Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt des Bestehens der Abschlußprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelentscheidung zum Urteil vom 16. Februar 1994 – 5 AZR 434/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.

 

Normenkette

BBiG § 14 Abs. 2, §§ 17, 41, 25

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 04.03.1993; Aktenzeichen 9 Sa 1633/92)

ArbG Braunschweig (Urteil vom 05.08.1992; Aktenzeichen 2 Ca 342/92)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 4. März 1993 – 9 Sa 1633/92 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit zwischen der letzten Prüfungsleistung und dem für die mündliche Prüfung vorgesehenen Tag die tarifliche Vergütung anstatt der Ausbildungsvergütung zu zahlen.

Der am 13. Februar 1971 geborene Kläger war bei der Beklagten aufgrund des Berufsausbildungsvertrages vom 31. März 1989 vom 1. September 1989 an in einem Berufsausbildungsverhältnis zum technischen Zeichner (Maschinenbau) beschäftigt. Vertraglich vorgesehenes Ende des Berufsausbildungsvertrages war der 29. Februar 1992. Die Ausbildungsvergütung betrug zuletzt 900,00 DM brutto monatlich. Auf das Ausbildungsverhältnis waren kraft beiderseitiger Tarifbindung die Bestimmungen des Manteltarifvertrages Stahl für die Arbeiter, Angestellten und Auszu- bildenden in der Eisen- und Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Dillenburg, Niederschelden und Wissen (MTV) vom 15. März 1989/16. Dezember 1990, gültig ab 1. Juli 1989, anzuwenden.

Vor Beginn der Abschlußprüfung teilte die Beklagte dem Kläger in einem Gespräch mit, daß er nach Beendigung der Ausbildung nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden könne.

Der Kläger beendete am 17. Dezember 1991 die praktische Prüfung. Er besuchte am 18. Dezember 1991 die Berufsschule. Danach nahm er bis zum 14. Januar 1992 seinen Resturlaub. Am 15. Januar 1992 besuchte er wiederum die Berufsschule. Am 16., 17. und 20. Januar 1992 wurde er im Ausbildungszentrum der Beklagten beschäftigt.

Für den 21. Januar 1992 war von der IHK Braunschweig die mündliche Prüfung anberaumt. An diesem Tag wurde dem Kläger vom Prüfungsausschuß mitgeteilt, er habe am 17. Dezember 1991 seine Abschlußprüfung bestanden. Er war also nicht mündlich geprüft worden. Im Prüfungszeugnis heißt es, der Kläger habe „die Abschlußprüfung im Ausbildungsberuf Technischer Zeichner Maschinenbau bestanden. Datum 17. Dezember 1991”.

Mit der Klage verlangt der Kläger für die Zeit vom 18. Dezember 1991 bis zum 21. Januar 1992 die Zahlung der Vergütung für ausgebildete technische Zeichner in Höhe von 3.187,00 DM brutto unter Anrechnung der für diesen Zeitraum gezahlten Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.037,90 DM brutto, also restliche 2.149,10 DM brutto. Er hat seinen Anspruch auf § 21 Ziff. 4.1, 4.2 MTV gestützt, die wie folgt lauten:

4. Vergütung nach Beendigung der Ausbildung

4.1 Nach Ablauf der Ausbildungszeit aufgrund des Ausbildungsvertrages oder nach bestandener Abschlußprüfung ist dem Ausgebildeten die seiner Tätigkeit entsprechende tarifliche Vergütung (Lohn oder Gehalt) zu zahlen.

4.2 Bei bestandener Abschlußprüfung ist der Anspruch auf die nach Tz. 4.1 fällige tarifliche Vergütung von dem auf den letzten Prüfungstag folgenden Tage an gegeben, unabhängig davon, wann die offizielle Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erfolgt.

