Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Sonderzahlung ohne Arbeitsleistung

 

Normenkette

BGB § 611; Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990, § 2; AFG § 105a

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 18.03.1994; Aktenzeichen 10 Sa 1297/93)

ArbG Paderborn (Urteil vom 23.06.1993; Aktenzeichen 2 Ca 320/93)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. März 1994 – 10 Sa 1297/93 – teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 23. Juni 1993 – 2 Ca 320/93 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 345,95 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem daraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 4. März 1993 zu zahlen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 5/6, die Beklagte zu 1/6.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit Jahren bei der Beklagten als Baufacharbeiter zu einem Stundenlohn von zuletzt 20,35 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung.

Seit dem 6. September 1990 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Nach Aussteuerung durch die Krankenkasse bezog er vom 20. Februar 1992 bis 30. Juni 1993 Arbeitslosengeld, danach eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Zum Bezug von Arbeitslosengeld war es gekommen, nachdem der Kläger im Februar 1992 mit einem Formular des Arbeitsamtes bei der Beklagten erschienen war und diese daraufhin dem Kläger am 25. Februar 1992 schriftlich bescheinigte:

„Herr L. … ist seit dem 06.09.90 arbeitsunfähig und kann aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit bei uns nicht wieder aufnehmen.

Das Arbeitsverhältnis wurde nicht beendet.

Wir verzichten auf das Direktionsrecht.”

Der Kläger verlangt die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1992 in Höhe des Mindestbetrages von 102 Stundenlöhnen und hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.075,70 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem hieraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 4. März 1993 zu zahlen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Dem Kläger steht für 1992 nur eine anteilige Sonderzuwendung zu.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, daß die fehlende tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers im Bezugszeitraum den Anspruch auf die Sonderzahlung nicht ausschließe. Weder der Verzicht der Beklagten gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht noch der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente führe zum Wegfall des Anspruchs auf das 13. Monatseinkommen.

Mit dieser Begründung kann dem Klageanspruch nicht stattgegeben werden.

2.a) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht allerdings davon aus, daß auch ein Arbeitnehmer, der während des ganzen maßgeblichen Bezugszeitraumes vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 30. November des laufenden Kalenderjahres arbeitsunfähig krank ist, Anspruch auf das 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Tarifstundenlöhnen hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats seit seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) gerade für den TV 13. ME-Baugewerbe vom 27. April 1990. Eine bloße lang andauernde Arbeitsunfähigkeit bzw. der Bezug von Krankengeld oder Berufsunfähigkeitsrente läßt den Anspruch noch nicht entfallen.

b) In seiner Entscheidung vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) hat der Senat jedoch im einzelnen ausgeführt und begründet, daß dem Arbeitnehmer die tarifliche Sonderzahlung nicht zusteht, wenn er nach langer Arbeitsunfähigkeit und Aussteuerung durch die Krankenkasse zunächst Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG und später eine Rente beantragt und der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. In einem solchen Falle sind die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert, die es rechtfertigen anzunehmen, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des TV 13. ME-Baugewerbe, das Grundlage für den Anspruch auf die Sonderzahlung ist, nicht mehr besteht.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Wenn der Kläger darauf verweist, daß es in solchen Fällen durchaus auch wieder zu einer Reaktivierung des Arbeitsverhältnisses kommen kann, wenn eine Rente abgelehnt wird oder sich der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers bessert, so kommt es darauf nicht an. Maßgebend ist, von welchen Erwartungen die Vorstellungen der Parteien während des Bezugszeitraums geprägt waren und wie die sichtbaren Verlautbarungen dieser Erwartungen während dieses Zeitraumes weiterwirken. Das rechtlich fortbestehende Arbeitsverhältnis mag in solchen Fällen die Reaktivierung erleichtern; das ändert aber nichts daran, daß bis dahin nur ein „formales” Arbeitsverhältnis bestand, das nach der Entscheidung des Senats kein Arbeitsverhältnis mehr ist, das nach dem Zuwendungs-TV einen Anspruch auf die Sonderzahlung auch ohne Arbeitsleistung begründet.

Ausgehend davon stünde dem Kläger für das Jahr 1992 eine Sonderzahlung nicht zu.

3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte allerdings erst im Februar 1992 und damit im Laufe des maßgeblichen Bezugszeitraumes (1. Dezember 1991 bis 30. November 1992) auf ihr Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitsamt verzichtet und dadurch dem Arbeitnehmer den Bezug von Arbeitslosengeld ermöglicht. Dieser Umstand erfordert eine andere rechtliche Beurteilung.

Nach § 2 Abs. 4 TV 13. ME-Baugewerbe erhält der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag, dem 30. November, rechtlich beendet wird, ein anteiliges 13. Monatseinkommen, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben wird. Hätten die Parteien ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 25. Februar 1992 aufgehoben, damit der Kläger Arbeitslosengeld und später eine Rente beantragen konnte, stünde ihm ein anteiliges 13. Monatseinkommen in Höhe von 2/12 des Mindestbetrages zu.

Im vorliegenden Falle haben die Parteien das Arbeitsverhältnis zwar nicht rechtlich vollständig beendet, sie haben jedoch ihre Bindungen aus dem rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis soweit gelockert, daß nach der Rechtsprechung des Senats ein Arbeitsverhältnis, das Grundlage für den Bezug des 13. Monatseinkommens sein kann, nicht mehr besteht. Das vom TV 13. ME-Baugewerbe für den Bezug der Sonderzahlung vorausgesetzte Arbeitsverhältnis ist damit ebenso beendet worden, wie es bei einer auch rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt der Fall gewesen wäre. Das rechtfertigt es. dem Arbeitnehmer auch in einem solchen Falle einen Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung zuzuerkennen.

Dem Kläger stehen daher für das Jahr 1992 nur 2/12 des Mindestbetrages des 13. Monatseinkommens für dieses Jahr zu. Soweit er die volle Sonderzahlung begehrt, ist seine Klage unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Böck, Lindemann, Großmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087193

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