Das Wichtigste in Kürze:

1. Nach § 231c können, wenn die HV gegen mehrere Angeklagte stattfindet, ein Angeklagter und sein (notwendiger) Verteidiger von der Anwesenheit in der HV beurlaubt werden.
2. Die Beurlaubung erfolgt nur auf Antrag, über den das Gericht nach seinem Ermessen entscheidet.
3. Die Beurlaubung des Angeklagten kann nach § 231c S. 3 jederzeit widerrufen werden.
4. Hat die HV zu Teilen, die den Angeklagten wenigstens mittelbar betrafen, in Abwesenheit des Verteidigers oder des Angeklagten ohne Gerichtsbeschluss stattgefunden, liegt der Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 vor.
 

Rdn 976

 

Literaturhinweis:

Laue, Die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten, JA 2010, 294.

 

Rdn 977

1. Nach § 231c können, wenn die HV gegen mehrere Angeklagte stattfindet, ein Angeklagter und sein (notwendiger) Verteidiger von der Anwesenheit in der HV beurlaubt werden. Voraussetzung dafür ist, dass dieser Angeklagte von bestimmten Verhandlungsteilen nicht betroffen ist. Das ist der Fall, wenn gegen die Mitangeklagten auch unter Abtrennung des Verfahrens weiterverhandelt werden könnte (BGHSt 31, 323, 331; 32, 270, 273 f.; Beschl. v. 4.10.2018 – 3 StR 283/18, NStZ 2019, 144). Entscheidend dafür ist, dass ausgeschlossen werden kann, dass die während der Abwesenheit des Angeklagten behandelten Umstände auch nur mittelbar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe berühren (BGH NStZ 2009, 400; 2010, 289; 2012, 463; 2013, 666; Beschl. v. 4.10.2018 – 3 StR 283/18, NStZ 2019, 144). "Betroffen" von behandelten Umständen ist der Angeklagte z.B. aber auch, wenn der Verhandlungsteil, von dem er beurlaubt ist, nur für den Ausspruch über die Rechtsfolge von Bedeutung ist (BGH NStZ 2010, 289 [für ggf. mögliche ergänzende Feststellungen zu einem einzubeziehenden Urteil]). Ob dem Angeklagten und seinen Verteidigern durch ihr Fernbleiben weitere Verteidigungsmöglichkeiten entgangen sind, unterfällt, nicht dem "Betroffensein" i.S. des § 231c (Beschl. v. 4.10.2018 – 3 StR 283/18, NStZ 2019, 144). Wegen der revisionsrechtlichen Gefahren machen die Gerichte nur selten von der Möglichkeit der Beurlaubung Gebrauch.

Hinzuweisen ist auf folgende Rechtsprechungsbeispiele:

 

Rdn 978

 

für eine mögliche Beurlaubung

in Punktesachen war der zu beurlaubende Angeklagte an (weiteren) Taten der Mitangeklagten nicht beteiligt (BGHSt 32, 100; BGH NStZ 1996, 22 [K]; s.a. BGH StV 1988, 370 [ein Zeuge darf dann aber nicht in Abwesenheit des (teil-)beurlaubten Angeklagten entlassen werden]),
ebenfalls dann, wenn in Abwesenheit des beurlaubten Angeklagten nur Umstände erörtert oder Beweise erhoben werden, die für ihn weder im Schuld- noch im Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung sind, z.B. die Vernehmung eines Mitangeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen (BGHSt 31, 323, 330 ff.),
dann, wenn während der Beurlaubung die nur Mitangeklagte betreffenden Haftentscheidungen verkündet werden, weil diese auch außerhalb der HV verkündet werden können (BGH NStZ-RR 2011, 163 [Ci/Zi])
wenn dem Angeklagten und seinen Verteidigern durch ihr Fernbleiben nur weitere Verteidigungsmöglichkeiten entgehen (BGH, Beschl. v. 4.10.2018 – 3 StR 283/18, NStZ 2019, 144).
 

Rdn 979

 

für keine Beurlaubung

es werden auch den Angeklagten berührende Beweisanträge abgelehnt (BGH NStZ 2010, 289; 1990, 229 [M; Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit]),
es werden Beweise zu den gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfen erhoben (BGH StV 1984, 102),
i.d.R. bei einem einheitlichen Tatgeschehen (BGH NStZ 1983, 34),
das Plädoyer des Mitverteidigers bezieht sich auf ein einheitliches Tatgeschehen (BGH, a.a.O.),
es werden Zeugen vernommen bzw. sollen vernommen werden, die die Glaubwürdigkeit eines den Angeklagten belastenden Mitangeklagten stützen (BGH NStZ 1985, 205 [Pf/M]),
wenn Verwertungswidersprüche von Mitangeklagten entgegen genommen werden, wenn die als unverwertbar angesehenen Beweismittel auch Bedeutung für den beurlaubten Angeklagten gewinnen können (BGH NStZ 2012, 463 [für Inhalt einer TÜ, der die Einlassung des geständigen Angeklagten ggf. bestätigt und so ggf. Auswirkungen auf die Annahme von § 31 BtMG haben kann]).
 

Rdn 980

2.a) Die Beurlaubung erfolgt nur auf Antrag, über den das Gericht nach seinem – zurückhaltend auszuübenden (BGH, Beschl. v. 4.10.2018 – 3 StR 283/18, NStZ 2019, 144) – Ermessen entscheidet (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 231c Rn 14). Der Antrag bedarf keiner besonderen Form und kann in der HV mündlich gestellt werden. Inhaltlich muss er den Verhandlungsteil bezeichnen, von dem beurlaubt werden soll. Er kann für unterschiedliche HV-Teile wiederholt gestellt werden. Die Dauer der Freistellung ist im Gesetz nicht geregelt. Das Gericht kann also grds. unbegrenzt freistellen. Es ist an die Fristen des § 229 nicht gebunden (BGHSt 48, 52 m.w.N.).

 

☆ Der Beurlaubungsantrag bietet dem Verteidiger bei mehreren Angeklagten eine gute Möglichkeit , in Zweifelsfällen ggf. etwas über die rechtliche Beurteilung zu erfahren . Da die Beurlaubung nur zulässig ist, wenn der Angeklagte von ...

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