In der Prüfungsordnung der Industrie- und Handelskammer Braunschweig für die Durchführung von Prüfungen in anerkannten Ausbildungsberufen vom 5. Juli 1972 (PrüfO) ist u.a. folgendes bestimmt:

§ 13

Gliederung und Prüfung

(1) Die Gliederung der Prüfung ergibt sich aus den Prüfungsanforderungen. Soweit solche Prüfungsanforderungen in der Ausbildungsordnung nicht vorhanden sind oder diese keine Gliederung enthält, gliedert sich die Prüfung in den gewerblichen Ausbildungsberufen in eine Fertigkeits- und Kenntnisprüfung (schriftlich und mündlich), in den kaufmännischen Ausbildungsberufen in eine schriftliche und mündliche Prüfung – Prüfungsteile –, wobei die Prüfung der Fertigkeiten in beiden Prüfungsteilen erfolgen kann. …

§ 21

Feststellung des Prüfungsergebnisses

(1) Der Prüfungsausschuß stellt gemeinsam die Ergebnisse der einzelnen Prüfungsleistungen sowie das Gesamtergebnis der Prüfung fest.

(4) Über den Verlauf der Prüfung einschließlich der Feststellung der einzelnen Prüfungsergebnisse ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie ist von den Mitgliedern des Prüfungsausschusses zu unterzeichnen.

(5) Der Prüfungsausschuß soll dem Prüfungsteilnehmer am letzten Prüfungstag mitteilen, ob er die Prüfung „bestanden” oder „nicht bestanden” hat. Hierüber ist dem Prüfungsteilnehmer unverzüglich eine vom Vorsitzenden zu unterzeichnende Bescheinigung auszuhändigen. Dabei ist als Termin des Bestehens bzw. Nichtbestehens der Tag der letzten Prüfungsleistung einzusetzen.

Der Kläger hat vorgetragen: Das Ausbildungsverhältnis habe mit dem 17. Dezember 1991 geendet. Aus § 21 Ziff. 4.1 MTV ergebe sich zweifelsfrei ein Anspruch auf die der Tätigkeit entsprechende Vergütung. Ziff. 4.2 enthalte eine spezielle Vergütungsregelung für den Fall, daß der letzte Prüfungstag des Auszubildenden und die offizielle Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses auseinanderfielen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.149,10 DM brutto nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Ein Anspruch nach § 21 Ziff. 4.1 und 4.2 MTV sei deshalb nicht gegeben, weil das Berufsausbildungsverhältnis bis zum 21. Januar 1992 fortbestanden habe und der Kläger weder vor noch nach seinem Urlaub eine Tätigkeit ausgeübt habe, aus deren Zuweisung sich ein Anspruch auf das Tarifgehalt ergebe. Wenn es in Ziffer 4.2 heiße, der Anspruch bestehe „unabhängig davon, wann die offizielle Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erfolgt”, so solle das den Fall treffen, in dem alle vorgesehenen Prüfungsabschnitte einschließlich des letzten Prüfungstages absolviert seien, der Prüfungsausschuß das Ergebnis aber erst an einem späteren Termin feststelle. Der Fall, daß den Prüflingen am Tag der vorgesehenen mündlichen Prüfung mitgeteilt werde, daß sie an dieser nicht mehr teilzunehmen bräuchten, sei nicht gemeint. Bei dieser Konstellation sei der vorgesehene Tag der mündlichen Prüfung „der letzte Prüfungstag” im Sinne von § 21 Nr. 4.2 MTV.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die tarifliche Vergütung eines ausgebildeten technischen Zeichners.

Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung zu folgen. Der Anspruch auf die tarifliche Vergütung einer ausgebildeten Kraft ergibt sich weder aus § 21 Ziff. 4.1 und 4.2 MTV noch aus § 17 BBiG.

I.1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der in den tariflichen Normen zum Ausdruck kommende wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG Urteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2 a der Gründe, m.w.N.). Weiter ist folgender Auslegungsgrundsatz zu beachten: Wenn die Tarifvertragsparteien ein Wort verwenden, das in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt hat, ist im Zweifel davon auszugehen, daß sie dies in demselben Sinn verstanden wissen wollen (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 28. Januar 1977 – 5 AZR 145/76 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Ziegelindustrie; BAGE 46, 61, 66 = AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969).

