Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Zuschuß zum Altersübergangsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 10 des Tarifvertrages zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturveränderungen in den Unternehmen der Mitteldeutschen Wasser- und Umwelttechnik AG Halle vom 15. Oktober 1990 hat der Arbeitnehmer Anspruch auf einen Zuschuß zum Altersübergangsgeld in Höhe des jeweiligen Unterschiedsbetrages zwischen dem Altersübergangsgeld und 80 % des letzten Durchschnittsnettolohnes. Erhöht sich das Altersübergangsgeld, verringert sich der Zuschuß des Arbeitgebers.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Wasser- und Umwelttechnik, § 3 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturveränderungen in den Unternehmen der Mitteldeutschen Wasser- und Umwelttechnik AG Halle vom 15. Oktober 1990 § 10

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 15.07.1994; Aktenzeichen 3 Sa 239/93)

ArbG Dresden (Urteil vom 01.07.1993; Aktenzeichen 1 Ca 3272/93)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 15. Juli 1994 – 3 Sa 239/93 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe eines betrieblichen Zuschusses zum Altersübergangsgeld.

Die Voraussetzungen für Zuschüsse zum Altersübergangsgeld sind in einem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturveränderungen in den Unternehmen der Mitteldeutschen Wasser- und Umwelttechnik AG Halle vom 15. Oktober 1990 (RationalisierungsTV) geregelt. Diesen Tarifvertrag hat der beklagte Arbeitgeber mit dem Hauptverband der inzwischen aufgelösten Industriegewerkschaft Bergbau, Energie- und Wasserwirtschaft abgeschlossen. Dort heißt es:

“§ 10

  • Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers endet oder im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Arbeitgeber aufgehoben wird und denen danach bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Altersübergangsgeld gewährt wird, erhalten für die Dauer der Gewährung des Altersübergangsgeldes einen Zuschlag zum Altersübergangsgeld in Höhe der Differenz zwischen Altersübergangsgeld und 80 % des dem Arbeitnehmer im letzten Monat vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugestandenen Durchschnittsnettolohnes. Dem entgegenstehende Regelungen in anderen Tarifverträgen hinsichtlich des Kündigungsschutzes sind nicht anzuwenden.
  • Der Zuschlag wird beginnend mit dem Bezug des Altersübergangsgeldes monatlich gezahlt.”

Der am 1. Dezember 1934 geborene Kläger war seit 1964 bei den Wasseraufbereitungsanlagen Dresden, einem Betrieb der Beklagten, und deren Rechtsvorgängerin als Kraftfahrer tätig. Mit Schreiben vom 28. März 1992 bot die Beklagte dem Kläger eine “Vereinbarung zum Übergang in den Vorruhestand” zum 30. Juni 1992 an. In dem Schreiben heißt es u.a.:

“Entsprechend den Bestimmungen des Manteltarifvertrages sowie der Rationalisierungsschutzvereinbarung zwischen der Mitteldeutschen Wasser- und Umwelttechnik AG Halle und der IG Bergbau und Energie erhalten Sie neben dem gesetzlich festgelegten Altersübergangsgeld den Ausgleich von 15 %, so daß Sie mindestens 80 % Ihres bisherigen Verdienstes erhalten.

Ihr Einverständnis zum Übergang in den Vorruhestand bestätigen Sie bitte auf dem beigefügten Durchschlag.”

Der Kläger nahm dieses Angebot an und schied zum 30. Juni 1992 bei der Beklagten aus. Seit dem 1. Juli 1992 bezieht er Altersübergangsgeld.

Aufgrund einer weiteren Vereinbarung der Parteien vom 24. September 1992 über die Zahlung eines Zuschlages zum Altersübergangsgeld “auf der Grundlage des Rationalisierungsschutzabkommens vom 1. Oktober 1990 § 10” zahlte die Beklagte an den Kläger zunächst einen Zuschuß von monatlich 238,06 DM. Nach der Vereinbarung ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die Erhöhung des Altersübergangsgeldes im Rahmen der Dynamisierung der Renten, die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit (ab 18 Stunden wöchentlich) sowie den Termin des Altersrentenbezuges dem Arbeitgeber mitzuteilen. Nach Erhöhung des Altersübergangsgeldes mit Wirkung zum 1. Dezember 1992 schlossen die Parteien am 10. Dezember 1992 eine weitere Vereinbarung. Nach dieser Vereinbarung erhielt der Kläger ab 1. Dezember 1992 im Hinblick auf die Erhöhung des Altersübergangsgeldes nur noch einen Zuschuß in Höhe von 110,66 DM. Diesen Betrag zahlte die Beklagte in der Folgezeit.

