Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, daß § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

 

Normenkette

MuSchG § 14 Abs. 1, § 11 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; LFZG § 10 ff.

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 16.12.1993; Aktenzeichen 4 Sa 943/92)

ArbG München (Urteil vom 22.10.1992; Aktenzeichen 7 Ca 4112/92)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 18.11.2003; Aktenzeichen 1 BvR 302/96)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 16. Dezember 1993 – 4 Sa 943/92 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld, dessen Zahlung die Beklagte verweigert, weil sie § 14 Abs. 1 MuSchG für verfassungswidrig hält.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. August 1990 als Verkäuferin beschäftigt. Sie erhält monatlich ein Gehalt von 3.000,00 DM brutto zuzüglich einer regelmäßigen Überstundenvergütung von 520,20 DM brutto. Die Beklagte beschäftigt einschließlich der Teilzeitkräfte, aber ausschließlich der geringfügig Tätigen, regelmäßig etwa 100 Arbeitnehmer, davon mindestens die Hälfte Frauen.

Am 7. November 1991 wurde die Klägerin von einer Tochter entbunden. Vom 25. September 1991 bis zum 2. Januar 1992 bestanden die Beschäftigungsverbote vor und nach der Entbindung gemäß den §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 MuSchG. Während dieser Zeit erhielt die Klägerin von der gesetzlichen Krankenkasse Mutterschaftsgeld in Höhe von kalendertäglich 25,00 DM. Die Beklagte weigerte sich, den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld in rechnerisch unstreitiger Höhe von 3.335,72 DM zu zahlen, gewährte der Klägerin aber zur finanziellen Überbrückung ein zinsloses Darlehen.

Die Klägerin hält § 14 Abs. 1 MuSchG für verfassungsgemäß. Sie hat vorgetragen: Der Gesetzgeber könne die Entgeltsicherung während der Schutzfristen vor und nach der Entbindung auf verschiedene Beteiligte, nämlich den Staat, Sozialversicherungsträger und Arbeitgeber verteilen. Zwar sei es richtig, daß die Arbeitgeber nun mehr als die Hälfte der Aufwendungen zur Entgeltsicherung der Frauen während der Schutzfristen trügen. Es sei aber eine Gesamtschau notwendig. Den selben gesetzgeberischen Zweck wie § 14 MuSchG verfolge auch das Bundeserziehungsgeldgesetz. Berücksichtige man dies, so ergebe sich, daß die aus öffentlichen Mitteln aufgebrachten Leistungen für Mutterschaftsgeld und Erziehungsgeld ein Vielfaches der Aufwendungen der Arbeitgeber für Entgeltfortzahlung während der Schutzfristen betrügen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.335,72 DM (netto) nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Dezember 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält § 14 Abs. 1 MuSchG für verfassungswidrig. Sie hat dazu vorgetragen: Art. 6 Abs. 4 GG verpflichte die Gemeinschaft und nicht den Arbeitgeber zum Schutz und zur Fürsorge für die Mutter. Die Belastung des Arbeitgebers dürfe nur maßvoll und verhältnismäßig sein. Das sei aber nicht mehr der Fall. Denn der Arbeitgeber habe durch die Steigerung der Arbeitslöhne den größten Teil der für den Mutterschutz zu erbringenden Leistungen aufzubringen, während das Mutterschaftsgeld unverändert 25,00 DM pro Kalendertag betrage. Eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Erziehungsgeldes sei nicht statthaft. Es handele sich um unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichen Zwecken. Die derzeitige Belastung führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Arbeitgebern (Art. 3 Abs. 1 GG), verletze das Grundrecht der Arbeitgeber auf Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) sowie die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG). Die Arbeitgeber würden durch die höher gewordenen Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld im Ergebnis mit einer Sonderabgabe belegt. Sie könnten sich diesen Leistungen auch nicht entziehen, weil sie Frauen bei der Besetzung von Arbeitsplätzen nicht mehr benachteiligten dürften. Die Erwerbstätigkeit von Frauen habe generell zugenommen und die Vergütung sei deutlich angestiegen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Der Senat hält diese Vorschrift in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen für verfassungsgemäß.

