Entscheidungsstichwort (Thema)

Befristeter Arbeitsvertrag mit polnischer Fremdsprachenlektorin. Gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot. Befristungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beschäftigung als Fremdsprachenlektor stellt bei polnischen Staatsangehörigen ab dem 1. Februar 1994 allein keinen sachlichen Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses mehr da. Wenn das vereinbarte Fristende nach diesem Zeitpunkt liegt, steht Art. 37 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits vom 16. Dezember 1991 der Anwendung des § 57b Abs. 3 HRG aF entgegen.

 

Orientierungssatz

  • Das Diskriminierungsverbot in Art. 37 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits vom 16. Dezember 1991 entfaltet die gleiche Wirkung wie das in Art. 39 Abs. 2 EG normierte Diskriminierungsverbot.
  • Das Diskriminierungsverbot steht der Anwendung des § 57b Abs. 3 HRG aF auf befristete Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren mit polnischer Staatsangehörigkeit entgegen.
  • Die Beschäftigung als Fremdsprachenlektor stellt bei polnischen Staatsangehörigen allein keinen sachlichen Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses dar, wenn das vereinbarte Fristende nach dem Inkrafttreten des Europa-Abkommens am 1. Februar 1994 liegt.
 

Normenkette

HRG (in der bis 24. August 1998 geltenden Fassung, aF) § 57b Abs. 3, 2 Nr. 1; Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits vom 16. Dezember 1991 erster Gedankenstrich Art. 37 Abs. 1; EG Art. 39 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 23.09.1997; Aktenzeichen 5 Sa 2109/96)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 05.09.1996; Aktenzeichen 3 Ca 213/96)

 

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. September 1997 – 5 Sa 2109/96 – wird zurückgewiesen.

Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Im Jahr 1991 schloß sie ihr Germanistikstudium in Lodz mit der Magisterprüfung ab. Seit Mitte 1992 lebt sie in der Bundesrepublik. Mit Vertrag vom 5. Oktober 1992 wurde sie “für die Zeit vom 8.10.1992 bis 30.9.1996 als nicht vollbeschäftigte Angestellte mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Angestellten [Lehrkraft für besondere Aufgaben im Sinne von § 55 WissHG in der Stellung einer Lektorin] eingestellt”. Nach § 2 des Dienstvertrags ist dieser “befristet, weil die Beschäftigung der Angestellten überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (§ 57b Abs. 3 HRG)”.

Mit ihrer am 16. Januar 1996 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, § 57b Abs. 3 HRG in der bis zum 24. August 1998 geltenden Fassung (HRG aF) rechtfertige die Befristung ihres Arbeitsvertrags nicht. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Unanwendbarkeit der Bestimmung auf die Angehörigen der EU-Länder festgestellt habe, könne allein die Beschäftigung als Fremdsprachenlektor auch bei Angehörigen von Drittstaaten keinen Sachgrund für eine Befristung darstellen.

Die Klägerin hat beantragt,

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch seine Befristung auf den 30. September 1996 nicht geendet hat,
  • das beklagte Land zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits als Lehrkraft für besondere Aufgaben (Lektorin) zu den sonst unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Es hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei nach § 57b Abs. 3 HRG aF sachlich gerechtfertigt. Diese Bestimmung sei auf Arbeitsverträge mit Fremdsprachenlektoren aus Drittstaaten anwendbar geblieben. Außerdem habe die Befristung der allgemeinen Aus-, Fort- und Weiterbildung der Klägerin gedient.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr entsprochen. Mit der Revision erstrebt das beklagte Land die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht auf Grund Befristung am 30. September 1996 geendet.

  • Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, die Praxis des beklagten Landes, sich gegenüber den nicht durch Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39 Abs. 2 EG) geschützten Lektoren weiterhin auf § 57b Abs. 3 HRG aF zu berufen, verstoße gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Mit dieser Begründung kann der Klage nicht entsprochen werden. Wenn das beklagte Land die Rechtsprechung des EuGH (20. Oktober 1993 – Rs. C-272/92 – Spotti – AP EWG-Vertrag Art. 48 Nr. 17 ) und des Senats (zuletzt 25. Februar 1998 – 7 AZR 31/97 – BAGE 83, 144 = AP HRG § 57b Nr. 15 mwN ) respektiert und sich gegenüber EU-Angehörigen nicht mehr auf § 57b Abs. 3 HRG aF beruft, so bedeutet dies nicht, daß es gegenüber der polnischen Klägerin aus Gründen der Gleichbehandlung eine wirksame Befristung nicht mehr geltend machen dürfte. Vielmehr rechtfertigen unterschiedliche Rechtspositionen eine unterschiedliche Behandlung (BAG 1. Dezember 1999 – 7 AZR 236/98 – AP HRG § 57b Nr. 21 = EzA BGB § 620 Hochschulen Nr. 21, zu III 2 der Gründe; 22. März 2000 – 7 AZR 226/98 – BAGE 94, 111 ff. = AP HRG § 57b Nr. 24, zu II 2 der Gründe ).
  • Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist § 57b Abs. 3 HRG aF nicht geeignet, die vorliegend vereinbarte Befristung zu rechtfertigen. Die Bestimmung sah vor, daß ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einer fremdsprachlichen Lehrkraft für besondere Aufgaben rechtfertigt, auch vorliegt, wenn die Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (Lektor). Die Bestimmung kann aber vorliegend keine Anwendung finden.

