Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnfortzahlung bei Weiterbeschäftigung nach Kündigung

 

Orientierungssatz

Bei Weiterbeschäftigung während einer Kündigungsschutzklage bestimmen sich bis zur Klärung der Wirksamkeit der Kündigung die Rechte und Pflichten der Parteien grundsätzlich nach den Vereinbarungen des gekündigten Vertrages einschließlich der anzuwendenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, soweit diese nicht den Bestandsschutz zum Gegenstand haben. Deshalb stehen dem Arbeitnehmer, der während des fortgesetzten Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig wird, die für diesen Fall geltenden unabdingbaren gesetzlichen Ansprüche zu.

 

Normenkette

LFZG §§ 1, 9; BGB §§ 412, 397, 404, 611; RVO § 182 Abs. 10

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 02.06.1983; Aktenzeichen 7 Sa 54/83)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 26.08.1982; Aktenzeichen 7 Ca 679/81)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin aus übergegangenem Recht (§ 182 Abs. 10 RVO) Lohnfortzahlung schuldet.

Die bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Arbeiterin F D (im folgenden kurz: die Versicherte) war bei der Beklagten seit dem 6. Februar 1979 beschäftigt. Am 8. Januar 1981 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 23. Januar 1981. Hiergegen erhob die Versicherte Kündigungsschutzklage. Die Beklagte stellte der Versicherten anheim, während der Dauer des Kündigungsrechtsstreits weiterzuarbeiten. Daraufhin nahm die Versicherte ihre Arbeit bei der Beklagten am 9. April 1981 wieder auf und war bis zum 30. Juni 1981 tatsächlich tätig. Vom 1. bis zum 30. Juli 1981 war die Versicherte arbeitsunfähig krank. Da die Beklagte ihr den Lohn nicht weiterzahlte, gewährte die Klägerin ihr Krankengeld in Höhe von 1.058,40 DM. Wegen dieses Betrages nimmt die Klägerin die Beklagte mit der Klage auf Lohnfortzahlung in Anspruch.

Im Kündigungsrechtsstreit haben die Versicherte und die Beklagte am 30. Juli 1981 vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung der Beklagten am 23. Januar 1981 geendet hat und die Beklagte der Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 KSchG den Betrag von 1.000,-- DM als Abfindung zahlte. Weiter heißt es in dem Vergleich zu Ziffer 3:

"Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche

gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhält-

nis, seiner Beendigung und diesem Rechtsstreit

erledigt."

Die Klägerin hat vorgetragen, durch die am 9. April 1981 aufgenommene Tätigkeit sei zwischen der Versicherten und der Beklagten ein neues Arbeitsverhältnis, zeitlich beschränkt auf die Dauer des Kündigungsschutzprozesses, begründet worden. Deshalb habe der Versicherten nicht nur Vergütung für geleistete Arbeit, sondern nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG auch für die Zeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Lohnfortzahlung zugestanden. Der mit der Gewährung von Krankengeld auf sie, die Klägerin, übergegangene Anspruch der Versicherten sei durch den Vergleich vom 30. Juli 1981 nicht berührt worden. Die Vergleichsparteien hätten ausschließlich Regelungen im Hinblick auf das mit dem 23. Januar 1981 beendete Arbeitsverhältnis getroffen und auch nur insoweit sämtliche gegenseitigen Ansprüche in Ziffer 3 des Vergleichs für erledigt erklärt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.058,40 DM

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie habe die Versicherte vom 9. April 1981 an weiterbeschäftigt, ohne daß ein Arbeitsverhältnis im Rechtssinne bestanden habe. Sie, die Beklagte, sei lediglich daran interessiert gewesen, dem Risiko eines Annahmeverzuges wegen des damals streitigen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses zu begegnen. Das sei der Versicherten bekannt gewesen und von ihr gebilligt worden. Neue arbeitsvertragliche Beziehungen seien daher nicht vereinbart worden. Die rein tatsächliche Weiterbeschäftigung der Versicherten habe mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit durch Arbeitseinstellung geendet. Im übrigen habe der Vergleich vom 30. Juli 1981 alle Ansprüche der Versicherten erfaßt. Ein Anspruch, der auf die Klägerin hätte übergehen können, habe nicht bestanden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin ihr Klageziel weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht der verlangte Betrag zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, im Juli 1981 habe zwischen der Versicherten und der Beklagten kein Arbeitsverhältnis bestanden, wie es für einen Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 1 LohnFG vorauszusetzen sei. Das ursprüngliche Arbeitsverhältnis sei aufgrund des im Kündigungsschutzrechtsstreit am 30. Juli 1981 geschlossenen Vergleichs mit dem 23. Januar 1981 beendet worden. Anderweitige arbeitsvertragliche Beziehungen seien zwischen den Beteiligten nicht begründet worden. Die Beklagte habe der Versicherten lediglich anheimgestellt, während der Dauer des Kündigungsrechtsstreits bei ihr zu arbeiten. Darin sei kein Angebot zum Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages oder zur Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses zu sehen, da die Beklagte an der Kündigung zum 23. Januar 1981 habe festhalten wollen. Sie habe mit ihrem Angebot lediglich zu vermeiden gesucht, später im Falle eines Unterliegens im Kündigungsschutzprozeß Lohnnachzahlungsansprüchen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 615 BGB) ausgesetzt zu sein. Daher habe in der Zeit vom 9. April bis zum 30. Juni 1981 lediglich ein Beschäftigungsverhältnis eigener Art - ähnlich dem faktischen Arbeitsverhältnis - bestanden, in dem nur die tatsächliche Arbeitsleistung zu vergüten gewesen sei. Diese Beurteilung wird von der Revision zu Recht angegriffen. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß das ursprüngliche Arbeitsverhältnis durch die Arbeitsaufnahme der Versicherten am 9. April 1981 fortgesetzt worden ist.

