Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsbeschwerde. Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage

 

Leitsatz (amtlich)

Eine zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG zur nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG ist nicht statthaft (Bestätigung vom BAG, 20.08.2002, 2 AZB 16/02, BAGE 102, 213).

 

Normenkette

KSchG § 5; ZPO § 574; ArbGG § 78

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Beschluss vom 13.07.2005; Aktenzeichen 10 Ta 409/05)

 

Tenor

 

Tatbestand

I. Mit Eingang beim Arbeitsgericht Hildesheim am 4. April 2005 erhob die Klägerin, verbunden mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung, Kündigungsschutzklage gegen eine schriftliche Kündigung, die sie am 16. Februar 2005 erhalten hatte. In einem Besprechungstermin am 1. März 2005 hatte die Klägerin zunächst einen anderen Rechtsanwalt beauftragt, Kündigungsschutzklage einzureichen. Nach telefonischer Rückfrage informierte sie dieser am 21. März 2005, dass er nicht Klage erhoben habe.

Nach mündlicher Verhandlung wies das Arbeitsgericht Hildesheim mit Beschluss vom 21. Juni 2005 den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurück. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen durch Beschluss vom 13. Juli 2005 (– 10 Ta 409/05 –) zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, die die Klägerin mit Eingang beim Bundesarbeitsgericht am 26. Juli 2005 eingelegt hat.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerde iSv. § 574 ZPO, § 78 Satz 2 ArbGG gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist unzulässig.

1. Zwar hat das Ländesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zugelassen, weil es der Frage der Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) grundsätzliche Bedeutung beigemessen und zudem Divergenzen zu Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte gesehen hat (§ 78 Satz 2 ArbGG iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG). Für die Zulassung bestand jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine gesetzliche Grundlage, weswegen das Bundesarbeitsgericht an die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gebunden sein kann.

Ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann grundsätzlich nicht allein dadurch zulässig werden, dass die Vorinstanz das Rechtsmittel zulässt. Durch ein gesetzwidriges Verfahren wird ein weiteres Rechtsmittel nicht eröffnet (BAG 14. Oktober 1.982 – 2 AZR 570/80 – BAGE 41, 67, 72 mwN; BGH 1. Oktober 2002 – IX ZB 271/02 – NJW 2003, 70; vgl. auch Müller-Glöge in: Germelmann/Matches/Prüfting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 72 Rn. 40 und ErfK/Koch 5. Aufl. § 72 ArbGG Rn. 28).

2. Mit Beschluss vom 20. August 2002 (– 2 AZB 16/02 – BAGE 102, 213) hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass auch nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung des Beschwerderechts eine zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zur nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG nicht statthaft ist. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, das Verfahren der nachträglichen Klagezulassung kenne nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG nur als zweite Stufe die sofortige Beschwerde (SAG 25. Oktober 2001 – 2 AZR 340/00 – EzA KSchG § 5 Nr. 33; 14. Oktober 1982 – 2 AZR 570/80 – BAGE 41, 67, 71). Die Neueröffnung einer dritten Instanz im Verfahren der nachträglichen Zulassung gern. § 5 KSchG, die bislang in der gesetzgeberischen Konzeption nicht enthalten war, hätte in § 5 Abs. 4 KSchG selbst angeordnet werden müssen. Die zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Neuregelung des § 78 Satz 2 ArbGG iVm. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF eröffnet die Rechtsbeschwerde nicht auch für dieses Verfahren. Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber beabsichtigt, den Rechtsmittelzug für Nebenentscheidungen dem Hauptsacherechtsmittelzug anzupassen, z.B. auf dem Gebiet des Kostenrechts. Mit der zivilprozessualen Beschwerde, die der Gesetzgeber bei der ZPO-Reform regeln wollte, sei aber das Verfahren nach § 5 Abs. 4 KSchG nicht vergleichbar. Dieses diene dazu, gegebenenfalls die materiellrechtlichen Folgen der verspäteten Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu beseitigen. Zur Klärung der Frage, ob trotz Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG eine Kündigungsschutzklage ausnahmsweise dennoch zuzulassen sei, habe der Gesetzgeber seit jeher nur einen zweistufigen Instanzenzug zur Verfügung gestellt. Es handele sich um ein eigenständiges, vorgeschaltetes Verfahren, das zu einer Zwischenentscheidung – zunächst durch die Kammer des Arbeitsgerichts – führe, welches der Gesetzgeber gerade nicht den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung unterstellt habe und das dem besonderen Beschleunigungsgebot unterliege.