I. Das Bundesverfassungsgericht hat 1974 entschieden, daß § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfGE 37, 121 = AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG 1968). Durch Beschluß vom 3. Juli 1985 (BVerfGE 70, 242) hat das Bundesverfassungsgericht eine Vorlage des Arbeitsgerichts Lübeck wegen (erneuter) verfassungs-rechtlicher Prüfung des § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG für unzulässig erklärt.

Auch der erkennende Senat ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß § 14 MuSchG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BAGE 46, 174; 52, 177; 53, 217; 54, 361; 56, 191; 58, 326 = AP Nr. 2, 3, 5 – 8 zu § 14 MuSchG 1968; Urteile vom 7. März 1990 – 5 AZR 130/89 –, vom 18. September 1991 – 5 AZR 581/90 – und vom 6. Juni 1994 – 5 AZR 501/93 – AP Nr. 9, 10, 11 zu § 14 MuSchG 1968).

II. Der Senat sieht sich infolge veränderter Umstände nicht an einer erneuten Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG gehindert. Er bleibt aber bei seiner Auffassung, daß diese Bestimmung mit dem Grundgesetz vereinbar ist (ebenso Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 7. Aufl., § 14 Rz 6; Knorr, DB 1987, 381 und wohl auch Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, Stand April 1995, § 14 MuSchG, Rz 3; zweifelnd dagegen Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 14 Rz 10 und Nachtrag § 14 zu Rz 10; Heilmann, MuSchG, 2. Aufl., § 14 Rz 2; und wohl auch Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 4. Aufl., Einl. Rz 29 f.). Das gilt insbesondere für den hier streitigen Anspruchszeitraum (25. September 1991 bis 2. Januar 1992). Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit hat der Senat berücksichtigt, daß der Arbeitgeber Frauen nicht wegen des Geschlechts benachteiligen darf (§ 611a, § 612 Abs. 3 BGB), die Beschäftigung von Frauen also nicht auf “freiem Entschluß” (BVerfGE 37, 121, 130) beruhen muß.

1. Art. 6 Abs. 4 GG ist nicht verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 23. April 1974 (aaO) ausgeführt hat, schützt diese Verfassungsnorm die Mutter und nicht den Arbeitgeber. § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG verstößt auch nicht deswegen gegen Art. 6 Abs. 4 GG, weil der Entgeltschutz der Mutter während der Schutzfristen zum Teil auf Kosten des Arbeitgebers gewährleistet wird. Die Kosten des Mutterschutzes brauchen von Verfassungs wegen nicht ausschließlich vom Staat getragen zu werden. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut wie aus der Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 4 GG. Diese Vorschrift hindert den Gesetzgeber also nicht daran, die finanziellen Lasten des Mutterschutzes auf mehrere der in Betracht kommenden Kostenträger (Staat, gesetzliche Krankenversicherungen, Arbeitgeber) zu verteilen.

2. § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG verstößt auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

a) Die Berufsausübung der Arbeitgeber ist dadurch berührt, daß ihnen durch § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG finanzielle Lasten aufgebürdet werden. Dieser Eingriff ist nur insoweit mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, als er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Der Grundrechtsschutz aus Art. 12 Abs. 1 GG schließt die Abwehr übermäßig belastender und nicht zumutbarer gesetzlicher Auflagen ein (BVerfGE 77, 308, 334).

