Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung. Tätlichkeiten gegenüber Vorgesetzten

 

Normenkette

BGB § 626; BPersVG § 79

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 15.02.1994; Aktenzeichen 3 Sa 1725/93)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 24.08.1993; Aktenzeichen 1 Ca 4178/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Februar 1994 – 3 Sa 1725/93 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1942 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1972 als Posthandwerker – Instandhaltungskraft – beim Fernmeldeamt D. der Beklagten beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 4.005,13 DM. Der Kläger war aufgrund einer Bescheinigung des zuständigen Versorgungsamts in seiner Erwerbsfähigkeit zunächst mit einem GdB von 40 behindert. Einen von ihm gestellten Verschlimmerungsantrag wies das Versorgungsamt zurück; in dem anschließenden Sozialgerichtsverfahren kam es zu einem Prozeßvergleich. Danach wurde dem Kläger ab Mai 1993 ein GdB von 50 zuerkannt.

Am 30. April 1993 beschimpfte der Kläger den Gruppenleiter der maschinentechnischen Stelle, Herrn E. Dieser beschwerte sich daraufhin bei dem zuständigen Stellenvorsteher, Herrn H., über das Verhalten des Klägers. Im Dienstzimmer des Stellenvorstehers fand dann ein Gespräch zwischen dem Stellenvorsteher, dem Kläger, Herrn E. und einem weiteren Gruppenleiter, Herrn S., statt. Der Kläger stieß unmittelbar nach Betreten des Raumes Herrn E. mit den Worten: „Hau ab, dich will ich hier nicht dabei haben; mit wem ich rede, bestimme ich”, aus dem Raum. Im Anschluß hieran ergriff er den angebotenen Stuhl und stieß diesen unter Beschimpfung gegen die Brust des Stellenvorstehers H. Diesem gelang es, dem Kläger den Stuhl zu entwinden. Inwieweit der Kläger dem Stellenvorsteher sodann einen Schlag seitlich an dessen Kinn versetzt und ihn mit einem aufgeklappten Kabelmesser bedroht hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Am 3. Mai 1993 suchte der Kläger einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie auf, der ihn ab diesem Zeitpunkt mit der Diagnose einer akuten „psychischen Dekompensation” arbeitsunfähig krank schrieb. Mit Schreiben vom 4. Mai 1993 forderte die Beklagte den Kläger zur schriftlichen Stellungnahme auf, die unter dem 5. Mai 1993, bei der Beklagten am 7. Mai 1993 eingegangen, erfolgte. Mit Schreiben vom 12. Mai 1993 hörte die Beklagte den Personalrat zur außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Am 13. Mai 1993 erteilte die Direktion der Beklagten die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Unter dem 18. Mai 1993 erhob der Personalrat Einwände gegen die Kündigung und wies insbesondere auf die Arbeitsunfähigkeit des Klägers, den Verschlimmerungsantrag und das noch nicht abgeschlossene Verfahren über die Frage einer Schwerbehinderung des Klägers hin. Mit Schreiben vom 17. Mai 1993 beantragte die Beklagte die Zustimmung der zuständigen Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Die Zustimmung wurde unter dem 1. Juni 1993, bei der Beklagten am 2. Juni 1993 eingegangen, erteilt. Am 2. Juni 1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Mit der am 14. Juni 1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewandt. Er hat in Abrede gestellt, Herrn H. einen Faustschlag ins Gesicht versetzt und ihn mit einem aufgeklappten Kabelmesser bedroht zu haben. Er hat geltend gemacht, seine psychische Erkrankung sei auch Ursache für sein Verhalten am 30. April 1993 gewesen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, diesem Umstand medizinisch, etwa durch Einschaltung des postbetriebsärztlichen Dienstes, weiter nachzugehen. Zudem sei bei Ausspruch der Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen gewesen, da bereits am 30. April 1993 alle kündigungsrelevanten Tatsachen bekannt gewesen seien. Auch liege keine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor, da dieser nicht über seine Unkündbarkeit, den GdB von 40 und seinen Verschlimmerungsantrag in Kenntnis gesetzt worden sei.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Juni 1993 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags behauptet, der Kläger habe nach dem mißlungenen Angriff auf den Stellenvorsteher H. diesem einen Faustschlag ins Gesicht versetzt und sei nur von dem anwesenden Gruppenleiter S. von weiteren Angriffen abgehalten worden. Aus seiner Zollstocktasche habe er sodann ein geöffnetes Kabelmesser gezogen und hiermit Herrn H. bedroht. Durch den überraschenden und heimtückischen Angriff sei das Vertrauensverhältnis unwiderruflich zerstört und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr unzumutbar. Ca. 1 % Stunden nach dem Vorfall habe der Kläger den Stellenvorsteher H. erneut anläßlich eines mißlungenen Entschuldigungsversuchs mit den Worten attackiert: „Dafür, daß Sie eine gekriegt haben, sehen Sie aber noch gut aus!”. In dem vorausgegangenen Gespräch mit dem Abteilungsleiter sei der Kläger ruhig und ansprechbar gewesen. Mit einer jederzeitigen Wiederholung derartiger Verhaltensweisen in beruflichen Streßsituationen müsse beim Kläger gerechnet werden.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist zulässig.

