Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorruhestandsleistungen und Konkurs

 

Leitsatz (amtlich)

  • Vorruhestandsleistungen sind “Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis” i.S. des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO. Die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Vorruhestandsgeld für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung sind aus der Konkursmasse als Masseschulden vorweg zu berichtigen.
  • Erfüllt im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers die Bundesanstalt für Arbeit die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistungen nach § 9 Abs. 1 VRG, so gehen die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsgeld nach § 9 Abs. 3 VRG auf die Bundesanstalt über. Mit dem Übergang auf die Bundesanstalt werden die Ansprüche auf Vorruhestandsleistungen, die nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO als Masseschulden zu begleichen sind, nach § 59 Abs. 2 KO konkursrechtlich herabgestuft. Sie müssen dann als Konkursforderungen mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO berichtigt werden.
 

Normenkette

KO §§ 57, 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, Abs. 2, § 61 Abs. 1 Nr. 1; VRG § 9 Abs. 1, 3; BGB § 401 Abs. 2, § 412

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 01.06.1990; Aktenzeichen 17 Sa 505/90)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 24.01.1990; Aktenzeichen 4 Ca 6337/89)

 

Tenor

  • Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. Juni 1990 – 17 Sa 505/90 – wird zurückgewiesen.
  • Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die konkursrechtliche Behandlung der auf die Bundesanstalt für Arbeit (Klägerin) übergegangenen Ansprüche eines Vorruheständlers (Arbeitnehmer) gegen die Gemeinschuldnerin (Arbeitgeber).

Der Beklagte ist der Konkursverwalter über das Vermögen der S… & Cie. GmbH, K…. Das Konkursverfahren wurde am 1. Juli 1985 eröffnet.

Der ehemalige Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin K… erhielt seit 1. Februar 1985 Vorruhestandsleistungen. Ab Mai 1985 blieb die Gemeinschuldnerin die Vorruhestandsleistungen schuldig, so daß diese von der Klägerin gewährt wurden. Für die Zeit vom 1. Mai bis 30. Juni 1985 zahlte die Klägerin 5.314,40 DM Vorruhestandsgeld an den Arbeitnehmer.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die auf sie nach § 9 Abs. 3 VRG übergegangenen Ansprüche auf Vorruhestandsgeld seien als bevorrechtigte Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zu befriedigen. Der entsprechenden Anmeldung der Forderung zur Rangklasse 1 der Konkurstabelle hat der beklagte Konkursverwalter widersprochen.

Die Klägerin hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt,

die von der Klägerin im Konkursverfahren der Gemeinschuldnerin angemeldeten Vorruhestandsleistungen in Höhe von 5.314,40 DM als bevorrechtigte Forderungen gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die von der Klägerin begehrte Bevorrechtigung für Vorruhestandsleistungen ergebe sich nicht aus dem Gesetz. § 59 Abs. 2 KO räume nur Ansprüchen nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO für den Fall des Übergangs auf die Bundesanstalt für Arbeit die Bevorrechtigung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO ein. Ansprüche auf Vorruhestandsgeld seien aber keine “Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis” i.S. des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die von der Bundesanstalt für Arbeit geltend gemachten Forderungen sind nach § 61 Abs. 1 Nr 1 KO bevorrechtigte Konkursforderungen. Dies haben die Vorinstanzen richtig entschieden.

1. Die Ansprüche des Arbeitnehmers B … auf Vorruhestandsleistungen gegen die Gemeinschuldnerin aus den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung wären als Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO vorweg aus der Konkursmasse zu berichtigen gewesen (§ 57 KO).

a) Vorruhestandsleistungen sind “Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis” i.S. des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO. Dies ergibt sich aus § 59 Abs. 2 KO. Nach dieser Vorschrift werden die auf die Bundesanstalt für Arbeit nach § 9 Abs. 3 Satz 1 VRG übergegangenen Ansprüche auf Vorruhestandsleistungen von Ansprüchen, die als Masseschulden vorweg zu berichtigen sind, auf Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO herabgestuft. Die Erwähnung des § 9 Abs. 3 Satz 1 VRG in § 59 Abs. 2 KO hätte keinen Sinn, wenn die Ansprüche auf Vorruhestandsleistungen nicht “Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis” i.S. des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO, mithin nicht als Masseschulden zu berichtigen wären.

