Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2, 5; AGB-DDR § 55 Abs. 2; KSchG §§ 4, 7

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 02.10.1992; Aktenzeichen 6 Sa 50/92)

ArbG Berlin (Urteil vom 22.01.1992; Aktenzeichen 84 A Ca 17474/91)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 2. Oktober 1992 – 6 Sa 50/92 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien erst zum 31. August 1991 beendet worden ist.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig Abs. 4 Ziff. 1 EV) ausgesprochen hat.

Der am 9. März 1940 geborene Kläger arbeitete vom 1. August 1965 bis zum 31. Mai 1970 als Lehrer an einer Polytechnischen Oberschule in Berlin …. Anschließend war er bis zum 31. August 1974 Mitarbeiter für Kultur in der SED-Kreisleitung Berlin …. Er wurde dann als Aspirant an die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED delegiert und promovierte dort am Institut für marxistisch-leninistische Kultur- und Kunstwissenschaften. Ab dem 1. August 1978 war er hauptamtlicher Parteisekretär an der Komischen Oper zu Berlin und ab 1. Mai 1982 hauptamtlicher Parteisekretär an der Hochschule für Musik … seit dem 1. März 1990 wurde er wieder als Lehrer für Musikerziehung und Geschichte an einer Oberschule in Berlin … eingesetzt.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17. Juni 1991 ordentlich zum 15. August 1991.

Der Kläger hat geltend gemacht, er sei für eine Tätigkeit als Lehrer weiterhin persönlich geeignet. Der Beklagte habe nichts Konkretes für eine fehlende Eignung vorgetragen und die erforderliche Einzelfallprüfung unterlassen. Die Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages seien verfassungswidrig. Er, der Kläger, habe wie viele andere Funktionsträger im Vertrauen auf die guten Seiten des Sozialismus versucht, das Beste aus der damaligen Situation zu machen. An der Akademie für Gesellschaftswissenschaften sei kritisches Denken gefördert worden, obwohl die Parteiführung der SED Dogmatismus gewollt habe. Er habe sich in seinen Forschungen ernsthaft mit der katholischen Soziallehre befaßt, deren Subsidiaritätsprinzip Eingang in die demokratische Gesellschaft finden solle. Als Parteisekretär sei er stets bemüht gewesen, im Rahmen seiner demokratischen Grundeinstellung und entgegen den dogmatischen Herrschaftsambitionen des der Parteiführung hörigen Rektors ein positives Wirken der Parteiorganisation in der Musikhochschule zu gewährleisten. Im Herbst 1988 habe man sich mit der neuen Kulturpolitik der Sowjetunion befassen wollen; daraufhin habe die Parteiorganisation für ihre Mitgliederversammlung Hausverbot durch den Rektor erhalten. Dieser habe ihm sogar die „facultas docendi” verwehrt und ihn mit fadenscheinigen Gründen zeitweilig als Lehrbeauftragten gefeuert. Die wenigen echten Kämpfer für Demokratie und Recht hätten die Wende nicht zustande bringen können, wäre nicht das Wende-Potential bei hunderttausenden Mitgliedern und auch Funktionären der SED vorhanden gewesen. Seine eigene schmerzliche und ernüchternde Erfahrung mit dem „realen Sozialismus”, dessen negative Seiten er bis in die letzte Zeit der DDR nicht für möglich gehalten habe, führten ihn umso fester in die Bejahung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Nach einer Leistungseinschätzung seiner Direktorin sei es ihm durch seine gesamte Arbeit gelungen, das musische Klima an der Schule kreativ und freudebetont zu gestalten. Den Elternvertretern habe er sich mit seiner Biographie gestellt und sei von ihnen akzeptiert und von den Kollegen zudem zum Lehrervertreter gewählt worden.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 17. Juni 1991 nicht aufgelöst worden sei, sondern fortbestehe,
  2. den Beklagten zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, der Kläger sei als Lehrer persönlich nicht geeignet. Er habe das Lehramt im Jahre 1970 freiwillig aufgegeben, um sich hauptamtlichen Funktionen in der SED zuzuwenden. Aufgabe des Parteisekretärs sei es gewesen, die kulturpolitischen Dogmen und Forderungen der SED zu realisieren. Wer sich in dem Machtapparat der SED derart exponiert habe, müsse objektiv unglaubhaft erscheinen, wenn er Schülern die Werte einer freiheitlichen Grundordnung vermitteln wolle. Der Kläger sei erst wieder in den Schuldienst zurückgekehrt, als die SED ihre staatstragende und beherrschende Stellung eingebüßt habe und die Funktion eines Parteisekretärs entfallen sei. Die Personalakte des Klägers beginne praktisch erst mit dem 1. März 1990 und enthalte sonst nur Prüfungszeugnisse und dergleichen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine bisherigen Anträge weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Die Vorinstanzen haben die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei durch die Kündigung zum 31. August 1991 beendet worden.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, bereits aus dem beruflichen Werdegang eines übernommenen Arbeitnehmers und der von ihm früher im politischen System der DDR ausgeübten Funktion könnten ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungstreue abgeleitet werden, die ihn als persönlich ungeeignet für seine vertraglich geschuldete Tätigkeit im öffentlichen Dienst erscheinen ließen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn dem jetzigen Dienstherrn wegen einer Aktenbereinigung keine weiteren Erkenntnisgrundlagen für die Eignungsbeurteilung zur Verfügung stünden. Es bleibe dann Sache des Arbeitnehmers, die sich aus dem objektiven Erscheinungsbild ergebenden Zweifel an seiner Verfassungstreue durch substantiierten Vortrag entsprechender Umstände auszuräumen, wie dies auch bei einer Bewerbung der Fall sei. Der Sonderkündigungstatbestand diene der Abwehr von Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut und sei auch in dieser Auslegung nicht verfassungswidrig.

Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers ergäben sich daraus, daß er nach knapp fünfjähriger Tätigkeit als Lehrer sein weiteres Berufsleben fast zwanzig Jahre lang in den Dienst der SED als der staatstragenden Partei der DDR gestellt und hierfür an der Akademie der Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED eine entsprechende Ausbildung erfahren habe. Wer diesen Weg beschritten und mit einer Promotion erfolgreich zum Abschluß gebracht habe, könne nicht für sich in Anspruch nehmen, sich wie viele andere einfach gefügt zu haben. Daß der Kläger an zwei bedeutsamen Kultureinrichtungen als Parteisekretär eingesetzt worden sei, lasse bereits eine entsprechende Einschätzung seiner Person an höherer Stelle erkennen. Seine Aufgabe habe u.a. darin bestanden, eine straffe Parteikontrolle durchzuführen, bei der Leitung von Sitzungen politisch-ideologische Fragen in den Mittelpunkt zu stellen und die übergeordneten Stellen über die wichtigsten Probleme und Beschlüsse zu informieren. Wer dies über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren bewältigt habe, ohne je erkennbar mit der herrschenden Linie in Konflikt geraten zu sein, könne kein bloßer Mitläufer gewesen sein, sondern müsse das System aus innerer Überzeugung mitgetragen haben.

Dem Kläger sei es nicht gelungen, die ernsthaften Zweifel an seiner Verfassungstreue auszuräumen. Er habe im laufenden Schuljahr seine Lehrertätigkeit selbst aufgegeben und sei erst in den Schuldienst zurückgekehrt, als die SED ihre staatstragende und beherrschende Stellung eingebüßt habe und die Funktion eines Parteisekretärs entfallen sei. Er habe selbst nicht behauptet, daß der Konflikt mit dem Rektor der Musikhochschule Ausdruck einer Abweichung von der Parteilinie oder einer Verletzung seiner Pflichten als Parteisekretär gewesen sei. Wenn der Kläger sich in seinem Tätigkeitsbereich um Verbesserungen im täglichen Umgang mit den anderen Beschäftigten bemüht habe, so ändere das nichts daran, daß er aus innerer Überzeugung den weitaus größten Teil seines Berufslebens in den Dienst einer marxistisch-leninistischen Partei gestellt habe. Der Besorgnis, er werde die ihm anvertrauten Schüler gegen die Grundwerte der Verfassung beeinflussen, stehe auch nicht entgegen, daß er zum Lehrervertreter gewählt und von den Elternvertretern akzeptiert worden sei. Der Zeitraum, in dem sich gemäß der Leistungseinschätzung seiner Direktorin keine Beanstandungen der Unterrichtsgestaltung ergeben hätten, sei ab März bzw. Oktober 1990 nicht sonderlich lang gewesen. Der Kläger werde kaum so naiv gewesen sein, sich hier irgendwelche Blößen zu geben, zumal er überwiegend Musik unterrichtet habe.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die Wirksamkeit der Kündigung ist aufgrund einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung zu beurteilen. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen und – 8 AZR 127/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) folgende Grundsätze hierzu entwickelt:

a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG).

c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Deshalb zwingt die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe); denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.

2. Die Kündigungsregelung des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist auch in dieser Auslegung verfassungsgemäß. Wie schon das Landesarbeitsgericht zu Recht hervorgehoben hat, muß sichergestellt werden, daß der öffentliche Arbeitgeber sich unter der Geltung des Art. 33 Abs. 2 GG von unqualifiziertem und politisch belastetem Personal unter erleichterten Voraussetzungen trennen kann. Die Kündigungsbefugnis dient der Abwehr von Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, nämlich eine nach rechtsstaatlichen Maßstäben arbeitende Verwaltung. Der damit verbundene Eingriff in die Freiheit der Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) ist erforderlich und verhältnismäßig. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz vor einem Arbeitsplatzverlust aufgrund privater Dispositionen bleibt gewährleistet (vgl. BVerfG Urteil vom 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 146, 151 f. = AP Nr. 70 zu Art. 12 GG, zu C III 1, 3 c der Gründe).

3. Entgegen der Auffassung der Revision verstößt die Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Abkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine in der ehemaligen DDR wahrgenommenen Funktionen begründeten Zweifel, ob er künftig für die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit aus der Sicht der ehemaligen DDR für eine revanchistische und imperialistische verfassungsmäßige Ordnung eintreten wird (BAG Urteil vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 15/93 – n.v.). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 13. Oktober 1988 – 6 AZR 144/85 – AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung).

4.a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend vom materiell-rechtlichen Regelungsgehalt des Abs. 4 Ziff. 1 EV ausgegangen. Es hat hieraus ohne Rechtsfehler hergeleitet, die verschiedenen Tätigkeiten des Klägers ab dem Jahre 1970 indizierten eine Ungeeignetheit, weiterhin als Lehrer tätig sein zu können. Zu Recht wird darauf abgestellt, der Kläger habe nach knapp fünfjähriger Tätigkeit als Lehrer sein weiteres Berufsleben fast 20 Jahre lang in den Dienst der SED gestellt. Es hat die besondere Ausbildung für eine Parteikarriere im Dienst der SED an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED und die Kontroll- und Leitungsfunktionen des Parteisekretärs zutreffend herausgestellt. Der Kläger war fast zwölf Jahre lang Repräsentant der SED an zwei der bedeutendsten Kultureinrichtungen der DDR. Er hatte hier die Ideologie der SED umzusetzen. Seine Berufstätigkeit war von herausgehobenen Aufgaben für die SED geprägt. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, zeigen die Tätigkeiten des Klägers seit 1970 die besondere Identifikation des Klägers mit den Zielen des SED-Staates auf. Dabei ist das Landesarbeitsgericht nicht von einem absoluten Kündigungsgrund ausgegangen, sondern hat konkret die Situation des Klägers berücksichtigt.

b) Das Landesarbeitsgericht hat in einer Einzelfallprüfung alle zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vorliegenden Tatsachen gewürdigt. Seiner Annahme, der Kläger habe die ernsthaften Zweifel an seiner Verfassungstreue nicht auszuräumen vermocht, liegen keine Rechtsfehler zugrunde. Die Revision bringt hierzu auch nichts Erhebliches vor.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, der Kläger habe den Schuldienst im Jahre 1970 freiwillig aufgegeben. Das spricht gegen ihn, auch wenn eine Parteikarriere zunächst nicht beabsichtigt gewesen sein mag. Jedenfalls hat der Kläger dann auch diesen Weg freiwillig beschritten und einer Tätigkeit als Lehrer vorgezogen. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend hervorgehoben, daß der Kläger erst im Jahre 1990 unter dem Zwang der Verhältnisse in den Schuldienst zurückgekehrt sei. Das Ausscheiden des Klägers aus dem Schuldienst im Jahre 1970 war nicht auf eine Rückkehr, auch nicht an herausgehobener Stelle, angelegt. Auch die weiteren Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Dauer der Parteitätigkeit, der entsprechenden Ausbildung hierfür und der herausgehobenen Stellung des Klägers lassen keine Rechtsfehler erkennen.

Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Vortrag des Klägers zu seinem Verhalten vor und nach der Wende sei nicht geeignet, die Annahme einer mangelnden persönlichen Eignung zu entkräften, ist rechtsfehlerfrei. Wenn der Kläger etwa für sich in Anspruch nimmt, „das Beste aus der damaligen Situation gemacht” zu haben und um „ein positives Wirken der Parteiorganisation in der Musikhochschule” bemüht gewesen zu sein, so trägt er damit schon keine konkreten nachvollziehbaren Tatsachen vor. Die Befassung mit der katholischen Soziallehre oder mit der neuen Kulturpolitik der Sowjetunion besagt nichts dafür, daß der Kläger dem Regime der DDR kritisch gegenübergestanden habe und nunmehr zu den Werten des Grundgesetzes stehe. Das Landesarbeitsgericht hat unangefochten ausgeführt, der Kläger habe die Parteiarbeit bewältigt, ohne je erkennbar mit der herrschenden Linie in Konflikt geraten zu sein; er habe selbst nicht behauptet, der Konflikt mit dem Rektor sei Ausdruck einer Abweichung von der Parteilinie gewesen. Die Annahme, der Kläger habe nicht verdeutlichen können, inwiefern seine Wahl zum Lehrervertreter und die Akzeptanz durch die Elternvertreter auf eine Verfassungstreue schließen lassen könnten, ist widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Denkgesetze. Die Einschätzung seiner Direktorin bezieht sich nicht auf Verfassungsverständnis und Verfassungstreue. Die Rüge der Revision, der Kläger habe in Wahrheit zu dem „Wende-Potential” gehört, geht demnach fehl.

c) Die oben unter 1. dargestellten Anforderungen an die persönliche Eignung eines Lehrers im öffentlichen Dienst können nicht nach den jeweils unterrichteten Fächern abgestuft werden. Alle Lehrer, die an öffentlichen Schulen Kinder und Jugendliche unterrichten, müssen die Gewähr eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bieten. Auch wer ausschließlich im Fach Musik unterrichtet, könnte seine Schüler unterschwellig oder offen gegen die Grundwerte der Verfassung beeinflussen. Daher stellt sich die vom Landesarbeitsgericht verneinte Frage nicht, ob der Arbeitgeber bestehenden Eignungszweifeln dadurch die Grundlage entziehen muß, daß er den Einsatz des Arbeitnehmers dauerhaft auf einen weniger sensiblen Teilbereich beschränkt (hier: Einsatz allein im Fach Musik, nicht im Fach Geschichte).

III. Die Revision wendet sich nicht dagegen, daß das Landesarbeitsgericht die Kündigungsfrist des § 55 Abs. 2 AGB-DDR zugrunde gelegt hat. Die Anwendung von § 55 Abs. 2 AGB-DDR entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 25. März 1993 – 6 AZR 252/92 – BB 1993, 2162, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist daher zum 31. August 1991 beendet worden. Allerdings hat der Beklagte die Kündigung zum 15. August 1991 ausgesprochen. Wenn das Landesarbeitsgericht gleichwohl die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts in vollem Umfang zurückgewiesen hat, so ist das unschädlich. Der Beendigungszeitpunkt ergibt sich aus den Entscheidungsgründen mit hinreichender Klarheit. Zur Klarstellung war die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien erst zum 31. August 1991 beendet worden ist.

B. Der Kläger hat in der Revisionsverhandlung klargestellt, daß sein Feststellungsantrag allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG umfaßt. Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses war daher nicht mehr zu prüfen.

c. Der Antrag zu 2) hat ebenfalls keinen Erfolg. Da der auf Bestandsschutz gerichtete Antrag abzuweisen ist, kann der Kläger auch keine vorläufige Weiterbeschäftigung verlangen.

D. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Schmidt, Dr. Pühler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065118

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