Die Revisionsbegründung ist zwar erst nach Ablauf der Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Dem Kläger war jedoch auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil der Kläger glaubhaft gemacht hat, daß er ohne sein Verschulden bzw. ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO). Der Kläger hat mit seinem zulässigen Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen und glaubhaft gemacht, daß der verzögerte Eingang des Schriftsatzes per Telefax beim Bundesarbeitsgericht, was im übrigen gerichtsbekannt ist, auf einem Defekt des Empfangsgerätes des Gerichts beruhte, und daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nach seinem Kenntnisstand unverschuldet davon ausgehen konnte, daß andere Übermittlungsmöglichkeiten wegen der vorgerückten Stunde ausschieden.

B. Die Revision ist aber unbegründet. Das sorgfältig begründete Urteil des Landesarbeitsgerichts, mit dem die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten abgewiesen worden ist, hält in allen Punkten den Angriffen der Revision stand.

I. Die Rüge der Verletzung des § 626 Abs. 2 BGB greift nicht durch.

1. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt die Zwei-Wochen-Frist, innerhalb derer eine außerordentliche Kündigung zu erklären ist, mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

a) Die Vorschrift regelt eine materiellrechtliche Ausschlußfrist für die Kündigungserklärung. Sie soll innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen, ob ein Sachverhalt zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung genommen wird. Andererseits soll aber die zeitliche Begrenzung nicht zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben oder den Kündigungsberechtigten veranlassen, ohne genügende Vorprüfung voreilig zu kündigen (BAGE 24, 99, 104 f. = AP Nr. 2 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu 3 der Gründe; BAG Urteil vom 10. Juni 1988 – 2 AZR 25/88 – AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 2 a der Gründe).

b) Für den Fristbeginn kommt es auf die sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen an; selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Nicht ausreichend ist die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, d.h. des „Vorfalls”, der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muß eine Gesamtwürdigung möglich sein. Solange der Kündigungsberechtigte die Aufklärung des Sachverhalts, auch der gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte, durchführt, kann die Ausschlußfrist nicht beginnen. Sie ist allerdings nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständlichen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAGE 24, 341, 347 f. = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 10. Juni 1988 – 2 AZR 25/88 – AP, a.a.O., zu III 2 c der Gründe; Urteil vom 29. Juli 1993 – 2 AZR 90/93 – AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlußfrist).

2. Das Landesarbeitsgericht hat danach zu Recht darauf abgestellt, daß die Beklagte nach dem Vorfall vom 30. April 1993 erst weitere geeignete Ermittlungen anstellen durfte. Dazu gehört sowohl die förmliche Einvernahme der Zeugen als auch die schriftliche Anhörung des Klägers. Eine erneute Anhörung des Klägers war schon deshalb unbedingt erforderlich, weil sich der Kläger in ärztliche Behandlung begeben hatte und es nicht auszuschließen war, daß die Bewertung des Kündigungssachverhalts durch eine Krankheit des Klägers beeinflußt werden konnte. Der Lauf der zweiwöchigen Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB begann deshalb, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, frühestens mit dem Eingang der schriftlichen Stellungnahme des Klägers am 7. Mai 1993. Unter Beachtung des § 21 SchwbG hat deshalb die Beklagte die Kündigung fristgerecht ausgesprochen.