2. Nach § 21 Ziff. 4.1 MTV hat der Ausgebildete „nach Ablauf der Ausbildungszeit aufgrund des Ausbildungsvertrages oder nach bestandener Abschlußprüfung” Anspruch auf die seiner Tätigkeit entsprechende tarifliche Vergütung. Nach § 21 Ziff. 4.2 ist „bei bestandener Abschlußprüfung … der Anspruch auf die nach Tz. 4.1 fällige tarifliche Vergütung von dem auf den letzten Prüfungstag folgenden Tag an gegeben, unabhängig davon, wann die offizielle Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erfolgt”. Beide Teilziffern sind im Zusammenhang zu sehen. Was unter der Wendung „nach bestandener Abschlußprüfung” in Ziff. 4.1 zu verstehen ist, konkretisieren die Tarifvertragsparteien in Ziff. 4.2. Sie haben damit nicht den in § 14 Abs. 2 BBiG verwandten Begriff des „Bestehens der Abschlußprüfung” übernommen und haben sich auch nicht an ihn angelehnt.

Dies ist zulässig. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen ihrer Regelungskompetenz bestimmen, ab wann einem (ehemaligen) Auszubildenden die erhöhte Vergütung zu zahlen ist. Dies kann auch der Tag sein, der im Prüfungsdokument als Zeitpunkt des Bestehens der Abschlußprüfung angegeben ist (BAG Urteil vom 25. Juli 1973 – 4 AZR 508/72 – AP Nr. 2 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis).

3. Eine solche Regelung haben die Tarifvertragsparteien aber nicht getroffen. Nach § 21 Ziff. 4.2 MTV kommt es darauf an, welcher Tag als „letzter Prüfungstag” anzusehen ist. Das ist entgegen der Auffassung der Revision der 21. Januar 1992.

a) Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist ein „Prüfungstag” jeder Tag, für den das Prüfungsverfahren eine Prüfung vorsieht. Es ist nicht notwendig, daß alle zu diesem Termin Geladenen selbst eine Prüfungsleistung erbringen. Es reicht aus, wenn es sich nach der einschlägigen Prüfungsordnung um einen förmlich anberaumten Termin im Rahmen eines Prüfungsverfahrens handelt. Ein entgegenstehender Sprachgebrauch in der Rechtssprache ist nicht feststellbar. Nach der Prüfungsordnung war die Lehrabschlußprüfung des Klägers und der weiteren zu diesem Termin geladenen Auszubildenden erst mit der Bekanntgabe des Ergebnisses durch den Prüfungsausschuß beendet. Das gilt unabhängig davon, ob durch die Prüfungsordnung der Termin des Bestehens für den einzelnen Auszubildenden formal auf einen früheren Zeitpunkt zurückverlegt werden kann.

In diesem Sinne war der 21. Januar 1992 für den Kläger ein Prüfungstag, da er zu diesem Termin geladen worden war und eine etwaige mündliche Prüfung an diesem Termin hätte stattfinden sollen.

b) Diese Auslegung des Tarifvertrages wird durch den Wortlaut von § 21 Abs. 5 PrüfO bestätigt. Die Bestimmung unterscheidet ausdrücklich zwischen dem „letzten Prüfungstag” und dem „Tag der letzten Prüfungsleistung”. Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 PrüfO soll der Prüfungsausschuß „am letzten Prüfungstag” mitteilen, ob der Prüfungsteilnehmer die Prüfung bestanden hat. In der dann vom Vorsitzenden zu unterzeichnenden Bescheinigung ist der „Tag der letzten Prüfungsleistung” einzusetzen. Die Mitteilung des Prüfungsergebnises setzt nun aber dessen Feststellung durch den Prüfungsausschuß voraus. Der „letzte Prüfungstag” im Sinne des § 21 Abs. 5 PrüfO kann daher nicht vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegen. Damit ist im Streitfall „letzter Prüfungstag” auch im Sinne des § 21 Abs. 5 PrüfO der 21. Januar 1992.

c) Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch einer sachgerechten und zweckorientierten Regelung und vermeidet die bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Klägers auftauchenden Wertungswidersprüche.

Nach Auffassung der Revision würde unterschieden zwischen Prüflingen, die von der mündlichen Prüfung entbunden sind und solchen, die sich auch der mündlichen Prüfung unterziehen (müssen). Nur erstere erhielten für die Zeit zwischen der ansonsten letzten Prüfungsleistung und dem für die mündliche Prüfung vorgesehenen Termin die erhöhte tarifliche Vergütung. Dies wäre möglicherweise dann gerechtfertigt, wenn eine derart differenzierende Regelung in erster Linie einen Anreiz für die Erbringung guter Prüfungsleistungen darstellen würde. Das ist aber nicht der Fall. Die mündliche Prüfung dient nach § 13 Abs. 1 PrüfO nicht ausschließlich oder in erster Linie dazu, Kandidaten mit schlechten Leistungen die Chance zu geben, gleichwohl die Prüfung zu bestehen.

4. Die Klage erweist sich aber auch deshalb als unbegründet, weil der Kläger nicht die Arbeit eines ausgebildeten technischen Zeichners erbracht hat.

Nach dem Wortlaut des § 21 Ziff. 4.1 MTV hat der Ausgebildete Anspruch auf „die seiner Tätigkeit entsprechende tarifliche Vergütung”. Diese Voraussetzung gilt für beide Alternativen der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses, auch für die in Ziff. 4.2 konkretisierte der bestandenen Abschlußprüfung.

§ 21 Ziff. 4.1, 4.2 MTV kann nicht dahin ausgelegt werden, daß der Ausgebildete nach bestandener Abschlußprüfung entsprechend seiner erworbenen Qualifikation vergütet werden soll. Dagegen sprechen sowohl der Wortlaut wie auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Vorschrift will die tarifgerechte, d.h. der Tätigkeit entsprechende Vergütung auch für den Fall sicherstellen, daß das formelle Erfordernis der Bekanntgabe des Prüfungsergebnis noch nicht erfüllt ist. Der Sinn der Vorschrift besteht nicht darin, demjenigen, der weiter ausgebildet wird, unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit einen Anspruch auf den Facharbeiterlohn zu verschaffen.

II. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 17 BBiG in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB. Denn das Berufsausbildungsverhältnis endete erst am 21. Januar 1992. Erst zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger seine Abschlußprüfung bestanden.

1. § 17 BBiG bestimmt, daß dann, wenn „der Auszubildende im Anschluß an das Berufsausbildungsverhältnis beschäftigt (wird), ohne daß hierüber ausdrücklich etwas vereinbart worden ist, … ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit als begründet” gilt. Diese Bestimmung knüpft also an das Ende des Berufsausbildungsverhältnisses nach § 14 BBiG an.

2. Nach § 14 Abs. 1 BBiG endet das Berufsausbildungsverhältnis mit dem Ablauf der Ausbildungszeit. Besteht der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit die Abschlußprüfung, so endet das Berufsausbildungsverhältnis nach § 14 Abs. 2 BBiG „bereits mit Bestehen der Abschlußprüfung”. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Abschlußprüfung erst dann bestanden, wenn das Prüfungsverfahren abgeschlossen und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt worden ist (BAG Urteil vom 7. Oktober 1971 – 5 AZR 265/71 – AP Nr. 1 zu § 14 BBiG; Urteil vom 31. Oktober 1985 – 6 AZR 557/84BAGE 50, 79 = AP Nr. 15 zu § 78 a BetrVG 1972). Diese Voraussetzung ist in der Regel dann erfüllt, wenn der Prüfungsausschuß über das Ergebnis der Prüfung einen Beschluß gefaßt und diesen bekannt gegeben hat. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die gemäß § 41 BBiG von der zuständigen Stelle erlassene Prüfungsordnung einen anderen Zeitpunkt festlegt, zu dem die Abschlußprüfung als „bestanden” anzusehen ist (BAG Urteil vom 5. April 1984 – 2 AZR 54/83 – EzB BBiG § 14 Abs. 2 Nr. 18). Im Hinblick auf eine gleichlautende Formulierung wie § 21 Abs. 5 Satz 3 der Prüfungsordnung der IHK hat der Zweite Senat in seinem Urteil vom 5. April 1984 (a.a.O.) ausgeführt, diese Regel sei „klar und eindeutig” in dem Sinne, daß „für den Zeitpunkt des Bestehens der Abschlußprüfung allein der Tag der letzten Prüfungsleistung maßgebend (ist) und nicht das Datum der schriftlichen Bescheinigung oder deren Aushändigung”. Danach ergäbe sich im Streitfall, daß der Kläger seine Abschlußprüfung bereits am 17. Dezember 1991 bestanden hätte und damit das Berufsausbildungsverhältnis beendet wäre.

3. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, daß der Tag der letzten Prüfungsleistung im Streitfall – anders als in dem der Entscheidung vom 5. April 1984 (a.a.O.) zugrundeliegenden Sachverhalt – vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegt. § 41 BBiG ermächtigt aber die zuständigen Stellen nicht dazu, den Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung auf einen Tag vor Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung festzulegen.

a) Die Frage, wann die Abschlußprüfung bestanden ist, hat erhebliche praktische Bedeutung. Auszubildende und Ausbildende haben andere Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Pflichten des Ausbildenden ergeben sich insbesondere aus §§ 6 f. BBiG. Nach § 6 Abs. 2 BBiG dürfen „dem Auszubildenden … nur Verrichtungen übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und seinen körperlichen Kräften angemessen sind”. Nach § 7 BBiG hat der Ausbildende den Auszubildenden für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und an Prüfungen freizustellen. Die Pflichten des Auszubildenden ergeben sich aus § 9 BBiG. Er ist insbesondere auch verpflichtet, am Berufsschulunterricht teilzunehmen.

Weiter ist die Frage, wann die Prüfung bestanden ist, auch für die Begründung eines sich daran anschließenden Arbeitsverhältnisses und u.U. die Höhe der Vergütung maßgebend. Gesetzliche Vorschriften wie § 17 BBiG, tarifvertragliche und individualrechtliche Abreden knüpfen häufig an die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses an.

b) Für das Bestehen der Abschlußprüfung kommen verschiedene Zeitpunkte in Betracht: die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, die Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung oder die Erbringung oder die Bewertung der letzten Prüfungsleistung. Bei der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses könnte unterschieden werden nach der mündlichen oder schriftlichen Bekanntgabe oder nach dem Adressaten der Bekanntgabe, dem Auszubildenden oder dem Ausbilder. Schließlich könnten dafür auch noch Formerfordernisse aufgestellt werden.

Die praktische Bedeutung des Zeitpunktes, zu dem die Abschlußprüfung bestanden ist, ist je nach Prüfungsart unterschiedlich. Früher schloß die Abschlußprüfung regelmäßig mit einer mündlichen Prüfung ab; das Ergebnis wurde in aller Regel am selben Tag zumindest mündlich mitgeteilt. Regelmäßig fielen also die letzte Prüfungsleistung, die Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung und die Bekanntmachung auf einen Tag. Unter Umständen folgte nur die schriftliche Mitteilung (an den Arbeitgeber) später. Die Bedeutung der Frage, wann die Abschlußprüfung als bestanden gilt, war also relativ gering.

Heute dagegen ist die mündliche Prüfung nicht mehr die Regel. Neuere Ausbildungsordnungen wie die bereits erwähnte – hier allerdings nicht einschlägige – Industrielle Metallausbildungsverordnung vom 15. Januar 1987 (BGBl. I S. 274) und die Technischer Zeichner – Ausbildungsverordnung vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I S. 25) sehen sie nur bei Vorliegen besonderer Umstände vor. Aber auch außerhalb des Anwendungsbereiches derartiger Bestimmungen wird heute auf die Durchführung mündlicher Prüfungen häufig verzichtet. Werden die Prüfungsleistungen nicht sofort bewertet und wird darüber, ob eine mündliche Prüfung stattfindet, erst an dem Tag entschieden, an dem sie durchgeführt werden sollte, und an dem das Gesamtergebnis der Prüfung festgestellt wird, können der Tag der letzten Prüfungsleistung und der Tag der Feststellung des Prüfungsergebnisses und der seiner Mitteilung erheblich auseinanderfallen. Damit ist die praktische Bedeutung der Frage, wann die Abschlußprüfung bestanden ist, heute erheblich größer als früher.