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen die nachträgliche Kürzung dieses Zuschusses. Er hat die Auffassung vertreten, die vertraglichen Vereinbarungen seien nichtig, sie verstießen gegen zwingende Vorschriften des Tarifvertrages. Nach den tariflichen Bestimmungen dürfe der Zuschuß nicht entsprechend der Entwicklung des Altersübergangsgeldes gekürzt werden.

Mit seiner Klage hat der Kläger den Unterschiedsbetrag zwischen dem geforderten Zuschuß und dem von der Beklagten gezahlten Zuschuß für die Zeit von Dezember 1992 bis Juni 1993 gefordert. Er hat zuletzt beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn 891,60 DM rückständigen Zuschuß zum Unterhaltsgeld für die Zeit vom Dezember 1992 bis Juni 1993 nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1993 zu zahlen,
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. Juli 1993 monatlich an jedem 15. des Monats insgesamt 238,06 DM Zuschuß für die Dauer der Gewährung des Altersübergangsgeldes zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe nur Anspruch auf 80 % des letzten Durchschnittsnettolohnes; der Zuschuß müsse bei einer Erhöhung des Übergangsgeldes entsprechend angepaßt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Urteil auf die Berufung der Beklagten abgeändert, es hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er will erreichen, daß das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Nach § 10 des RationalisierungsTV hat der Kläger nur Anspruch auf einen Zuschuß in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem jeweiligen Altersübergangsgeld und 80 % seiner letzten Nettobezüge.

I. Nach § 10 RationalisierungsTV kann der Kläger keinen höheren Zuschuß zum Altersübergangsgeld verlangen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, warum der Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden ist. Es hat keine Tarifbindung (§ 3 Abs. 1 TVG) festgestellt. Der Kläger hat nur vorgetragen, er sei Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie. Diese Gewerkschaft hat den RationalisierungsTV jedoch nicht abgeschlossen.

Der Senat kann die Frage der Tarifbindung offenlassen. Sie kann zugunsten des Klägers unterstellt werden.

2. Die Beklagte schuldet nach § 10 des RationalisierungsTV nur den Unterschiedsbetrag zwischen dem jeweils bezogenen Altersübergangsgeld und 80 % der letzten Nettobezüge. Der Senat folgt der Auslegung des Landesarbeitsgerichts.

a) Nach dem Wortlaut ist nur die Obergrenze von 80 % der letzten Nettobezüge als feste Rechengröße bestimmt. Der Hinweis des Klägers, daß der Zuschlag “für die Dauer der Gewährung des Altersübergangsgeldes” zu zahlen ist, steht nicht entgegen. Diese Regelung begrenzt den Zeitraum, für den der Zuschuß zu zahlen ist. Sie sagt nichts über die Höhe dieses Zuschusses aus.

b) Eine solche Auslegung entspricht auch dem Zweck des Tarifvertrages. Der Tarifvertrag will das Einkommen, das ein Arbeitnehmer bei seinem Ausscheiden erzielt hat, sichern. Die Auslegung, die der Kläger für richtig hält, würde über dieses Regelungsziel hinausgehen. Bei Abschluß des Tarifvertrages war erkennbar, daß das Altersübergangsgeld in absehbarer Zeit erhöht werden würde. Das ergibt sich aus den Behauptungen beider Parteien. Schriebe man den zuerst errechneten Zuschuß für die Folgezeit fest, würde der Bezieher von Altersübergangsgeld in der Folgezeit Gesamtbezüge erhalten, die über dem Betrag liegen, der über seinem letzten Nettoverdienst liegt und den die Tarifvertragsparteien absichern wollten.

Die Regelung ist auch nicht als Bestimmung zur Dynamisierung der letzten Bezüge zu verstehen. Zwar können die Tarifvertragsparteien eine Dynamisierung der zu sichernden Bezüge vereinbaren. Dieses Regelungsziel muß aber deutlich im Tarifvertrag erkennbar sein. Im übrigen ist die vom Kläger gewählte Auslegung auch sachwidrig. Sie orientiert sich nicht an der Lohnentwicklung der aktiv tätigen Arbeitnehmer. Eine der Entwicklung der aktiven Bezüge angepaßte Dynamisierung des Besitzstandes hätte nähergelegen als eine Anbindung an die von dritter Stelle, hier der Bundesanstalt für Arbeit, festgesetzte Entwicklung des Altersübergangsgeldes.

c) Auch der Regelungszusammenhang, in dem § 10 des RationalisierungsTV steht, spricht für dieses Auslegungsergebnis. Der Zuschuß zum Altersübergangsgeld ist vergleichbar mit dem in § 8 des RationalisierungsTV geregelten Überbrückungsgeld. Das Überbrükkungsgeld erhalten Arbeitnehmer, die eine neue Arbeitsstelle gefunden haben, im neuen Arbeitsverhältnis aber geringere Bezüge erzielen als in ihrem letzten Arbeitsverhältnis. Dieses Überbrükkungsgeld wird nur in Höhe der Minderung des letzten Nettodurchschnittslohnes gezahlt. Auch in diesen Fällen ist der letzte Nettodurchschnittslohn die Obergrenze für den insgesamt zu sichernden Besitzstand. Lohnerhöhungen im neuen Arbeitsverhältnis wirken sich mindernd auf die Höhe des Überbrückungsgeldes aus (§ 8 Abs. 5 RationalisierungsTV). Warum Bezieher von Altersübergangsgeld besser gestellt werden sollten als die Arbeitnehmer, die einen anderen Arbeitsplatz gefunden haben, läßt sich nicht überzeugend begründen. Die Regelung in § 8 Abs. 5 RationalisierungsTV, nach der der anderweit tätige Arbeitnehmer eine Lohnbescheinigung vorzulegen hat, spricht nicht für die Auffassung des Klägers. Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß Lohnerhöhungen beim neuen Arbeitgeber für den früheren Arbeitgeber anders als durch Vorlage von Lohnbescheinigungen nicht festgestellt werden können. Dagegen kann die Erhöhung des Altersübergangsgeldes den jeweils geltenden Rechtsverordnungen entnommen werden.

d) Der Kläger kann sich auch nicht mit den Arbeitnehmern vergleichen, die nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis arbeitslos werden. Ein Arbeitnehmer, der arbeitslos wird, muß der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, wenn er Arbeitslosengeld erhalten will. Für Arbeitnehmer, die Altersübergangsgeld erhalten, besteht diese Verpflichtung nicht. Näher liegt der Vergleich zwischen den Beziehern von Überbrückungsgeld, die ihren bisherigen Arbeitsplatz verloren und einen neuen Arbeitsplatz mit geringerer Bezahlung erhalten haben, und den Beziehern von Altersübergangsgeld. Wenn die Tarifvertragsparteien die beiden zuletzt genannten Vergleichsgruppen in etwa gleich behandeln, ist diese Regelung auch bei einem Vergleich mit arbeitslos werdenden Arbeitnehmern nicht willkürlich und grob sachwidrig (Art. 3 Abs. 1 GG).

II. Auch aus einzelvertraglichen Vereinbarungen kann der Kläger keinen Anspruch auf einen höheren Zuschuß zum Altersübergangsgeld herleiten. Nach der Vereinbarung vom 24. September 1992 kann der Kläger nur den Unterschiedsbetrag zwischen dem jeweiligen Altersübergangsgeld und 80 % der letzten Nettobezüge erhalten. Das ergibt sich nicht nur aus dem Hinweis auf § 10 RationalisierungsTV, sondern auch daraus, daß der Kläger verpflichtet wurde, die Erhöhung des Altersübergangsgeldes im Rahmen der Dynamisierung der Renten mitzuteilen. In einer weiteren Vereinbarung vom 10. Dezember 1992 haben die Parteien tatsächlich auch einen der Entwicklung des Alterübergangsgeldes angepaßten geringeren Zuschuß vereinbart.

 

Unterschriften

Heither, Kremhelmer, Mikosch, Dr. Offergeld, Köhne

 

Fundstellen

Haufe-Index 870826

NZA 1996, 47

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