II. Auch die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht sei rechts fehlerhaft von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats zu der außerordentlichen Kündigung nach § 79 Abs. 3 BPersVG ausgegangen, ist unbegründet.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt grundlegend im Urteil vom 16. September 1993 – 2 AZR 267/92 – AP Nr. 31 zu Internat. Privatrecht, Arbeitsrecht, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu II 2 b cc (1) der Gründe) ist eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – entsprechendes gilt bei der Personalratsanhörung nach § 79 Abs. 3 BPersVG – auch dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt. Dabei handelt es sich um eine analoge Anwendung der §§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG bzw. 79 Abs. 3 Satz 1 BPersVG, die methodisch aus einer systematisch-teleologischen Interpretation des Begriffs „Anhörung” folgt, denn die vom Gesetz verlangte Anhörung ist in der Rangordnung der Beteiligungsrechte mehr als die bloße Mitteilung über die bevorstehende Kündigung. Die Einschaltung des Betriebsrats bzw. Personalrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens hat über die Mitteilung der Kündigungsabsicht hinaus den Sinn, der Arbeitnehmervertretung Gelegenheit zu geben, ihre Überlegungen zu der Kündigungsabsicht dem Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, daß es gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt. Aus diesem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, daß der Betriebs- bzw. Personalrat sich über die Person des betroffenen Arbeitnehmers und über die Kündigungsgründe für seine Stellungnahme ein Bild machen kann. Die Mitteilungspflicht ist jedoch nach Sinn und Zweck der Beteiligungsrechte begrenzt. Hat der zur Entgegennahme von Mitteilungen berechtigte Betriebs- bzw. Personalratsvorsitzende bereits den erforderlichen Kenntnis stand, um eine Stellungnahme abgeben zu können, und weiß dies der Arbeitgeber oder kann es jedenfalls nach den gegebenen Umständen als sicher annehmen, so wäre es eine reine Förmelei, dem Arbeitgeber gleichwohl noch eine detaillierte Begründung abzuverlangen.

2. Das Landesarbeitsgericht hat diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall zutreffend angewandt.

a) Die Mitteilung der Personalien des Klägers, insbesondere also seiner langen Beschäftigungszeit und der bereits eingetretenen Unkündbarkeit war nicht erforderlich, da diese Daten nach den mit der Revision nicht angegriffenen und deshalb für den Senat bindenden (§ 561 ZPO) Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dem Personalrat bereits bekannt waren.

b) Das Landesarbeitsgericht hat es auch zu Recht als unschädlich angesehen, daß die Beklagte den ihr zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens bekannten GdB von 40 in dem Anhörungsschreiben nicht erwähnt hat. Zu den Mindestangaben über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, deren Fehlen zur Unwirksamkeit der Kündigung entsprechend § 102 BetrVG bzw. § 79 Abs. 3 BPersVG führt, hat die Rechtsprechung bisher nur die Schwerbehinderteneigenschaft gerechnet, nicht jedoch einen geringeren Grad der Behinderung, der keinen Sonderschutz auslöst (Senatsurteil vom 16. September 1993, a.a.O.; ebenso KR-Etzel, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rz 58). Daran ist festzuhalten. Würde man mit der Revision eine Unwirksamkeit der Kündigung entsprechend § 102 BetrVG bzw. § 79 Abs. 3 BPersVG bei der Nichtmitteilung eines geringeren Grads der Behinderung annehmen, den der Arbeitgeber möglicherweise aus seiner Sicht angesichts der Schwere der Vorwürfe gegen den Arbeitnehmer bei der Gesamtabwägung für nicht entscheidend gehalten hat, so würde dies das notwendige Maß der analogen Anwendung der entsprechenden Vorschriften auf den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung überschreiten.