II. 1. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizupflichten, daß durch die Wiederaufnahme der Arbeit zwischen der Versicherten und der Beklagten kein neues, befristetes Arbeitsverhältnis begründet worden ist. Zwar können die Parteien eines Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber und nach Ablauf der Kündigungsfrist einen neuen, befristeten Vertrag abschließen oder vereinbaren, daß der frühere Vertrag auflösend bedingt bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses fortgesetzt werden solle. Eine ausdrückliche Vereinbarung dieser Art hat das Landesarbeitsgericht im Streitfall jedoch nicht festgestellt.

2. Fordert der Arbeitgeber einen gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist auf, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über eine laufende Kündigungsschutzklage fortzuführen, oder stellt er ihm - wie es vorliegend geschehen ist - anheim, dies zu tun, so geht der Vertragswille der Beteiligten in der Regel nicht dahin, ein neues Arbeitsverhältnis zu begründen. Vielmehr soll das Arbeitsverhältnis, dessen Beendigung der Arbeitgeber durch Kündigung zur erreichen sucht, fortgesetzt werden, bis endgültig Klarheit darüber besteht, ob und zu welchem Zeitpunkt die Kündigung das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis beendet hat.

In der Zeit, bis geklärt ist, ob die Kündigung wirksam war, bestimmen sich die Rechte und Pflichten der Parteien grundsätzlich nach den Vereinbarungen des gekündigten Vertrages einschließlich der anzuwendenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, soweit diese nicht den Bestandsschutz zum Gegenstand haben. Deshalb stehen dem Arbeitnehmer, der während des fortgesetzten Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig wird, die für diesen Fall geltenden unabdingbaren gesetzlichen Ansprüche zu (vgl. die zur Veröffentlichung vorgesehene Entscheidung des Senats vom 15. Januar 1986 - 5 AZR 237/84 -, zu II der Gründe).

Durch die Wiederaufnahme der Arbeit seitens der Versicherten am 9. April 1981 wurde das alte Arbeitsverhältnis der Beteiligten fortgesetzt. An den gegenseitigen Rechten und Pflichten änderte sich nichts. Die Versicherte erwarb folglich auch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit einen - unabdingbaren - Anspruch auf Lohnfortzahlung (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 9 LohnFG).

III. 1. Zeigt sich später, daß die Kündigung unwirksam war, so stellt sich das fortgesetzte Arbeitsverhältnis als Teil des insgesamt durch die Kündigung nicht beendeten Arbeitsverhältnisses dar. Ergibt sich dagegen, daß die Kündigung das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis beendet hat, so war bei der Abrede über die Weiterbeschäftigung die vertragliche Grundlage des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses für die Einigung der Beteiligten über die Weiterbeschäftigung bereits weggefallen. In diesem Falle sind die Rechtsbeziehungen der Parteien nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses abzuwickeln. Dem Arbeitnehmer verbleiben dann die für seine Arbeitsleistung gewährten Vergütungen einschließlich der Ansprüche auf Krankenbezüge bei Arbeitsunfähigkeit.

