Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung von Chefarztsekretärin

 

Leitsatz (redaktionell)

Tätigkeiten, die spezielle Tätigkeitsmerkmale nur für Angestellte im Schreibdienst erfüllen, können nicht zur Erfüllung der Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals der allgemeinen Fallgruppen für den Verwaltungsdienst herangezogen werden. Eine Schreibtätigkeit ist deshalb für die Prüfung gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse unbeachtlich.

 

Normenkette

BAT Anlage 1a; BAT § 22 Fassung: 1975-03-17

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 01.08.1984; Aktenzeichen 4 Sa 114/83)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 23.06.1983; Aktenzeichen 8 Ca 23/82)

 

Tatbestand

Die Klägerin, die der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) als Mitglied angehört, steht seit 1. November 1975 als Angestellte in den Diensten der Beklagten. Sie wird in der III. Medizinischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses A als sogenannte Abteilungssekretärin im Vorzimmer des Abteilungsleiters Dr. N beschäftigt. Die III. Medizinische Abteilung verfügt über 116 Betten, von denen 28 zur Intensivstation gehören, sowie eine Schrittmacherzentrale, von der 800 bis 1.000 Schrittmacherpatienten betreut werden, und ist mit der Lungenfunktions- und Kreislaufdiagnostik für das gesamte Krankenhaus betraut.

Der Klägerin sind die nachstehenden Aufgaben zu den angegebenen Zeitanteilen zur Erledigung übertragen:

