Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz zu Vorlagebeschluß

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Vorlagebeschluß ist, jedenfalls soweit er Rechtssätze zu den Fragen aufstellt, die der Große Senat beantworten soll, keine divergenzfähige Entscheidung.

 

Normenkette

ZPO § 97; ArbGG § 72 Fassung: 1979-07-02, § 45 Fassung: 1979-07-02, § 72a Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 05.03.1986; Aktenzeichen 7 (6) (3) Sa 58/84)

ArbG Husum (Entscheidung vom 14.12.1983; Aktenzeichen 2 Ca 962/83)

 

Gründe

I. Der Kläger ist bei dem Beklagten als Geselle im Heizungsbau beschäftigt. Im März 1980 hatte er im Spitzboden eines reetgedeckten Hauses eine Heizung zu verlegen. Durch die Schweißarbeiten des Klägers geriet das Haus in Brand und wurde völlig zerstört. Die Hausratsversicherung einer Bewohnerin nahm den Kläger im Wege des Rückgriffs in Anspruch. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Flensburg vom 7. Oktober 1983 - 3 O 87/83 - wurde der Kläger verurteilt, an die Versicherung 12.784,16 DM zu zahlen. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger von dem Beklagten Freistellung von dieser Verpflichtung und von den im Rechtsstreit vor dem Landgericht entstandenen Kosten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, die dieser auf Divergenz stützt.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlichen Form eingelegt wurde (§ 72 a Abs. 3 Satz 2 ArbGG 1979).

1. Um eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz ordnungsgemäß zu begründen, muß der Beschwerdeführer darlegen, daß das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG 1979 genannten Gerichte abweicht. Dazu gehört, daß der Beschwerdeführer im einzelnen ausführt, welche divergierenden, abstrakten Rechtssätze das anzufechtende wie das angezogene Urteil aufgestellt haben und daß jedenfalls das anzufechtende Urteil auf dem abweichenden abstrakten Rechtssatz beruht (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. statt aller: BAG 32, 136 = AP Nr. 1 zu § 72 a ArbGG 1979; BAG 41, 188 = AP Nr. 11 zu § 72 a ArbGG 1979 Divergenz).

2. Diesen gesetzlichen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Soweit der Kläger eine Abweichung vom Beschluß des Dritten Senats vom 12. Februar 1985 - 3 AZR 487/80 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) rügt, fehlt es an einer divergenzfähigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts; soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die anzufechtende Entscheidung weiche vom Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 1983 - 7 AZR 488/80 - (BAG 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) ab, hat er einen abweichenden Rechtssatz der angezogenen Entscheidung nicht dargetan.

a) Der Kläger macht geltend, das Landesarbeitsgericht habe ihm in der anzufechtenden Entscheidung Haftungserleichterungen mit der Begründung verweigert, die Tätigkeit, die zu dem Schaden geführt habe, sei keine gefahrgeneigte Arbeit gewesen. Demgegenüber habe das Bundesarbeitsgericht im Beschluß vom 12. Februar 1985 den Rechtssatz aufgestellt, haftungsbeschränkende Grundsätze müßten allgemein für alle betrieblichen Tätigkeiten eines Arbeitnehmers gelten, ohne Rücksicht darauf, ob diese gefahrgeneigt seien, zumindest aber müßten die Haftungsgrundsätze der gefahrgeneigten Arbeit schon dann gelten, wenn eine Tätigkeit, wie im vorliegenden Fall, mit einem unverhältnismäßig hohen Schadensrisiko verbunden sei. Dadurch hat der Kläger die Voraussetzungen einer Divergenz nicht dargetan. Der Vorlagebeschluß ist, soweit er sich zu den Rechtsfragen verhält, über die der Große Senat entscheiden soll, keine divergenzfähige Entscheidung im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG 1979.

(1) Die Zulassung der Revision bzw. der Rechtsbeschwerde wegen Divergenz dient der Wahrung der Rechtseinheit. Diese ist gefährdet, wenn die in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG 1979 genannten Gerichte ihren Entscheidungen in einer Rechtsfrage unterschiedliche Rechtssätze zugrunde legen. Das folgt daraus, daß die Rechtssätze, die diese Gerichte aufstellen, eine Leitbildfunktion für die Rechtsprechung entfalten. Mit ihnen müssen sich Gerichte, die später in der gleichen Rechtsfrage zu entscheiden haben, auseinandersetzen. Die Leitbildfunktion kommt dem ausgesprochenen Rechtssatz unabhängig davon zu, ob er zur Entscheidung eben dieser Rechtsfrage ausgesprochen worden ist oder ob er nur Teil der Begründung der Entscheidung zu einer anderen Rechtsfrage ist. Wesentlich ist nur, daß das entscheidende Gericht zum Ausdruck bringt, daß es die Beantwortung dieser Rechtsfrage für erforderlich hält und auf diese eine Antwort gibt (vgl. BAG Beschluß vom 17. Februar 1981 - 1 ABN 25/80 - AP Nr. 7 zu § 72 a ArbGG 1979 Divergenz). An diesem, für die Leitbildfunktion notwendigen Entscheidungsinhalt fehlt es beim Vorlagebeschluß. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der vorlegende Senat in ihm zu den Rechtsfragen Stellung nimmt, zu denen die Entscheidung des Großen Senats erbeten wird.