Entscheidend kommt es auf diese Abgrenzung im vorliegenden Fall aber nicht einmal an; denn der Personalrat hatte jedenfalls im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Kündigung Kenntnis von dem Grad der Behinderung des Klägers, ohne daß er dazu eigene Ermittlungen nötig gehabt hätte. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dem Personalrat aus den Erörterungen über den Verschlimmerungsantrag der GdB des Klägers von 40 bekannt. Dies ergibt sich auch daraus, daß der Widerspruch des Personalrats ausdrücklich auf diesen Umstand gestützt wird.

c) Soweit die Revision weiterhin meint, die Anhörung sei nicht ordnungsgemäß, weil der Personalrat von der Beklagten nicht über den Stand des Widerspruchsverfahrens vor der Hauptfürsorgestelle und den gestellten Verschlimmerungsantrag unterrichtet worden sei, geht dies ebenfalls fehl. Nach den nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffenen und deshalb für den Senat bindenden (§ 561 ZPO) Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte die Beklagte im Zeitpunkt der Anhörung des Personalrats selbst keine Kenntnis von dem Verschlimmerungsantrag und dem laufenden Verfahren vor der Hauptfürsorgestelle; nachdem die Beklagte selbst von diesen Umständen Kenntnis erlangt hat, hat sie unverzüglich den Personalrat unterrichtet, und dieser hatte sogar noch vor der Beklagten selbst hinreichende Kenntnis sowohl von dem Verschlimmerungsantrag als auch von dem Widerspruchsverfahren und hat darauf ausdrücklich auch seinen Widerspruch gestützt. Die Beklagte hat damit alles Erforderliche getan, dem Personalrat nachträglich den für eine sachgemäße Entscheidung gemäß § 79 Abs. 3 BPersVG erforderlichen Kenntnisstand zu vermitteln. Eine nicht ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats kann deshalb insoweit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt angenommen werden, denn die Beklagte hat dem Personalrat nichts – erst recht nicht bewußt – verschwiegen, was zur ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats gehörte und ihr bekannt war. Der Senat hatte deshalb nicht zu entscheiden, ob die Beklagte überhaupt verpflichtet war, den Personalsrat darüber zu informieren, daß sie nach der ordnungsgemäßen Einleitung des Anhörungsverfahrens Kenntnis davon erlangt hatte, daß der Kläger möglicherweise als Schwerbehinderter einen besonderen Kündigungsschutz hatte.

III. Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu § 626 Abs. 1 BGB sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat.

2. Im Rahmen dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabes ist zunächst mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, daß ein derart gravierender tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten, wie ihn sich der Kläger am 30. April 1993 hat zuschulden kommen lassen, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung i.S. des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger zunächst den Gruppenleiter rüde beschimpft und ihn dann bei der Unterredung, in der es um die Klärung des Vorfalls ging, eigenmächtig und in grober Form zum Verlassen des Raumes gezwungen. Den Stellenvorsteher hat er dann in aggressiver Weise zunächst mit einem Stuhl mit Beinen aus Vierkantstahlrohr angegriffen, ihm dann einen Fausthieb gegen das Kinn versetzt und ihn schließlich ernstlich mit einem aufgeklappten Kabelmesser bedroht. Wenn der Kläger dabei bewußt und gezielt seinem Vorgesetzten körperlichen Schaden zufügen wollte, erst durch Hinzutreten eines Dritten von seinem Vorbringen abgehalten werden konnte, nachdem der Vorgesetzte sich in die hinterste Ecke des Zimmers zurückgezogen hatte, und er sich auch einige Zeit nach dem Vorfall nicht beruhigt hat, sondern nach wie vor Aggressivität gegenüber dem Stellenleiter hat erkennen lassen, so kann ein Arbeitgeber ein solches Verhalten schlechthin nicht sanktionslos hinnehmen. Derart gravierende Tätlichkeiten gegenüber einem Dienstvorgesetzten muß der Arbeitgeber streng ahnden, wenn er nicht die Autorität des Vorgesetzten völlig untergraben und den Schutz der Mitarbeiter vor ähnlichen Vorfällen in der Zukunft in Frage stellen will. Regelmäßig wird der Arbeitgeber auf eine derartige Pflichtverletzung wie die vom Kläger begangenen Tätlichkeiten nur mit einer sofortigen Vertragsbeendigung reagieren können. Weitere Ausführungen insoweit erübrigen sich, denn die Revision greift in diesem Punkt das Urteil des Landesarbeitsgerichts ersichtlich nicht an.