Zeitanteil

----------

1. Bewußtes Aufnehmen (Steno) und

bewußtes Übertragen (Schreibma-

schine) von ärztlichen Befunden

und Briefen nach Steno und Phono 40 %

2. Allgemeine Korrespondenz 3 %

3. Terminplanung und -überwachung

3.1 - für ambulante und statio-

näre Behandlung von Pa-

tienten 12 %

3.2 - für in der Ausbildung be-

findliche Studenten 3 %

4. Beratung und Auskünfte gegenüber

Patienten, Angehörigen von Pa-

tienten, Ämtern, Behörden und

Nichtkrankenhausärzten 10 %

5. Erstellen von statistischen Un-

terlagen 2 %

6. Führen und Ergänzen der medizi-

nischen Vordrucke und Formulare

6.1 - Entwickeln und Verbessern

von gebräuchlichen Vor-

drucken und Formularen 1 %

6.2 - Herausgabe, Kontrolle und

Führung medizinischer For-

mulare 5 %

6.3 - Führen der Diagnosekartei 2,5 %

7. Führen von Personaldaten 3 %

8. Führung der Dienstanweisungs-Map-

pe 0,5 %

9. Anforderung von wissenschaftli-

cher Literatur, Material, Repa-

raturaufträgen u.a. 1 %

10. Kontrolle von Patientenakten 15 %

11. Einarbeitung von Schreibkräften 2 %

Die Klägerin erhält seit 1. Januar 1976 Vergütung nach VergGr. VII BAT. Mit Schreiben vom 20. Januar 1980 hat sie von der Beklagten erfolglos Vergütung nach VergGr. VI b BAT begehrt.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie übe die Tätigkeit einer Chefarztsekretärin aus und erfülle die tariflichen Merkmale der VergGr. VI b Fallgruppe 1 a des Teils I der Anlage 1 a zum BAT. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne ihre Tätigkeit nicht nach den Merkmalen für Angestellte im Schreib- und Fernschreibdienst des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT bewertet werden, da sie nur zu 40 v.H. ihrer Gesamttätigkeit mit dem Schreiben von ärztlichen Befunden und Briefen nach Stenogramm und Phonodiktat beschäftigt sei (Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung). Darüber hinaus komme eine Anwendung dieser tariflichen Merkmale auch deshalb nicht in Betracht, da die von der Klägerin zu erledigenden Schreibarbeiten nicht als Texte mit zahlreichen chemischen oder mathematischen Formeln oder wissenschaftlichen Fachausdrücken oder fremdsprachlichen Einmischungen im Sinne der VergGr. VII Fallgruppe 4 des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT anzusehen seien. Vielmehr handele es sich um Texte mit überwiegend medizinischen Fachausdrücken und biochemischen Daten. Den Inhalt der Schreiben müsse die Klägerin verstehen, um Fehler vermeiden, Ergänzungen vornehmen und mißverständliche Formulierungen berichtigen zu können. Die von der Klägerin benötigte Nomenklatur beim Schreiben von ärztlichen Befundberichten und Arztbriefen entspreche den Kenntnissen einer Fremdsprache und lasse sich daher mit den Merkmalen der VergGr. VI b für Angestellte im Fremdsprachendienst des Teils IV Abschnitt A Unterabschnitt III der Anlage 1 a zum BAT vergleichen. Sie benötige für ihre Schreibtätigkeit nach Ziff. 1 und 2 der Tätigkeitsdarstellung sprachliche Fachkenntnisse (Grammatik, Orthographie, Interpunktion usw.), Fachkenntnisse in Stenografie und Maschinenschreiben, Erfahrungswissen (technische Kenntnisse) zur Bedienung und Wartung des Diktier- und Abhörgeräts und der Schreibmaschine sowie - bei der Tätigkeit nach Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung - medizinische Grundlagen- und Spezialkenntnisse einschließlich medizinischer Fachausdrücke und biochemisch-physikalischer Daten. Voraussetzung für die Terminplanung und Terminüberwachung (Ziff. 3 der Tätigkeitsdarstellung) seien Kenntnisse des organisatorischen Aufbaus und Arbeitsablaufs des gesamten Krankenhauses in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht. Neben diesem Erfahrungswissen benötige sie medizinische Grund- und Spezialkenntnisse einschließlich medizinischer Fachausdrücke sowie die Kenntnis der Arbeitszeiteinteilung der jeweiligen Ärzte. Auch für ihre Tätigkeit nach Ziff. 4 bis 6, 8 und 10 der Tätigkeitsdarstellung benötige sie medizinische Grund- und Spezialkenntnisse. Ihre Aufgaben nach Ziff. 3, 4 und 6.1 der Tätigkeitsdarstellung erforderten darüber hinaus selbständige Leistungen.

Die Klägerin hat demgemäß beantragt

1. festzustellen, daß die Beklagte ver-

pflichtet ist, die Klägerin ab 21.

Januar 1980 nach der VergGr. VI b der

Anlage 1 a, Teil I zum BAT zu entloh-

nen,

2. festzustellen, daß die Beklagte bei

der Erfüllung der Entlohnungspflicht

nach Ziff. 1 der Klägerin die monat-

lichen Nettodifferenzbeträge zwischen

der VergGr. VII BAT und der VergGr.

VI b BAT - gerechnet von der jeweili-

gen Fälligkeit am 15. jeden Monats -

mit 4 % p.a. zu verzinsen hat,

3. hilfsweise festzustellen, daß die Be-

klagte verpflichtet ist, die Klägerin

ab 1. Januar 1982 nach der VergGr.

VI b der Anlage 1 a, Teil I zum BAT

zu entlohnen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, bei der Tätigkeit der Klägerin nach Ziff. 1 und 2 der Tätigkeitsdarstellung handele es sich um Schreibtätigkeiten im Sinne der VergGr. VII Fallgruppe 4 des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT. Im übrigen benötige die Klägerin für ihre Tätigkeit allenfalls gründliche Fachkenntnisse, erbringe aber keine selbständigen Leistungen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage nach den von der Klägerin zu 1) und 2) gestellten Anträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision unter Beschränkung ihres Zinsanspruchs auf die Zeit ab Klageerhebung (3. Februar 1982).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden.

