Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Sonderzahlung ohne Arbeitsleistung

 

Normenkette

BGB § 611; AFG § 105a

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 18.03.1994; Aktenzeichen 10 Sa 1372/93)

ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 30.04.1993; Aktenzeichen 3 Ca 429/93)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. März 1994 – 10 Sa 1372/93 – teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 30. April 1993 – 3 Ca 429/93 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.224,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem hieraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 18. Februar 1993 zu zahlen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines 13. Monatseinkommens für das Jahr 1992.

Der 1934 geborene Kläger war seit dem 3. November 1969 bei der Beklagten als Fassadenfacharbeiter zu einem Gesamttarifstundenlohn von 24,– DM brutto beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch gerichtlichen Vergleich zum 31. März 1993.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 (im folgenden: TV 13. ME-Baugewerbe) Anwendung.

§ 2 TV 13. ME-Baugewerbe lautet – soweit hier von Bedeutung – wie folgt:

(1) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Es beträgt … ab 1. Januar 1992 10,7 v.H. ihres in der Zeit vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum Stichtag (Berechnungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelts, mindestens jedoch das 102-fache ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes (Mindestbetrag).

(2) …

(3) …

(4) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers oder durch Fristablauf vor dem Stichtag endet und deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens drei Monate ununterbrochen bestanden hat, haben gleichfalls Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen.

Es beträgt mindestens für jeden vollen Beschäftigungsmonat in diesem Arbeitsverhältnis seit dem 1. Dezember des Vorjahres 1/12 des Mindestbetrages gem. Abs. 1. Der Anspruch besteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis von dem Arbeitnehmer gekündigt wird, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn es einvernehmlich aufgehoben wird.

(5) …

Seit dem 1. August 1991 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Nach Ablauf der Lohnfortzahlung erhielt er zunächst Krankengeld und sodann rückwirkend ab dem 1. August 1991 eine Berufsunfähigkeitsrente. Unter (vollständiger) Anrechnung der Berufsunfähigkeitsrente bezog er ab dem 1. Juni 1992 Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG, nachdem die Beklagte zuvor gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet hatte.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für das Jahr 1992 ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Stundenlöhnen unabhängig davon zu, daß er während des ganzen Bezugszeitraumes vom 1. Dezember 1991 bis zum 30. November 1992 nicht gearbeitet habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.448,– DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 18. Februar 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen für 1992, weil er während des Bezugszeitraumes nicht gearbeitet habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Dem Kläger steht für 1992 nur eine anteilige Sonderzuwendung zu.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, daß die fehlende tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers im Bezugs Zeitraum den Anspruch auf die Sonder Zahlung nicht ausschließe. Weder der Verzicht der Beklagten gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht noch der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Berufsunfähigkeitsrente führe zum Wegfall des Anspruchs auf das 13, Monatseinkommen.

Mit dieser Begründung kann dem Klageanspruch nicht stattgegeben werden.

2.a) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht allerdings davon aus, daß auch ein Arbeitnehmer, der während des ganzen maßgeblichen Bezugszeitraumes vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 30. November des laufenden Kalenderjahres arbeitsunfähig krank ist, Anspruch auf das 13, Monatseinkommen in Höhe von 102 Tarifstundenlöhnen hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats seit seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) gerade für den TV 13, ME-Baugewerbe vom 27. April 1990. Eine bloße lang andauernde Arbeitsunfähigkeit bzw. der Bezug von Krankengeld oder Berufsunfähigkeitsrente läßt den Anspruch noch nicht entfallen.

b) In seiner Entscheidung vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) hat der Senat jedoch im einzelnen ausgeführt und begründet, daß dem Arbeitnehmer die tarifliche Sonderzahlung nicht zusteht, wenn er nach langer Arbeitsunfähigkeit und Aussteuerung durch die Krankenkasse zunächst Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG und später eine Rente beantragt und der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. In einem solchen Falle sind die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert, die es rechtfertigen, anzunehmen, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des TV 13. ME-Baugewerbe, das Grundlage für den Anspruch auf die Sonderzahlung ist, nicht mehr besteht.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Wenn der Kläger darauf verweist, daß es in solchen Fällen durchaus auch wieder zu einer Reaktivierung des Arbeitsverhältnisses kommen kann, wenn eine Rente abgelehnt wird oder sich der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers bessert, so kommt es darauf nicht an. Maßgebend ist, von welchen Erwartungen die Vorstellungen der Parteien während des Bezugszeitraumes geprägt waren und wie die sichtbaren Verlautbarungen dieser Erwartungen während dieses Zeitraumes weiterwirken. Das rechtlich fortbestehende Arbeitsverhältnis mag in solchen Fällen die Reaktivierung erleichtern, das ändert aber nichts daran, daß bis dahin nur ein „formales” Arbeitsverhältnis bestand, das nach der Entscheidung des Senats kein Arbeitsverhältnis mehr ist, das nach dem Zuwendungs-TV einen Anspruch auf die Sonderzahlung auch ohne Arbeitsleistung begründet.

Ausgehend davon stünde dem Kläger für das Jahr 1992 eine Sonderzahlung nicht zu.

3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte allerdings erst ab dem 1. Juni 1992 und damit in der Mitte des maßgeblichen Bezugszeitraumes (1. Dezember 1991 bis 30. November 1992) auf ihr Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitsamt verzichtet und dadurch dem Arbeitnehmer den Bezug von Arbeitslosengeld ermöglicht. Dieser Umstand erfordert eine andere rechtliche Beurteilung.

Nach § 2 Abs. 4 TV 13. ME-Baugewerbe erhält der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag, dem 30. November, rechtlich beendet wird, ein anteiliges 13. Monatseinkommen, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben wird. Hätte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1992 gekündigt, um Arbeitslosengeld und später eine Rente zu beantragen, oder hätten die Parteien das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt aus diesem Grunde einvernehmlich beendet, stünde dem Kläger ein anteiliges 13. Monatseinkommen in Höhe von 6/12 des Mindestbetrages zu.

Im vorliegenden Falle haben die Parteien das Arbeitsverhältnis zwar nicht rechtlich vollständig beendet, sie haben jedoch ihre Bindungen aus dem rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis soweit gelockert, daß nach der Rechtsprechung des Senats ein Arbeitsverhältnis, das Grundlage für den Bezug des 13. Monatseinkommens sein kann, nicht mehr besteht. Das vom TV 13. ME-Baugewerbe für den Bezug der Sonderzahlung vorausgesetzte Arbeitsverhältnis ist damit ebenso beendet worden, wie es bei einer auch rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt der Fall gewesen wäre. Das rechtfertigt es, dem Arbeitnehmer auch in einem solchen Falle einen Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung zuzuerkennen.

Dem Kläger stehen daher für das Jahr 1992 6/12 des Mindestbetrages des 13. Monatseinkommens für dieses Jahr zu. Soweit er die volle Sonderzahlung begehrt, ist seine Klage unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Böck, Lindemann, Großmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093172

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