(2) In beiden Fällen des § 45 Abs. 2 ArbGG legt der Senat die Rechtsfrage, in der er von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will (§ 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) oder die Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist (§ 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG), dem Großen Senat zur Entscheidung vor. Demgemäß bestimmt § 7 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesarbeitsgerichts in der vom Bundesrat am 26. Oktober 1984 genehmigten Fassung, daß in den Fällen des § 45 Abs. 2 ArbGG der vorlegende Senat die zu entscheidenden Rechtsfragen in einem Beschluß festzustellen hat. In dem Beschluß des vorlegenden Senats sind somit nur Fragen zu stellen. Rechtsausführungen, die dieser Senat zur Erläuterung seiner Fragen macht, können somit, auch wenn sie in ihrer Tendenz eindeutig sind, nicht als Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen angesehen werden, jedenfalls nicht im Sinne künftiger Präjudizwirkung und Leitbildfunktion für die Rechtsprechung. Ihr Zweck erschöpft sich darin, die Entscheidung des Großen Senats vorzubereiten, die ihrerseits künftig richtungweisend werden soll. Würde man anders entscheiden, so verlöre die bisherige Rechtsprechung, von der der vorlegende Senat abweichen will (§ 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) oder die fortgebildet oder vereinheitlicht werden soll (§ 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG), ihre Divergenzfähigkeit. Dies wäre unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit unerträglich, weil die Divergenzlage sich je nach dem Ergebnis der Entscheidung des Großen Senats erneut ändern könnte.

Dem entspricht, daß auch im Fall der Vorlage wegen Divergenz keine Sperrwirkung für die anderen Senate eintritt; solange der Große Senat noch nicht entschieden hat, ist ein anderer Senat nicht gehindert, die Rechtsfrage im Sinne der vorliegenden (ersten) Entscheidung zu behandeln (vgl. für den Fall der Divergenzvorlage nach § 136 GVG: Kissel, GVG, § 136 Rz 16; für den Vorlegungsbeschluß eines obersten Gerichtshofs des Bundes nach § 11 Abs. 1 RsprEinhG: BVerwG Urteil vom 10. Oktober 1975 - VII C 51/74 - NJW 1976, 1420). Auch dies spricht gegen die Auffassung des Klägers, der Beschluß des Dritten Senats vom 12. Februar 1985 sei divergenzfähig.

Die vom Kläger wiedergegebenen Rechtsausführungen in diesem Beschluß haben somit, soweit sie der bisherigen Rechtsprechung zur Haftung des Arbeitnehmers entgegenstehen, die bis dahin bestehende Divergenzlage nicht verändert.

(3) Keiner Stellungnahme bedarf es zu der Frage, ob ein Vorlagebeschluß divergenzfähig ist, soweit er Rechtssätze enthält, die die Vorlagefragen nicht betreffen, oder ob in diesem Fall entscheidend ist, daß es sich bei ihm nur um eine Zwischenentscheidung in einem laufenden Rechtsstreit handelt. Die Rüge des Klägers betrifft die Rechtsfragen, über die der Große Senat entscheiden soll.

b) Soweit der Kläger geltend macht, die anzufechtende Entscheidung weiche von dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 1983 - 7 AZR 488/80 - (BAG 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) ab, ist die Nichtzulassungsbeschwerde deshalb unzulässig, weil der Kläger keine divergierenden Rechtssätze der angezogenen Entscheidung dargelegt hat. Diese geht ebenso wie das anzufechtende Urteil davon aus, daß Haftungserleichterungen zugunsten des Arbeitnehmers nur bei gefahrgeneigter Arbeit in Betracht kommen. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in der angezogenen Entscheidung Erwägungen darüber angestellt, ob daran festzuhalten ist, daß die betriebliche Tätigkeit, bei der der Arbeitnehmer den Schaden verursacht hat, gefahrgeneigt sein muß. Es hat diese Frage aber ausdrücklich unbeantwortet gelassen, weil es im Entscheidungsfall auf sie nicht ankam. Da der Arbeitnehmer eine gefahrgeneigte Tätigkeit ausgeübt hatte, war eine Stellungnahme des Siebten Senats zu der Frage, ob auch bei anderen betrieblichen Tätigkeiten Haftungserleichterungen Platz greifen, nicht veranlaßt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

 

Fundstellen

BAGE 52, 394-398 (LT)

BAGE, 394

RdA 1986, 408

AP § 72a ArbGG 1979 Divergenz (LT1), Nr 18

EzA § 72a ArbGG 1979, Nr 48 (LT)

MDR 1987, 168-168 (LT1)

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