3. Entgegen den Ausführungen der Revision ist es aber auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar gehalten und angenommen hat, der mit Wucht vorgetragene Angriff auf den Dienstvorgesetzten zunächst mit dem umgedrehten Stahlrohrstuhl, alsdann mit der Faust sowie die anschließende Androhung, nunmehr das gezückte Messer einzusetzen, zerstörten die Grundlagen des Arbeitsverhältnisses und ließen das Vertrauen in den Kläger als berechenbaren Mitarbeiter und Untergebenen insgesamt entfallen.

Der Angriff der Revision, das Landesarbeitsgericht habe den Vortrag des Klägers über Rechtfertigungs- bzw. Schuldausschließungsgründe falsch bewertet, geht fehl. Das Vorbringen des Klägers zu seiner behaupteten psychischen Erkrankung und deren möglichem Einfluß auf sein Verhalten am Tattag ist so unsubstantiiert, daß das Landesarbeitsgericht zu Recht den den Kläger behandelnden Arzt nicht vernommen hat. Eine solche Beweiserhebung hätte einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dargestellt.

a) Daß sich der Kläger am 30. April 1993 in einem Zustand der krankhaften Störung der Geistestätigkeit befunden hätte, der nach §§ 276 Abs. 1 Satz 3, 827 BGB ein Verschulden hätte ausschließen können, hat der Kläger selbst in den Tatsacheninstanzen nicht geltend gemacht und macht er auch mit der Revision nicht geltend.

b) Aber auch zu sonstigen Schuldausschließungsgründen im Zusammenhang mit der behaupteten Erkrankung hat der Kläger keinen hinreichend konkreten Sachvortrag gebracht, der die Beklagte im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast verpflichtet hätte, dem konkret unter Beweisantritt entgegenzutreten. In der Klageschrift weist der Kläger in aller Deutlichkeit darauf hin, er sei unmittelbar nach dem Vorfall wegen akuter psychischer Dekompensation arbeitsunfähig gewesen. Mangels näherer Angaben durch den Kläger läßt dies eher den Schluß darauf zu, daß die Krankheit aufgetreten ist, weil der Kläger den Vorfall vom 30. April 1993 psychisch nicht zu kompensieren vermochte. Dies würde auch dem Ausgang des sozialgerichtlichen Verfahrens entsprechen, in dem die Verschlimmerung u.a. wegen eines „psychovegetativen Syndroms” ausdrücklich erst ab Mai 1993, also nach dem Vorfall vom 30. April 1993 festgestellt worden ist. Der bloße Hinweis auf eine „psychische Dekompensation” ist im übrigen viel zu unbestimmt, um einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür abzugeben, daß das Verhalten des Klägers am 30. April 1993 aus Krankheitsgründen anders zu bewerten wäre. Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen, näher anzugeben, welche Krankheit nach Aussagen seiner Ärzte welche konkreten Auswirkungen auf die Steuerung seines Verhaltens am 30. April 1993 gehabt haben soll. Der bloße Hinweis auf eine „psychische Dekompensation” reicht insoweit, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, nicht aus. Nicht einmal die einschlägigen Wörterbücher ordnen diesem Begriff ein Krankheitsbild zu (Dorsch, Psychologisches Wörterbuch, 11. Aufl.; Asanger/Wenninger, Handwörterbuch der Psychologie, 4. Aufl.; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl.). Angesichts des fehlenden Sachvortrags des Klägers bestand für das Landesarbeitsgericht kein Anlaß, der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen eine dem Kläger ärztlicherseits erst ab 3. Mai 1993 bestätigte Krankheit auf sein Verhalten am 30. April 1993 gehabt haben könnte.

c) Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht durchaus zugunsten des Klägers unterstellt, dieser habe sich am Tattag aus verschiedenen Gründen in einem Erregungszustand befunden und letztlich die Nerven verloren. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht aufgrund des Ergebnisses der umfangreich durchgeführten Beweisaufnahme angenommen hat, das Verhalten des Klägers nach der Tat bestätige den bewußt und gezielt durchgeführten Angriff auf den Vorgesetzten und eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei auch angesichts seines hohen sozialen Besitzstandes der Beklagten nicht zuletzt auch zum Schutz ihrer übrigen Mitarbeiter nicht zuzumuten.

 

Unterschriften

Etzel, Fischermeier, Bröhl, Dr. Bächle, Bobke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087202

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge