Entscheidungsstichwort (Thema)

Wartezeitkündigung. Entschädigungsanspruch. Personalfragebogen als Indiz für Benachteiligung wegen Behinderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle einer diskriminierenden Kündigung kann eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG auch dann verlangt werden, wenn keine Kündigungsschutzklage erhoben wird. Der Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG ergreift nicht den Diskriminierungsvorwurf als solchen.

2. Die tätigkeitsneutral nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung gestellte Frage in einem Personalfragebogen ist wegen Verstoßes gegen § 81 SGB IX unzulässig.

3. In einem Personalfragebogen gestellte Fragen, die in unzulässiger Weise auf die Erlangung von Informationen über den Gesundheitszustand und das Vorliegen einer Behinderung des Bewerbers abzielen, können bei einer späteren Kündigung je nach den Umständen des Einzelfalls ein Indiz für eine Benachteiligung wegen Behinderung i. S. d. § 22 AGG darstellen.

 

Nachgehend

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.09.2011; Aktenzeichen 18 Sa 49/11)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 2.500,00 EUR zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger trägt 81,6 %, die Beklagte trägt 18,4 % der Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Arbeitsgerichts Kassel entstandenen Kosten. Diese hat der Kläger allein zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 13.616,73 EUR festgesetzt.

5. Für die Beklagte wird die Berufung zugelassen. Für den Kläger wird die Berufung nicht gesondert zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten, seiner früheren Arbeitgeberin, Vergütungs und Entschädigungsansprüche geltend.

Der am 00.00.1982 geborene, verheiratete, einem Kind unterhaltsverpflichtete, in Kassel wohnhafte Kläger war seit dem 13.10.2009 bei der Beklagten, einem Zeitarbeitsunternehmen, auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 24.09.2009 (Bl. 32 – 40 d.A.) als Gas und Wasserinstallateur eingestellt.

Der Kläger erlitt im Jahr 2005 einen Kreuzbandriss. Sein verletztes Knie wurde mit einem Kreuzbandimplantat versehen. Es verblieben Einschränkungen bei gewissen, in der Hocke zu verrichtenden Tätigkeiten, bei denen der Kläger eine Kniepolsterung benötigte und bei denen er deutlich langsamer als seine Kollegen arbeiten konnte.

Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens schickte die Beklagte dem Kläger, wie anderen Bewerbern auch, einen von ihr verwendeten formularmäßigen Bewerbungsbogen (Bl. 108 d.A.) zu, den der Kläger unter dem Datum 24.09.2009 handschriftlich ausfüllte und der Beklagten übermittelte. Der ausgefüllte Bewerbungsbogen lautet auszugsweise wie folgt:

Haben Sie eine Kur beantragt

X Nein

Ja

von

bis

Leiden Sie an einer chronischen

Krankheit

X Nein

Ja

an welcher

Waren Sie in den letzten 12

Monaten krank

Nein

X Ja

SchulterbandOP

6 Monate

Schulterbandabriss

3fach

Sind Sie Kriegs/Schwer/Unfallbehindert

X Nein

Ja

Sind Sie in der Ausübung ihrer berufl.

Tätigkeit in irgendeiner Form behindert

X Nein

Ja

Befinden Sie sich in einem

Ermittlungsverfahren

X Nein

Ja

Sind Sie vorbestraft

(außer Verkehrsdelikte)

X Nein

Ja

Waren Sie schon einmal bei uns

X Nein

Ja

Es ist mir bekannt, dass unwahre Angaben zur Lösung eines möglichen späteren

Arbeitsverhältnisses führen können. Dies ist kein Arbeitsvertrag

Als der Kläger sich am 08.11.2009 auf dem Weg zu seiner Einsatzstelle bei der Fa. M. befand, rutschte er beim Aussteigen aus dem ICE auf dem Bahnsteig aus und fiel hin. Dabei schlug eines seiner Gepäckstücke seitlich auf das Knie, das er sich im Jahr 2005 verletzt hatte. Der Kläger war wegen dieses Wegeunfalls vom 08.11.2009 bis 29.11.2009 arbeitsunfähig krank geschrieben.

Vom 30.11.2009 bis 04.12.2009 setzte die Beklagte den Kläger erneut bei der Fa. M. und ab 07.12.2009 bei der Fa. F. ein, wo der Kläger am 18.12.2009 wie regelmäßig freitags 5 Stunden arbeitete. Am 21.12.2009 musste der Kläger seine Arbeit auf einer Baustelle der Fa. F. im Laufe des Tages wegen Schmerzen im operierten Knie einstellen. Sowohl im Büro der Fa. F. als auch der Personaldisponentin der Beklagten, Frau L., teilte der Kläger in Telefonaten am 21.12.2009 mit, dass er wegen starker Knieschmerzen ins Krankenhaus gefahren worden sei und dass es sich voraussichtlich um einen Kreuzbandriss handele.

Mit Schreiben vom 21.12.2009 (Bl. 147 d.A.), dem Kläger am 22.12.2009 per Einwurfeinschreiben zugestellt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers „mit der vereinbarten Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit laut unserem Arbeitsvertrag fristgerecht zum 30.12.2009, ersatzweise zum nächstmöglichen Termin”. Mit weiterem Schreiben vom 21.12.2009 (Bl. 135 d.A.) bat die Personaldisponentin L. den Kläger um Unterzeichnung und Rücksendung eines beigefügten, von der Arbeitgeberseite nicht unterzeichneten Arbeitsvertragsformulars (Bl. 136 – 144 d.A.), das ein zum 01.03.2010 zu begründendes Arbeitsverhältnis der Parteien mit im Wesentlichen außer des Wegfalls einer ab dem 7. Beschäftigungsmonat zum ...

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