Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Sonderzahlung ohne Arbeitsleistung

 

Leitsatz (redaktionell)

Fortführung der Rechtsprechung des Zehnten Senats vom 11. Oktober 1995 (– 10 AZR 364/94 –, nicht veröffentlicht) und vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) zur Zahlung eines tariflichen 13. Monatseinkommens bei fehlender tatsächlicher Arbeitsleistung und Verzicht auf das Direktionsrecht

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 22.11.1993; Aktenzeichen 7 Sa 45/93)

ArbG Hamburg (Urteil vom 22.07.1993; Aktenzeichen 2 Ca 99/93)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 22. November 1993 – 7 Sa 45/93 – teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 22. Juli 1993 – 2 Ca 99/93 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.317,33 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 22. März 1993 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt zu 7/12 die Beklagte und zu 5/12 der Kläger.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines 13. Monatseinkommens für das Jahr 1992.

Der Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten als Maurer beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 (im folgenden: TV 13. ME-Baugewerbe) Anwendung.

§ 2 TV 13. ME-Baugewerbe lautet – soweit hier von Bedeutung – wie folgt:

„(1) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Es beträgt … ab 1. Januar 1992 10,7 v.H. ihres in der Zeit vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum Stichtag (Berechnungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelt, mindestens jedoch das 102-fache ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes (Mindestbetrag).

(2) …

(3) …

(4) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers oder durch Fristablauf vor dem Stichtag endet und deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 3 Monate ununterbrochen bestanden hat, haben gleichfalls Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen.

Es beträgt mindestens für jeden vollen Beschäftigungsmonat in diesem Arbeitsverhältnis seit dem 1. Dezember des Vorjahres 1/12 des Mindestbetrages gemäß Abs. 1. Der Anspruch besteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis von dem Arbeitnehmer gekündigt wird, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn es einvernehmlich aufgehoben wird.

(5) …”

Der Kläger war im Kalenderjahr 1992 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Am 13. Juli 1992 hat die Beklagte gegenüber dem Arbeitsamt auf ihr Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für das Jahr 1992 ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Stundenlöhnen unabhängig davon zu, daß er während des ganzen Kalenderjahres nicht gearbeitet habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.258,58 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (22. März 1993) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen, weil er im Kalenderjahr 1992 nicht gearbeitet habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage (abzüglich 0,30 DM wegen eines Rechenfehlers) stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Dem Kläger steht für das Jahr 1992 nur ein anteiliges 13. Monatseinkommen zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die fehlende tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers im Bezugszeitraum schließe den Anspruch auf die Sonderzahlung nicht aus.

Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat weder im Ergebnis noch in der Begründung zu folgen.

II. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung eines anteiligen 13. Monatseinkommens in Höhe von 7/12 des Mindestbetrags von 102 Stundenlöhnen verlangen.

1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß auch ein Arbeitnehmer, der während des ganzen maßgeblichen Bezugs Zeitraumes vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 30. November des laufenden Kalenderjahres arbeitsunfähig krank ist, einen Anspruch auf das 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Tarifstundenlöhnen hat. Der Senat hat dies in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) gerade für den hier in Streit stehenden TV 13. ME-Baugewerbe vom 27. April 1990 erkannt; an dieser Entscheidung hält der Senat fest. Eine bloß langandauernde Arbeitsunfähigkeit läßt den Anspruch auf das tarifliche 13. Monatseinkommen noch nicht entfallen. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die Ausführungen der Beklagten führen zu keiner anderen Beurteilung. Wie der Senat in der Entscheidung vom 8. Dezember 1993 (– 10 AZR 66/93 – AP Nr. 159 zu § 611 BGB Gratifikation) zum Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für die Angestellten des Baugewerbes vom 27. April 1990 ausgeführt hat, kann nicht darauf geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten eine Regelung, wonach bei einer fehlenden tatsächlichen Arbeitsleistung im gesamten Bezugszeitraum der Anspruch auf die Sonderleistung entfallen soll, lediglich im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterlassen. Daher führt auch die Änderung des Tarifvertrags über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens mit der Fassung vom 23. Juni 1993 vorliegend zu keinem anderen Ergebnis.

2. In der Entscheidung vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) hat der Senat im einzelnen ausgeführt und begründet, daß dem Arbeitnehmer die tarifliche Sonderzahlung jedoch dann nicht zusteht, wenn er nach langer Arbeitsunfähigkeit und Aussteuerung durch die Krankenkasse zunächst Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG und später eine Rente beantragt und der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. Der Senat hat angenommen, daß in einem solchen Fall die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert sind, die es rechtfertigt anzunehmen, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des TV 13. ME-Baugewerbe, das Grundlage für den Anspruch auf die Sonderzahlung ist, nicht mehr besteht.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte – wie die Parteien in der Revisionsinstanz unstreitig gestellt haben – jedoch erst am 13. Juli 1992 gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet. Dem Kläger steht daher das 13. Monatseinkommen bis zu diesem Zeitpunkt zu.

3. Nach § 2 Abs. 4 TV 13. ME-Baugewerbe erhält der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag, dem 30. November, rechtlich beendet wird, ein anteiliges 13. Monatseinkommen, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben wird. Hätte der Kläger also sein Arbeitsverhältnis zum 13. Juli 1992 gekündigt, um Arbeitslosengeld und später eine Rente zu beantragen oder hätten die Parteien das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt aus diesen Gründen einvernehmlich beendet, stünde dem Kläger ein anteiliges 13. Monatseinkommen in Höhe von 7/12 des Mindestbetrages zu. Im vorliegenden Fall haben die Parteien das Arbeitsverhältnis zwar nicht rechtlich vollständig beendet, durch den Verzicht der Beklagten auf das Direktionsrecht über den Kläger gegenüber dem Arbeitsamt sind die Bindungen aus dem rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis jedoch soweit gelockert, daß nach der Rechtsprechung des Senats ein Arbeitsverhältnis, das Grundlage für den Bezug des 13. Monatseinkommens sein kann, nicht mehr besteht (Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation). Das vom TV 13. ME-Baugewerbe für den Bezug des 13. Monatseinkommens vorausgesetzte Arbeitsverhältnis ist damit zum 13. Juli 1992 ebenso beendet worden, wie es bei einer auch rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt der Fall gewesen wäre. Daher steht dem Kläger ein anteiliges 13. Monatseinkommen in Höhe von 7/12 des Mindestbetrages von 102 Tarifstundenlöhnen zu (2.258,28 DM: 12 × 7 volle Beschäftigungsmonate = 1.317,33 DM); insoweit bleibt die Revision der Beklagten ohne Erfolg.

Soweit der Kläger darüber hinaus die Sonderzahlung in vollem Umfang geltend gemacht hat (5/12), ist die Klage abzuweisen. Insoweit ist die Revision der Beklagten begründet.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Böck, Thiel, Tirre

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093169

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