    • Wie der EuGH auf Grund des Vorlagebeschlusses des Senats vom 22. März 2000 (- 7 AZR 225/98 (A) – BAGE 94, 102 ff. = AP HRG § 57b Nr. 25 ) mit Urteil vom 29. Januar 2002 (- Rs. C-162/00 - ) entschieden hat, steht Art. 37 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits vom 16. Dezember 1991 (Europa-Abkommen) der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift auf polnische Staatsangehörige entgegen, nach der die Stellen von Fremdsprachenlektoren mittels befristeter Arbeitsverträge besetzt werden können, während der Abschluß derartiger Verträge mit sonstigen Lehrkräften für besondere Aufgaben im Einzelfall durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muß (EuGH 29. Januar 2002 – Rs. C-162/00 – Tenor 1, Rn. 45 ). Das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot findet, ohne daß zusätzliche nationale Durchführungsbestimmungen erforderlich wären, unmittelbare Anwendung (EuGH 29. Januar 2002 – Rs. C-162/00 – Rn. 29 ). Auf diese unmittelbare Wirkung können sich polnische Staatsangehörige vor den Gerichten des Aufnahmemitgliedsstaats berufen (EuGH 29. Januar 2002 – Rs. C-162/00 – Rn. 30:). Der in Art. 37 Abs. 1 des Europa-Abkommens enthaltene Passus, das Diskriminierungsverbot gelte “vorbehaltlich der in den einzelnen Mitgliedsstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten”, hindert die unmittelbare Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots nicht und führt nicht dazu, daß seine Anwendung in den Mitgliedsstaaten an weitere Voraussetzungen geknüpft oder nach freiem Ermessen eingeschränkt werden könnte (EuGH 29. Januar 2002 – Rs. C- 162/00 – Rn. 23, 24 ).
    • Das Diskriminierungsverbot des Art. 37 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Europa-Abkommens ist anwendbar, obwohl vorliegend die Befristungsabrede vom 5. Oktober 1992 bereits vor dem Inkrafttreten des Europa-Abkommens am 1. Februar 1994 geschlossen wurde. Wie der EuGH auf die Anfrage des Senats entschieden hat, gilt Art. 37 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Europa-Abkommens auch für befristete Arbeitsverträge, die vor dem Inkrafttreten des Europa-Abkommens geschlossen wurden, wenn das vereinbarte Fristende nach dem Inkrafttreten des Abkommens liegt (EuGH 29. Januar 2002 – Rs. C-162/00 – Tenor 2, Rn. 57 ). Dies ist vorliegend der Fall.
    • Das Diskriminierungsverbot in Art. 37 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Europa-Abkommens entfaltet die gleiche Wirkung wie das in Art. 39 Abs. 2 EG (vor dem 1. Mai 1999: Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag) normierte Diskriminierungsverbot (EuGH 29. Januar 2002 – Rs. C-162/00 – Rn. 39 bis 44 ). Dieses Diskriminierungsverbot steht nach der Rechtsprechung des EuGH (20. Oktober 1993 – Rs. C-272/92 – Spotti ) und der sich daran anschließenden ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt 25. Februar 1998 – 7 AZR 31/97 – BAGE 88, 144 = AP HRG § 57b Nr. 15 mwN ) der Anwendung des § 57b Abs. 3 HRG aF auf befristete Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren aus den EG-Ländern entgegen. Die Beschäftigung als Fremdsprachenlektor stellt somit auch bei polnischen Staatsangehörigen allein keinen sachlichen Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses dar. Sie vermag daher auch vorliegend die Befristung nicht zu rechtfertigen.
  • Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Befristung auch nicht aus einem anderen Sachgrund gerechtfertigt. Das beklagte Land kann sich insbesondere nicht auf den Sachgrund der allgemeinen Weiterqualifizierung (§ 57b Abs. 2 Nr. 1 HRG in der bis 22. Februar 2002 geltenden Fassung) berufen. Auf die Ausführungen unter B II 5 des Senatsbeschlusses vom 22. März 2000 – 7 AZR 225/98 (A) – (aaO ) wird verwiesen.
  • Der Weiterbeschäftigungsantrag fiel dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist nur auf die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits gerichtet.
  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Dörner, Gräfl, Linsenmaier, G. Metzinger, Wilke

 

Fundstellen

Haufe-Index 838500

BAGE 2004, 157

BB 2002, 2288

ARST 2003, 139

FA 2003, 30

JR 2003, 220

ZTR 2003, 40

AP, 0

PersV 2003, 272

AUR 2002, 435

Tarif aktuell 2003, 2

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge