulagen im Schreibdienst

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ist in einem Tarifvertrag vorgesehen, daß der Arbeitgeber Vergütungszulagen gewähren kann (hier Schreibdienst im öffentlichen Dienst), so steht dem Arbeitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht (§ 315 BGB) zu. Aufgrund dieses Leistungsbestimmungsrechts hat er umfassend die Interessen des Arbeitnehmers gegen seine eigenen abzuwägen.
  • Im Rahmen der Interessenabwägung kann er zu seinen Gunsten die Haushaltslage und die Notwendigkeit berücksichtigen, Vergütungsanreize zu schaffen, um qualifizierte Arbeitnehmer für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.
 

Normenkette

BAT 1975 §§ 22, 23 Zulagen VergGr. VII; Protokollnotiz Nr. 4 zum Teil II, Abschn. N, Unterabschn. I der Anlage 1a zum BAT

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.08.1989; Aktenzeichen 6 Sa 476/89)

ArbG Koblenz (Urteil vom 23.05.1989; Aktenzeichen 3 Ca 577/89)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. August 1989 – 6 Sa 476/89 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. September 1981 als Angestellte im Schreibdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Die Klägerin erhält Vergütung nach VergGr. VII BAT.

Mit Schreiben vom 11. August 1988 beantragte die Klägerin unter Nachweis ihrer Leistungen in der Zeit vom 11. Juli 1988 bis 5. August 1988 die Zahlung einer Zulage gemäß der Protokollnotiz Nr. 4 zum Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I (Angestellte im Schreibdienst) der Anlage 1a zum BAT ab 1. September 1988. Sie hat die Auffassung vertreten, daß sie die tariflichen Anforderungen erfülle, da sie als Maschinenschreiberin in VergGr. VII BAT Fallgruppe 3 eingruppiert sei, das 20. Lebensjahr vollendet habe und sich durch herausragende Leistungen und besondere Zuverlässigkeit auszeichne. Zwar sehe die tarifliche Bestimmung nur vor, daß die Zulage bis zum Fünffachen des Unterschiedsbetrages zwischen den Grundvergütungen der ersten und der zweiten Lebensaltersstufe der VergGr. VII von der Beklagten gewährt werden könne. Der der Beklagten dadurch eingeräumte Ermessensspielraum beziehe sich jedoch nur auf die Höhe der Zulage. Die Beklagte dürfe bei Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen die Zahlung der Zulage nicht aus arbeitsmarktpolitischen Erwägungen versagen. Da die übrigen in ihrer Dienststelle beschäftigten Schreibkräfte die Zulage erhielten, sei ihr Anspruch auch nach dem arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz begründet.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ab 1. September 1988 die Zulage gemäß Protokollnotiz Nr. 4 zu Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT in Höhe des fünffachen Unterschiedsbetrages zwischen den Grundvergütungen der ersten und zweiten Lebensaltersstufe der VergGr. VII zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß der Klägerin ein Anspruch auf die Zulage nicht zustehe. Die tarifliche Bestimmung der Protokollnotiz Nr. 4 begründe keinen Rechtsanspruch auf die Gewährung der Zulage, sondern diese stehe auch bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen im Ermessen der Beklagten. Der Sinn und Zweck der Zulagenregelung bestehe darin, dem öffentlichen Arbeitgeber die Möglichkeit zu eröffnen, in Gebieten, in denen qualifizierte Schreibkräfte bei Zahlung der tariflichen Vergütung nicht zu gewinnen bzw. im öffentlichen Dienst zu halten seien, diesen eine höhere Vergütung anbieten zu können. Ein Mangel an Schreibkräften bestehe im Bereich der Standortverwaltung, in der die Klägerin tätig sei, nicht mehr. Deshalb sei die Gewährung von Zulagen gemäß der Protokollnotiz Nr. 4 durch Verfügung vom 31. März 1987 eingestellt worden. Den Schreibkräften, die in der Dienststelle der Klägerin die Zulage erhielten, sei diese vor dem 31. März 1987 gewährt worden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege deshalb nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung der Zulage gemäß der Protokollnotiz Nr. 4 zum Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT nicht zu. Die Entscheidung der Beklagten, der Klägerin die Zulage nicht zu gewähren, entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 315 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Die Klägerin erfüllt als Angestellte im Schreibdienst die Anforderungen der VergGr. VII Fallgruppe 3, Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT. Die Protokollnotiz Nr. 4 zu dieser Vergütungsgruppe bestimmt:

Angestellten, die das 20. Lebensjahr vollendet haben und die sich durch herausragende Leistungen und besondere Zuverlässigkeit auszeichnen, kann eine widerrufliche Zulage bis zum Fünffachen des Unterschiedsbetrages zwischen den Grundvergütungen der ersten und zweiten Lebensaltersstufe der VergGr. VII gewährt werden; die Endgrundvergütung (§ 27 Abschn. A Abs. 1) der VergGr. VII darf hierdurch nicht überschritten werden. Die Zulage vermindert sich jeweils um den Betrag, um den sich die Grundvergütung durch Erreichen der nächsten Lebensaltersstufe gemäß § 27 Abschn. A erhöht, ..