c) Liegt der Tag der letzten Prüfungsleistung vor dem der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung (und dem der ersten Bekanntmachung) und wäre ersterer gleichwohl für das Bestehen der Prüfung maßgebend, so stünde für den dazwischen liegenden Zeitraum erst im Nachhinein fest, ob es sich noch um ein Ausbildungs- oder schon um ein Arbeitsverhältnis handelte. Wird keine mündliche (Ergänzungs)Prüfung durchgeführt, könnte ein Arbeitsverhältnis vorliegen; findet eine mündliche Prüfung statt, würde es sich (weiterhin) um ein Ausbildungsverhältnis handeln. Im Vorhinein stünde nicht fest, wie das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zu qualifizieren ist. Die Parteien wären sich über ihre Rechte und Pflichten nicht im klaren und könnten es vor Feststellung des Prüfungsergebnisses auch nicht sein. Die Rückabwicklung eines durchgeführten Vertragsverhältnisses ist aber allenfalls hinsichtlich der finanziellen Folgerungen möglich.

d) Der Gesetzgeber hat die zuständigen Stellen in § 41 BBiG nicht ausdrücklich ermächtigt, den Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung im Sinne des § 14 Abs. 2 BBiG festzulegen. Dies gehört nicht zu den Gegenständen, die die nach § 41 BBiG zu erlassende Prüfungsordnung regeln muß. Die Ermächtigung dazu, einen anderen als den sich aus § 14 Abs. 2 BBiG ergebenden Zeitpunkt festzulegen, zu dem die Abschlußprüfung als bestanden anzusehen ist, ist aber mit dem Urteil des Zweiten Senats vom 5. April 1984 (– 2 AZR 54/83 – EzB BBiG § 14 Abs. 2 Nr. 18) im Grundsatz zu bejahen. Diese Ermächtigung ist jedoch begrenzt. Es kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber die zuständigen Stellen (Kammern) ermächtigen könnte, als Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung den Tag der letzten Prüfungsleistung auch für den Fall festzusetzen, daß dieser vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegt. Denn es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber den Kammern eine derartige Ermächtigung hat erteilen wollen. Eine so weit reichende Ermächtigung könnte – wenn überhaupt – nur ausdrücklich erteilt werden. Daran fehlt es hier.

§ 41 BBiG ist demnach so auszulegen, daß die zuständigen Stellen ermächtigt sind, den Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung auf einen Zeitpunkt vor der Mitteilung des Prüfungsergebnisses festzusetzen, dieser aber nicht vor der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegen darf.

§ 21 Abs. 5 Satz 3 PrüfO ist also insoweit unwirksam, als danach der Tag der letzten Prüfungsleistung auch dann der Tag des Bestehens der Prüfung sein soll, wenn dieser vor dem Tag der Feststellung des Prüfungsergebnisses liegt. Im übrigen bleibt die Bestimmung gültig. Das bedeutet im Ergebnis: In der Bescheinigung ist als Termin des Bestehens bzw. des Nichtbestehens der Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung einzusetzen. Der Kläger hat also erst am 21. Juni 1992 seine Prüfung im Sinne von § 14 Abs. 2 BBiG bestanden.

e) Der Senat weicht mit dieser Rechtsauffassung nicht ab von dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 5. April 1984 (a.a.O.). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurde am Tag der letzten Prüfungsleistung auch das Gesamtergebnis der Prüfung festgestellt. Die Frage, ob die Prüfungsordnung den Tag der letzten Prüfungsleistung auch für den Fall als maßgeblich erklären konnte, daß dieser vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegt, stellte sich also in dem damals zu entscheidenden Fall nicht.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Kreienbaum, Dr. Frey

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073596

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