Gesetzliche Regelungen der Berufsausübung sind statthaft und bleiben im Rahmen der dem Gesetzgeber durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG eingeräumten Regelungsbefugnis, wenn sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet und auch erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird (vgl. BVerfGE 68, 155, 171; 71, 183, 196; 72, 26, 31; 77, 308, 332; 81, 156, 188). Das Grundgesetz läßt dem Gesetzgeber im Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen ein erhebliches Maß an Freiheit (grundlegend BVerfGE 7, 377, 405) und räumt ihm bei der Festlegung der zu verfolgenden arbeits- und sozialpolitischen Ziele eine ebenso weite Gestaltungsfreiheit wie bei der Bestimmung wirtschaftspolitischer Ziele ein (vgl. BVerfGE 37, 1, 21; 39, 210, 225; 46, 246, 257; 51, 193, 208). Der Gesetzgeber darf dabei Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen (vgl. BVerfGE 7, 377, 406). Seine Gestaltungsfreiheit ist in den Fällen noch größer, in denen die Regelung – wie hier – keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter hat (vgl. BVerfGE 46, 120, 145; 57, 139, 158; 77, 308, 332; 81, 156, 189).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze gilt folgendes:

aa) Die den Arbeitgebern durch § 14 Abs. 1 MuSchG auferlegte Pflicht, an Frauen während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt einen Teil des Entgelts fortzuzahlen, ist durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Der gesetzliche Mutterschutz hat die Aufgabe, die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter und das werdende Kind vor Gefahren, Überforderung und Gesundheitsschädigung am Arbeitsplatz, vor finanziellen Einbußen und vor dem Verlust des Arbeitsplatzes während der Schwangerschaft und einige Zeit nach der Entbindung zu schützen. Damit die Arbeitnehmerin in der Lage ist, den Mutterschutz in Anspruch zu nehmen, wird sie u.a. durch die Zahlung des Mutterschaftsgeldes (§ 13 MuSchG, § 200 RVO) und des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 MuSchG) finanziell abgesichert (BVerfGE 70, 242, 243). Für die Mutter soll jeder Anreiz entfallen, entgegen den gesetzlichen Verboten die Arbeit zu ihrem oder des Kindes Schaden fortzusetzen (BAGE 52, 177, 179 = AP Nr. 3 zu § 14 MuSchG 1968, zu II 1 der Gründe).

Damit trägt das Mutterschutzgesetz dazu bei, das Verfassungsgebot des Art. 6 Abs. 4 GG zu verwirklichen. § 14 Abs. 1 MuSchG dient also besonders wichtigen Gemeinschaftsgütern. Die Entgeltfortzahlungspflicht des § 14 Abs. 1 MuSchG ist auch zur Erreichung des mit dem Gesetz verfolgten Zweckes geeignet und erforderlich (vgl. BVerfGE 77, 308, 332 = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG; BVerfGE 85, 226, 234 = AP Nr. 1 zu § 1 SonderUrlG Hessen).

bb) Bei der erforderlichen Gesamtabwägung ist die verfassungsrechtliche Prüfung der Zumutbarkeit nicht isoliert auf § 14 Abs. 1 MuSchG zur richten. Vielmehr muß das gesamte Normengefüge wegen des sachlichen Zusammenhangs in die verfassungsrechtliche Beurteilung einbezogen werden (BVerfGE 72, 330, 407; 81, 156, 194). Deshalb sind nicht nur Mutterschaftsgeld (§ 13 Abs. 1 MuSchG, § 200 RVO) und Zuschuß zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 MuSchG) gegenüberzustellen; vielmehr sind auf Arbeitgeberseite auch die sich aus § 11 Abs. 1 MuSchG ergebenden Pflichten zur Zahlung von Mutterschaftslohn und die Beschäftigungsverbote in die Betrachtung einzubeziehen.