Das Landesarbeitsgericht meint, die Klägerin erfülle die Anforderungen der VergGr. VI b Fallgruppe 1 a des Teils I der Anlage 1 a zum BAT, weil ihre Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und mindestens zu einem Fünftel selbständige Leistungen erfordere. Hierbei bejaht es das Merkmal der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse aufgrund einer Gesamtbetrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge der Klägerin, wobei es auch den Arbeitsvorgang "Aufnehmen und Übertragen von ärztlichen Befunden und Briefen nach Steno und Phono" einbezieht. Das ist rechtsfehlerhaft.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach kommt es für die Eingruppierung der Klägerin darauf an, ob zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals der VergGr. VI b BAT erfüllen (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT). Hierbei ist unter einem Arbeitsvorgang eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (BAG Urteil vom 30. Januar 1985 - 4 AZR 184/83 -, AP Nr. 101 zu §§ 22, 23 BAT 1975 mit weiteren Nachweisen). Das Landesarbeitsgericht nimmt für jeden einzelnen Punkt der Tätigkeitsdarstellung der Klägerin einen selbständigen Arbeitsvorgang an und kommt auf diese Weise zu dem Ergebnis, daß sich die Tätigkeit der Klägerin aus 14 Arbeitsvorgängen zusammensetzt.

Für diese Annahme des Landesarbeitsgerichts spricht viel. Darauf kommt es aber vorliegend nicht entscheidend an. Eine Abgrenzung ist nur insoweit geboten, als die Schreibtätigkeiten der Klägerin aus einer Bewertung nach den Merkmalen der VergGr. VI b Fallgruppe 1 a des Teils I der Anlage 1 a zum BAT auszuscheiden haben, da diese nach den Tätigkeitsmerkmalen des Abschnitts N Unterabschnitt I des Teils II der Anlage 1 a zum BAT tariflich besonders bewertet sind. Insoweit ist die Feststellung von Arbeitsvorgängen erforderlich. Hierzu stellt das Landesarbeitsgericht fest, daß das Aufnehmen und Übertragen von ärztlichen Befunden und Briefen nach Steno und Phono (Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung) einen Arbeitsvorgang darstelle, dessen Arbeitsergebnis die Erstellung des der Klägerin zur Erledigung übertragenen Schreibwerkes in Gestalt von ärztlichen Befunden und Briefen sei. Ferner sei die allgemeine Korrespondenz (Ziff. 2 der Tätigkeitsdarstellung) ein Arbeitsvorgang, dessen Arbeitsergebnis die Erstellung des der Klägerin zur Erledigung übertragenen Schreibwerkes in Gestalt allgemeiner Korrespondenz sei. Dies ist zutreffend. Diese Aufgaben der Klägerin sind von ihren übrigen Aufgaben tatsächlich abgrenzbar, tariflich selbständig bewertbar und werden von der Klägerin allein erledigt, so daß insoweit auch die Verwaltungsübung feststeht. Damit sind Arbeitsvorgänge der Klägerin, die 43 v.H. ihrer Arbeitszeit in Anspruch nehmen (Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung: 40 v.H.; Ziff. 2 der Tätigkeitsdarstellung: 3 v.H.), nach den Tätigkeitsmerkmalen des Abschnitts N Unterabschnitt I (Angestellte im Schreibdienst) des Teils II der Anlage 1 a zum BAT zu bewerten. Mit diesen Tätigkeiten kann die Klägerin aber keine höhere Eingruppierung als nach VergGr. VII BAT erreichen, da die VergGr. VII BAT die höchste Vergütungsgruppe für Stenotypistinnen ist.

Gegebenenfalls wird das Landesarbeitsgericht noch prüfen müssen, ob Tätigkeiten zu Ziff. 10 der Tätigkeitsdarstellung (Kontrolle von Patientenakten) als Zusammenhangstätigkeiten der Schreibtätigkeit zuzurechnen sind. Der Vortrag der Beklagten ist insoweit widersprüchlich. Einerseits hat die Beklagte im Schriftsatz vom 4. März 1982 eingeräumt, daß die Klägerin bei ihrer Tätigkeit zu Ziff. 10 der Tätigkeitsdarstellung eine - wenn auch nur rein formale - Sichtkontrolle ausübe. Andererseits führt die Beklagte im Schriftsatz vom 7. Juli 1982 aus, daß die Klägerin "allenfalls zur Akte die Durchschrift des Arztbriefes hinzufügen" könne, so daß insoweit eine Zusammenhangstätigkeit mit der Schreibtätigkeit nach Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung in Betracht käme. Es erscheint zwar wenig wahrscheinlich, daß die Tätigkeit der Klägerin zu Ziff. 10 der Tätigkeitsdarstellung, die unstreitig 15 v.H. ihrer Arbeitszeit in Anspruch nimmt, ausschließlich das Abheften von Briefdurchschriften umfaßt; dies wäre auch mit dem Begriff "Kontrolle von Patientenakten" kaum vereinbar. Das Landesarbeitsgericht wird jedoch einem von der Beklagten noch zu substantiierenden Sachvortrag zu Ziff. 10 der Tätigkeitsdarstellung nachgehen müssen. Soweit hierbei vom Landesarbeitsgericht Zusammenhangstätigkeiten zur Schreibtätigkeit festgestellt werden, sind diese Zusammenhangstätigkeiten mit ihrem entsprechenden zeitlichen Anteil der Schreibtätigkeit der Klägerin zuzurechnen und scheiden damit für eine Bewertung nach dem Tätigkeitsmerkmal der VergGr. VI b Fallgruppe 1 a des Teils I der Anlage 1 a zum BAT aus.

Für die übrige Tätigkeit der Klägerin sind folgende Tätigkeitsmerkmale des Teils I der Anlage 1 a zum BAT heranzuziehen:

VergGr. VII

-----------

1 a. Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, son-

stigen Innendienst und im Außendienst, de-

ren Tätigkeit gründliche und vielseitige

Fachkenntnisse erfordert.

(Die gründlichen und vielseitigen Fach-

kenntnisse brauchen sich nicht auf das

gesamte Gebiet der Verwaltung (des Be-

triebes), bei der der Angestellte be-

schäftigt ist, zu beziehen. Der Aufgaben-

kreis des Angestellten muß aber so ge-

staltet sein, daß er nur beim Vorhanden-

sein gründlicher und vielseitiger Fach-

kenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet wer-

den kann.)

1 b. Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, son-

stigen Innendienst und im Außendienst, de-

ren Tätigkeit gründliche Fachkenntnisse

erfordert. (Erforderlich sind nähere

Kenntnisse von Gesetzen, Verwaltungsvor-

schriften und Tarifbestimmungen usw. des

Aufgabenkreises.)

VergGr. VI b

------------

1 a. Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, son-

stigen Innendienst und im Außendienst, de-

ren Tätigkeit gründliche und vielseitige

Fachkenntnisse und mindestens zu einem

Fünftel selbständige Leistungen erfordert.

(Die gründlichen und vielseitigen Fach-

kenntnisse brauchen sich nicht auf das

gesamte Gebiet der Verwaltung (des Be-

triebes), bei der der Angestellte be-

schäftigt ist, zu beziehen. Der Aufgaben-

kreis des Angestellten muß aber so ge-

staltet sein, daß er nur beim Vorhanden-

sein gründlicher und vielseitiger Fach-

kenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet wer-

den kann. Selbständige Leistungen erfor-

dern ein den vorausgesetzten Fachkennt-

nissen entsprechendes selbständiges Er-

arbeiten eines Ergebnisses unter Ent-

wicklung einer eigenen geistigen Initia-

tive; eine leichte geistige Arbeit kann

diese Anforderungen nicht erfüllen.)

1 b. Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, son-

stigen Innendienst und im Außendienst, de-

ren Tätigkeit gründliche und vielseitige

Fachkenntnisse erfordert

nach sechsjähriger Bewährung in VergGr.

VII Fallgruppe 1 a.

Das für die Klägerin in Betracht kommende Tätigkeitsmerkmal der VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 a baut nicht auf dem Tätigkeitsmerkmal einer niedrigeren Vergütungsgruppe auf, so daß das Landesarbeitsgericht prüfen konnte, ob die Klägerin die Anforderungen der VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 a erfüllt, ohne zuvor auf Merkmale der VergGr. VII BAT eingehen zu müssen. Das Landesarbeitsgericht geht hierbei vom zutreffenden Rechtsbegriff der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse aus, wenn es unter Bezugnahme auf den Klammerzusatz zur VergGr. VII BAT Fallgruppe 1 b für die gründlichen Fachkenntnisse "nähere Kenntnisse von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Tarifbestimmungen usw. des Aufgabenkreises" fordert und in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung für das Tarifmerkmal der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse eine Erweiterung der Fachkenntnisse dem Umfange, d. h. der Quantität nach (vgl. BAG Urteil vom 29. August 1984 - 4 AZR 338/82 -, AP Nr. 94 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß für die Feststellung, ob die Klägerin für ihre Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse benötigt, nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 BAT eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Es hat jedoch verkannt, daß hierbei vorliegend nicht alle Arbeitsvorgänge der Klägerin in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind.

In § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 BAT heißt es, wenn die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden könne, seien d i e s e Arbeitsvorgänge insoweit zusammen zu beurteilen. Damit kommt schon im Tarifwortlaut deutlich zum Ausdruck, daß nicht in jedem Falle alle Arbeitsvorgänge zusammen zu beurteilen sind. Vielmehr können in die Gesamtbetrachtung nur solche Arbeitsvorgänge einbezogen werden, die im übrigen für sich genommen die Anforderungen des jeweils in Betracht kommenden Tätigkeitsmerkmals erfüllen (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT). Erfüllen hingegen einzelne Arbeitsvorgänge spezielle Tätigkeitsmerkmale - hier: Tätigkeitsmerkmale für Angestellte im Schreibdienst nach Teil II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT -, können sie nicht mehr zur Erfüllung der Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals der allgemeinen Fallgruppen für den Verwaltungsdienst herangezogen werden (vgl. Nr. 1 Satz 1 der Vorbemerkungen zu allen Vergütungsgruppen zum BAT). Demgemäß hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 28. April 1982 (- 4 AZR 707/79 -, AP Nr. 62 zu §§ 22, 23 BAT 1975) ausgeführt, daß die Gesamtbetrachtung nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 BAT nur insoweit in Betracht kommt, als für die Arbeitsvorgänge die allgemeinen tariflichen Tätigkeitsmerkmale für den Verwaltungsdienst der jeweiligen Fallgruppe 1 heranzuziehen sind. Darauf weist die Revision zutreffend hin. Dementsprechend durfte das Landesarbeitsgericht die Schreibtätigkeit der Klägerin nach Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung nicht für die Prüfung der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse nach den allgemeinen Fallgruppen für den Verwaltungsdienst heranziehen.

Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Klägerin sind unbegründet. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht ihre Tätigkeit zu Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung nicht über eine Schreibtätigkeit im Sinne des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT hinaus, so daß sie auch nicht zur Beurteilung der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse im Sinne der VergGr. VI b Fallgruppe 1 a des Teils I der Anlage 1 a zum BAT herangezogen werden kann. Die Klägerin meint zwar, das Landesarbeitsgericht habe festgestellt, daß sie nicht nur sprachliche Fachkenntnisse, Fachkenntnisse der Stenografie und des Maschinenschreibens für ihre Tätigkeit nach Ziff. 1 der Tätigkeitsdarstellung besitzen müsse, sondern darüber hinaus medizinische Grundlagen- und Spezialkenntnisse einschließlich der medizinischen Fachausdrücke und biochemisch-physikalischer Daten sowie Formkenntnisse für die bearbeiteten Schriftstücke. Sie müsse die Begriffe nicht nur kennen, sondern sie inhaltlich auch richtig erfassen, um ihre Aufgaben angemessen zu bewältigen. Das Landesarbeitsgericht hält dies für erforderlich, wolle die Klägerin nicht Gefahr laufen, im Gesamttext eine hohe Fehlerquote zu hinterlassen. Damit bringt das Landesarbeitsgericht aber nicht zum Ausdruck, daß die Klägerin medizinische Kenntnisse im Sinne eines Fachwissens besitzen müsse, wofür auch jeder tatsächliche Anhaltspunkt fehlt. Trotz seiner insoweit mißverständlichen Ausführungen wird durch den Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf ein zu den Akten gereichtes Arbeitsbeispiel der Klägerin deutlich, was das Landesarbeitsgericht meint. Die Klägerin schreibt nach Diktat (Steno und Phono) und muß hierbei die diktierten medizinischen Fachausdrücke richtig wiedergeben. Entgegen ihrer Auffassung schreibt sie hierbei nicht in einer fremden Sprache, wenn sie in einem deutschsprachigen Text Fremdworte oder Fachbegriffe verwendet. Wenn sie die medizinischen Fachausdrücke nicht kennt, wird die Fehlerquote zwar hoch sein, da die Fachausdrücke allein von ihrem Laut her im allgemeinen nicht richtig schriftlich wiedergegeben werden können. Insoweit unterscheidet sich die Klägerin aber nicht von anderen Schreibkräften, die mit Spezialmaterien befaßt sind. Zu den Aufgaben einer Schreibkraft gehört auch, sich mit den Begriffen, die auf ihrem Aufgabengebiet gebräuchlich sind, vertraut zu machen und notfalls unter Zuhilfenahme von Lexika die richtige Schreibweise zu ermitteln. Dies setzen die besonderen Merkmale für Angestellte im Schreibdienst voraus, wenn in Fallgruppe 4 der VergGr. VII BAT die Anforderung "Übertragen von Texten mit ... wissenschaftlichen Fachausdrücken oder fremdsprachlichen Einmischungen" aufgestellt ist.

Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind die weiteren Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, daß die Klägerin mit ihrer Tätigkeit nach Ziff. 3.1 und 4 der Tätigkeitsdarstellung gründliche und vielseitige Fachkenntnisse benötigt. Damit sind für Arbeitsvorgänge, die 22 v.H. der Arbeitszeit der Klägerin in Anspruch nehmen, gründliche und vielseitige Fachkenntnisse zu bejahen. Das Landesarbeitsgericht wird daher noch zu prüfen haben, ob die Klägerin auch noch mit sonstigen Tätigkeiten das Merkmal der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse erfüllt. Insoweit ist unter Ausschluß ihrer Schreibtätigkeit die gesamte Tätigkeit der Klägerin nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 BAT zu beurteilen. Danach ist es nicht auszuschließen, daß für 57 v.H. der Arbeitszeit der Klägerin gründliche und vielseitige Fachkenntnisse bejaht werden können. Bei einer Gesamtbetrachtung haben nur solche Arbeitsvorgänge außer Betracht zu bleiben, bei denen überhaupt keine Fachkenntnisse erforderlich sind, wofür aber wenig spricht.

Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht bejaht, daß die Tätigkeit der Klägerin mindestens zu einem Fünftel selbständige Leistungen im Sinne der VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 a erfordert. Hierbei geht es vom zutreffenden Rechtsbegriff der selbständigen Leistungen aus, wenn es darin ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten von Ergebnissen unter Entwicklung eigener geistiger Initiative erblickt, wobei leichte geistige Arbeit diesen tariflichen Erfordernissen nicht entspreche. Damit knüpft das Landesarbeitsgericht zutreffend an die tarifliche Definition des Rechtsbegriffs "selbständige Leistungen" im Klammerzusatz zur VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 a an. Mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung kommt das Landesarbeitsgericht sodann zu dem Ergebnis, daß die Klägerin mit ihren Tätigkeiten zu Ziff. 3.1 und 4 der Tätigkeitsdarstellung selbständige Leistungen erbringt. Zu Ziff. 3.1 der Tätigkeitsdarstellung führt das Landesarbeitsgericht aus, die Klägerin treffe aufgrund ihrer Kenntnisse des Krankenhausbetriebs sowie ihres medizinischen Grundverständnisses selbständige Vorentscheidungen hinsichtlich der Eilbedürftigkeit von gewünschten Untersuchungen. Sie entscheide aus sachlichen Gründen, wie schnell eine unmittelbare Verbindung zwischen Patienten und Arzt hergestellt werden müsse. Sie erarbeite so unter Anwendung eigenen Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraums und unter Entwicklung eigener geistiger Initiative - der Überlegung auf Grundlage der angeeigneten Erfahrung und Kenntnisse unter Berücksichtigung der in der Person des Patienten liegenden Fakten - ihre Ergebnisse. Daß ihr hinsichtlich des einzuschlagenden Weges und des zu findenden Ergebnisses eine Wahl- oder Entscheidungsmöglichkeit bleibe, werde deutlich durch die Tatsache, daß sie durch ihre Tätigkeit eine "Quasifilterfunktion" ausübe und die hochqualifizierte Arbeitskraft des Chefarztes von dieser ihrer Tätigkeit der Vorsortierung freihalte. Bei der Tätigkeit zu Ziff. 4 der Tätigkeitsdarstellung komme es mangels Dringlichkeit nicht zu einer sofortigen Terminierung. Diese Vorentscheidung sei aber von der Klägerin zu treffen, so daß ihr auch insoweit eine "Filterfunktion" mit dem gleichen Beurteilungsspielraum zukomme. Darüber hinaus sei diese Tätigkeit der Klägerin dadurch gekennzeichnet, daß sie zwar keine ärztlichen Beratungen durchführe, aber die anrufenden Patienten zu beruhigen und ihnen unter Berücksichtigung der Kenntnisse des Betriebs und unter Einsatz ihres besonderen Geschicks im Umgang mit Menschen und deren Sorgen deutlich zu machen habe, daß und warum auf ihr Anliegen möglicherweise erst in zwei oder drei Stunden eingegangen werden könne. Die im Rahmen dieser Beratung geforderte abgestimmte, über eine schlichte Auskunft hinausgehende Reaktion im Umgang mit den Anrufern sei von eigener tariflicher Qualität und ihrerseits - angesichts der gegebenen Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten und der Notwendigkeit geistiger Initiative - als selbständige Leistung im Tarifsinne zu werten. Mit dieser Begründung konnte das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei selbständige Leistungen der Klägerin bejahen. Insoweit erhebt auch die Revision keine Rügen.

Damit erfüllen Arbeitsvorgänge, die 22 v.H. der Arbeitszeit der Klägerin (Ziff. 3.1 der Tätigkeitsdarstellung: 12 v.H., Ziff. 4 der Tätigkeitsdarstellung: 10 v.H.) in Anspruch nehmen, das Merkmal der selbständigen Leistung. Dies genügt nach der geänderten Senatsrechtsprechung zur Erfüllung der tariflichen Anforderungen "zu einem Fünftel selbständige Leistungen" (vgl. BAG Urteil vom 19. März 1986 - 4 AZR 642/84 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das Landesarbeitsgericht wird demgemäß nur noch zu prüfen haben, ob Arbeitsvorgänge der Klägerin, die mindestens 50 v.H. ihrer Arbeitszeit in Anspruch nehmen, gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordern.

Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten zu entscheiden haben.

Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel

Fieberg Schmalz

 

Fundstellen

Haufe-Index 439462

RdA 1986, 337

AP Nr 121 zu §§ 22, 23 BAT 1975 (LT1)

PersV 1991, 134 (K)

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