Das Landesarbeitsgericht nimmt an, daß der Klägerin ein Anspruch auf die Zulage nicht zustehe. Die Gewährung der Zulage stehe auch bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen im Ermessen der Beklagten. Dieses Ermessen erstrecke sich nicht nur auf die Höhe der Zulage, sondern auch darauf, ob eine Zulage überhaupt gewährt werde. Die Ermessensausübung durch die Beklagte sei rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn die Beklagte darauf verweise, daß die Lage am Arbeitsmarkt die Gewährung einer Zulage an Schreibkräfte nicht mehr erfordere, sei dies ein ausreichender sachlicher Grund, keine weiteren Zusagen mehr zu erteilen. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor. Der Anspruch sei auch nicht aus betrieblicher Übung begründet. Die Beklagte habe die Gewährung der Zulagen nach der Protokollnotiz Nr. 4 seit dem 31. März 1987 eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin die tariflichen Voraussetzungen noch nicht erfüllt.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht auch bei Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen der Protokollnotiz Nr. 4 ab 1. September 1988 kein Anspruch auf Zahlung der Zulage zu. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die Protokollnotiz Nr. 4 Tarifcharakter hat, so daß sie aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit mit normativer Wirkung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die Klägerin erfüllt auch die persönlichen Voraussetzungen zur Gewährung der Zulage, da ihre Tätigkeit die tariflichen Anforderungen der VergGr. VII BAT Fallgruppe 3 erfüllt, sie das 20. Lebensjahr vollendet hat und sich durch herausragende Leistungen und besondere Zuverlässigkeit auszeichnet, wie sie durch ihre Schreibleistungen in der Zeit vom 11. Juli 1988 bis 5. August 1988 nachgewiesen hat.

Bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen kann der Arbeitgeber eine Zulage bis zum Fünffachen des Unterschiedsbetrages zwischen den Grundvergütungen der ersten und zweiten Lebensaltersstufe der VergGr. VII gewähren. Nach dem eindeutigen Wortlaut der tariflichen Bestimmung steht die Gewährung der Zulage damit im Ermessen des Arbeitgebers. Räumt eine tarifliche Bestimmung dem Arbeitgeber in dieser Weise ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ein, so hat er seine Entscheidung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nach billigem Ermessen im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB zu treffen. Dabei entspricht eine Entscheidung der Billigkeit, wenn sie alle wesentlichen Umstände und die Interessen beider Parteien angemessen berücksichtigt (BAG Urteil vom 26. November 1986 – 4 AZR 789/85 – AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk m. w. N.).

Die Ermessensausübung durch den Arbeitgeber unterliegt der gerichtlichen Kontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB, wobei auch dem Revisionsgericht ein unbeschränktes Überprüfungsrecht zusteht (BAG Urteil vom 26. November 1986 – 4 AZR 789/85 – AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk; BGH Urteil vom 21. März 1961 – I ZR 133/59 – AP Nr. 19 zu § 612 BGB).

Die Überprüfung führt zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung der Beklagten, der Klägerin die Zulage nicht zu gewähren, im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Die tarifliche Bestimmung eröffnet der Beklagten die Möglichkeit, eine Zulage bis zum Fünffachen des Unterschiedsbetrages zwischen den Grundvergütungen der ersten und zweiten Lebensaltersstufe der VergGr. VII zu gewähren. Zutreffend folgert das Landesarbeitsgericht daraus, daß sowohl die Entscheidung, ob eine Zulage gewährt wird, als auch die Entscheidung, in welcher Höhe die Zulage gewährt wird, nach billigem Ermessen zu treffen ist. Für die Auffassung der Klägerin, daß bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen nur die Höhe der Zulage in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt wird, enthält die tarifliche Bestimmung keinen Anhaltspunkt.

Die Beklagte begründet ihre Entscheidung, ab 31. März 1987 im Bereich der Standortverwaltung, in der die Klägerin beschäftigt ist, keine Zulagen gemäß der Protokollnotiz Nr. 4 mehr zu gewähren, damit, daß die arbeitsmarktpolitische Zielsetzung der Zulagenregelung die Gewährung von Zulagen nicht mehr rechtfertige. Sinn und Zweck der tariflichen Zulagenregelung sei es, in Gebieten, in denen qualifizierte Schreibkräfte bei Zahlung der tariflichen Grundvergütung nicht angeworben werden könnten, bzw. im öffentlichen Dienst nicht zu halten seien, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu eröffnen, durch Gewährung der Zulage einen Anreiz für diese Schreibkräfte zu schaffen, im öffentlichen Dienst tätig zu werden oder tätig zu bleiben. Ein entsprechendes Bedürfnis habe seit dem Jahre 1987 im Bereich der Dienststelle der Klägerin nicht mehr bestanden.