Mit dem Arbeitsgericht und entgegen dem Landesarbeitsgericht ist der Senat der Auffassung, daß andererseits auch die Aufwendungen des Bundes für Erziehungsgeld mit zu berücksichtigen sind (ebenso Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 7. Aufl., § 14 Rz 6; zweifelnd Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand November 1994, § 14 Rz 1). In diesem Sinne hat sich der Senat bereits 1983 gegenüber dem Bundesverfassungsgericht geäußert (vgl. BVerfGE 70, 242, 247 f.). Dafür spricht der enge Zusammenhang zwischen der Entgeltsicherung der Mütter bei Schwangerschaft und kurz nach der Geburt einerseits und die sich meist daran anschließende Zahlung von Erziehungsgeld an Mütter und Väter andererseits. Art. 6 Abs. 4 GG enthält einen für den gesamten Bereich des privaten und öffentlichen Rechts verbindlichen Schutzauftrag, der sich auf Mütter und schwangere Frauen erstreckt. Diesem Auftrag entspricht es, Mutterschaft und Kinderbetreuung als eine Leistung zu betrachten, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt (BVerfGE 88, 203, 258 f.). Das Erziehungsgeld kommt aber in erheblichem Maße Müttern zugute, die abhängig beschäftigt, also Arbeitnehmerinnen sind. Das Erziehungsgeld wird nahezu ausschließlich von Müttern in Anspruch genommen. Der Anteil der Väter lag in den Jahren 1986 bis 1988 jeweils bei 1,4 % (Bericht der Bundesregierung über die in den Jahren 1986 – 1988 gemachten Erfahrungen mit dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, BT-Drucks. 11/8517, S. 6). Von sämtlichen Erziehungsgeldempfängern 1987 und 1988 waren “abhängig Beschäftigte” Frauen, also Arbeitnehmerinnen, jeweils etwas mehr als 44 % (BT-Drucks. 11/8517, S. 7 f.). Für eine wesentliche Änderung der Prozentsätze im Anspruchszeitraum gibt es keine Anhaltspunkte.

cc) Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe wird die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt. Zwar ist die Gesamtbelastung der Arbeitgeber durch ihre Verpflichtungen aus § 14 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 MuSchG in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Gestiegen sind jedoch auch die Aufwendungen des Bundes und der Krankenkassen für Ehe und Familie. Zudem geht es um den Schutz wichtiger Rechtsgüter.

Die Belastungen der Arbeitgeber aufgrund der §§ 14 Abs. 1 und 11 Abs. 1 MuSchG wurden in früheren Sozialberichten der Bundesregierung jeweils zusammen unter der Rubrik “Entgeltfortzahlung bei Mutterschaft” ausgewiesen, die der Krankenkassen und des Bundes zunächst zusammen unter dem Stichwort “Mutterschaftsgeld, Mutterschaftsurlaub” und dann getrennt unter den Stichworten “Mutterschaftsgeld” und “Erziehungsgeld”.

Im einzelnen haben sich die Belastungen in den Jahren ab 1980 wie folgt entwickelt (Sozialbericht 1986, BT-Drucks. 10/5810, S. 105; Sozialbericht 1990, BT-Drucks. 11/7527, S. 136):

Mio. DM

1980: 

Entgeltfortzahlung

640

Mutterschaftsgeld, Mutterschaftsurlaub

1668

1985:

Entgeltfortzahlung

900

Mutterschaftsgeld, Mutterschaftsurlaub

1329

1990:

Entgeltfortzahlung bei Mutterschaft

1160

Mutterschaftsgeld

946

Erziehungsgeld

4500

Wie hoch die Belastungen in den Folgejahren waren, ergibt sich aus dem Sozialbericht 1993 (BT-Drucks. 12/7130, S. 181) nicht. Dort sind die Aufwendungen der Krankenkassen für Mutterschaftsgeld und diejenigen der Arbeitgeber nicht mehr getrennt, sondern nur noch gemeinsam unter dem Stichwort “Entgeltfortzahlung bei Mutterschaft und Mutterschaftsgeld” erfaßt und für 1991 mit 3,17 Milliarden DM ausgewiesen.