b) Diese sich aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum VRG wurden durch Art. 13 des “Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand” vom 13. April 1984 (BGBl. I S. 601) in § 59 Abs. 2 KO die Worte “oder nach § 9 Abs. 3 Satz 1 des Vorruhestandsgesetzes” eingefügt. Die gesetzgeberische Absicht wird im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 26. März 1984 deutlich (BT-Drucks. 10/1175, S. 32). Hier heißt es:

“Mit der Änderung wird erreicht, daß Ansprüche des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsgeld, die im Falle des Konkurses des Arbeitgebers Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a Konkursordnung sind, den Charakter von Masseschulden verlieren, wenn sie nach § 9 Abs. 3 Satz 1 des Vorruhestandsgesetzes auf die Bundesanstalt für Arbeit übergehen. Sie werden dann als Konkursforderungen mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 Konkursordnung berichtigt.”

c) Dieser Auslegung steht nicht, wie die Revision meint, entgegen, daß Vorruhestandsbezüge schon deshalb keine Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis sein könnten, weil das Vorruhestandsverhältnis kein Arbeitsverhältnis sei. Vorruhestandsleistungen sind Bezüge aus dem (beendeten) Arbeitsverhältnis. Das Vorruhestandsgeld soll den bisher gezahlten Lohn ersetzen (vgl. Andresen/Barton/Kuhn/Schenke, Vorruhestand, Stand 1. April 1989, Teil 8 Rz 5). Als Sonderleistung des Arbeitgebers kommt dem Vorruhestandsgeld ebenso wie dem Übergangsgeld des öffentlichen Dienstes Entgeltcharakter zu (vgl. BAG Urteil vom 18. August 1976 – 4 AZR 284/75 – AP Nr. 2 zu § 62 BAT).

Im übrigen hat der Gesetzgeber das Vorruhestandsgeld in einigen Vorschriften der Arbeitsvergütung gleichgestellt. So hat der Gesetzgeber die Vorruheständler auch in die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung einbezogen. Nach § 1227 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten als entgeltlich beschäftigte Arbeitnehmer auch Bezieher von Vorruhestandsgeld. Vorruhestandsleistungen sind steuerrechtlich Einnahmen aus einem früheren Dienstverhältnis und als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit nach Maßgabe von § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 38 EStG steuerpflichtig. Nach § 7 Abs. 3 VRG kann der Anspruch auf Vorruhestandsgeld wie der Anspruch auf Arbeitseinkommen gepfändet, verpfändet oder übertragen werden.

d) Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht auch darauf hin, daß es unverständlich wäre, wenn Vorruhestandsleistungen in den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung nicht besonders geschützt wären. Ansprüche wegen der Rückstände auf Arbeitsentgelt § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO) und Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d KO) für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung sind als Masseschulden vorweg aus der Konkursmasse zu berichtigen. Es wäre systemwidrig, das Stadium zwischen aktivem Arbeitsleben und Altersruhestand nicht demselben Schutz zu unterstellen, zumal der Gesetzgeber den Vorruhestand aus arbeits-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Gründen besonders fördern wollte.

2. Mit dem Forderungsübergang auf die Klägerin sind die Ansprüche auf Vorruhestandsgeld von Forderungen, die vorweg aus der Masse zu begleichen sind, zu bevorrechtigten Konkursforderungen herabgestuft worden.

Da der Arbeitgeber insolvent wurde und die Bundesanstalt für Arbeit die Vorruhestandsleistungen nach § 9 Abs. 1 VRG erbrachte, ging der Anspruch auf Vorruhestandsleistungen nach § 9 Abs. 3 VRG auf sie über. Zwar geht grundsätzlich das Recht des Arbeitnehmers, vorweg aus der Masse die Befriedigung seiner Ansprüche zu fordern, nach § 401 Abs. 2 BGB i.v. mit § 412 BGB auf den Übernehmer über (BAG Urteil vom 6. September 1988 – 3 AZR 141/87 – AP Nr. 9 zu § 9 BetrAVG). Für den Fall des Übergangs von Vorruhestandsansprüchen auf die Bundesanstalt für Arbeit nach § 9 Abs. 3 VRG bestimmt § 59 Abs. 2 KO jedoch, daß die übergegangenen Ansprüche lediglich als Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zu berichtigen sind. Die Bundesanstalt für Arbeit als öffentlich-rechtliche Einrichtung bedarf nicht desselben Schutzes, den der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer in § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO gewährt.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Dr. Michels, Oberhofer

 

Fundstellen

BAGE, 46

RdA 1991, 190

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