2. Kennzeichen des faktischen Arbeitsverhältnisses ist, daß eine rechtsgültige Grundlage für die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht besteht. Dann fehlt dem Arbeitsverhältnis der Bestandsschutz, es kann ohne Einhaltung einer Frist aufgelöst werden; für die Vergangenheit wird es aber, wenn in Vollzug gesetzt, wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis behandelt. Eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen kommt nicht in Betracht, es bestehen nur Erfüllungsansprüche (vgl. die Zusammenstellung bei Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 35 III 3 = S. 150). Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbracht, kann er die ursprünglich vereinbarte Vergütung verlangen (BAG 5, 58, 66 = AP Nr. 2 zu § 125 BGB, zu IV der Gründe; BAG 8, 47, 50 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis, Bl. 2 und 2 R der Gründe; BAG Urteile vom 10. März 1960 - 5 AZR 426/58 - AP Nr. 2 zu § 138 BGB, zu III der Gründe und vom 7. Juni 1972 - 5 AZR 512/71 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis, zu 2 der Gründe). Es sind aber auch die arbeitsrechtlichen Schutznormen ohne Einschränkung anzuwenden (vgl. BAG 19, 189, 190 f. = AP Nr. 3 zu § 12 MuSchG, zu 2 der Gründe, mit zust. Anmerkung von Meisel; vgl. ferner BAG Urteil vom 18. April 1968 - 2 AZR 145/67 - AP Nr. 32 zu § 63 HGB, Bl. 2). Für Ansprüche nach dem Lohnfortzahlungsgesetz ist dies im Schrifttum seit langem anerkannt (vgl. Kehrmann/Pelikan, LohnFG, 2. Aufl., § 1 Rz 29; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz 71; neuerdings ebenfalls Schmatz/-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., C 601 f.; vgl. ferner Dütz, NZA 1986, 209, 214, sowie Dänzer-Vanotti, DB 1985, 2610, 2614, die dies auch dann annehmen, wenn die Weiterbeschäftigung aufgrund entsprechender Verurteilung erfolgt ist).

3. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden und läßt ausdrücklich offen, nach welchen rechtlichen Grundsätzen eine aufgrund entsprechender Verurteilung erfolgte Weiterbeschäftigung zu bewerten ist, wenn sich schließlich ergibt, daß das Arbeitsverhältnis während der Weiterbeschäftigung doch schon beendet war. Der Beschluß des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, zu C II 3 b der Gründe = EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9 = DB 1985, 2197 ff.) beschränkt sich darauf, die Probleme darzustellen, die sich infolge der dem Arbeitgeber gegen seinen Willen auferlegten tatsächlichen Beschäftigung ergeben können. Damit ist die Sachlage im vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Zwar ist die Beklagte ebenfalls davon ausgegangen, daß ihre Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet habe. Solange dies aber wegen des schwebenden Kündigungsschutzverfahrens ungewiß war, hat sie sich bereit erklärt, die Versicherte zu beschäftigen. Dabei spielt es keine Rolle, wer diese Absprache veranlaßt hat. Jedenfalls hat die Versicherte mit dem Willen der Beklagten gearbeitet. Wenn sich dann später ergeben hat, daß die vertragliche Grundlage, das gekündigte Arbeitsverhältnis, während der Beschäftigung nicht (mehr) bestanden hat, so ist die Lage derjenigen vergleichbar, in der die Vertragsgrundlage von vornherein fehlte und die geschehene Tätigkeit nach den Grundsätzen über das faktische Arbeitsverhältnis abzuwickeln ist.

IV. Auf ihre Ansprüche auf Lohnfortzahlung hat die Versicherte durch den Vergleich vom 30. Juli 1981 nicht verzichtet (§ 397 Abs. 1 BGB).

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die in Ziffer 3 des Vergleichs enthaltene Generalquittung umfasse nicht sämtliche Ansprüche der damaligen Prozeßparteien untereinander, sondern allein die Ansprüche aus dem am 23. Januar 1981 beendeten Arbeitsverhältnis, seiner Beendigung und dem damaligen Rechtsstreit. Ansprüche auf Lohnfortzahlung für den Monat Juli 1981 seien mit dieser Generalklausel nicht erfaßt. Diesem Auslegungsergebnis ist beizupflichten. Der Vergleich der Beteiligten vom 30. Juli 1981 ist als Prozeßhandlung vom Revisionsgericht voll und selbständig überprüfbar (vgl. BAG 42, 244, 249 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II, zu I der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Eine Überprüfung ergibt, daß das Landesarbeitsgericht bei seiner Auslegung weder die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB verletzt noch aber gegen Erfahrungsgrundsätze oder Denkgesetze verstoßen hat. Die Auslegung ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Werden die Ansprüche der Versicherten auf Lohnfortzahlung durch den Prozeßvergleich vom 30. Juli 1981 nicht erfaßt, so ist kein Rechtsgrund dafür ersichtlich, daß dem Forderungsübergang auf die Klägerin nach § 182 Abs. 10 RVO rechtliche Hindernisse entgegenstehen könnten.

Dr. Thomas Dr. Gehring Michels-Holl

Liebsch Werner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440108

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