Die tarifliche Bestimmung enthält keine Anhaltspunkte dafür, nach welchen Maßstäben die Ermessensentscheidung durch den Arbeitgeber zu treffen ist. Für die Gewährung der Zulage sind Leistung und Zuverlässigkeit bestimmend. Deshalb sind auch diese Umstände bei der Entscheidung des Arbeitgebers maßgebend zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird dem Arbeitgeber aber dadurch, daß die Entscheidung in sein Ermessen gestellt wird, auch die Möglichkeit eröffnet, Umstände zu berücksichtigen, die außerhalb der tariflichen Anforderungen liegen, die Voraussetzung für die Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung sind. Wäre ein Anspruch auf die Zulage dem Grunde nach stets zu bejahen, wenn die persönlichen Voraussetzungen für die Zulagengewährung vorliegen, hätte der Arbeitgeber keinen Ermessensspielraum mehr, ob er die Zulage überhaupt gewährt. Eine solche Auslegung wäre mit dem Wortlaut der Tarifnorm nicht vereinbar.

Als Umstände, die vom Arbeitgeber bei seiner Entscheidung über die Gewährung der Zulage im Rahmen billigen Ermessens berücksichtigt werden können, kommen auf seiten des Angestellten zum Beispiel eine besondere Kontinuität der Leistungen oder soziale Zwänge, auf seiten des Arbeitgebers zum Beispiel Haushaltsgesichtspunkte (vgl. BAG Urteil vom 26. November 1986 – 4 AZR 789/85 – AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk), in Betracht. Die tarifliche Ausgestaltung der Zulagenregelung läßt aber auch die Berücksichtigung der Situation am Arbeitsmarkt zu. Der Arbeitgeber kann im Rahmen billigen Ermessens die Zulage ebenfalls gewähren, um qualifizierte Schreibkräfte in Gebieten zu gewinnen oder für den öffentlichen Dienst zu erhalten, in denen dies aus Gründen des Arbeitsmarktes erforderlich ist, weil die tarifliche Grundvergütung allein keinen Anreiz bietet, trotz Bestehens anderweitiger günstigerer Verdienstmöglichkeiten im öffentlichen Dienst zu arbeiten oder dort zu verbleiben (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT Vergütungsordnung BL, Teil II Anmerkung 377; Breier/Uttlinger, Eingruppierung und Tätigkeitsmerkmale für Angestellte im öffentlichen Dienst, Teil II N Erl. 6 II 5c). Daß derartige am jeweiligen Arbeitsmarkt orientierte Gesichtspunkte die Ermessensentscheidung beeinflussen können, wird durch die tarifliche Regelung bestätigt, nach der die Zulage trotz Vorliegens der persönlichen Voraussetzungen nicht mehr gewährt werden kann, wenn die Endstufe der Grundvergütung der VergGr. VII erreicht ist. Die Möglichkeit der Gewährung der Zulage bietet deshalb einen Anreiz für eine Tätigkeit im Schreibdienst nur für jüngere Angestellte, für die in der Regel der Eintritt oder das Verbleiben im öffentlichen Dienst als berufliche Alternative noch in Betracht kommt.

Die Beklagte hat dargelegt, daß sie ihre Ermessensentscheidung darauf gestützt habe, daß in dem Bereich der Standortverwaltung, in dem die Klägerin tätig sei, ausreichend Arbeitskräfte vorhanden gewesen seien, so daß eine Zulagengewährung unter Gesichtspunkten des Arbeitsmarktes seit dem 31. März 1987 nicht mehr erfolgt sei. Damit hat sie ihre Entscheidung auf einen Gesichtspunkt gestützt, der im Rahmen billigen Ermessens zulässigerweise berücksichtigt werden konnte. Demgegenüber hat die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen, die über die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen hinaus zu ihren Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden können. In Anbetracht dieses Sachvortrages der Parteien kommt eine anderweitige Leistungsbestimmung durch das Gericht nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht in Betracht. Auch eine Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung scheidet aus, da die Klägerin in den Vorinstanzen keine Umstände dargelegt hat, die über die Grundlagen der Zulagengewährung hinausgehen.

Soweit das Landesarbeitsgericht ausgeführt hat, daß der Anspruch der Klägerin nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatzes oder aufgrund betrieblicher Übung begründet sei, begegnet die Entscheidung keinen rechtlichen Bedenken und werden auch von der Klägerin mit ihrer Revision keine Einwendungen erhoben.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Schaub, Schneider, Dr. Freitag, Lehmann, Kamm

 

Fundstellen

Haufe-Index 839194

RdA 1991, 63

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