3. Dem schließt sich der nunmehr für die Rechtsbeschwerden zuständige Senat an. Die vom Landesarbeitsgericht und Teilen der Literatur (Schwab NZA 2002, 1378 ff.; Dietermann/Gaumann NJW 2003, 799 ff.; Löhnig/Althammer ZZP 2004, 217, 232 f.) dagegen erhobenen Einwende vermögen – auch in der Gesamtschau – nicht zu überzeugen.

a) Richtig ist grundsätzlich, dass § 78 ArbGG idF ab 1. Januar 2002 für das Beschwerderecht des arbeitsgerichtlichen Verfahrens auf die ebenfalls zum 1. Januar 2002 geänderten zivilprozessualen Vorschriften verweist. Danach ist gegen die im ersten Rechtszug. ergangenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte die fristgebundene sofortige Beschwerde zulässig, wenn dies entweder im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder es sich um eine Entscheidung handelt, durch die ein das Verfahren betreffen des Gesuch zurückgewiesen worden ist (§ 567 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde obliegt dem Landesarbeitsgericht (§ 78 Satz 3 ArbGG). Gegen dessen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (§ 78 Satz 3 2. Halbs. ArbGG) statthaft, wenn dies wiederum im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde in seinem Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 ZPO). Bereits aus diesem Wortlaut (Schwab NZA 2002, 1378) sowie der erkennbaren Intention des Gesetzgebers zur Rechtsvereinheitlichung folgert ein Teil der Literatur, dass im Verfahren der nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage auf die in § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG ausdrücklich bestimmte sofortige Beschwerde in der dritten Stufe die Rechtsbeschwerde nach den Regeln des § 574 Abs. 1 ZPO folgen müsse. Andere Auffassungen, so auch vorliegend das Landesarbeitsgericht, entnehmen zwar den Gesetzesmaterialien, dass die Neuregelung nur für der Zivilprozessordnung unterliegende Beschwerden gelten und die Rechtsvereinheitlichung im Bereich der Nebenentscheidungen ermöglichen soll (BT-Drucks. 14/4722 S. 68, 69). Das Verfahren der nachträglichen Klagezulassung unterliege dem Zivilprozessrecht. Soweit es nicht eine Nebenentscheidung, sondern eine Vorfrage der Hauptsache behandele, müsse “erst recht” im atypisch ausgestatteten Verfahren nach § 5 KSchG die Rechtsbeschwerde statthaft sein.

b) Diese Auffassung verkennt den besonderen Charakter des Verfahrens nach § 5 KSchG, wie ihn das Bundesarbeitsgericht bereits im Beschluss vom 20. August 2002 (– 2 AZB 16/02 – GAGE 102, 213, 216 f.) betont hat. Es handelt sich um ein Verfahren “sui generis”, das mit der zivilprozessualen Beschwerde, die der Gesetzgeber bei der ZPO-Reform regeln wollte, nicht vergleichbar ist. Der Beschluss zur Bescheidung der sofortigen Beschwerde. nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG wird weder nach den Vorschriften der ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand getroffen, noch betrifft er eine Nebenentscheidung des Arbeitsgerichts oder ein sonstiges, das Verfahren betreffende Gesuch. Es handelt sich nicht um einen Beschluss im Berufungsverfahren. § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist zu entnehmen, dass der Antrag auf nachträgliche Zulassung von der Klageerhebung ebenso zu unterscheiden wie er in einem abgesonderten Verfahren zu bescheiden ist (§ 5 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 KSchG). Es handelt sich also um ein eigenständiges, vorgeschaltetes, außerhalb eines Berufungsverfahrens stehendes Beschwerdeverfahren, mit dem geklärt wird, ob trotz Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG der Prozess ausnahmsweise doch noch zu einer Behandlung der materiellrechtlichen Fragestellungen führen kann.

