Rz. 64

 

Beispiel

In einem Tarifvertrag ist zur Urlaubsabgeltung Folgendes geregelt:

"Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist unzulässig, es sei denn, dass ausscheidenden Arbeitnehmern der Urlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen nicht mehr gewährt werden kann."

Der Tarifvertrag regelt zudem einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen kalenderjährlich. Ein Arbeitnehmer scheidet zum 30.9.2019 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Ihm stehen noch 15 Tage Urlaub aus dem Jahr 2019 zu. Diese kann er bis zum 30.9.2019 nicht mehr nehmen, weil er bis zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt ist.

Lösung

Nach der Regelung im Tarifvertrag sind die Voraussetzungen, die einen Urlaubsabgeltungsanspruch begründen würden, nicht erfüllt: Der Resturlaub ist nicht aus betrieblichen Gründen gewährt worden, sondern aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (Krankheit).

Diese Tarifbestimmung ist insoweit nichtig, als hierdurch der dem Arbeitnehmer zustehende gesetzliche Urlaubsanspruch ausgeschlossen oder gemindert wird (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Der Übergang des Urlaubsanspruchs in einen Abgeltungsanspruch wird an engere Voraussetzungen geknüpft als in § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies verstößt gegen die Unabdingbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 13 Abs. 1 Satz i. V. m. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG. Durch eine tarifliche Regelung kann der gesetzliche Urlaubsanspruch und sein Übergang in einen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht ausgeschlossen werden (so bereits BAG, Urteil v. 18.6.1980, 6 AZR 328/78[1]), weil dieser Anspruch nicht tarifdispositiv, sondern unabdingbar ist.

Sofern und soweit der gesetzliche Urlaubsanspruch entstanden ist, kann er durch Tarifvertrag auch nicht an die Erbringung von Arbeitsleistungen durch den Arbeitnehmer geknüpft werden (BAG, Urteil v. 8.3.1984, 6 AZR 442/83[2]).

Dem Arbeitnehmer standen nach §§ 1, 3 BUrlG für das Kalenderjahr 2019 an gesetzlichem Urlaub in der 5-Tage-Woche 20 Arbeitstage (24 Werktage) zu. Für diesen Urlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen ist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Urlaubsabgeltungsanspruch insoweit entstanden, als der Urlaub noch nicht genommen war. Der Arbeitgeber hat deshalb gem. § 7 Abs. 4 BUrlG noch 5 Urlaubstage abzugelten (30 Tage abzüglich 15 Tage genommenen Urlaubs = 15 Tage Rest; da hierin 10 Tage an übergesetzlichem Urlaub enthalten sind, hat der Arbeitgeber nur 5 Tage – den gesetzlichen Rest – bis zur Erfüllung der dem Arbeitnehmer zustehenden 20 gesetzlichen Urlaubstage – abzugelten). Im Übrigen greift die tarifliche Regelung, wonach der Urlaubsabgeltungsanspruch gekürzt wird, weil das Ausscheiden nicht auf betrieblichen Gründen beruht (vgl. zu einer anderen tariflichen Regelung, die auf die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs abstellt BAG, Urteil v. 13.11.2012, 9 AZR 64/11[3]).

Dieses Ergebnis wird seit der Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil v. 20.1.2009, C-350/06 u. a.[4]) zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG auch unionsrechtlich gestützt.[5] Danach darf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht deshalb erlöschen, weil der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage war, im Kalenderjahr bzw. Übertragungszeitraum den Anspruch auszuüben. Ihm muss jedenfalls ein Zeitraum von 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres verbleiben, um den Urlaub noch in Anspruch nehmen zu können.[6]

Besteht daher für den Arbeitnehmer, dem der Urlaub wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden konnte, kein tariflicher Anspruch auf Abgeltung, ist für dessen Urlaubsabgeltungsanspruch von der gesetzlichen Regelung auszugehen (BAG, Urteil v. 10.2.1987, 8 AZR 529/84[7]).

 
Praxis-Tipp

Trifft der Arbeitgeber bei der Urlaubsgewährung keine Erfüllungs- bzw. Tilgungsbestimmung, kann sich die Frage stellen, welchen Urlaubsanspruch er mit der tatsächlichen Gewährung von 15 Tagen erfüllen wollte: Den tariflichen Mehrurlaub oder den gesetzlichen Mindesturlaub? Zunächst ging die Rechtsprechung ohne nähere Begründung zu § 366 Abs. 2 BGB davon aus, dass zunächst der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch erfüllt werden solle (BAG, Urteil v. 5.9.2002, 9 AZR 244/01[8]). Da die Tarifvertragsparteien aber zulasten des Arbeitnehmers nur in den tariflichen Mehrurlaubsanspruch eingreifen können, bietet dieser die geringere Sicherheit. Nach § 366 Abs. 2 BGB wäre dann zunächst der tarifliche Anspruch erfüllt worden.[9] Die Folge wäre, dass bei einem tariflich geregelten Anspruch von 30 Tagen und der Gewährung von 15 Tagen noch 15 Tage an gesetzlichem Urlaub offen wären. Dies ist nur dann richtig, wenn die Tarifvertragsparteien einen eigenständigen tariflichen Urlaubsanspruch regeln, indem sie z. B. ausdrücklich klarstellen, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch um einen tariflichen Mehrurlaub von X Tagen aufgestockt wird. Formuliert ein Tarifvertrag dagegen – wie zumeist – nur, dass dem Arbeitnehmer ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen zusteht, hat der Arbeitnehmer nur einen einheitlichen Urlaubsanspruch, der im Umfang von 20 Ta...

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