Rz. 94

Der Versicherer, der sich auf den Leistungsausschluss beruft hat die Beweislast für das Vorliegen des Ausschlusses[1]. Dem Versicherer obliegt die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die zur notwendigen Überzeugung des Gerichts den Schluss auf die innere Tatsache "Wissentlichkeit" im Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulassen.[2] Grundsätzlich ist festzustellen, dass der Deckungsausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung eine für den Versicherer günstige Rechtsfolge auslöst, weshalb der Versicherer für diesen für ihn günstigen Umstand hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale die Beweislast trägt. Der Versicherer muss den objektiven Verstoß der Pflicht, aber auch das Bewusstsein des Organmitglieds und dessen Kenntnis nachweisen. Ebenso die Pflichtwidrigkeit und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden.[3] Der Kernsatz lautet: Der Versicherer muss darlegen, wie sich die versicherte Person richtiger Weise hätte verhalten müssen und dass diese auch gewusst hat, dass sie sich so zu verhalten habe. Der BGH[4] hat zu folgendem Ausschluss:

„Ausgeschlossen von der Versicherung bleibt stets . . . die Haftpflicht:

  1. wegen Schadenstiftung durch ein gewußt gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten des Versicherten”

ausgeführt:

"Ein derartiger Pflichtverstoß lässt sich nur dadurch geltend machen, dass aufgezeigt wird, wie sich der Versicherte hätte verhalten müssen. Für einen bewussten Pflichtverstoß muss darüber hinaus dargelegt werden, der Versicherte habe gewusst, wie er sich hätte verhalten müssen. Wusste der Versicherte gar nicht, was er hätte tun oder unterlassen müssen, um dem Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens zu entgehen, so kommt ein bewusster Pflichtverstoß gem. § 5 Nr. 1 AVB nicht in Betracht. Oder umgekehrt ausgedrückt: Nur wer bewusst verbindliche Handlungs- (oder Unterlassungs-)anweisungen nicht beachtet hat, mit denen ihm ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben worden ist, muss sich den Risikoauschluss des § 5 Nr. 1 AVB entgegenhalten lassen."

 

Rz. 95

In Fällen in denen Verstöße gegen Primitivwissen, Kardinalpflichten bzw. elementare Berufspflichten begangen werden, ist fraglich, ob sich die Wissentlichkeit des Verhaltens nicht aufdrängt und deshalb eine Modifikation der Beweislastverteilung angezeigt ist, zumal der Versicherer die innere Seite, das heißt das Bewusstsein der Organperson nicht aus eigener Wahrnehmung kennen kann. So könnte man es genügen lassen, wenn der Versicherer im ersten Schritt nur Anknüpfungstatsachen vortragen muss, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Sodann, wenn dies geschehen sei, obliege es dem Versicherungsnehmer bzw. dem Versicherten im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen. In der Entscheidung des BGH[5] hat sich dieser mit einer Pflichtverletzung beschäftigt, die im Ergebnis nicht als berufliche Kardinalpflicht gewertet wurde. Versicherte Person war ein Insolvenzverwalter, dem vorgeworfen wurde, er habe wissentlich Leistungen für die Insolvenzmasse bestellt, die er nicht bezahlen können wird. Der BGH hat diese Pflicht nicht als Kardinalpflicht eingestuft. Das OLG Köln[6] hat mit der Frage beschäftigt, welche elementare Pflichten ein Geschäftsführer hat.[7] Das Gericht hat dies am Beispiel der Insolvenzantragspflicht wie folgt formuliert[8] (Rn 31):

 

Rz. 96

"Grundsätzlich setzt die Annahme einer Kardinalpflichtverletzung daher voraus, dass die von dem Versicherten verletzte Rechtsnorm zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehört (vgl. Lange VersR 2020, 588, 593). Der BGH stellt in diesem Zusammenhang maßgebend darauf ab, "dass Art und Umfang" der vom Versicherten verletzten Pflicht "aus sich heraus auf eine wissentliche Begehung hindeuten" müssten (BGH NZI 2015, 271 Rn. 23. Unterlässt etwa ein Insolvenzverwalter bei Fortführung des Betriebs die Erstellung eines Liquiditätsplans vor Begründung neuer Verbindlichkeiten, wird grundsätzlich von einer wissentlichen Pflichtverletzung auszugehen sein, weil dies eine fundamentale Grundregel der beruflichen Tätigkeit des Insolvenzverwalters darstellt (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2005, 1681 Zu solchen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, zählt auch die Pflicht eines Vorstands, Geschäftsführers, Aufsichtsrats oder leitenden Angestellten, weder sich noch Dritten aus dem Unternehmensvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch besteht, das Unternehmensvermögen nicht für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden sowie die Pflicht, bei Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen (Veith/Gräfe/Gebert-Lange, Versicherungsprozess § 21 A Versicherung Rn. 89). Bei der Insolvenzantragspflicht (§ 15a I 1 InsO) handelt es sich um eine der ganz wesentlich...

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