Bezogen auf die Gesamtbruttolohnsumme belaufen sich die Aufwendungen der Arbeitgeber nach den §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG auf etwa 0,15 %. Dieser Wert ergibt sich, wenn man von den Umlagesätzen (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 LFZG) ausgeht, die die Krankenkassen zur Finanzierung der Erstattungsansprüche im Umlageverfahren nach den §§ 10 ff. LFZG bestimmen. Bei der AOK Hessen betrug der Umlagesatz 1991 0,1 % der Gesamtbruttolohnsumme und der Erstattungssatz 70 %; d.h. die betreffenden Arbeitgeber erhielten 70 % ihrer Leistungen nach den §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG erstattet. Aufgrund dieser Werte läßt sich die Gesamtbelastung der Arbeitgeber auf etwa 0,15 % der Gesamtbruttolohnsumme schätzen.

Der Senat geht davon aus, daß die den Arbeitgebern durch die §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG auferlegten Lasten erheblich größer sind als die sich aus den Bildungsurlaubsgesetzen der Länder ergebenden, die das Bundesverfassungsgericht als zumutbar angesehen hat (BVerfGE 77, 308, 334 = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG, zu C II 2b der Gründe). Entscheidend ist jedoch ein Vergleich der Belastungen der Arbeitgeber durch § 14 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 MuSchG einerseits und der Belastungen des Bundes und der gesetzlichen Krankenkassen durch Zahlung von Mutterschaftsgeld und Erziehungsgeld, soweit sie Arbeitnehmerinnen gewährt werden, andererseits. Dabei ergibt sich, daß letztere mehr als doppelt so hoch wie die der Arbeitgeber sind.

Weiter ist zu berücksichtigen, daß es bei der Entgeltsicherung der Frauen nach den genannten Vorschriften um weit höherwertige Rechtsgüter geht als bei der Entgeltfortzahlung nach den Bildungsurlaubsgesetzen der Länder, nämlich um die Gesundheit von Mutter und Kind (vgl. Schmatz/Fischwasser, aaO, § 14 MuSchG Rz 3). Darauf hat bereits das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen.

Es besteht auch eine Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zum Zweck der Regelung (BVerfGE 77, 308, 337 = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG, zu C III 2 der Gründe; BVerfGE 85, 226, 236 = AP Nr. 1 zu § 1 SonderUrlG Hessen, zu C I 2c bb der Gründe), was die Revision nicht in Abrede stellt. Sie besteht darin, daß der Arbeitgeber zur Erreichung des Unternehmenszwecks der Mitwirkung seiner Arbeitnehmerinnen bedarf und diese andererseits zur Existenzsicherung ihre Arbeitskraft einsetzen müssen und ohne Entgeltfortzahlung die Gesundheit von Mutter und Kind gefährdet sein könnte. Weiter kann nicht außer Betracht bleiben, daß die Gesundheit der Mütter, soweit sie Arbeitnehmerinnen sind, auch den Arbeitgebern zugute kommt.

dd) § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil mittlere und größere Arbeitgeber wie die Beklagte nicht in das Umlageverfahren nach den §§ 10 ff. LFZG einbezogen sind.

In seinen Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht die Bestimmungen des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes zur Entgeltfortzahlung der Arbeitgeber bei Zusatzurlaub pädagogischer Mitarbeiter und des Hessischen Gesetzes über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit für verfassungswidrig erklärt hat, hat es die finanzielle Belastung des einzelnen Arbeitgebers als einen gegen die Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG sprechenden maßgeblichen Umstand angesehen. Es hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, es könne gerechtfertigt sein, stattdessen den Arbeitgebern als Gesamtheit die Kosten der Entgeltfortzahlung aufzuerlegen (BVerfGE 77, 308, 337; 85, 226, 237 = AP, aaO).

Ein Umlageverfahren zur Verhinderung besonderer Belastungen einzelner Arbeitgeber ist nur sinnvoll, wenn die Arbeitgeber in sehr unterschiedlichem Umfang auf Entgeltfortzahlung in Anspruch genommen werden. Diese Voraussetzungen lagen in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen (BVerfGE 77, 308, 337; 85, 226, 237 = AP, aaO) vor. Im Bereich der Leistungen nach den §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG ist dies nur bei kleineren Arbeitgebern der Fall. Für diese hat der Gesetzgeber ein Umlageverfahren eingeführt. Nach § 10 Abs. 1 LFZG haben Arbeitgeber mit i.d.R. nicht mehr als 20 Arbeitnehmern Anspruch auf Erstattung von 80 % der Aufwendungen nach den §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG. Dabei können die Krankenkassen allerdings die Höhe der Erstattungsbeträge beschränken, was in der Praxis auch häufig geschieht (BR-Drucks. 497/95, S. 26), und Arbeitgeber mit bis zu 30 Arbeitnehmern in das Umlageverfahren einbeziehen (§ 16 Abs. 2 Nr. 1, 4 LFZG). Dadurch halten sich die Belastungen der kleineren Arbeitgeber entgegen der Auffassung der Revision in überschaubaren Grenzen. Größeren und mittleren Arbeitgebern mit etwa gleich vielen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern wie der Beklagten brächte das Umlageverfahren dagegen zumindest auf mittlere Sicht keine Vorteile, da sich dadurch an der finanziellen Gesamtbelastung des einzelnen Arbeitgebers nichts wesentliches ändern würde. Etwas anderes hat auch die Beklagte nicht vorgetragen.

Ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, auch Arbeitgeber mit mehr als 20 Arbeitnehmern in das Umlageverfahren einzubeziehen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Jedenfalls ist der Gesetzgeber nach Auffassung des Senats nicht verpflichtet, für Arbeitgeber mit etwa 100 Arbeitnehmern wie die Beklagte ein Umlageverfahren einzurichten.

3. § 14 Abs. 1 MuSchG führt auch nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Arbeitgebern (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) läßt dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten von Personen entsprechend dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Es genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gleichheitssatzes, wenn die vom Gesetzgeber gewählte Differenzierung auf sachgerechten Erwägungen beruht (BVerfGE 74, 182, 200; 77, 308, 338). Das ist hier der Fall.

Allerdings müssen Arbeitgeber mit einem hohen Anteil von Frauen unter ihren Beschäftigten häufiger den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zahlen als Arbeitgeber, die überwiegend Männer beschäftigen. Ferner sind Arbeitgeber, die überdurchschnittlich viele höher entlohnte Frauen beschäftigen, schlechter gestellt als Arbeitgeber mit großenteils geringer bezahlten Arbeitnehmerinnen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1974 entschieden, daß diese Ungleichbehandlung nicht unsachlich oder willkürlich ist. Es hat dies u.a. mit der Begründung verneint, der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, daß die miteinander in wirtschaftlichem Wettbewerb stehenden Unternehmen im allgemeinen die gleiche Beschäftigungsstruktur aufwiesen (BVerfGE 37, 121, 131). An dieser Bewertung hat sich – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt – bis heute nichts geändert. Dadurch, daß sich die Gesamtbelastung der Arbeitgeber erheblich erhöht hat, hat sich das Verhältnis der miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen nicht verändert.

Die Auferlegung von Zahlungspflichten durch § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG stellt auch keine verfassungsrechtlich unzulässige Sonderabgabe dar. Geldleistungspflichten gegenüber dem Staat werden nicht begründet; ein zweckgebundenes Sondervermögen wird nicht gebildet. Die auf Dauer angelegten gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflichten bestehen nur im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es geht nicht darum, Einnahmen für öffentliche Haushalte zu erzielen; die für eine Sonderabgabe typischen Zwecke des Ausgleichs oder der Verhaltenslenkung sollen hier nicht erfüllt werden. Bei der gesetzlichen Gestaltung arbeitsvertraglicher Beziehungen können deshalb die abgabenrechtlichen Grundsätze nicht zum Tragen kommen (BVerfGE 55, 274, 304 ff.; 75, 108, 147 f.; 77, 308, 339). Darin liegt auch kein gesetzgeberischer Formenmißbrauch zur Umgehung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Sonderabgabe.

4. Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Sein Schutzbereich ist nicht berührt. Er wird hier von Art. 12 Abs. 1 GG als dem sachnäheren Grundrecht verdrängt. Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Erworbene, die Ergebnisse geleisteter Arbeit, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst. Greift ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungsfähigkeit ein, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt; begrenzt er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, so kommt der Schutz des Art. 14 GG in Betracht (BVerfGE 30, 292, 334 f.; 81, 70, 96; 84, 133, 157; 88, 366, 377). Hier geht es in erster Linie um die Beschränkung der Erwerbstätigkeit des Arbeitgebers und nicht um die Verwendung vorhandener Vermögensgüter.

Im übrigen wird das Vermögen als solches vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten durch Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht geschützt (BVerfGE 65, 196, 209; 70, 219, 230; 77, 308, 339). Die Gesamtbelastung der Arbeitgeber aus den §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG ist zwar beträchtlich. Nach dem Sozialbericht der Bundesregierung belief sie sich 1990 auf 1.160 Millionen DM (BT-Drucks. 11/7527, S. 136). Sie beträgt etwa 0,15 % der für alle Arbeitnehmer aufgewandten Bruttolohnsumme (vgl. oben). Gleichwohl ist diese Belastung des Arbeitgebers nach Auffassung des Senats noch nicht übermäßig und beeinträchtigt die Vermögensverhältnisse der Arbeitgeber nicht grundlegend (BVerfGE 77, 308, 339 f.).

III. Der Senat verkennt nicht, daß die Belastungen der Arbeitgeber durch die §§ 11 Abs. 1, 14 Abs. 1 MuSchG und andere Arbeitnehmerschutzgesetze im Laufe der Zeit sowohl absolut als auch relativ, d.h. bezogen auf die Bruttogehaltssummen, erheblich gestiegen sind und eine Begrenzung oder Senkung aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein könnte. Für bedenklich hält der Senat auch, daß sich das Verhältnis zwischen Mutterschaftsgeld einerseits und dem von den Arbeitgebern zu zahlenden Zuschuß zum Mutterschaftsgeld immer mehr zu Lasten der Arbeitgeber verschiebt, ohne daß sich an der Gesetzeslage etwas ändert. Es ist weiter nicht zu übersehen, daß sich die Chancen jüngerer Frauen auf dem Arbeitsmarkt infolge wachsender finanzieller Belastungen der Arbeitgeber bei Schwangerschaft und Mutterschaft tendenziell verschlechtern (vgl. bereits BVerfGE 37, 121, 126). Benachteilungsverbote wie die der §§ 611a, 612 Abs. 3 BGB sind nur begrenzt wirksam. Es ist aber nicht Sache des Gerichts, die vom Gesetzgeber geschaffene Regelung daraufhin zu überprüfen, ob er im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechtete Lösung gefunden hat. Es besteht nicht die Möglichkeit, Gesetze unter dem Gesichtspunkt “allgemeiner Gerechtigkeit” zu prüfen. Vielmehr geht es nur darum, ob der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seines Ermessensbereichs überschritten hat (BVerfGE 3, 162, 182; 65, 141, 148; 81, 108, 117 f.; 84, 348, 359). Das ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall.

IV. Da § 14 Abs. 1 MuSchG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, stellt sich nicht die Frage, ob die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit einer erneuten Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG aufgestellt hat (BVerfGE 70, 242), hier erfüllt sind.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Glaubitz, Kähler

 

Fundstellen

Haufe-Index 872278

BAGE, 222

BB 1996, 436

NJW 1996, 2326

NZA 1996, 377

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