Seit der Neufassung des § 4 KSchG zum 1. Januar 2004 durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (vom 24. Dezember 2003 BGBl. 1 S. 3002) wird über die Frage der Behandlung des materielirechtlichen Prozessstoffes im umfassenden Sinn entschieden.

Nicht im prozessrechtlichen, wohl aber im materielirechtlichen Sinn handelt es sich um eine Frage des Zugangs zum Gericht. Dieses, dem Zivilprozessrecht fremde Vorschaltverfahren hat der Gesetzgeber aus Gründen der Beschleunigung und des Vorrangs der Rechtsklarheit, der im Arbeitsleben besondere Bedeutung hat, bewusst nur zweizügig ausgestaltet, um nicht – im Falle eines erfolgreichen Zulassungsverfahrens – ein maximal sechsstufiges Kündigungsschutzverfahren in Kauf zu nehmen. Diese gesetzgeberische Gestaltungsentscheidung zu einem besonderen Verfahren blieb im Rahmen der Prozessrechtsänderungen zum 1. Januar 2002 unverändert. Jenseits der Frage, ob dies de lege ferenda zu begrüßen wäre, sieht sich der erkennende Senat daher gehindert, mit der Anwendung der Regeln des § 78 Satz 2 ArbGG, § 574 Abs. 1 ZPO für ein nicht mit der zivilprozessualen Beschwerde vergleichbares Vorverfahren ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel zu eröffnen. Auch die Gegenauffassung weist darauf hin, dass die Statthaftigkeit von Rechtsmitteln in unmittelbarer Verbindung zum Gebot des gesetzlichen Richters iSv. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht (Dietermann/Gaumann NJW 2003, 799, 801).

c) Ebenfalls nicht überzeugend ist der Hinweis, bei dem formalisierten Rechtsmittelrecht sei ausschließlich entscheidend, in welcher Form eine Entscheidung zu ergehen habe und § 5 Abs. 4 Satz 1 KSchG schreibe einen Beschluss der arbeitsgerichtlichen Kammer zwingend vor. Derartige Grundregeln werden mit plausiblen Erwägungen, etwa dem Gleichlauf von Revision und Rechtsbeschwerde, ständig modifiziert. Die Beantwortung der besonderen Fragen des Verfahrens nach § 5 KSchG kann auf sie gerade nicht gestützt werden.

d) Schließlich vermag das Argument nicht zu überzeugen, bei der Prozessreform zum 1. Januar 2002 habe der Gesetzgeber die “Anpassung” des § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG lediglich “versäumt”. Es gibt keine Hinweise, der Gesetzgeber habe mit der Beschwerderechtsänderung zum 1. Januar 2002 irgendetwas am besonderen Charakter des Vorverfahrens nach § 5 KSchG ändern wollen. Bleiben alle anderen, hinlänglich beschriebenen und als einer Kernmaterie des Kündigungsrechts im Gesetzgebungsverfahren wohl bekannten Besonderheiten des Verfahrens nach § 5 KSchG erhalten, so gibt es keinen Anlass zur Annahme, der Gesetzgeber habe ausgerechnet die Besonderheiten des Instanzenzuges zu Gunsten der allgemeinen zivilprozessualen Regelung aufgeben wollen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt mit Wirkung zum 1. Januar 2004 sowohl bei § 4, als auch bei § 5 KSchG Änderungen vorgenommen hat, § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG jedoch unverändert geblieben ist. Auch die Veränderungen im 3. Teil, 1. Abschnitt, 4. Unterabschnitt des Arbeitsgerichtsgesetzes durch das sogenannte “Anhörungsrügengesetz” mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Einfügung von § 78a ArbGG) waren kein Anlass, die Beschwerderegelung des § 78 ArbGG auf das Verfahren nach § 5 KSchG auszuweiten.

 

Unterschriften

Reinecke, Breinlinger, Zwanziger

 

Fundstellen

Haufe-Index 1489602

AnwBl 2006, 206

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